Dienstag, 19. März 2024

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Bernhard Vogel (CDU) zur K-Frage
"Die Union muss sich schnell entscheiden"

Laschet oder Söder? In der Frage um den Kanzlerkandidaten der Union forderte der CDU-Politiker Bernhard Vogel im Dlf eine schnelle Entscheidung – noch in den nächsten Tagen. Meinungsumfragen müsse man sehr ernst nehmen, sie könnten sich in wenigen Wochen aber völlig verändern.

Bernhard Vogel im Gespräch mit Stephan Detjen | 18.04.2021
Bernhard Vogel (CDU), Ministerpräsident a.D., hält die Ansprache zur Verabschiedung von Mike Mohring (CDU) auf dem 36. Landesparteitag der CDU Thüringen am 19. September 2020 in der Halle 1 der Messehalle Erfurt
Im Machtkampf zwischen Laschet und Söder würden sie zwei grundsätzliche Positionen gegenüberstehen, sagte Bernhard Vogel im Dlf. (imago / Jacob Schröter)
Bernhard Vogel gehörte über 40 Jahre dem Parteivorstand der CDU an. Kaum jemand hat die Entwicklung der Partei so intensiv beobachtet - auch in den verschiedensten Führungspositionen. Der jüngere Bruder des SPD-Politikers Hans-Jochen Vogel war Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz und Thüringen. Bislang ein Novum: Vogel ist bis heute der einzige Nachkriegspolitiker, der das Amt des Ministerpräsidenten in zwei Bundesländern ausübte.

K-Frage: Vogel fordert schnelle Entscheidung

Vogel sprach im Interview der Woche im Deutschlandfunk von einer "ärgerlichen Situation" in seiner Partei. "Die Union muss so schnell wie möglich die Entscheidung über ihren Kanzlerkandidaten treffen, das verdient jetzt keinen Aufschub mehr und sollte möglichst in den nächsten Tagen erfolgen", fordert Vogel im Dlf.

Laschet und Söder - beide können Kanzlerkandidat

Sowohl Armin Laschet (CDU) als auch Markus Söder (CSU) würden die Voraussetzungen für einen Kanzlerkandidaten mitbringen und kämen infrage. Allerdings beobacht Bernhard Vogel in den letzten Tagen "eine Verschiebung der politischen Tektur". "Herr Laschet fragt seine zuständigen Gremien, das Präsidium und den Bundesvorstand der CDU. Und Herr Söder kündigt zunächst an, dass er sich einem solchen Votum unterordnen würde, verlangt aber jetzt Unterstützung einer breiteren Autorität. Das heißt, er stellt die Autorität und die Legitimation der gewählten Gremien der CDU infrage", sagte Bernhard Vogel.
Wer wird Kanzlerkandidat von CDU und CSU?
Sowohl Markus Söder, CSU-Chef und Ministerpräsident von Bayern, als auch Armin Laschet, CDU-Vorsitzender und NRW-Ministerpräsident, wollen Kanzler werden. Nun soll schnell eine Entscheidung her – doch eine einvernehmliche Lösung ist bisher nicht in Sicht.
Laut DeutschlandTrend für das ARD-Morgenmagazin würde CSU-Chef Söder das Rennen klar für sich entscheiden, wenn es nach den Bürgern ginge. Doch genau hier sieht Vogel das Problem im Machtkampf zwischen Laschet und Söder: "Es stehen sich zwei grundsätzliche Positionen gegenüber. Die eine, dass die Entscheidungen in den gewählten Gremien getroffen werden müssen. Und die andere, die sich auf Umfrageergebnisse stütz", so Vogel.

Meinungsumfragen können sich ändern

Meinungsumfragen müsse man sehr ernst nehmen, sie könnten sich in wenigen Wochen aber völlig verändern. "Hätten wir den Kanzlerkandidaten vor ein paar Monaten aufgestellt, da hatte der Gesundheitsminister die meiste Zustimmung. Heute stützt sich Herr Söder auf diese Umfrage."
Der CDU-Politiker und Ministerpräsident a.D. sieht noch einen weiteren wesentlichen Unterschied in Sachen Meinungsumfragen und widerspricht Markus Söder (CSU), der sich auf die breite Unterstützung auch in den nicht zuständigen Gremien beruft: "Es gibt keine Verantwortlichen, ich kann Gremien zur Verantwortung ziehen und ihre Mitglieder das nächste Mal nicht mehr wählen, ich kann aber die bei Meinungsumfragen Befragte nicht für ihre Aussage zur Verantwortung ziehen."
"Wir gefährden letztendlich die Stabilität unserer repräsentativen Demokratie, wenn wir nicht mehr auf die gewählten Gremien achten, sondern wenn wir die Entscheidung nach Allensbach und die dort gemachten Meinungsumfragen geben", kritisierte Vogel im Dlf.

Bundestagswahl entscheidet sich an anderen Fragen

Vogel selbst hatte nach der Wahl Laschets im Januar angekündigt, ihn zu unterstützen. Dass es aus den Gremien andere Äußerungen gebe, komme nun einmal leider vor. "Das erleben wir ja nicht zum ersten Mal und dadurch dürfen wir uns nicht verwirren lassen", sagte Vogel.
Man müsse jetzt einen klaren Kopf behalten und eine Entscheidung für einen aufgestellten Kanzlerkandidaten fällen, hinter dem die Union dann auch geschlossen stehe. Wie die Bundestagswahlen ausgehen, entscheide sich nicht heute, sondern im Sommer, "wenn wir wissen, wie die Pandemie ausgeht und wie wir die Zukunftsfragen lösen", unterstrich Vogel.

Das Schweigen der Kanzlerin

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat im Machtkampf um die Kanzlerkandidatur bisher geschwiegen. Dafür zeigte Bernhard Vogel volles Verständnis. Sie habe sich klar positioniert: "Sie wird bis zum Ende dieser Legislaturperiode als Kanzlerin agieren. Sie will sich danach zurückziehen, was sie übrigens nach 16 Jahren auch verdient hat. Und es wäre schädlich, wenn sie sich jetzt in dieser Auseinandersetzung mehr als notwendig einmischte", sagte Vogel.
 Ralph Brinkhaus Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Alexander Dobrindt Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag vor der Pressekonferenz vor der Fraktionsitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Deutschen Bundestag am 13.04.2021 in Berlin. 
K-Frage der Union – Eskalation ohne inhaltliches Fundament
Wer beerbt die "ewige Kanzlerin" Angela Merkel? Bei dieser Frage gebe es eine Erwartungshaltung in der Bevölkerung, kommentiert Michael Seidel von der Schweriner Volkszeitung. Doch sei dies weniger eine Frage der konkreten Personen sondern der Inhalte, für die diese Personen stehen sollte.
Das Interview im Wortlaut:
Stephan Detjen: Es gibt niemand anderen in der CDU, der die Entwicklung dieser Partei nicht nur so lange beobachtet, sondern auch in führenden Positionen als Ministerpräsident in Ost und West, im Präsidium und Bundesvorstand, in Bonn einst und in Berlin mitgestaltet hat wie Bernhard Vogel. Herzlich willkommen im Deutschlandfunk, Herr Vogel, und vielen Dank, dass Sie sich an diesem für Ihre Partei so ungewöhnlichen Wochenende Zeit für dieses Gespräch nehmen.
Bernhard Vogel: Guten Morgen, Herr Detjen. Selbstverständlich bin ich gerne bereit, auch in schwierigen Situationen zu versuchen, Ihre Fragen zu beantworten.
Detjen: Ja, die zentrale Frage ist natürlich: Was ist los in der Union?
Vogel: Die Union muss so schnell wie möglich jetzt die Entscheidung über ihren Kanzlerkandidaten treffen. Das verdient jetzt keinen Aufschub mehr und sollte möglichst in den nächsten Tagen erfolgen.

"Beide Kandidaten kommen grundsätzlich infrage"

Detjen: Eigentlich sollte es ja schon erfolgt sein. Es hieß an diesem Wochenende. Ich habe hier, jetzt während wir miteinander sprechen, die Nachrichtenagenturen offen. Schaue auf Twitter. Mein Mobiltelefon ist an. Aber es ist kein Ende in Sicht. Was ist das? Ist das nur ein Machtkampf zwischen zwei starken Egos an der Spitze von CDU und CSU? Geht es nur um politisches Kampfgewicht in Meinungsumfragen? Oder geht es auch um eine Richtungsentscheidung, um die Gestalt von Parteien, also die Frage, wie die geführt werden? Durch charismatische Figuren oder durch Gremien. Sozusagen Vernunft gegen populistische Energie?
Vogel: Also, zunächst muss man anerkennen, dass beide Kandidaten die Voraussetzungen für eine Kanzlerkandidatur mitbringen. Beide führen erfolgreich eines der beiden großen Länder der Bundesrepublik. Und beide haben gezeigt, dass sie Wahlkämpfe nicht nur führen, sondern auch tatsächlich gewinnen können. Beide kommen grundsätzlich infrage. Aber es tut sich in den letzten Tagen eine Verschiebung der politischen Tektur auf. Herr Laschet fragt seine zuständigen Gremien, das Präsidium und den Bundesvorstand der CDU. Herr Söder kündigt zunächst an, dass er sich einem solchen Votum unterordnen würde, verlangt aber jetzt Unterstützung einer breiteren Autorität. Das heißt, er stellt die Autorität und die Legitimation der gewählten Gremien der CDU infrage. Und das macht die Situation so schwierig.

CDU-Vorsitzenden falle "erstes Recht auf Kanzlerkandidatur zu"

Detjen: Vielleicht ist ja jetzt schon etwas angeklungen, wo Sie da stehen. Wir haben im Januar zuletzt gesprochen, kurz vor dem Parteitag. Sie haben mir damals gesagt, Sie sind deutlich für Armin Laschet an der Spitze der CDU. Jetzt sagen viele aus dem Laschet-Lager: Wir haben damals den Vorsitzenden gewählt und es war eigentlich auch klar, dass der Kanzlerkandidat werden soll. Sehen Sie das genauso?
Vogel: Ja, natürlich. Wir haben den Vorsitzenden der größeren der beiden Schwesterparteien gewählt. Und ganz selbstverständlich fällt dem das erste Recht auf die Kanzlerkandidatur zu. Wir haben allerdings in den vergangenen Jahrzehnten schon erlebt, etwa 1979 bei der Nominierung von Franz Josef Strauß, dass auch der Vorsitzende der kleineren der beiden Schwesterparteien Kanzlerkandidat sein kann. Ich füge allerdings ein bisschen boshaft hinzu: Beide haben allerdings die Wahlen dann zum Schluss auch verloren.

Heutige Situation gab es auch früher schon

Detjen: Und dieser Nominierung von Franz Josef Strauß sind ja auch heftigste Auseinandersetzungen zwischen den Unionsparteien vorausgegangen. Sie haben das alles ja so ganz unmittelbar damals auch verfolgt. Sie kennen das aus nächster Nähe. Meine Frage ist: Wo würden Sie diese jetzige Auseinandersetzung auf der sozusagen nach oben offenen Eskalationsskala der Unionsparteien zwischen dem Trennungsbeschluss von Wildbad Kreuth 1976 und den Auseinandersetzungen etwa um die Flüchtlingspolitik in den letzten Jahren einordnen?
Vogel: Also, so sehr mich die gegenwärtige Situation ärgert und herausfordert, so sehr tröstet mich die durch mein hohes Alter bedingte Erfahrung von Auseinandersetzungen in der Vergangenheit, die teilweise noch wesentlich heftiger gewesen sind als die heutige Auseinandersetzung. Als es 1976 um die Kanzlerkandidatur von Helmut Kohl ging und die CSU das lange nicht akzeptieren wollte. Als es 1979 um die Kanzlerkandidatur von Franz Josef Strauß ging, die von der CDU nur sehr schmerzhaft und nach langen, langen Beratungen schließlich notgedrungen akzeptiert worden ist. Oder auch an die Erfahrung von 2002, wo ich selber zu denen gehörte, die Frau Merkel aufforderte, Herrn Stoiber zum Frühstück zu besuchen und ihm die Kandidatur anzutragen. So ärgerlich die heutige Situation ist, erstmalig gibt es eine solche Auseinandersetzung in der Tat nicht.

Meinungsumfragen können sich "in wenigen Wochen völlig verändern"

Detjen: Ich denke besonders an eine Situation und auch an ein Interview, das wir einmal geführt haben, zurück. Das war am 1. Juli 2018, an derselben Stelle, im Deutschlandfunk Interview der Woche, auch live per Telefon unter besonderen Umständen. Damals standen CDU und CSU im Streit um die Flüchtlings- und Grenzpolitik knapp vor dem Bruch. Es war ein Sonntag, wie heute. Es waren außerordentliche Präsidiumssitzungen beider Parteien in Berlin und in München angesetzt. Und wir wussten auch damals um kurz nach 11 Uhr nicht, wie das ausgeht – ganz ähnlich wie heute. Sie haben damals in diesem Interview erzählt, Sie bekämen Anrufe von Freunden. Die stünden bereit innerhalb von Stunden – so haben Sie es damals formuliert – loszuschlagen und CDU-Kreisverbände in Bayern zu gründen. Was sagen Ihnen diese bayrischen Freunde heute?
Vogel: Also, zunächst tröstet mich diese Erfahrung etwas. Wir werden auch heute schlussendlich zusammenbleiben. Und die Union wird auch für die Zukunft eine gestaltende Rolle in der deutschen Politik führen und darstellen. Aber es ist in der Tat an der Zeit, die Schäden nicht noch größer werden zu lassen. Ich will noch einmal sagen, es stehen sich zwei grundsätzliche Positionen gegenüber. Die eine, dass die Entscheidungen in den gewählten Gremien getroffen werden müssen. Die andere, die sich auf Umfrageergebnisse stützt. Das halte ich aus zwei Gründen für gefährlich. Meinungsumfragen muss man sehr ernst nehmen. Aber man muss wissen, dass sie sich in wenigen Wochen völlig verändern können. Hätten wir den Kanzlerkandidaten vor ein paar Monaten aufgestellt, hatte die meiste Zustimmung der Gesundheitsminister. Heute stützt sich Herr Söder auf diese Unterstützung. Aber Umfragen haben zwei Gefahren in sich. Erstens: Sie verändern sich von Woche zu Woche. Und zweitens: Es gibt keine Verantwortlichen. Ich kann Gremien zur Verantwortung ziehen und ihre Mitglieder das nächste Mal nicht mehr wählen. Ich kann aber die bei Meinungsumfragen Befragten nicht für ihre Aussage zur Verantwortung ziehen. Hier ist ein wesentlicher Unterschied. Und darum möchte ich Herrn Söder widersprechen, wenn er der Aussage der Gremien der Union sein Verlangen auf breite Unterstützung auch in den nicht zuständigen Gremien verlangt.

Wir müssen "die gewählten Gremien achten"

Detjen: Aber, wenn Sie eben sagen, Umfragen ändern sich von Woche zu Woche, dann gilt in diesem Fall ja auch: Das Bild, das sich da im direkten Vergleich zwischen Armin Laschet und Markus Söder zeigt, ist seit fast einem Jahr stabil. Seit fast einem Jahr hat Markus Söder im direkten Vergleich diesen deutlichen Vorsprung in den Umfragen vor Armin Laschet. Und, wenn man in Ihre Partei hört, dann geht es da ja nicht nur um Umfragen. Dann geht es um eine Stimmung in der Basis. Viele Anhänger in der CDU, aus dem Söder-Lager, bei uns im Kreisverband, vor Ort sind deutliche Mehrheiten der Anhänger der CDU, der Mitglieder, für Markus Söder. Meine Frage an Sie, Bernhard Vogel, ist, wie Sie das in Ihrem Umfeld wahrnehmen. Wir telefonieren. Sie sind in Speyer zu Hause, in Rheinland-Pfalz. Wie ist es da vor Ort?
Vogel: Ja, selbstverständlich sind auch da die Meinungen unterschiedlich. Selbstverständlich ist beispielsweise mein später Nachfolger als Bundestagsabgeordneter hier von Neustadt-Speyer der Meinung, man soll Herrn Söder zum Kandidaten bestimmen.
Friedrich Merz: "Wir sind noch drei Prozentpunkte von einer Kanzlerin Baerbock entfernt"
In der Debatte um einen Kanzlerkandidaten unterstützt Friedrich Merz Armin Laschet. In Anbetracht der Bundestagswahl und des starken Kurses der Grünen müsse schnell eine Entscheidung her, sagte Merz im Dlf.
Detjen: Selbstverständlich, sagen Sie?
Vogel: Die Diskussion, die auch vor Ort geführt wird, ist genauso heftig wie auf Bundesebene. Es gibt unterschiedliche Meinungen. Aber meine Frage ist: Wer ist legitimiert zur Entscheidung? Wir gefährden letztendlich die Stabilität unserer repräsentativen Demokratie, wenn wir nicht mehr auf die gewählten Gremien achten, sondern wenn wir die Entscheidung nach Allensbach und in dort gemachten Meinungsumfragen geben. Ich darf erinnern: Vor den Bundestagswahlen 1994 hatte der damalige Oppositionsführer Scharping über Monate einen deutlichen Vorsprung vor dem amtierenden Kanzler Helmut Kohl. Aber Helmut Kohl hat im Herbst 1994 die Wahlen gewonnen.

"Heute entscheidet sich die Bundestagswahl noch lange nicht"

Detjen: Aber geht es da tatsächlich so um diese Gegenüberstellung von – ich sage das jetzt mal zugespitzt – abstrakten Prinzipien der innerparteilichen Demokratie. Hier geht es doch um eine sehr konkrete Aufstellung einer Partei für einen unmittelbar bevorstehenden Wahlkampf. Am vergangenen Dienstag in der Bundestagsfraktion sind CDU-Abgeordnete aufgestanden und haben Mails vorgelesen, in denen Mitglieder den Parteiaustritt ankündigen für den Fall, dass Armin Laschet Spitzenkandidat wird. Ein Abgeordneter hat gesagt: Wenn Armin Laschet nominiert wird, dann kann ich in meinem Wahlkreis gleich alleine Wahlkampf machen. Das sind ja sehr konkrete Beobachtungen, die signalisieren: Wir werden ein handfestes Problem haben, die Macht zu erhalten.
Vogel: Ja, aber genauso bekomme ich Echo von Leuten, die ähnliche Verhaltensweisen ankündigen für den Fall, dass Markus Söder nominiert wird. Dadurch darf man sich doch nicht verwirren lassen. Sondern man muss doch einen klaren Kopf behalten. Und im Übrigen, wie die Bundestagswahlen ausgehen, entscheidet sich nicht heute, sondern entscheidet sich, wenn wir im Sommer wissen, ob und wie wir die Pandemie einigermaßen in den Griff bekommen haben und wie wir die Zukunftsfragen angehen. Das wird im Vordergrund der Bundestagswahl stehen. Heute entscheidet sich die Bundestagswahl noch lange nicht.

Jetzt eine Entscheidung für Kanzlerkandidaten fällen

Detjen: Herr Vogel, ich habe es eben gesagt, drei Monate ist Armin Laschet im Amt. Sie haben seine Wahl im Januar unterstützt. Seine Unterstützer sagen, so wie Sie, es sei klar gewesen, dass die CDU damit auch eine Entscheidung über ihren Kanzlerkandidaten getroffen habe. Was sagen Sie den Präsidiumsmitgliedern und Ministerpräsidenten, wie etwa Reiner Haseloff und Tobias Hand im Saarland, die am Montag im Präsidium auch noch Unterstützung für Laschet signalisiert haben und sich jetzt am Ende der Woche indirekt aber unmissverständlich für Markus Söder ausgesprochen haben?
Vogel: Also, für Herrn Haseloff gelten besondere Bedingungen, weil er selbst vor sehr schwierigen Landtagswahlen in wenigen Wochen steht. Herr Haseloff muss man ein gewisses Verständnis entgegenbringen für seine unmittelbaren Sorgen in Sachsen-Anhalt und in Magdeburg. Im Übrigen kritisiere ich natürlich, wenn Leute in den Gremien sich äußern und hinterher etwas anders sagen. Oder, wenn sie sich nicht äußern und nicht sagen, dass sie eine andere Meinung haben. Aber das kommt nun einmal leider vor. Das erleben wir ja nicht zum ersten Mal. Und dadurch dürfen wir uns nicht verwirren lassen. Sondern es muss jetzt eine Entscheidung gefällt werden. Und dann müssen wir geschlossen hinter dem dann aufgestellten Kanzlerkandidaten sein. Zumal wir ja in der schwierigen Situation sind, dass bei den nächsten Bundestagswahlen zum ersten Mal überhaupt in der Geschichte der Bundesrepublik kein Kanzler mehr antritt, sondern alle nur Kanzlerkandidaten sind. Und es ist ja interessant. Die Grünen, deren Tradition besonders heftige Diskussion ist, küren jetzt den Kanzlerkandidaten oder die Kanzlerkandidatin in der Tat in einem Hinterzimmer, nämlich unter zweien.
Von Lucke: "Söder hat die CDU in eine Falle gelockt"
Der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke sagte im Dlf, CSU-Chef Markus Söder habe mit seinem Verhalten den Preis für Verhandlungen im Falle eines Wahlsiegs der Union hochgetrieben.
Detjen: Na ja, wenn Sie sagen, das ist Hinterzimmer. Und genau diese Einigung ist ja auch das, was die Parteivorsitzenden von CDU und CSU angekündigt haben und was aus der Partei von denen erwartet wird. Entscheidung unter den beiden.
Vogel: Ja. Nur sind das Präsidium und der Bundesvorstand der CDU genauso wie Präsidium und Vorstand der CSU kein Hinterzimmer, sondern ein legitimiertes und autorisiertes Gremium, die Entscheidungen zu treffen haben. Ich verstehe die Sorge der Bundestagsabgeordneten, die um ihre Wiederwahl kämpfen. Aber die Bundestagsfraktion ist nicht legitimiert, den Kanzlerkandidaten aufzustellen, schon gar nicht den Kanzlerkandidaten, den dann später ein neuer, anders zusammengesetzter Bundestag zum Kanzler wählen soll.
Detjen: Aber genau diese Entscheidung, die Sie jetzt vermeiden wollen, nämlich eine offene Kampfabstimmung in der Bundestagsfraktion, kann ja in der CDU auch nur noch vermieden werden, indem Laschet und Söder sich jetzt zu dem zusammenraufen, was Sie eben mit Blick auf die Grünen als Hinterzimmer-Entscheidung bezeichnet haben.
Vogel: Ja. Denn Hinterzimmer ist, wenn zwei das untereinander ausmachen.
Detjen: Und das sollen Söder und Laschet doch jetzt.
Vogel: Und erst dann die Gremien unterrichten. Wir haben, vielleicht zu lange, in den Gremien diskutiert und stehen jetzt vor der Notwendigkeit, eine Brücke schlagen zu müssen. Die Situation ist in der Tat bei den Grünen und bei uns völlig unterschiedlich. Und besonders kurios ist sie bei der SPD, die monatelang um einen neuen Bundesvorsitzenden gerungen hat, zwei Bundesvorsitzende gewählt haben, die dann Argumente, mit denen sie gewählt worden sind, nicht durchgesetzt haben und einen, der nicht zum Vorsitzenden gewählt worden ist, jetzt zum Kanzlerkandidaten ausgerufen haben.
Detjen: Sie sagen, das ist kurios. Aber das ist eindeutig demokratisch legitimiert.
Vogel: Ja.

Zwei Parteien von völlig unterschiedlicher Größenordnung

Detjen: Das war eine Entscheidung der SPD-Gremien, vorangegangen eine Entscheidung der Basis über den Parteivorsitzenden. Mit Blick auf die Union stellt sich bei dem ja, wenn wir jetzt so unterschiedlich über Gremien, über Entscheidungswege reden, uns fragen, was ist eigentlich Hinterzimmer, was nicht, stellt sich ja mit Blick auf die Unionsparteien die Frage: In welchem Verfahren auch in die Zukunft vorausgeblickt, können solche Entscheidungen eigentlich getroffen werden, wenn das zu solchen Auseinandersetzungen führt? Es gibt ja in den Parteien kein Verfahren für die Beantwortung dieser K-Frage. Bräuchte man da nicht ein ganz neues Gremium, ein geregeltes Verfahren, um solche Entscheidungen in Zukunft zwischen den Schwesterparteien zu treffen?
Vogel: Also, das ist deswegen sehr schwierig, weil es sich zwar um zwei selbstständige Parteien handelt, aber um zwei Parteien von völlig unterschiedlicher Größenordnung. Die CDU ist in 15 Ländern zu Hause, die CSU in einem Land. Ich respektiere die Eigenständigkeit der CSU. Ich erwarte aber auch, dass die CSU die Dominanz der CDU respektiert.

"Verantwortliche müssen Entscheidungen durchsetzen"

Detjen: Das ist ja bloß im Moment einfach nicht der Fall. Und, wenn man in die letzten Jahre der Parteien, gerade der CDU schaut, dann sieht man dieses ständige Ringen zwischen Entscheidungsverfahren, auch seit 2019 im Ringen um die Nachfolge von Angela Merkel als Bundeskanzlerin. Da gab es diese Regionalkonferenzen. Ich habe viele gesehen, wenn man da in den Saal gehört hat, da hat es eigentlich immer die breiteste Zustimmung für Friedrich Merz gegeben. Am Ende, auf dem Parteitag in Hamburg dann Mehrheit der Delegierten, das sind meistens bei der CDU Mandatsträger, mittlere Führungsebene, also da knappe Mehrheit für Annegret Kramp-Karrenbauer. Nach deren Rückzug kommt auch Friedrich Merz dann, beruft sich auf Umfragen, auf die Unterstützung der Parteibasis und spricht von einem Establishment in Berlin, das ihn verhindern will. Da liegt doch ein ganz grundsätzlicher Konflikt unserer Zeit, den die CDU da austrägt und der möglicherweise signalisiert: Die Entscheidungsverfahren, so, wie sie jahrzehntelang, auch wie Sie sie gekannt haben, wie sie eingeübt waren, die funktionieren nicht mehr in unserer Zeit.
Vogel: Also, verehrter Herr Detjen, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie die Veränderungen noch einmal so klar aufgezeigt haben. Aber Sie müssen akzeptieren, dass ich eine klare Position beziehe. Wir leben erfolgreich seit über 70 Jahren in einer repräsentativen Demokratie, wo die gewählten Mandats- und Funktionsträger zu entscheiden haben – auf Zeit. Und ich mache beispielsweise aufmerksam, wenn wir nach Umfragen vorgegangen wären, hätte es nie einen NATO-Nachrüstungsbeschluss, hätte es auch keine Zustimmung in Westdeutschland zur Wiedervereinigung und hätte es auch keine Zustimmung zum Euro gegeben. Die Verantwortlichen müssen in einer repräsentativen Demokratie die Freiheit haben, als richtig erkannte Entscheidungen durchzusetzen und hinterher dafür vom Wähler bestätigt oder bestraft zu werden. In den genannten Beispielen sind die Wähler in der Tat dann, als es um die Zustimmung ging, in allen Punkten denen, die die Entscheidung getroffen haben, die nicht mehrheitsfähig bei Umfragen gewesen sind, zugestimmt haben.

"Für Schweigen der Bundeskanzlerin habe ich volles Verständnis"

Detjen: Wir haben ja jetzt, Bernhard Vogel, herausgearbeitet, dass es in dieser Situation nicht nur um eine tagespolitische Machtfrage geht, sondern um ganz grundsätzliche Fragen der repräsentativen Demokratie, so, wie sie in Parteien gestaltet werden. Wie interpretieren Sie in dieser Situation das – man kann es eigentlich nicht anders nennen – das dröhnende Schweigen der Bundeskanzlerin?
Vogel: Für das Schweigen der Bundeskanzlerin habe ich volles Verständnis. Sie hat sich klar positioniert. Sie wird bis zum Ende dieser Legislaturperiode als Kanzlerin agieren. Sie will sich danach zurückziehen. Was sie übrigens nach 16 Jahren auch verdient hat. Und es wäre schädlich, wenn sie sich jetzt in diese Auseinandersetzung mehr als notwendig einmischte.

Merkel: Regiert mit dem Kopf einer Physikerin und dem Herzen einer Pfarrerstochter

Detjen: Aber es ist jetzt zum zweiten Mal, dass wir es erleben, dass Angela Merkel einen Nachfolger bzw. eine Nachfolgerin im Amt des Parteivorsitzenden in der Not allein lässt. Das war bei Annegret Kramp-Karrenbauer Anfang letzten Jahres so. Als die im Feuer stand, bekam sie keine offene Unterstützung von Angela Merkel. Bei der Verabschiedung Kramp-Karrenbauers auf dem digitalen Parteitag im Januar gab es von Angela Merkel – das ist vielen aufgefallen – kein Wort des Dankes oder der Anerkennung für Annegret Kramp-Karrenbauer. Und jetzt kein Wort, mit dem sie den jetzigen Parteivorsitzenden ihrer Partei unterstützt. Muss man da nicht verstehen, dass manche Leute sich fragen: Was ist los zwischen Angela Merkel und der CDU?
Vogel: Dass sie sich zu Kramp-Karrenbauer nicht geäußert hat, hat auch mich verwundert. Ist aber konsequent in der Richtung und der Linie und in der Position, die sie verfolgt. Sie nimmt ihr Amt in großer Verantwortung bis zur Wahl ihres Nachfolgers im Deutschen Bundestag wahr. Und sie will keinen Einfluss darauf nehmen, wer, wann ihr nachfolgt. Das kann man kritisieren. Das kann man aber auch gut verstehen. Und ich muss sagen, es passt für mich zu dieser Frau, die in einer ungewöhnlichen Weise in schwierigen Jahren Deutschland geführt hat – mit dem Kopf einer Physikerin und mit dem Herzen einer Pfarrerstochter.

"Beide müssen damit rechnen zu obsiegen oder zu unterliegen"

Detjen: Wenn in der CDU jetzt immer wieder betont wird, auch von Anhängern Armin Laschets, es stehen zwei geeignete Kandidaten zur Wahl, wenn auch Markus Söder zugestanden wird, dass er ein erfolgreicher Ministerpräsident und geeigneter Kanzlerkandidat ist, dann muss man einkalkulieren, dass am Ende er der Kanzlerkandidat wird, dass im Laufe dieses Tages, morgen, vielleicht am Dienstag in der Fraktion, Armin Laschet weicht oder weichen muss. Wie beschädigt wäre der CDU-Vorsitzende in diesem Fall? Und gleichzeitig muss man ja auch fragen: Wie beschädigt wäre er nach dieser Auseinandersetzung, wenn er sich durchsetzt und Kanzlerkandidat wird?
Vogel: Also, zunächst müssen beide damit rechnen zu obsiegen und auch beide damit rechnen zu unterliegen. Das ist für den Unterliegenden schwer zu tragen. Aber ich traue beiden zu, dass sie damit fertig werden. So, wie eben etwa beispielsweise Helmut Kohl mit der Nominierung von Franz Josef Strauß 1979 fertiggeworden ist. Das traue ich beiden zu. Es ist nicht schön, dass der neue Bundesvorsitzende der CDU vor einer so schwierigen Frage steht. Aber ich schätze bei ihm auch die Kraft, solche Schwierigkeiten durchzustehen. Anders geht es nicht. Und das mussten ja andere vor ihm und werden andere nach ihm auch beweisen müssen.
Detjen: Aber ist nicht absehbar, dass ein Rückzug für Armin Laschet einen viel höheren Preis und auch für die CDU einen viel höheren Preis, nämlich den Preis wahrscheinlich einer neuen tiefen Führungskrise der CDU erfordern würde, als ein Beiseitetreten Markus Söders, der immer noch gestärkt, als starker Mann sozusagen in die bayrische Arena zurückkehren könnte, um die es ihm traditionell hauptsächlich geht?
Vogel: Also, die Verhaltensweise von Helmut Kohl nach der Nominierung von Franz Josef Strauß hat bewiesen, dass man solche Schwierigkeiten durchstehen kann. Ja, dass man sogar Jahre später Bundeskanzler werden kann.
Detjen: Wir haben viel über grundsätzliche Fragen der Demokratie gesprochen in diesem Interview. Zu diesen Grundsätzen gehört der Wechsel. Haben Sie Verständnis für die Menschen, die nach den letzten Tagen jetzt vielleicht umso mehr sagen: Im September ist es nach 16 Jahren CDU nicht nur Zeit für einen Wechsel im Kanzleramt, sondern Zeit für einen Regierungswechsel, wir wählen die Grünen – Annalena Baerbock vielleicht?
Vogel: Also, ich habe ja nicht das Recht, Wähler zu kritisieren. Ich habe allerdings die Chance, mit Wählern zu argumentieren. Und ich sage noch einmal, so schwierig die jetzige Situation ist, der Bundestagswahlkampf wird unter anderen Themen und mit anderen Schwerpunkten geführt werden als die gegenwärtige personelle Auseinandersetzung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.