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Braunes Gedankengut verdrängen

Neonazis zieht es oft in strukturschwache Regionen, in denen es kaum demokratische Institutionen gibt. Dort können sie das öffentliche Meinungsbild leicht beeinflussen. Das Deutsche Institut für Urbanistik möchte Kommunen nun darüber aufklären, wie sie sich gegen die Rechtsextremisten wehren können.

Von Isabel Fannrich | 28.03.2013
    "Als wir Anfang 2004 dieses Haus fanden und bezogen und das Gelände kauften, den alten Forsthof, war uns schon ein wenig mulmig. Denn zu der Zeit wurde uns sehr schnell zugetragen, dass wir als Nachbarn einen Menschen haben würden, der schon sehr negativ aufgefallen war im Rahmen seiner rechtsextremen Tätigkeiten. Das war jemand, der war in dem Dorf aufgewachsen, der lebt nach wie vor dort und hatte sich in der freien Kameradschaftsszene sehr hervorgetan als Führungspersönlichkeit. Und hatte im nahe gelegenen Forst Wehrsportübungen, sogenannte, veranstaltet, hatte mehrere neu Zugezogene in dem Dorf vertrieben, weil sie ihm anscheinend nicht passten, weil sie eben nicht seiner Gesinnung waren."

    Als Birgit Lohmeyer und ihr Mann von Hamburg nach Jamel zogen, ein Zehn-Häuser-Dorf im Landkreis Nordwestmecklenburg, wussten sie nicht, dass ihr neuer Nachbar, ein Abrissunternehmer, die rechtsextreme Szene ausbauen und Karriere bei der NPD machen wollte.

    "Er hatte jetzt dann, drei, vier Jahre später, begonnen, Häuser aufzukaufen von Menschen, die entweder wegziehen wollten, weil die Zustände im Dorf nicht mehr haltbar waren. Er hat ja regelmäßig da seine Müllverbrennungsaktionen gestartet, er hat riesige Nazipartys gefeiert mit drei- bis vierhundert Personen als Gästen, die aus dem ganzen Bundesgebiet anreisten. Ein Klima der Einschüchterung in dem ganzen Dorf ging von ihm aus. Und deswegen wollten also Leute wegziehen. Und er hat also diese Häuser aufgekauft, ohne dass irgendjemand davon wusste, und plötzlich saßen in drei Häusern Neonazis."

    In Jamel, das zwischen Grevesmühlen und Wismar liegt, leben seitdem bis zu 60 Prozent Neonazis. Weil die Lokalpolitik und die Polizei lange weggeschaut haben, veranstaltet das Ehepaar Lohmeyer seit 2007 jährlich ein Rockfestival gegen Rechts auf dem eigenen Hof. Die Reaktion darauf: ein eingetretener Gartenzaun, ein gestohlener Briefkasten, eine Fuhre Mist auf der Einfahrt. Die Rechtsextremen drohten dem Musiker und der Schriftstellerin, beleidigten sie und bremsten sie im Straßenverkehr aus.

    Der Nachbar, längst NPD-Funktionär, hat auch in Grevesmühlen eine Immobilie gekauft und ein NDP-Büro eingerichtet für Schulungen und Rechtsrock-Konzerte. Jamel gilt als Beispiel dafür, wie Rechte landesweit private und öffentliche Räume besetzen und sich Mehrheiten verschaffen können. Wie Kommunen gegen den alltäglichen Rechtsextremismus handeln können, dazu hat das Deutsche Institut für Urbanistik mit einer nicht-öffentlichen Fortbildung zur Diskussion eingeladen.

    "Wir stellen zum Beispiel fest, dass seit 2002 sich rechtsextremes Denken im Osten Deutschlands annähernd verdoppelt hat von rund acht auf rund 16 Prozent, während es im Westen einen Rückgang gegeben hat."

    Ralf Melzer von der Friedrich-Ebert-Stiftung verweist auf die weitverbreiteten rechtsextremen Einstellungen in der Bevölkerung. Die "Mitte-Studie", seit 2006 alle zwei Jahre aktualisiert, zeigt, dass ein "geschlossenes rechtsextremes Weltbild" nicht nur an den Rändern, sondern auch in der Mitte der Gesellschaft zu finden ist - bei mittlerweile neun Prozent der gesamten Bevölkerung. Am stärksten ausgeprägt sei dieses Denken in den ländlichen "abwärtsdriftenden Regionen" in Ost wie West, dort, wo weniger Ausländer leben, insbesondere bei älteren und häufiger bei weniger gebildeten Menschen.

    Rechtsextreme können soziale Räume besetzen und kontrollieren wie eine Kneipe, eine kulturelle Einrichtung oder eine Straße. Allerdings sind ihre Kapazitäten begrenzt, stellt Bernd Wagner vom Zentrum Demokratische Kultur fest. Allgegenwärtig seien jedoch mittlerweile rechtsextreme Gruppierungen in den Kommunen.

    "Was ich eher als Intensivierungsprozess verstehe und auch sehr dramatisch und negativ finde, ist, dass die ein hohes Maß von allgemeiner Normalität und Akzeptanz erlangt haben. Also die Aufregungsfaktoren kommunalen Rechtsextremismus, also demgegenüber, die ist vergleichsweise gering. Es gibt natürlich immer auch Gegentendenzen. Es gibt Kommunen, die regen sich auf, und die machen auch was, aber es ist vergleichbar ein starker Normalisierungsprozess abgelaufen."

    Damit die Kommunen dagegen handeln können, müssen sie das Phänomen erkennen. Rechtsextremismus zeigt seit den 90er-Jahren viele Gesichter. Er lässt sich nicht verkürzen auf glatzköpfige junge Männer in Springerstiefeln, die in ostdeutschen Dörfern wie Jamel Menschen terrorisieren. Auch die NPD wiederum dürfe nicht verharmlost werden, weil sie "nur" in zwei Bundesländern im Parlament sitzt, sagt Ralf Melzer.

    Weniger bekannt sind etwa die "braunen Ökobauern", die sich auf alte völkische Siedlungsbewegungen berufen. Johannes Melchert vom Göttinger Institut für Demokratieforschung berichtet, dass sie in verwaisten ländlichen Gebieten mit schwacher demokratischer Struktur zu niedrigen Preisen Höfe kaufen – überwiegend in Mecklenburg-Vorpommern, aber auch in anderen Teilen Deutschlands. Zwar sei dies kein Massenphänomen, und von den braunen Ökosiedlern gehe keine Gewalt aus, aber…

    "...problematisch ist da, dass die Familien, die oft sehr sehr kinderreich sind, darüber dann auch in Kitas und Schulen, vermittelt über die Elternvertretungen dann auch versuchen, Einfluss zu gewinnen. Erst mal leben diese Biobauern nur da und machen so ihre biologische Landwirtschaft. Aber in kleinen Dörfern, in denen kommunikative Wege oft sehr direkt sind, haben sie da die Möglichkeit, wenn keine lebendige demokratische Kultur vor Ort ist, auch Diskurse zu bestimmen."

    Zwar könne man den Bauern nicht verbieten, einen Hof zu kaufen. Die kommunalen Akteure müssten aber verhindern, dass völkische Biobauern ihre Ideologie unhinterfragt verbreiten.

    Den Spieß umdrehen und selber agieren, so lautet die Devise der Experten. Als die Karlsruher Kameradschaft, das "Karlsruher Netzwerk", in einem ehemaligen Bordell ein NPD-Schulungszentrum einrichten wollte, wehrten sich Stadt und Bürger erfolgreich dagegen. Seit Januar habe ein "Städtisches Netzwerk gegen Rechts" die Aktionen von schätzungsweise 100 Rechtsextremen im Auge, erzählt die Ettlinger Soziologin Doktor Ulrike Pahle-Franzen:

    "Die sind nicht personenstark, sondern ihre Fähigkeit zu organisieren und über das Internet sich darzustellen. Also sie sind nach meinem Begriff die Koordinationsstelle für viele Events und Konzerte und Demonstrationen, aber nicht im Raum Karlsruhe, sondern außerhalb. Der Druck ist sehr stark geworden auf die Kameradschaft, auf das Netzwerk, sodass sie jetzt das Organisatorische als ihres betrachten, zumindest momentan."


    Allerdings ziehen die Karlsruher Neonazis sich nicht nur ins Internet zurück, sondern suchen auch neue Aktionsformen. Beim sogenannten Flashmob treten bis zu 20 von ihnen verkleidet in Erscheinung, filmen und stellen das Video ins Netz.

    "2012 waren sie bei einem Karnevalsumzug in der Region mit diesen schwarzen Kutten, weißen Masken. Wer rechnet damit? Sie erschienen alle auf einmal, liefen ein paar Meter mit, enthüllten ein Transparent, und was hieß es? Der Volkstod. Irgendwas mit Demokratie und Volkstod. Und bevor jemand wirklich reagieren konnte, waren sie wieder weg."

    Mit einem fest institutionalisierten Brauch dagegen hatte Karl-Willi Beck, seit elf Jahren Erster Bürgermeister von Wunsiedel, zu kämpfen. In der bayrischen Kleinstadt nahe der tschechischen Grenze war 1988 Rudolf Heß, der Stellvertreter Hitlers, beerdigt worden. Niemand habe sich Gedanken über die Folgen gemacht. Jedes Jahr im August marschierten an seinem Todestag bis zu 5.000 Neonazis auf.

    Nach jahrelangem Verbot ging es 2001 wieder los. Zunächst kamen einige Hundert Rechtsextreme, bald danach waren es bereits über 5.000 - diesmal aus ganz Europa. Der neue Stadtrat mit Karl-Willi Beck an der Spitze hatte sich nach monatelangen Diskussionen entschlossen, dies nicht mehr hinzunehmen – und nicht mehr wegzuschauen.

    "Und bei dem Hinschauen hat man natürlich dann auch festgestellt, dass es in der Stadt eine Zelle von Nazis gab, dass es in der Stadt auch eine Gaststätte gab, wo die Nazis gern gesehen waren, wo es dann auch entsprechende Konzerte gab, dass man versucht hat, die Schüler anzubaggern usw. Und dann haben wir gesagt: Da müssen wir dagegen arbeiten."

    An der Zäsur waren die Wunsiedeler beteiligt. Sie hatten sich mit dafür eingesetzt, dass die Verherrlichung von verurteilten Kriegsverbrechern als Straftatbestand ins Strafgesetzbuch eingeführt wurde. Im Jahr 2005 kamen die Nazis nicht. Stattdessen feierten 3.000 Menschen mit der Stadt ihren ersten Tag der Demokratie:

    "Damit waren die großen Aufmärsche in Wunsiedel gestoppt. Und damit ging auch die Arbeit richtig los in der Bürgerschaft dann auch noch einmal, dass man dann beispielsweise die Schulen zu "Schule mit Courage – Schule gegen Rassismus" weiter entwickelt hat. Und die Nazis in der Stadt, die sind dann extrem zurückgedrängt worden. Wir haben dann teilweise Mahnwachen gehalten vor einem Lokal, wo Nazis gern gesehen waren."
    Einer, der Kommunen berät und dabei begleitet, gegen rechtsextreme Gruppierungen vorzugehen, ist Bernd Wagner. Ein "Betroffenen-Tisch" könne anfangs hilfreich sein, reiche aber nicht, sagt der ehemalige Kriminalist.

    "Ja, wichtig ist eine von politisch gewichtigen Personen in der Kommune oder auch möglicherweise des Landkreises getragene Lageanalyse. Wenn ich nicht weiß, was sich da abspielt, dann kann ich schwerlich intelligent handeln. Bauchgeleitete Interventionen sind schädlich: Dann wäre das Zweite, darüber zu reden, warum eigentlich vor welchem Werthintergrund man sich aufregen und handeln muss."

    Dann muss eine Strategie entwickelt werden. Die Verantwortung könne ein eigens beauftragter Stab tragen, eine Bürgergruppe oder eine gemischte Gruppe aus Verwaltung und Einwohnern. Entscheidend sei, dass die Kommune dahinter stehe.

    Geschlossenheit ist wichtig, weil vor allem in ländlichen Gegenden Netzwerke zwischen der Bevölkerung und den Neonazis bestehen. Birgit Lohmeyer:

    "Das mussten wir als Städter erst mal lernen, dass auf dem Lande, in ländlichen Strukturen, es sehr verbreitet ist, dass man irgendjemanden kennt, also eine Beziehung hat zu jemandem aus der rechtsextremen Szene, sei es ein Verwandter, sei es ein Freund, sei es ein Angeheirateter, ein ehemaliger Schüler, was einen befangen werden lässt. Und vielleicht auch eher Sachen als Jugendsünden bezeichnen lässt nach dem Motto: Na, das wächst sich schon aus, wenn er erst mal erwachsen ist."

    Beispiel Pretzien in Sachsen-Anhalt, eingemeindete Kleinstkommune der Stadt Schönebeck. 2006 verbrannte der örtliche Kameradschaftsführer bei einem Mittsommernachtsfest das Tagebuch der Anne Frank und eine USA-Fahne. Das Dorf sah zu, bis eine Frau vom Ordnungsamt eingriff.

    Sechs Jahre lang war Bernd Wagner alle zwei Monate vor Ort, um, wie er sagt, eine neue demokratische Dorf- und Diskussionskultur zu entwickeln. Eingebunden waren neben den Tätern der Gemeinderat, ein Runder Tisch, Aktivistengruppen, die Freiwillige Feuerwehr, der Anglerverein, der Chor und die Kirchengemeinde. Es ging darum, den Jugendlichen klare Grenzen zu setzen und zugleich den Kontakt zu ihnen nicht abzubrechen:

    "Das Dorf musste sich ja zunächst einmal auch distanzieren. Das haben sie ja vorher nicht gemacht. Die waren, da es ein Elb-Dorf war, die Oberaktivisten bei der Bekämpfung des Hochwassers. Die wären abgesoffen, wenn die Nazis nicht die Säcke geschleppt hätten. Dadurch hatten die natürlich ein Renommee. Die haben also den Leuten dort ihre Höfe und ihre teuren Häuser – es ist ein sehr wohlhabendes Dorf – gerettet und dadurch waren die nicht stigmatisiert, nicht ausgegrenzt. Das waren ihre Kinder."

    Die Gegenwehr führt zu Erfolgen: Im mecklenburgischen Jamel ist der rechtsextreme Nachbar der Lohmeyers zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Und im bayerischen Städtchen Wunsiedel gibt es keine Neonazi-Zelle mehr, sagt Bürgermeister Beck. Seit das Grab von Rudolf Heß 2011 aufgelöst wurde, kehrten die Rechtsextremen zwar am Vorabend des Volkstrauertages zurück – mussten aber außerhalb des Städtchens marschieren. Und ihre Zahl nehme ab.

    "Wir hatten vor zwei Jahren mal einen Versuch von Neonazis, Schulhof-CDs zu verteilen in Wunsiedel. Die Schüler haben die CDs genommen und haben die kaputtgemacht. Wenn du dann auch siehst, wie die Saat, die du über Jahre durch unterschiedlichste Schulungen und auch Fortbildungen der Lehrer, wenn du siehst, wie das aufgeht und letzten Endes doch funktioniert, dass man die Jugend stark machen kann, dass sie nicht infizierbar sind."

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