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Bankenaufsicht wird "notfalls auch eine Bank schließen"

Die Einigung auf eine EU-weite Bankenaufsicht für grenzüberschreitende Institute ist ein wichtiger Teilschritt, lobt Rainer Brüderle. Künftig wird die Aufsicht auch Eingriffsrechte in nationale Banksysteme haben, um notfalls ein Institut zu schließen, meint der FDP-Politiker.

Das Gespräch führte Christoph Heinemann | 13.12.2012
    Christoph Heinemann: Wenn Frankreich und Deutschland d'accord sind, dann einigt sich Europa. Die alte Regel schien in den letzten Wochen außer Kraft. Jetzt hat sie funktioniert. Die Finanzminister haben sich auf Spielregeln für eine Bankenaufsicht geeinigt. Dabei ging es um die Frage: Wie kann verhindert werden, dass Geldhäuser in Schieflage spekuliert werden und wir Steuerbürgerinnen und –bürger dann dafür geradestehen müssen. Jedweden Interessenkonflikt wollte unter anderem der Bundesfinanzminister verhindern, dass also etwa der EZB-Rat versucht sein könnte, Zinsen zu senken, um einen kriselnden Finanzsektor mit billigem Geld zu versorgen, während die wirtschaftliche Großwetterlage genau das Gegenteil erforderte.
    Am Telefon ist Rainer Brüderle, der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion. Guten Morgen!

    Rainer Brüderle: Guten Morgen, Herr Heinemann!

    Heinemann: Herr Brüderle, Wolfgang Schäuble ist zufrieden. Sie auch?

    Brüderle: Gut, das ist ein wichtiger Teilschritt und es hat immerhin gezeigt, dass man auch mit kurzer Frist eine Einigung hinkriegen kann. Und was für mich das Wichtigste ist: Offensichtlich fängt an, dass der deutsch-französische Motor wieder richtig anspringt, man voran kommt, denn ohne die Einigung zwischen Élysée und hier der Bundesregierung im Vorfeld wäre dieser Kompromiss wohl nicht auf den Weg gebracht worden, und das ist ein gutes Zeichen.

    Heinemann: Müssen nicht alle Banken kontrolliert werden?

    Brüderle: In einer Endstufe ja. Aber es macht keinen Sinn, dass jetzt eine europäische Bankenaufsicht – wir haben in der Eurozone sechs bis 7000 Banken -, ein Apparat, den es noch gar nicht gibt, den Sie erst aufbauen müssen, anfängt, jetzt jede kleine Sparkasse oder jede kleine Raiffeisenbank zu kontrollieren. Es war ja schon eine Schieflage bei der deutschen Bankenaufsicht, der BaFin, dass sie bei den kleinen relativ pingelig jede Überweisung bald kontrolliert haben, bei den großen die Fehlentwicklungen nicht gemerkt haben. Und systemgefährdend, systemrelevant sind die großen Banken, die grenzüberschreitenden Banken, und deshalb ist es richtig, dass man eine Grenze fixiert hat mit den 30 Milliarden Bilanzsumme. Aber es ist ja eine kleine Öffnungsklausel dran, denn wenn man der Überzeugung ist, dass eine kleine Bank, also weniger als 30 Milliarden Bilanzsumme – das sind ja die meisten Sparkassen, Volksbanken oder Raiffeisenbanken -, eine Gefährdung auslösen kann, dann kann auch, so habe ich jedenfalls die Formulierungen, die Presseerklärungen von heute Nacht gelesen, die Europäische Bankenaufsicht aktiv werden. Aber sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, ist richtig. Und es ist ja in Ihrem Beitrag eben sehr schön herausgekommen, dass dies hier erst ein Schritt für weitere ist. Der Endpunkt am Schluss wird ja sein, dass man eine Bankenaufsicht hat, die auch Eingriffsrechte hat in die nationalen Bankensysteme, die notfalls auch eine Bank schließen kann in Spanien. Da ist man noch ein Stück von entfernt.

    Heinemann: Sie sagten eben, die kleinen Sparkassen. Einige sind aber gar nicht so klein. Warum bleiben die außen vor?

    Brüderle: Ja gut, wenn sie 30 Milliarden überschreiten. Die Landesbanken, soweit sie noch existieren, werden da mit erfasst. Man muss hier irgendwo eine Grenze festlegen. Man hätte genauso gut 28 sagen können oder 32. Das ist immer ein Stück Willkür, wenn man eine Grenze festsetzt. Aber die normalen Standard-Sparkassen sind eben drei, fünf Milliarden Bilanzsumme, die fallen da nicht drunter und sie haben auch nicht die Relevanz, dass sie das Finanzsystem in Europa gefährden, wenn eine Schieflage kommt, und sie haben insbesondere in Deutschland ja eigene Sicherungssysteme. Wir sind hier viel weiter fortgeschritten in der Entwicklung als die anderen europäischen Länder. Wir haben ja praktisch das Drei-Säulen-Konzept: wir haben die Genossenschaftsbanken und die Sparkassen, die Privatbanken, und alle drei haben für sich genommen eigene Sicherungssysteme und haben bisher es immer gut verstanden, wenn eine Schieflage war, das in der Familie quasi zu regulieren. Und wir bauen ja auf mit der Bankenabgabe in Deutschland einen weiteren Sicherungsfonds für solche Fälle. Insofern ist Deutschland relativ gut aufgestellt. Aber die Gedanken, die ja hinter dieser Bankenunion stehen, dass man am liebsten eine europaweite Einlagensicherung hätte, also die Oma in Berlin haftet mit ihrem Sparbuch für spanische Bankenabenteuer, das kann es so nicht geben, denn dazu sind die Unterschiede zu groß, die Kulturen des Wirtschaftens zu verschieden. Deshalb ist das jetzt ein richtiger Teilschritt, aber, wie auch angeklungen im Beitrag, dass man jetzt ein Insolvenzrecht schaffen muss, wenn eine Bank in Schieflage ist, wie man das abwickeln kann, ist ein nächster Schritt. Wir haben Europa immer schrittweise entwickelt und ich hoffe jetzt, dass mit dem deutsch-französischen Motor das wieder ein bisschen schneller geht, denn die Welt wird keine Pause in der Entwicklung einlegen, bis die Europäer ihre Grämchen gerichtet haben.

    Heinemann: Wir vermerken eine wichtige Verschiebung. Sie sprachen bisher immer von der Oma in Mainz, jetzt ist es die in Berlin. Gut!

    Brüderle: Ja gut, da gibt es auch eine Oma.

    Heinemann: Also Sie schließen vollkommen aus, dass es mal eine gemeinsame Einlagensicherung geben wird langfristig?

    Brüderle: Das kann nur als Endpunkt einer ganz langfristigen Entwicklung sein, weil wir schon praktisch zwei Ebenen haben, innerhalb der Bankengruppensicherungssysteme ein deutsches Bankabgaben-Sicherungssystem. Ich schließe nicht aus, wenn man solch eine unabhängige Behörde hat – ein Problem ist ja, dass dies bei der EZB noch angekoppelt ist -, dass man dann auch ein weiteres Einlagensicherungssystem aufbauen könnte. Aber das darf nicht am Anfang stehen. Und da war immer die Begehrlichkeit unserer europäischen Partner und Freunde, an die gut gefüllten deutschen Kassen, auch die Sicherungskassen heranzukommen. Das kann nur ein Endpunkt sein. Erst mal muss das Prozedere, erst mal müssen die Spielregeln und die Spielkulturen einander angepasst werden, bevor man einen solchen Gedanken näher in Betracht ziehen kann.

    Heinemann: Sind die Interessen der Nicht-Euro-Länder unter den EU-Staaten und auch die Mitarbeit ausreichend gewahrt?

    Brüderle: Sie werden sicherlich nicht in dem Umfang mitwirken können, wie sie es vielleicht wollen. Ich sage es mal ganz deutlich: Unsere britischen Freunde – und wir möchten sie auf jeden Fall in der Europäischen Union haben – geben uns permanente Ratschläge, was wir in der Euro-Zone, wir und andere, für unser Geld tun sollen, aber sie beteiligen sich nicht aktiv dabei. Sie sind nicht mal bereit, die Regeln für die Finanzmärkte miteinander richtig abzustimmen. Wir haben permanent Probleme, weil Großbritannien – und 40 Prozent der Aktivitäten am Finanzmarkt sind in London – eine Sonderstellung für sich reklamiert. Sie haben einen Rabatt, einen Discount bei den Beiträgen, die sie an die europäischen Kassen zahlen, sie reklamieren Sonderstellungen, sie wollen aber die Vorteile des Binnenmarktes voll nutzen. Da sehe ich eher eine Entwicklung kommen, wenn das so bleibt und wenn sich die Haltung nicht ändert – und gerade bei den britischen Konservativen, neuerdings auch bei der Labour Party, sieht man bedenkliche Entwicklungen der Desintegration aus den Strukturen Europas heraus; wir brauchen aber mehr Integrationsschritte, nicht weniger -, dann können sie nicht bei den Spielregeln für Länder, die eine gemeinsame Währung haben, voll mitreden, aber keine Haftung und keine Verantwortlichkeit übernehmen. Da muss man auch einen Mechanismus finden, vielleicht dass man einen Ausschuss des Europäischen Parlaments aus den Euro-Zonen-Ländern bildet, der Sonderverantwortung übernimmt.

    Heinemann: Herr Brüderle, zum Schluss noch ein ganz anderes Thema. Zwei wichtige Vorhaben der Bundesregierung sind im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat gescheitert: einmal das Steuerabkommen mit der Schweiz und der Abbau der sogenannten Kalten Progression, der Plan also, die Bürger durch einen flacheren Verlauf des Steuertarifs zu entlasten. War es das jetzt mit Steuersenkungen?

    Brüderle: Nein, das ist ja nicht eine Entlastung der Bürger, sondern ein Vermeiden einer Steuererhöhung, ein teilweise Vermeiden der Steuererhöhung.

    Heinemann: Also im Vergleich zum jetzigen Prinzip schon eine Entlastung?

    Brüderle: Nein! Weil Sie hineinwachsen durch die Lohnerhöhungen des letztes Jahres, die kräftig waren – darüber freuen wir uns, dass das endlich möglich war, dass die Arbeitnehmer auch einen höheren Anteil haben -, kommen Sie, das ist die Progression, in einen höheren Steuersatz hinein. Das ist für Sie eine Steuererhöhung. Sie müssen einen höheren Prozentsatz an Steuern zahlen als bisher. Und das wollen wir ein Stück abmildern, weil wir das für ungerecht halten. Nur weil die Werte sich nominal ein Stück erhöhen – wir haben ja auch ein bisschen Geldentwertung im Hintergrund und die Befürchtung, dass sie stärker wird durch die Euro-Entwicklung in den nächsten Jahren -, wollten wir das ein Stück abmildern, um die kleinen Einkommen - es geht nicht um Spitzeneinkommen – weniger stark zusätzlich steuerlich zu belasten. Das hat man den kleinen Einkommensbeziehern, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern verweigert. Das halte ich für unanständig und das muss man auch in der politischen Diskussion des nächsten Jahres voll mit einführen.

    Heinemann: Im Wahlkampf zum Beispiel?

    Brüderle: Auch im Wahlkampf. Wir haben Steuereinnahmen wie noch nie in Deutschland, über 600 Milliarden Steuereinnahmen. So hoch war es noch nie in Deutschland. Und der Staat muss irgendwann mit seinem Geld auch mal auskommen, muss jeder private Mensch auch machen. Wir haben eine Konjunktur, die so ein bisschen über dem Null-Wachstum sich bewegt, ...

    Heinemann: Und wir haben eine Uhr, die tickt!

    Brüderle: Das ist leider so. Also man hätte den Leuten ruhig ein bisschen weniger Zusatzbelastung erlauben sollen. Und das Steuerabkommen mit der Schweiz halte ich für fatal. Das hätte zehn Milliarden Steuereinnahmen gebracht, und es wird zunehmend in die Verjährung hineingehen, ...

    Heinemann: Und darüber reden wir zu gegebener Zeit noch mal. Entschuldigung! – Rainer Brüderle, der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Brüderle: Danke Ihnen!

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