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Bewegung Nuit debout
Der Traum von einer gerechteren Welt

Am 31. März besetzten überwiegend Schüler und Studenten, aber auch Mittdreißiger und Rentner erstmals spontan den Pariser Republik-Platz. Was als Demonstrationsaktion gegen die geplante Reform des Arbeitsgesetzes begann, hat sich unter dem Namen Nuit debout in rasantem Tempo zu einer breiteren Protestfront entwickelt.

Von Suzanne Krause | 13.04.2016
    Versammlung der Bewegung Nuit debout in Paris auf der Place de la Republique
    Versammlung der Bewegung Nuit debout in Paris auf der Place de la Republique (dpa / picture alliance / Oliver Berg)
    Die Place de la République, abends um halb neun. Auf der weiträumigen Anlage diskutieren Hunderte von Menschen in Grüppchen und Gruppen: überwiegend Schüler und Studenten, aber auch Mittdreißiger und Rentner. Am Rande tragen Frauen und Männer mit Inbrunst Texte farbiger Autoren vor, etwa von Aimé Cesaire, dem berühmten Dichter aus dem französischen Übersee-Département Martinique. Eine spontane Performance, an der auch Nicolas, Universitätsdozent für afrikanische Literatur, teilnimmt.
    "Wir beteiligen uns an der Aktion Nuit debout, indem wir den Platz symbolisch mit Worten besetzen. Und zwar lesen wir Texte schwarzer Autoren von 1950 bis heute, die die Geschichte Frankreichs geprägt haben. Damit wollen wir unser Publikum für die vielfältigen Einflüsse sensibilisieren, die die Geschichte Frankreichs bestimmen."
    Eine Aktion, um auf den alltäglichen Rassismus gegenüber Menschen aus den ehemaligen Kolonien aufmerksam zu machen. Einige Schritte weiter sitzt eine Handvoll Leute im Kreis am Boden: das "Verfassungskomitee", wie ein bekritzeltes Pappschild verrät. Hier entwerfen gerade einfache Bürger die groben Zügen einer neuen Verfassung für die Französische Republik.
    Quentin steht am improvisierten Empfangsstand – der 25-Jährige arbeitet tagsüber bei einem Kinderschutz-Verein und nachts ehrenamtlich bei Nuit debout.
    Den Anfang machten ein Kollektiv rund um die unabhängige und ultralinke Zeitung "Le Fakir" sowie Francois Ruffin, der einen engagierten Dokumentarfilm gegen den Neoliberalismus gedreht hat. Hinzu kamen einige linke Aktivisten und Studenten. Mir hat einer der Organisatoren erzählt, dass sie für den 31. März um 18 Uhr zunächst zu einer Kundgebung auf der Place de la République eingeladen hatten. Er sagte: "Und um 18 Uhr 02 hatten wir die Sache schon nicht mehr im Griff."
    Die Menge auf dem Platz ist bunt gemischt: zu den Schülern und Studenten haben sich Berufstätige gesellt, Arbeitslose, Vertreter unterschiedlichster Gruppe. Ihr gemeinsames Motto: Convergence des luttes, also "Vereint im Kampf".
    Bei Nuit debout sollen alle sozialen und gesellschaftlichen Themen gebündelt, zusammengeführt werden, sagt Quentin.
    "Ich hege eine große Hoffnung: dass die Bewegung Nuit debout mehr und mehr Menschen quer durch die ganze Bevölkerung zusammenbringt. Hier haben sich schon Kollektive aus der Banlieue, den Trabantensiedlungen, vorgestellt, eine Abordnung von Biobauern hat von ihren Alltagssorgen berichtet. Hier ist jeder willkommen, der von Missständen in seiner Branche berichten will, jeder, der vorhat, die Gesellschaft zu verbessern."
    In der Mitte des Platzes lagern zwei-, dreihundert Personen, wie in einem Vorlesungs-Saal, nur ohne Stühle. Allabendlich darf hier jeder ans Mikrophon, um seine Ideen für eine bessere Welt, für eine andere Politik zur Diskussion zu stellen. Basis-Demokratie, live übertragen im Internet. Einige Aktivisten haben neulich Pflastersteine ausgebuddelt und einen Biogarten angelegt. Doch nach Ausschreitungen am vergangenen Wochenende hatte die Polizei am Sonntag Morgen den Platz komplett geräumt und auch das Fleckchen Grün entsorgt. Nuit debout macht trotzdem weiter. Das freut eine Anwohnerin im Rentenalter:
    "Das ist einfach super hier. So etwas habe ich in meinem Leben noch nie gesehen, dabei bin ich nicht mehr die Jüngste. Welche Veränderungen die Bewegung auslösen wird, das kann in der Kürze der Zeit noch niemand sagen. Ich denke, das wird einiges in Gang bringen. Bei der Regierung und auch im öffentlichen Bewusstsein. Ich finde das wunderbar."