Samstag, 27. April 2024

Berichterstattung über Bürgergeld
Zu viel Fokus auf Extremfälle

Wegen des Haushaltslochs sucht die Politik momentan nach Bereichen, in denen gespart werden kann. In den Fokus geraten ist dabei auch das Bürgergeld. Doch die Berichterstattung über die Sozialleistung ist von Populismus und Desinformation geprägt.

Iris Sayram im Gespräch mit Anh Tran | 05.12.2023
Im Jobcenter Berlin Treptow-Köpenick hält ein Mann einen Antrag auf Bürgergeld in der Hand.
Bürgergeldantrag im Jobcenter (picture alliance / dpa / Jens Kalaene)
Von 502 auf 563 Euro steigt der Regelsatz des Bürgergelds zum Januar 2024. 61 Euro mehr für ein „menschenwürdiges Existenzminimum“, wie es das Bundesministerium für Arbeit und Soziales formuliert. Für Posten wie Strom, Lebensmittel, Kleidung, Haushaltsgegenstände und Kosten für Verkehrsmittel oder Freizeitgestaltung.
Mit dieser Anhebung steigt der Regelsatz um 12,2 Prozent und wird so durch einen gesetzlichen Mechanismus an die Preise angepasst, die durch die Inflation gestiegen sind. Kein Novum – schon für das Jahr 2023 wurde das Bürgergeld an die gestiegenen Verbraucherpreise angepasst, genau wie der Bürgergeld-Vorgänger Hartz 4 immer wieder angepasst wurde. Doch auch wegen des Milliardenlochs im Bundeshaushalt hat sich um die Sozialleistung eine hitzige Mediendebatte entfacht, die von vielen faktischen Fehlern geprägt ist.

Debatte geprägt von Populismus und Fehlern

Die „Bild“ sieht in der Erhöhung des Bürgergelds beispielsweise eine „üppige Alimentierung“ und folgert: „Arbeit lohnt sich nicht mehr!“ Dabei ist das Rechenbeispiel der „Bild“ falsch, wie das Watchblog bildblog recherchiert hat.
Und auch die AfD-nahe Zeitung „Junge Freiheit“ rechnete fälschlicherweise vor, dass Empfangende des Bürgergelds unter dem Strich mehr bekämen als Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten – wieder mit der Botschaft: Arbeit lohnt sich nicht. Eine Argumentation, die die CSU übernommen und weiterverbreitet hatte, samt fehlerhafter Grafik der „Jungen Freiheit“, wie die Website Volksverpetzer berichtet.

Um das Bürgergeld ranken sich viele Mythen

„Es ist ein Mythos, zu behaupten, jemand würde mehr Geld bekommen, wenn er nicht arbeitet – das stimmt schlichtweg nicht. Selbst bei einer Single-Person ist der Unterschied zwischen Bürgergeld und Mindestlohn je nach Region in der Regel zwischen 250 und 300 Euro“, stellt Marcel Fratzscher im Deutschlandfunk klar.
Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW. Ebenso sei es falsch, dass das Bürgergeld die Menschen vom Arbeiten abhalte - das zeigten verschiedene Studien, so der Ökonom.
Dass viele Medien dennoch das Narrativ der „faulen Bürgergeldbeziehenden“ bedienen, hängt für Iris Sayram auch mit dem Komplexität des Themas zusammen. Die gelernte Juristin berichtet für das ARD-Hauptstadtstudio u.a. über Themen aus dem Sozialbereich.
Es gebe zu den Transferleistungen, zu denen auch das Bürgergeld gehört, ein komplexes Gesetzessystem, das außerdem noch flankiert werde von Urteilen des Bundesverfassungsgerichts. Deshalb sei es oft schwierig für Berichterstattende, den Überblick zu behalten, so Sayram.

Komplexes Themenfeld mit vielen Grautönen

Sie rät deshalb auch, Abstand zu nehmen von „grobschlächtigen“ Betrachtungen und Menschen einzuteilen in Gut und Böse: "Gerade wenn man sagt: das Bürgergeld ist jetzt so hoch, dass Leute reihenweise ihre gut bezahlten Jobs kündigen und lieber die Füße hochlegen und Transferleistungen beziehen – das ist viel zu kurz gegriffen. Und da lohnt sich der Blick ins Detail.“
Medien sollten bei Themen wie dem Bürgergeld genau analysieren, welche Forderungen überhaupt umgesetzt werden könnten, was purer Populismus sei und welche Vorschläge zumindest nachdenkenswert seien.

Problematischer Fokus auf Extremfälle

Entscheidend ist für Sayram außerdem, sich in der Berichterstattung nicht immer auf die Extremfälle zu fokussieren. Auf der einen Seite sei da "der Hilfeempfänger, der nur faul auf dem Sofa sitzt, und auf der anderen Seite ein Bürgergeld, das wieder ganz drastisch gekürzt wird, so dass das Bundesverfassungsgericht das sowieso wieder einkassieren würde."
Es käme viel mehr auf die Zwischentöne an - und auf Sachlichkeit, betont die ARD-Expertin.