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Berichterstattung über Chemnitz
"Der berechtigte bürgerliche Protest wird diskreditiert"

Der Tod des jungen Mannes sei der Tropfen gewesen, der das Fass in Chemnitz zum Überlaufen gebracht habe, sagte der sächsische AfD-Fraktionsvorsitzende Jörg Urban im Dlf. Die Menschen wollten endlich von der Politik gehört werden. In der Berichterstattung werde das aber mit dem Auftreten "weniger hundert Rechtsextremer" vermischt.

Jörg Urban im Gespräch mit Christiane Kaess | 29.08.2018
    10.03.2018, Sachsen, Görlitz: Jörg Urban, Landesvorsitzender der AfD in Sachsen, spricht bei der Kundgebung der AfD Görlitz zur Zukunft der Arbeitsplätze in der Lausitz. Foto: Monika Skolimowska/dpa-Zentralbild/dpa | Verwendung weltweit
    Jörg Urban, Landesvorsitzender der AfD Sachsen (dpa-Zentralbild / onika Skolimowska)
    Christiane Kaess: Am Telefon ist jetzt Jörg Urban. Er ist Fraktionsvorsitzender der AfD im sächsischen Landtag. Guten Morgen, Herr Urban.
    Jörg Urban: Guten Morgen!
    Kaess: Herr Urban, ist nach diesen gewaltsamen Ausschreitungen in Chemnitz durch Neonazis und Hooligans jetzt auch der AfD klar, dass Sachsen ein massives Problem mit Rechtsextremen hat?
    Urban: Die Situation, dass es gerade im Chemnitzer Raum durchaus eine rechtsextreme Szene gibt, ist bekannt gewesen. Das ist nichts Neues. Das eigentliche Problem ist, dass wir im Moment eine Berichterstattung haben, die eine große Menge friedlicher Demonstranten versucht, zu vermischen mit den wenigen hundert wirklich Rechtsextremen, und damit den berechtigten bürgerlichen Protest diskreditiert.
    "Unzufrieden mit den Zuständen, die die Migration verursacht hat"
    Kaess: Wenige hundert Rechtsextreme – da sagt der Verfassungsschutz oder sagen Beobachter etwas anderes. Aber warum ruft eigentlich die AfD nicht zu Demos gegen Rechtsextremismus auf, so wie sie es auch gegen diese Gewalttat getan hat, bei der am Sonntag ein Mensch ums Leben gekommen ist?
    Urban: Weil der Rechtsextremismus in Sachsen ein bekanntes Problem ist, ein Phänomen, was im Vergleich zum Linksextremismus in den letzten Jahren eher zurückgegangen ist, und weil die Menschen jetzt auf die Straße gehen auch ohne die AfD, weil sie mit den Zuständen, die die Migration verursacht, unzufrieden sind. Das ist das aktuell brennende Thema und wir werden auch nicht uns ablenken lassen von den Versuchen, jetzt von dieser Migranten-Kriminalität abzulenken und über Rechtsextremismus zu reden, der sicherlich am Rande dieser Demonstrationen stattfindet, der aber nicht das Hauptthema dieser Demonstrationen ist.
    Kaess: Was Sie gerade gesagt haben, dass der Linksextremismus stärker ist oder der Rechtsextremismus stärker zurückgeht, das stimmt nicht, denn die politisch motivierte Kriminalität, die sinkt zwar laut polizeilicher Kriminalstatistik in Sachsen, aber von über 3250 Fällen politischer Straftaten sind über 2000 im politisch rechten Spektrum zu verzeichnen und gut 660 nur dem linken Spektrum zuzuordnen. Warum engagiert sich die AfD nicht mehr gegen rechts?
    Urban: Man muss bei den politisch motivierten Straftaten differenzieren, ob es sich um Gewaltstraftaten, um Sachbeschädigungen oder Körperverletzungen handelt, oder um Meinungsdelikte. Es gibt leider bei der Kriminalität den Zustand, dass wir sehr viele Straftaten als Meinungsdelikte beim rechten Spektrum haben, zum Beispiel durch Zeigen des Hitler-Grußes oder des Verwendens verfassungsfeindlicher nazistischer Symbole. Für Symbole aus dem linken Spektrum gibt es keine Straftatbestände. Ein Großteil der rechtsextremen Straftaten, rein statistisch gesehen, sind Meinungsdelikte. Und wenn es um die Gewaltkriminalität von rechts und links geht, haben wir inzwischen eine ausgeglichene Situation, dass im linksextremen Spektrum die Gewaltkriminalität wächst und im rechten eher etwas zurückgeht.
    "Der Tropfen, der in Chemnitz das Fass zum Überlaufen gebracht hat"
    Kaess: Das sagen Sie jetzt, können wir an der Stelle nicht überprüfen. Ich denke, die Zahlen, die ich genannt habe, sprechen für sich.
    Urban: Das sind die Zahlen, die die gesamte Kriminalität beinhalten und eben nicht die Gewaltkriminalität. Deswegen können wir das an der Stelle nicht prüfen. Aber ich widerspreche Ihnen da deutlich.
    Kaess: Lassen Sie uns noch mal auf die Ereignisse in Chemnitz zurückkommen. So schrecklich der Tod des Menschen ist, der Opfer dieser Auseinandersetzung am Rande des Chemnitzer Stadtfestes geworden ist, und das haben Politiker ja auch immer wieder betont. In Deutschland werden im Jahr mehrere hundert Menschen umgebracht, einige davon in Sachsen. Warum greift die AfD diesen einen Fall heraus und instrumentalisiert ihn für ihre Zwecke?
    Urban: Es ist ja nicht die AfD, die diesen Fall herausgreift. Sie werden gemerkt haben, dass die große Demonstration jetzt am Montag in Chemnitz keine AfD-Demonstration war.
    Kaess: Aber Sie haben zur ersten Demonstration aufgerufen. Sie waren auch erst mal dabei.
    Urban: Es ist einfach so, dass in Chemnitz seit Jahren gerade im Stadtzentrum ein Anwachsen der Kriminalität durch Migranten zu verzeichnen ist. Es ist so, dass die Chemnitzer schon sehr lange unzufrieden sind mit dieser Situation. Es ist so, dass weder die Stadtpolitik, noch die Landespolitik in der Lage war, diese Situation zu verbessern. Sie verschlechtert sich immer weiter. Der Mord jetzt auf dem Stadtfest an dem jungen Mann, einem Familienvater übrigens, ist einfach der Tropfen gewesen, der in Chemnitz das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Das ist kein Einzelereignis, an dem wir uns als AfD jetzt ranhängen. Die AfD kritisiert schon lange die Migrationspolitik der Bundesregierung. Es ist in Chemnitz jetzt das Fass, was zum Überlaufen gekommen ist, und wir wollen, dass die Menschen, die in Chemnitz unzufrieden sind, endlich von der Politik gehört werden. Wir möchten, dass die Politik einsieht, dass was falsch gemacht worden ist, und ihre Politik der offenen Grenzen ändert. Deswegen nehmen wir die Gelegenheit jetzt wahr, gemeinsam mit den Chemnitzern, zu diesem Mord einen Gedenkmarsch zu machen, einen Schweigemarsch, um Aufmerksamkeit zu bekommen politisch für das, was falsch läuft.
    Maßnahmen zur Eindämmung der Kriminalität
    Kaess: Herr Urban, worauf begründen Sie diese Aussage, das Anwachsen der Straftaten durch Migranten? Welche Statistik und welche Zahlen haben Sie da?
    Urban: Das ist die sächsische Polizeistatistik. Die bestätigt das. Wir haben ja inzwischen in Chemnitz auch verschiedene Maßnahmen gehabt, die versucht haben, das einzudämmen. Das geht von der Installation von Videokameras im Zentrum bis hin zum Abholzen von Hecken im Stadtpark, damit das Drogen-Dealen erschwert werden soll. Alles Einzelmaßnahmen, die klarmachen, die Kriminalität wächst. Die sächsische Polizeistatistik bestätigt das auch für die Stadt Chemnitz. Und es ist kein Rückgang, sondern eher eine Zunahme zu verzeichnen.
    Kaess: Ich muss Ihnen da widersprechen, Herr Urban, denn auch wir haben diese aktuelle polizeiliche Kriminalstatistik für Sachsen. Ich habe sie sogar vor mir liegen hier. Da heißt es für 2017, dass die Zahl der Straftaten in Sachsen gesunken ist. Das geht von Wohnungseinbrüchen über Grenzkriminalität bis hin zur Gewaltkriminalität. Und wir können auch noch ein paar andere Zahlen nennen. Zum Beispiel die Messerattacken, auf die sich die AfD ja gerne beruft, da hat der Deutschlandfunk gestern mal nachgefragt. Bundesweit können solche Daten nur vom Bundeskriminalamt erhoben werden, das die polizeiliche Kriminalstatistik herausgibt. Da hat uns eine Sprecherin gesagt, dass das Tatmittel Messer überhaupt nicht gesondert erfasst wird, und demnach kann man auch keine Steigerungsraten aus der Kriminalstatistik ableiten. Und noch eine letzte Zahl, die vielleicht auch wichtig ist in diesem Zusammenhang: Die Zahlen sagen auch, dass Zuwanderer, von denen viele jung und männlich sind, etwa so kriminell sind wie deutsche junge Männer, wenn man das mal dementsprechend vergleicht, nämlich acht Prozent.
    Urban: Gut! Die Statistik für ganz Sachsen ist erst mal nicht die Statistik für Chemnitz. Und wenn die Messerkriminalität nicht separat erfasst wird, dann können wir natürlich alle froh sein. Das heißt aber erst mal, dass wir überhaupt keine Erhebungen dazu haben. Das heißt nicht, dass sie nicht stattfindet.
    Kaess: Die AfD behauptet das aber immer wieder.
    Urban: Nein, behaupten wir nicht. – Ich möchte Ihnen aber mal eine andere Zahl sagen. In Sachsen ist ungefähr die Hälfte der …
    Kaess: Warum benutzen Sie dann Begriffe wie Messer-Migration?
    Urban: Können Sie mich bitte mal einen Satz zu Ende bringen lassen?
    Kaess: Ja.
    Urban: In Sachsen ist ungefähr die Hälfte der Insassen in unseren Gefängnissen inzwischen Ausländer, und das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass es keine Gleichheit von Kriminalität zwischen Deutschen und Ausländern gibt. Ansonsten wäre das Verhältnis im Gefängnis natürlich ähnlich wie das Verhältnis der Ausländer in unserer Gesellschaft, nämlich bei sechs, sieben, acht Prozent. Die Indizien sind da klar und man muss bei Kriminalität natürlich auch unterscheiden Gewaltkriminalität oder kleine Diebstahls-Delikte, und auch dort sagt die sächsische Statistik im Prinzip eine eindeutige Aussage. Wir haben eine erhöhte Kriminalität bei Migranten gegenüber der deutschen Gesamtbevölkerung, und das lasse ich mir durch eine Gesamtstatistik, die sich auf Deutschland bezieht, auch nicht wegrechnen.
    "Rechtsextremismus in Sachsen ist da, das bestreitet auch niemand"
    Kaess: Ich habe Ihnen die Zahlen genannt. Die kann auch jeder, der sich dafür interessiert, noch mal selber nachrecherchieren. – Was mich noch interessiert ist: Wenn Sie, Herr Urban, den Rechtsextremismus, wie ich das jetzt finde, relativ weit runterhängen und auf der anderen Seite Experten und Forscher von einer pogromhaften Stimmung in Chemnitz sprechen, warum unterschätzen Sie das Problem des Rechtsextremismus in Sachsen immer noch?
    Urban: Ich glaube nicht, dass das Problem Rechtsextremismus in Sachsen unterschätzt wird. Es ist da, das bestreitet auch niemand.
    Kaess: Von der AfD!
    Urban: Das bestreitet auch niemand, dass das Problem da ist. Was gerade in Chemnitz passiert, ist ein Herbeischreiben von Extremismus und von Pogromen. Dafür gibt es bis jetzt keine Videobelege, beziehungsweise ich habe bis gestern Abend keinen gesehen.
    Kaess: Haben Sie die Videos gesehen von den Hetzjagden auf Ausländer?
    Urban: Die Videos im Netz sind zum Teil älteren Datums. Da gibt es Zweifel daran, ob es wirklich stattgefunden hat.
    Kaess: Woher wissen Sie das? Wer sagt das?
    Urban: Und was wir nicht wollen: Wir wollen nicht, dass die Diskussion über Rechtsextremismus überschattet, dass wir ein starkes Anwachsen von Migranten-Kriminalität haben. In Chemnitz ist gerade ein Familienvater aus nichtigem Anlass abgestochen worden, und darüber möchten wir reden. Wir möchten nicht über das alte Problem Rechtsextremismus reden. Der ist da.
    Kaess: Das alte Problem, wenn jetzt gerade hunderte von gewaltbereiten Rechtsextremen auf die Straße gegangen sind.
    Urban: Es hat aber gerade kein Rechtsextremist einen Familienvater abgestochen. Verstehen Sie das? – Es hat gerade kein Rechtsextremist einen Familienvater abgestochen. Ein Familienvater wurde abgestochen von einem Migranten, der bei uns als Schutzsuchender ist, der dankbar sein sollte, in unserem Land sein zu dürfen, und der diese Dankbarkeit mit einem Mord vergolten hat.
    Kaess: … sagt Jörg Urban. Er ist Fraktionsvorsitzender der AfD im sächsischen Landtag. Danke für Ihre Zeit heute Morgen.
    Urban: Ebenfalls.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.