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Bewunderung für das Cembalo

Francis Poulenc ist in wenig in Vergessenheit geraten, was Jos van Immerseel und sein Orchester Anima Eterna ändern wollen: Mit dem Konzert für zwei Klaviere und Orchester, dem Concert Champêtre und der Suite française bieten sie einen guten Überblick über die frühe Schaffensphase des französischen Komponisten.

Von Ludwig Rink | 19.06.2011
    Bereits während seiner Studienzeit am Königlichen Konservatorium in Antwerpen war der Dirigent und Pianist Jos van Immerseel von den Werken des französischen Komponisten Francis Poulenc begeistert und hatte begonnen, alle Noten und Schallplatten seiner Musik zu sammeln. Im regen persönlichen Austausch mit ihm erarbeitete Immerseel dann ein Konzert mit einem reinen Poulenc-Programm, zu dem der Franzose am 31. Januar 1963 auch kommen wollte.

    Am Tag zuvor jedoch verstarb Poulenc; die Aufführung wurde somit zum Gedenkkonzert für den großen Komponisten, der damals im öffentlichen Musikleben zumindest in seinem Heimatland ebenso beachtet wurde wie etwa Strawinsky. Heute ist Poulenc ein wenig in Vergessenheit geraten, was Jos van Immerseel und sein nach ihm benanntes Orchester Anima Eterna ändern wollen: Nach Einspielungen mancher Werke von Beethoven, Liszt, Berlioz, Ravel und Johann Strauß bietet die jüngste Produktion beim Label Zig-Zag Territoires jetzt mit dem Konzert für zwei Klaviere und Orchester, dem Concert Champêtre und der Suite française einen guten Überblick über jene frühe Schaffensphase des Komponisten, die von einer erfrischenden Unbekümmertheit und Heiterkeit geprägt ist.

    "Francis Poulenc
    aus: Suite francaise: III. Petit marche militaire
    Track <6>
    Dauer: 1'03
    Anima Eterna Brügge
    Leitung: Jos van Immerseel
    LC 10894 Zig-Zag Territoires
    ZZT 110403"

    1899 in Paris geboren, schloss sich Poulenc in den 1920er-Jahren der "Groupe des Six" an, die sich in scharfer, oft provokanter Form von der Spätromantik, vom Impressionismus, aber auch vom Expressionismus des Schönberg-Kreises lossagte und auf ihre Fahnen neue Forderungen für eine französische Musik geschrieben hatte, in der wieder ein "Gleichgewicht von Gefühl und Vernunft" herrschen sollte. Man setzte auf die Tugenden Sachlichkeit und Klarheit und hatte keinerlei Scheu vor Rückgriffen auf die alten Meister aus Barock und Klassik, deren architektonisch klare Formen man bewunderte.

    So entstand ein musikalischer Neoklassizismus, der aus Anlehnung, Synthese und Verwandlung eine neue geistvolle, oft auch spielerische Musiksprache schuf, deren besondere Kennzeichen der transparente Klang und ein eher sachlicher, antilyrischer Tonfall waren.

    "Francis Poulenc
    aus: Concert Champêtre: 1. Satz Allegro molto
    aus: Track <11> von 1'52 bis 3'36
    Dauer: 1'44
    Katerina Chroboková, Cembalo
    Anima Eterna Brügge
    Leitung: Jos van Immerseel
    LC 10894 Zig-Zag Territoires
    ZZT 110403"

    Im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert war der musikalische Salon, häufig geführt von einer Frau, ein beliebter Ort der Begegnung von Künstlern. Für die Musik besonders wichtig war der Pariser Salon der Prinzessin de Polignac, die als Winnaretta Singer in New York geboren wurde, als Tochter und Erbin des berühmten Nähmaschinenfabrikanten, und die ihren Adelstitel ihrer zweiten Ehe mit Edmond de Polignac verdankte.

    In Paris also führte die Prinzessin einen berühmten Salon, und in Venedig bewohnte sie einen Palazzo. Sie förderte viele Künstler ihrer Zeit, darunter Nadia Boulanger, Clara Haskil, Arthur Rubinstein, Vladimir Horowitz, Ethel Smyth, die Ballets Russes, die Pariser Oper und das Orchestre Symphonique de Paris. Bei ihr verkehrten Schriftsteller wie Marcel Proust, Jean Cocteau oder Colette; die großen Komponisten von Fauré und Chabrier bis zu Poulenc und Strawinsky.

    Ihrer Initiative verdanken wir wichtige Kompositionen von de Falla, Milhaud, Satie, Ravel, Weill, Tailleferre und anderen. Und in diesem Salon der Princesse lernte Francis Poulenc auch ein Werk von de Falla kennen, bei dem der Spanier unter Rückgriff auf alte Volkslieder und durch den diskreten Einsatz eines Cembalos die klangliche Aura des 17. Jahrhunderts wieder lebendig werden lassen wollte.

    Die polnische Cembalistin Wanda Landowska übernahm damals bei de Falla den Solopart, und Poulenc, sogleich fasziniert von dem eigenartigen, ungewohnten Klang des Instruments, versprach ihr, eigens ein Konzert für sie zu komponieren. 1929 wurde dieses "Concert champêtre" schließlich uraufgeführt. Die Idee eines unbeschwerten, naturnahen Lebens durchdringt das ganze Werk, und Poulenc versteht das "champêtre", das ländliche, einfache, natürliche im Sinne Diderots oder Rousseaus. Unüberhörbar ist er dem Zauber des Waldes von Saint-Leu-la Forêt verfallen, wo er Wanda Landowska besucht und ihr Cembalo bewundert hatte.

    "Francis Poulenc
    aus: Concert Champêtre: 2. Satz Andante
    aus: Track <12> von 0'00 bis 3'24
    Dauer: 3'24
    Katerina Chroboková, Cembalo
    Anima Eterna Brügge
    Leitung: Jos van Immerseel
    LC 10894 Zig-Zag Territoires
    ZZT 110403"

    Die Ideale der "Groupe des Six" hat Poulenc noch ziemlich lange hochgehalten. Vor der Verwendung unterschiedlicher Stile und Kompositionsweisen in ein und demselben Stück war ihm nicht bange, und das Spektrum reichte dabei von derber Kaffeehaus-Unterhaltung bis zu ehrwürdig Kirchentonalem, von kühlen Avantgarde-Klängen bis zu schwülstigster Spätromantik, von der Tonsprache der Wiener Klassik bis zu asiatischer Kunstmusik.

    Bewundernswert bleibt, mit welcher Eleganz und Selbstverständlichkeit er dies alles zusammengestellt, also im ursprünglichen Wortsinne komponiert hat. Seine Musik trägt immer das Überraschende in sich, spielt mit dem Wechsel der Ebenen, stellt - durchaus mit einem gewissen Augenzwinkern - dem Erhabenen das Banale und dem Modernen das Traditionelle gegenüber.

    Das gilt auch für das wiederum auf Anregung der Princesse de Polignac entstandene Konzert für zwei Klaviere und Orchester, das im Herbst 1932 durch das Orchester der Mailänder Scala in Venedig uraufgeführt wurde: Es bietet eine Fülle unterschiedlichster musikalischer Elemente, Gedanken und Anspielungen. Es versetzt uns in ein französisches Varieté, in dem neben den Akrobaten auch Flamenco-Tänzer, aber auch Prokofieff, Strawinsky und ein Romantiker wie Rachmaninow auftreten.

    Gegen Ende schweift die musikalische Fantasie gar ins ferne Asien ab. Balinesische Klänge, die Poulenc auf der Pariser Weltausstellung von 1931 begegnet waren, erzeugen mittels parallel geführter Quarten, bestimmter Skalen und in sich kreisender Wiederholungen eine exotische Atmosphäre.

    Jos van Immerseel und sein Orchester Anima Eterna meistern diese Vielfalt mit Bravour. Es ist verblüffend zu hören, wie das hier verwendete historische Instrumentarium eine wahre Klangfarbenpracht entfaltet und der Musik Leichtigkeit und Transparenz verleiht. Das liegt natürlich auch an der Qualität jedes einzelnen Musikers dieses international zusammengesetzten Orchesters, das mehrere Wochen im Jahr zusammenkommt, um bestimmte Projekte zu erarbeiten. Hier brilliert es erneut mit einer umwerfenden Mischung aus Delikatesse und Akkuratesse - so macht die epochengetreue Rekonstruktion des musikalischen Erbes besonderen Spaß.

    "Francis Poulenc
    aus: Konzert für 2 Klaviere und Orchester: letzter Satz
    Track <3>
    Dauer: 6'10
    Claire Chevalier und Jos van Immerseel, Klavier
    Anima Eterna Brügge
    Leitung: Jos van Immerseel
    LC 10894 Zig-Zag Territoires
    ZZT 110403"

    Die Neue Platte - heute mit der jüngsten CD des Ensembles Anima Eterna und seines Leiters Jos van Immerseel, von denen Sie zuletzt den Schluss-Satz des Konzertes für zwei Klaviere und Orchester von Francis Poulenc hörten. Mit Wünschen für einen schönen Sonntag verabschiedet sich hier im Studio Ludwig Rink.