Trotzdem lehne die SPD personelle Konsequenzen vorerst ab. Das Kanzleramt müsse kommende Woche die sogenannte Selektorenliste mit den Suchbegriffen auf den Tisch legen. Aber auch ein Rücktritt von BND-Chef Schindler würde das eigentliche Problem nicht lösen.
Der Bundesnachrichtendienst soll seit 2005 im Auftrag der NSA mit den von den USA übermittelten Suchkriterien die Telekommunikation überwacht haben. Es besteht der Verdacht der Wirtschaftsspionage. Das Bundeskanzleramt hatte am Wochenende bestätigt, dass es bereits im Jahr 2008 über Spionageziele der NSA informiert wurde.
Das Interview in voller Länge:
Bettina Klein: Mitgehört hat der SPD-Politiker Christian Flisek. Er ist für seine Fraktion Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss. Guten Morgen auch Ihnen, Herr Flisek.
Christian Flisek: Guten Morgen, Frau Klein.
Klein: Was sagen Sie, das Ziel, Verhandeln auf Augenhöhe, direkt gleich aufgeben, oder würden Sie auch dazu aufrufen, das Duckmäusertum sein zu lassen?
Flisek: Ich glaube, bei der ganzen Debatte gilt auch, mal verbal etwas abzurüsten, aber den Punkt auf das eigentliche Problem zu richten. Wir haben zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland unterschiedlichste Philosophien, wie man mit Datenschutz, Privatheit und mit der Frage, was Geheimdienste dürfen und nicht dürfen, umzugehen hat. Ich formuliere es mal so: In den USA herrscht eine Philosophie, die lautet, alles was irgendwie technisch geht und was finanziell möglich ist, das machen wir auch. Diese Auffassung haben wir in Deutschland zurecht nicht, aufgrund verschiedener Gründe. Historische Gründe spielen da auch mit hinein. Und da bin ich auch sehr froh drum, dass das so ist, und unsere Auffassung ist, wir brauchen Geheimdienste, wir brauchen auch effizient arbeitende Geheimdienste, die im Zweifel auch kooperieren mit anderen, aber sie müssen das tun auf dem Boden unseres Grundgesetzes, unserer Verfassung. Das ist die Aufgabe von uns Parlamentariern, das sicherzustellen. Da gibt es sicherlich Defizite, denen wenden wir uns auch zu, das ist auch Teil der Arbeit unseres Untersuchungsausschusses, das aufzudecken. Das haben wir getan. Aber noch mal: Es geht nicht darum, alles zu tun was irgendwie geht, und insofern treffen diese Vergleiche mit wer investiert was auch nicht den wirklichen Kern des Problems, den wir gerade diskutieren.
"Die Bundesregierung hat am Ende eine eigene Entscheidung zu treffen"
Klein: Herr Flisek, lassen Sie uns mal kommen auf die innenpolitische, auf die deutsche Debatte, die sich im Augenblick so ein bisschen darauf zuspitzt, die Bundesregierung habe falsche Angaben vorgenommen, falsche Angaben gemacht. Sie habe zu einem Zeitpunkt behauptet, es liegen ihr keine Erkenntnisse vor, als es die Erkenntnisse schon gegeben hat. Die „Bild"-Zeitung und auch „Spiegel Online" gehen darauf heute Morgen ein. Wie sehen Sie das? Wie schwer wiegt dieser Vorwurf, dass möglicherweise der Innenminister gelogen hat?
Flisek: Na ja, gut. Die Vorwürfe insgesamt sind gravierend und das, was gerade diskutiert wird, sind die Vorwürfe, die sich gegen den Innenminister richten, und die sind schwerwiegend. Deswegen sage ich auch, es ist das ureigenste Interesse der Bundesregierung, sprich vor allen Dingen auch des Kanzleramtes, jetzt möglichst schnell und zügig aufzuklären. Dazu gehört erst einmal, dass uns diese berühmte Selektorenliste, über die wir jetzt schon fast eine Woche diskutieren, endlich einmal als Parlamentarier im Untersuchungsausschuss vollständig vorgelegt wird. Die Bundesregierung hat gesagt, sie wird das mit den Amerikanern beraten im Konsultationsverfahren. Da sage ich auch sehr deutlich, mir ist das relativ egal, wie das Ergebnis dort ist, denn die Bundesregierung hat am Ende eine eigene Entscheidung zu treffen, ob sie diese Liste uns vorlegt, und deswegen ist da keine zeitliche Verzögerung möglich. Ich erwarte, dass nächste Sitzungswoche diese Liste auf den Tisch gelegt wird, und dann können wir uns von Art, Umfang und Ausmaß dieser Affäre selber ein Bild machen. Und dann wird sich die Frage stellen, wer hat wann was gewusst, und dann werden wir auch mit den entsprechenden Zeugen in die Vernehmung gehen.
"Der erste Schritt: Über was für ein Ausmaß reden wir hier?"
Klein: Inzwischen werden ja schon Drucksachen zitiert, wo man nach der heutigen Kenntnis, nach dem heutigen Sachstand sagen muss, das waren keine richtigen Angaben. Das heißt, für Sie ist das noch nicht erwiesen?
Flisek: Ich bin sehr vorsichtig dabei. Wir haben im Untersuchungsausschuss gelernt, dass sehr viele Dokumente auch innerhalb der Nachrichtendienste existieren, die sich zum Teil auch widersprechen. Das hat damit zu tun, dass sich die einzelnen Abteilungen innerhalb eines solchen Dienstes auch nicht immer alle ganz grün sind, oft gegeneinander kämpfen, weil sie mit dem einen Projekt der einen Abteilung nicht einverstanden sind, oft nicht ganz komplett informiert sind. Man muss vorsichtig sein, wenn man einzelne Dokumente aus einem Kontext löst. Deswegen sage ich: Der erste Schritt für uns ist, erst einmal zu wissen, über was für ein Ausmaß reden wir, wenn hier die Rede ist von europäischen Politikern, europäischen Firmen, deutschen Firmen, europäischen Institutionen? Ich will wissen, was sind das für Listen, was steht da drin, wer ist erfasst, was ist das Interesse der Amerikaner in diesem Zusammenhang. Und dann stellt sich die Frage, warum wurde das nicht in einer Weise nach oben gemeldet, wie sich das an und für sich in einem Rechtsstaat gehört, und das ist die Frage der Verantwortlichkeit. Die stellt sich allerdings erst in einem zweiten Schritt.
"Keine langen Schleifen drehen"
Klein: Herr Flisek, wir hören in der Tat seit Tagen, was wir noch alles wissen müssen und was wir noch nicht wissen. Sie haben aber dennoch auch im Namen der SPD gesagt, Sie wollen den Druck auf das Kanzleramt ausüben. Jetzt steht als Gerücht im Raum, man würde den BND-Chef möglicherweise zum Rücktritt bewegen wollen, um das Problem möglichst weit von sich fern zu halten. Wären Sie damit einverstanden?
Flisek: Nein! Damit bin ich momentan nicht einverstanden. Ich schließe Konsequenzen in keiner Richtung momentan aus. Aber das Ganze ist erst das Ergebnis einer umfassenden Sachverhaltsaufklärung. Wenn jetzt irgendwelche Leute zurücktreten, dann vernebelt das das eigentliche Problem. Wir sind im Untersuchungsausschuss des Bundestages ein Aufklärungsgremium und kein Rücktrittsforderungsgremium. Ich habe Verständnis für die Opposition, dass man das alles sehr schnell versucht, personell zuzuspitzen, aber der erste Schritt - und das ist auch das Interesse der Bürger und der Unternehmen in unserem Land - ist es, erst mal aufzuklären, was ist hier eigentlich schief gelaufen. Da ist zeitlich Druck zu machen und das ist der Druck, den ich auf das Kanzleramt ausübe, dass jetzt nicht lange Schleifen da gedreht werden mit den Amerikanern, was dürfen wir vorlegen, was dürfen wir nicht vorlegen. Die Bundesregierung hat eine eigene souveräne Entscheidung zu treffen und wir als Parlamentarier fordern die Vorlage dieser Selektorenliste nächste Woche und da bin ich sehr gespannt, wie die Reaktion sein wird.
Klein: Formal kann man sagen, das Thema könnte erst mal ruhen bis zur nächsten Woche, bis zur nächsten Sitzung des NSA-Untersuchungsausschusses. Ob es dabei bleibt, das werden die nächsten Tage sicherlich zeigen. - Das war heute Morgen im Deutschlandfunk Christian Flisek, der SPD-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Flisek.
Flisek: Vielen Dank, Frau Klein.
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