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Barthel: Korrekturen sind nicht ausreichend

Man müsse aufpassen, dass nicht durch Einzelvorschläge vom Kernpunkt der Auseinandersetzung abgelenkt werde, sagte Klaus Barthel, Vorsitzender der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen. Es gehe um die Frage, wie hoch das künftige Rentenniveau sein solle und ob damit die gesetzliche Rentenversicherung noch den Kern der Alterssicherung darstelle.

Klaus Barthel im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 24.09.2012
    Dirk-Oliver Heckmann: Hartz IV und die Rente mit 67, mit diesen beiden unangenehmen Themen wird die SPD seit Jahren identifiziert – war sie es schließlich, die beide Projekte in den Jahren ihrer Regierungszeit maßgeblich auf die Schiene gebracht hatte, mit dementsprechendem Absturz bei den Wahlen allerdings anschließend. Seit Sigmar Gabriel Parteichef ist, bemüht er sich, das Image der kalten Sozialdemokraten abzuschütteln. Gleichzeitig soll aber auch nicht alles zurückgedreht werden. Heute befasst sich der SPD-Vorstand mit Gabriels Vorschlag zur Reform der Rentenreform, doch die geht den Parteilinken bei Weitem nicht weit genug.
    Dazu begrüße ich Klaus Barthel, den Chef der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen, kurz AfA, in der SPD. Schönen guten Morgen, Herr Barthel.

    Klaus Barthel: Guten Morgen, Herr Heckmann.

    Heckmann: Herr Barthel, Sigmar Gabriel hat ja gestern in letzter Minute sozusagen noch eine entscheidende Änderung vorgenommen, um den Gewerkschaften beispielsweise entgegenzukommen. Demnach sollen alle, die 45 Versicherungsjahre vorweisen können, abschlagsfrei in Rente gehen. Angerechnet werden sollen auch Arbeitslosigkeit und Kindererziehungszeiten. Rund 200.000 Beschäftigte vor allem aus Industrie und Handwerk könnten davon profitieren. Damit kommt er Ihnen doch ganz gut entgegen, oder?

    Barthel: Das ist auf jeden Fall ein Fortschritt und wir sehen, dass eben Bewegung in die Sache kommt.

    Heckmann: Das heißt, Sie können dem Konzept von Sigmar Gabriel dann so zustimmen heute?

    Barthel: Nein. Also da sind wir noch lange nicht, weil wir jetzt aufpassen müssen, dass nicht durch lauter Einzelvorschläge vom Kernpunkt der Auseinandersetzung abgelenkt wird, nämlich von der Frage, wie hoch das zukünftige Rentenniveau ist und ob damit die gesetzliche Rentenversicherung überhaupt noch den Kern der Alterssicherung in Deutschland darstellt, oder ob wir letzten Endes bei einer Mini- oder Almosenrente für die Mehrheit der Versicherten landen und der Rest sich dann über private Systeme absichern muss. Also das kann es nicht sein.

    Heckmann: Gabriel will ja dabei bleiben, dass das Rentenniveau bis zum Jahr 2030 auf 43 Prozent des letzten Nettoverdienstes sinken soll. Sie sind dagegen. Wollen Sie also mit unfinanzierbaren Vorschlägen und Versprechen der Linkspartei Konkurrenz machen?

    Barthel: Zunächst mal muss man ja sagen, was die Absenkung auf 43 Prozent bedeutet. Die bedeutet nämlich, dass die Mehrheit der Beitragszahler, die Mehrheit derjenigen, die ein Arbeitsleben lang Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung bezahlen, letzten Endes keine Chance mehr haben, über ein Grundsicherungsniveau oder eine Solidarrente oder wie immer man das nennen will, hinaus sich abzusichern, und das kann es nicht sein. Und die Frage der Finanzierung, dazu gibt es zwei Dinge zu sagen. Einmal hat der DGB ein Konzept vorgelegt und rechnerisch überprüfen lassen von der Rentenversicherung, das besagt, wenn man jetzt keine Absenkung des Beitrages macht, sondern Schritt für Schritt sich den vorgesehenen 22 Prozent Rentenversicherungsbeitrag nähert und das dann bei 22 Prozent belässt, dass dann auch ein Rentenniveau von über 50 Prozent finanzierbar ist. Das ist gerechnet. Und zum anderen muss man ja sagen, es wird ja immer an der Frage vorbeigeredet: Wenn wir es nicht über gesetzliche Rente machen, dann heißt das, dass die Versicherten, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in irgendwelche privaten Systeme, sei es Betriebsrente, sei es Riester, sei es Lebensversicherung, selber Beiträge entrichten müssen, und dann sind wir bei einem Niveau, das bei 25 Prozent erst anfängt und sich dann langsam auf die 30 hinzubewegt, weil ja dann die Arbeitgeber außen vor sind, und das kann es nicht sein, weil da beißt sich die Katze in den Schwanz.

    Heckmann: Aber Sigmar Gabriel, wenn ich da einhaken darf, Herr Barthel, möchte bei diesen 43 Prozent eben bleiben und sagt, wichtiger, um eine auskömmliche Rente zu bekommen, ist es, dass im Laufe des Erwerbslebens anständige Löhne gezahlt werden.

    Barthel: Na da ist ja überhaupt nicht zu widersprechen. Da sind wir ja gemeinsam dafür, dass wir Ordnung auf dem Arbeitsmarkt schaffen müssen, dass wir Mindestlohn brauchen, dass wir Regeln brauchen bei der Leiharbeit, bei Werksverträgen, bei befristeter Beschäftigung, dass wir es schaffen müssen, insgesamt das Lohnniveau deutlich anzuheben, damit überhaupt genügend Beiträge und damit auch Rentenansprüche gesammelt werden können. Das sind aber Ziele, die darf man nicht gegeneinander ausspielen, sondern die gehören unmittelbar zusammen.

    Heckmann: Was ist denn der Grund aus Ihrer Sicht, dass Sigmar Gabriel da so stur bleibt in diesem Punkt?

    Barthel: Ich glaube, es gibt eben da eine Verhärtung und eine ideologische Fixierung auf die Frage des Beitragsniveaus, und ich glaube, die werden wir in den nächsten Wochen noch weiter diskutieren müssen und die werden wir auch aufbrechen. Ich stelle fest, dass weite Teile der Partei und der Gewerkschaften in dieser Frage hinter uns stehen, und ich glaube, dass es da noch Bewegung geben wird.

    Heckmann: Gut möglich, dass am Ende ein Kompromiss steht, dass das Rentenniveau dann irgendwo zwischen 50 und 43 Prozent gehalten werden soll, aus SPD-Sicht jedenfalls. Könnten Sie denn mit so einem Kompromiss leben, oder ist es so, dass Sie darauf bestehen, dass es bei den 50 Prozent bleibt?

    Barthel: Wir haben ja jetzt gut 51 Prozent und unsere Vorstellung war ja, das jetzige Niveau auf keinen Fall weiter abzusenken, weil wir eben in ganz kritische Bereiche damit kommen. Und natürlich wird am Ende ein Kompromiss stehen, aber ich glaube, dass an der Frage 50 Prozent nicht viel vorbeiführen wird, weil das auch eine nachvollziehbare Größenordnung ist, dass man sagt, das Nettorentenniveau darf nicht unter die Hälfte des Lohnniveaus sinken. Das ist eh schon wenig genug. Hier glaube ich, dass es dann auch Mehrheitsentscheidungen geben wird. Aber wie gesagt, das Ganze – deswegen ist ja auch das Problem jetzt mit den Einzelvorschlägen -, das Ganze muss ja insgesamt in sich stimmig sein, muss insgesamt in sich gerechnet sein, und da gibt es eine ganze Menge von Stellschrauben und Möglichkeiten, sich noch zu einigen.

    Heckmann: Was jetzt noch dazu kommt, ist, dass die ostdeutschen Landesverbände eine Angleichung der Renten zwischen Ost und West verlangen. Ist das eine Sache, die Sie auch für absolut angezeigt halten, und dann stellt sich wieder die Frage nach der Finanzierung.

    Barthel: Ja. Also jeder, der sich damit beschäftigt, weiß, dass die Angleichung der Ost- und Westrenten ein sehr kompliziertes Problem ist. Aber ich glaube, dass so viele Jahre nach der deutschen Einheit überhaupt kein Weg daran vorbeiführt, die beiden Systeme zusammenzuführen. Aber da muss es einen Stufenplan geben, der muss sorgfältig erarbeitet und berechnet werden, aber da muss mit Sicherheit was passieren. Und da sehen wir eben, dass es eine Menge von Punkten da zu berücksichtigen gibt, dass das Gesamtkonzept schlüssig und finanzierbar bleibt, und da müssen erst mal die Zahlen auf den Tisch und da müssen wir jetzt sehen, dass wir erst mal Bewegung reinkriegen.

    Heckmann: Glauben Sie denn, wenn sich die SPD darauf verständigt, das Rentenniveau nicht so stark abzusenken, wie bisher geplant, dass dann die drei möglichen Kanzlerkandidaten Steinmeier, Steinbrück und Gabriel das überhaupt glaubwürdig vertreten können, denn alle drei stehen ja für diese Reformpolitik und haben gesagt, die Absenkung ist im Prinzip alternativlos?

    Barthel: Ja das wird man sehen müssen. Für uns ist ja das Entscheidende: Wenn wir die gesetzliche Rentenversicherung, das beitragsfinanzierte System, die lebensstandardsichernde Rente, wenn wir als SPD uns dafür entscheiden, dann ist das ein Alleinstellungsmerkmal unserer Partei, das sich deutlich unterscheidet von den Linken, aber auch von den Grünen und von der CDU und FDP erst recht, weil die alle letzten Endes bei einem irgendwie gearteten Grundsicherungssystem landen und das wollen wir nicht. Und ich glaube, das wäre eine gute Voraussetzung, auch für den Wahlkampf zu sagen, die SPD hat nicht nur ein Konzept mit vielen Wünschen, sondern es ist gerechnet und es ist gerecht, gerechter als die anderen, und ich glaube, dass sich jeder Kanzlerkandidat gut damit sehen lassen könnte.

    Heckmann: Offiziell bleibt ja Sigmar Gabriel im Rennen als möglicher Kanzlerkandidat. Immer öfter wird aber berichtet, Herr Barthel, er habe das Handtuch intern jedenfalls geworfen. Der "Spiegel" hat am Wochenende darüber berichtet. Glauben Sie denn, dass die SPD mit Steinmeier und Steinbrück überhaupt eine Chance hat, denn beide stehen ja für die doch so ungeliebte Agendapolitik, noch stärker als Gabriel?

    Barthel: Ja, aber ich glaube, wir haben mit jedem von den Dreien gute Chancen, weil auch Steinbrück und auch Steinmeier ja gezeigt haben in anderen Fragen, dass sie auch lernfähig sind und dass wir gemeinsam auch als Partei aus Fehlentwicklungen, die sich aus der Agenda ergeben haben, lernen können. Zum Beispiel in der Arbeitsmarktpolitik haben wir gemeinsam andere Positionen gefunden. Herr Steinbrück wird bei der Bankenregulierung jetzt zeigen, dass er sich bewegt hat; er war ja früher auch gegen Vermögenssteuer und für eine Liberalisierung der Finanzmärkte. Da sind Lernprozesse da und zu denen muss man auch stehen können, und ich glaube, das können die Drei auch.

    Heckmann: Klaus Barthel war das, der Chef der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen AfA innerhalb der SPD. Herr Barthel, danke Ihnen für das Interview!

    Barthel: Ja vielen Dank, Herr Heckmann!

    Heckmann: Schönen Tag noch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.