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Berlinale
Rituale des Spirituellen

Olympia, Apollo, Universum oder Capitol: Schon die Namen von Kinos verraten oft, dass Spirituelles im Film eine Heimat hat. Auch drei Berlinale-Filme aus Usbekistan, Korea und Australien widmen sich diesem Fragenkomplex.

Von Kirsten Dietrich |
    Plakat zur 64. Berlinale vom 6. bis 16. Februar 2014
    Plakat zur 64. Berlinale vom 6. bis 16. Februar 2014 (picture alliance / dpa)
    Chilla, 40 Tage - die Zahl hat in vielen Traditionen religiöse Bedeutung. Sie beschreibt einen besonderen, heiligen Zeitraum, eine Zeit von Übergang und Selbsterkenntnis. Auch in Zentralasien: "Chilla" heißt der Film, mit dem die usbekische Regisseurin Saodat Ismailova die junge Bibicha bei einem Gelübde begleitet: 40 Tage Schweigen - umgesetzt in atmosphärische Bilder einer kargen tadschikischen Berglandschaft, in der die Grenze von Innen und Außen, von Seele und Natur zu verschwimmen scheint.
    "Beim Kino geht es um Bilder und Töne. Ich habe viel über Visionen recherchiert, und einige Geschichten hat mir meine Großmutter erzählt. Zum Beispiel die Szene, wo das Seil durch den Garten und zu den Ziegen führt, das ist eine Vision meiner Großmutter. Ich habe also nach Visionen gesucht, sie in Bilder umgesetzt und mit Tönen angereichert."
    Kahle Bäume, Ziegen, die die Rinde abknabbern, Schnee, Berge - und mittendrin ein Haus, in dem vier Generationen von Frauen für die Zeit des Schweigens zusammenleben. Der Film führt in eine islamisch geprägte Welt, in der archaische Traditionen ganz selbstverständlich lebendig sind.
    "Die Tradition ist lebendig und Teil von uns, deswegen gibt es keine Diskussion darüber, ob es Konflikte mit dem Islam gibt. Wir haben unsere eigene Kultur, auch wenn der Islam schon im achten Jahrhundert nach Zentralasien gekommen ist."
    Saodat Ismailova greift in ihrem Film viele Details dieser spirituellen Kultur Zentralasiens auf. Sie zeigt den Imam beim Ritual für Mutter und Tochter genauso wie Motive des traditionellen Glaubens. Haare zum Beispiel sind immer wieder wichtig. Sie sollen mit dem Kopftuch bedeckt werden - sie werden aber auch nach dem Kämmen von der schweigenden Bibicha wie eine Opfergabe in den Ästen eines Baumes abgelegt.
    "Mein Großmutter sagte: Dein Haar ist dein Glück, deshalb musst du besonders darauf aufpassen. Wenn wir unser Haar ausbürsten, werfen wir es zum Beispiel nie in den Müll. Haar spielt deshalb eine zentrale Rolle im Film, und als ich eine Hauptdarstellerin suchte, musste sie vor allem das richtige Haar haben."
    Das Ritual des Schweigens hat spirituelle Kraft, sagt Saodat Ismailova. Der Film wird, für den, der sich auf ihn einlässt, selber fast zum Ritual.
    Meditationen in Metall
    Die Berlinale-Filme machen Spirituelles nicht unbedingt da aus, wo der westlich-rationale Blick es vermutet. Der koreanische Regisseur Park Kyung Kun begibt sich auf eine filmisch-meditative Reise zu schamanistischen Steinzeichnungen und in riesige Stahlwerke und Schiffswerften.
    "Die Petroglyphen sind 4000 Jahre alt, sie zeigen Wale und Jagdszenen. Was mir dabei sofort ins Auge fiel, war die Darstellung der Wale. Sie war sehr realistisch und sie erinnerte mich automatisch an die Form der riesigen Schiffe, die in den Werften von Ulsan gleich nebenan gebaut werden. Ich sah also zwei Bilder vor mir, von Walen und von Ozeanriesen, da machte es klick und ich begann das Projekt."
    Mit seinem Film "Cheol-ae-kum", ein Traum von Eisen, hofft Park Kyung Kun, Vergangenheit und Gegenwart in Korea zu versöhnen. Denn die rapide Industrialisierung seit den 1960er-Jahren habe dem Land zwar ungeheures Wachstum gebracht, sei über die Menschen aber auch wie ein Schock gekommen, sagt Park. Die alte Verbundenheit von Individuum, Gemeinschaft und Natur wurde zerschnitten, Werte infrage gestellt. Sein Film sucht nach neuen Gemeinsamkeiten und will damit an einstige Traditionen anknüpfen. Deswegen ziehen sich durch den Film nicht nur die Bilder von Werften und glühendem Stahl, sondern auch Aufnahmen eines traditionellen buddhistischen Rituals.
    "Mich begeistert bei dem Ritual, dass jeder teilnimmt. Niemand schaut nur zu, jeder ist wirklich auch Teil davon. Und so verstehe ich auch meinen Film, so soll er sein. Die Zuschauer kommen, um ein Ritual zu sehen, aber sie sollen sich auch emotional beteiligen, nicht nur zuschauen. Es könnte ihnen guttun. Es könnte auch etwas langweilig sein - aber auch das gehört zu Ritualen."
    Begegnungen mit anderen
    "Du hast eine Geschichte von Geistern zu erzählen? Ich höre!" Das ist das Grundprinzip des Films "Darkside" des australischen Regisseurs Warwick Thornton. Er hat sich Begegnungen mit der - wie er es nennt - "anderen" Seite erzählen lassen. Nicht um Spukerzählungen geht es, sondern um Beziehungsgeschichten.
    "Wenn man den Blick auf die eigene Familie richtet - da ist die Verbindung zur Spiritualität am engsten. Die Geister, die über einen wachen, das ist die Familie, sind die Vorfahren, die schon vorangegangen sind. Diesen Geistern begegnet man, nicht irgendwelchen Gespenstern in Spukhäusern."
    Ein Bruder, der Selbstmord begangen hat, erscheint seiner Schwester. Die Großmutter lenkt aus dem Jenseits den Abschied von der jüngsten Enkelin - solche Geschichten hat Warwick Thornton gesammelt und die Interviews von Schauspielern nachstellen lassen. Die Frage, ob sie wahr sind, hat er dabei nicht gestellt:
    "Das ist ein Film über Trost. Es geht um den Gedanken, dass man nach seinem Tod zurückkommen und seiner Familie begegnen kann."
    Thornton ist ein australischer Aborigine und hat immer wieder die Kultur seines Volkes als Filmemacher begleitet. Mit seinen Geistererzählungen aber bewegt er sich jenseits kultureller Grenzen. Diese Form der Spiritualität könne jeder erfahren, der sich darauf einlässt, sagt er, vor der Kamera und hinter ihr.