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"Bild"-Anfrage an Drosten
"Ein-Stunden-Frist ist Unverschämtheit"

Der ehemalige stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter hat die aktuelle Berichterstattung der "Bild" über den Virologen Christian Drosten kritisiert. Die Zeitung habe mehrere handwerkliche Fehler gemacht, sagte Streiter, der früher selbst für die Zeitung gearbeitet hat, im Dlf.

Georg Streiter im Gespräch mit Antje Allroggen |
Julian Reichelt, Vorsitzender der "Bild"-Chefredaktion, auf einem Kongress
Julian Reichelt, Vorsitzender der "Bild"-Chefredaktion (picture alliance/Roland Weihrauch/dpa)
Die Frist, die "Bild" Drosten für die Antwort auf ihre Fragen gesetzt hatte, sei eine "Unverschämtheit", findet Streiter. Die Zeitung hatte dem Wissenschaftler eine Stunde Zeit gegeben. Außerdem würden in der Schlagzeile Fragen aufgeworfen, die im Text nicht beantwortet würden. "Gerade eine Boulevardzeitung ist nicht für Fragen zuständig, sondern für Antworten."
In Boulevardzeitungen gebe es grundsätzlich nur Schwarz und Weiß, so Streiter. Dem stehe die Welt der Wissenschaft entgegen, in der Ergebnisse veröffentlicht und dann noch diskutiert werden. "Da prallen zwei Welten aufeinander."
Der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter auf einer Bundespressekonferenz in Berlin die Fragen der Journalisten. 
Georg Streiter, von 2011 bis 2018 stellvertretender Sprecher der Bundesregierung, davor viele Jahre Redakteur, auch bei "Bild" (Sebastian Kahnert / dpa)
"Bild" mache aber "im Großen und Ganzen mehr richtig als falsch", betonte der frühere Boulevardjournalist. Es sei aber wichtig, sauber zu arbeiten und für jede Aussage einen Beleg zu haben. "Das ist das kleine Einmaleins."
"Niederträchtige Methoden"
Streiter hatte sich zuvor bereits ähnlich in seinem eigenen Facebook-Profil geäußert. Dort schrieb der 64-Jährige, er beobachte, "wie der aktuelle Chefredakteur mit einer Handvoll gläubiger Jünger seit März 2018 die gute Arbeit der Mehrheit ihrer Kolleginnen und Kollegen ruiniert". Beispielsweise sei der für das Ressort Meinung bei "Bild" verantwortliche Filipp Piatov "ausschließlich" dafür verantwortlich, "die Meinung des Chefredakteurs durchzusetzen".
Zum aktuellen Fall schreibt Streiter: "Selbst wenn man die nur als niederträchtig zu bezeichnenden 'Recherche'-Methoden von Herrn Piatov ignoriert (…), bleibt festzustellen: Diese Schlagzeile ist durch NICHTS belegt." Denn was in der Schlagzeile steht, sollte auch im Text stehen. Dies sei aber nicht der Fall, so der ehemalige Bild-Mitarbeiter. Und auch andere Behauptungen würden nicht belegt. Die Verantwortung für dieses Arbeiten trage Chefredaktion Julian Reichelt.
Berichterstattung der "Bild": "Letztes Geschäft im Existenzkampf einer Zeitung"
Zwei Leipziger Kitas hätten geplant, Schweinefleisch zu verbieten – mit ihrer Berichterstattung hat die "Bild" eine bundesweite Debatte ausgelöst. Ein Vorwurf an die Zeitung selbst lautet: Sie schüre einmal mehr Ressentiments. Verfolgt das Blatt eine antimuslimische Agenda?
Streit um Anfrage
Christian Drosten, der Chef der Virologie an der Berliner Charité, hatte gestern eine Anfrage der "Bild" auf Twitter öffentlich gemacht. Darin hatte die Springer-Zeitung dem Mediziner eine Stunde zur Beantwortung von Fragen zu einer Studie eingeräumt. Mehrere Wissenschaftler, auf die sich "Bild" dabei bezog, distanzierten sich später von dieser Art der Berichterstattung. Der Presserat teilte mit, Beschwerden zu dem Artikel prüfen zu wollen.
Drosten selber wurde dafür kritisiert, dass er in seinem Tweet auch die Kontaktdaten des Springer-Journalisten mitveröffentlicht hatte.
Die Boulevardzeitung hat in den vergangenen Wochen mehrere Artikel gebracht, die Drosten negativ darstellen. "Sie bemüht sich, Drostens Autorität als Wissenschaftler zu untergraben, arbeitet genüsslich frühere Fehleinschätzungen heraus, stellt ihn als Einflüsterer dar, macht ihn zum Kollegenschwein", heißt es in einer ausführlichen Analyse des Bildblog. Hierfür reiße die Redaktion auch "schon mal Aussagen aus dem Zusammenhang, verfälscht zeitliche Abläufe und erfindet Behauptungen".