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Gesundheitsförderung in Katar
Die politische Dimension des Breitensports

Katar hat sich vor allem im Leistungssport einen Namen gemacht. Seit einigen Jahren fördert die Regierung aber auch den Breitensport. Und zwar aus politischen Gründen: In einem Land mit hohen Diabetes-Raten will Katar langfristig sein Gesundheitssystem entlasten.

Von Ronny Blaschke | 24.09.2022
Wenige Zuschauer sitzen auf den Rängen bei der Leichtathletik-WM in Katar
Leere Zuschauerränge bei der Leichtathletik-WM in Katar - bei der Fußball-WM 2022 soll das anders werden, meint Sportwissenschaftler Gunter Gebauer (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
Im Dezember 2006 fanden in der katarischen Hauptstadt Doha die Asienspiele statt. Mit fast 10.000 Athleten aus 45 Nationen – das bis dahin größte Sportereignis im Nahen Osten. Zu jener Zeit war Fatma Al-Ghanim noch ein Teenager. Sie kann sich gut an die Wettbewerbe und an die Stimmung in ihrer Heimatstadt erinnern:
„Damals konnten die Menschen erstmals aus der Nähe ein so großes Sportereignis verfolgen. Eines der wichtigsten Vermächtnisse war, dass viele von ihnen selbst mehr Sport treiben wollten, vor allem Frauen. Und auch die Unterstützung ihrer Familien wuchs. Und jedes weitere Großereignis stärkt diese Entwicklung.“
Fatma Al-Ghanim hat selbst einige Sportarten ausprobiert. Sie ging schwimmen, joggen, unternahm lange Fahrradtouren. Seit 2018 kombiniert sie diese Disziplinen im Triathlon. Anfangs als Freizeitbeschäftigung, mittlerweile auch in Wettbewerben. Sie sagt: „Ich habe entschieden, das Ganze noch intensiver anzugehen. Ich wollte mich herausfordern und meine Grenzen austesten. Und neues Selbstvertrauen entwickeln.“

Mehr als 70 Prozent der Katarer haben Übergewicht

Die Triathletin Fatma Al-Ghanim arbeitet hauptberuflich für das Doha Film Institute. In Interviews und sozialen Medien berichtet sie von ihrer Leidenschaft Sport. Auch, um andere Katarer zu mehr Bewegung im Alltag zu animieren. Botschaften wie diese haben am Persischen Golf auch eine politische Dimension, sagt der Islamwissenschaftler Sebastian Sons aus dem Nahost-Forschungsnetzwerk Carpo:
„Katar sowie die anderen Golfstaaten leiden unter massiven Zivilisationskrankheiten. Die Menschen sind zu dick. Sie ernähren sich sehr kohlenhydrat- und zuckerreich. Sie treiben eigentlich kaum Sport. Die Diabetes-Rate ist eine der höchsten in der Welt. Und dementsprechend hat Katar in den letzten Jahren auch die WM und den Spirit der WM genutzt, um einige Initiativen anzuregen, die physische Aktivität und das Treiben von Sport einfach fördern sollen.“
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation leben etwa 17 Prozent der erwachsenden Katarer mit Diabetes. Mehr als siebzig Prozent haben Übergewicht. Herzleiden, Gefäßkrankheiten und daraus resultierende Depressionen werden das Gesundheits- und Pflegesystem in Katar langfristig belasten. Die Herrscherfamilie will die Kosten dafür in Grenzen halten – auch mit Breitensport als vorbeugende Maßnahme.
Seit 2012 begeht Katar im Februar jährlich einen nationalen Sporttag. Der Emir und seine Angehörigen lassen sich beim Laufen, Tennis oder Basketball filmen. Auch Frauen in Führungspositionen veröffentlichen sportliche Fotos in sozialen Medien. Vor zwanzig Jahren war das in der patriarchalen Gesellschaft Katars noch undenkbar, sagt die Kommunikationswissenschaftlerin Susan Dun, die seit 2008 an der Northwestern University in Doha lehrt:
„Als ich zum ersten Mal nach Katar kam, gab es kaum Aktivitäten für Frauen. Die am meisten verbreitete Betätigung für sie war das Gehen. Aber es ist sehr heiß hier. Inzwischen haben viele Fitnessstudios für Frauen geöffnet. Es gibt Yoga und Spinning. Es werden Radwege gebaut. Auch für Sportkleidung und Geräte sind Angebote gewachsen.“
Susan Dun lehnt an einem Geländer und lächelt in die Kamera.
Die Kommunikationswissenschaftlerin Susan Dun lehrt seit 2008 an der Northwestern University in Doha (Blaschek/Dlf)

Kaum Sportmöglichkeiten für Arbeitsmigranten

Katar hat hunderte Veranstaltungen im Leistungssport durchgeführt, auch die Handball-WM 2015. In den Hallen von damals ist inzwischen auch der Breitensport zu Gast: Badminton, Karate, Bogenschießen. Sportwissenschaftler an der Qatar University entwickeln Fortbildungen für Physiotherapeuten und Lehrer. Denn Sport soll, so die offizielle Botschaft, auch in Schulen verankert werden. Darüber hinaus werden Ideen in einem sozialen Netzwerk gebündelt. Der Titel: „Generation Amazing“.
Wie wirksam diese Sportkonzepte langfristig sind, lässt sich für Außenstehende schwer prüfen. Fakt ist: Die Angebote der Regierung richten sich vor allem an die rund 300.000 katarischen Staatsbürger. Doch die stellen nur zehn Prozent der Bevölkerung.
Susan Dun sagt: „Es gibt hier eine große Zahl von Gastarbeitern. Deren Sportaktivitäten sind begrenzt. Viele von ihnen spielen an den Wochenenden in den Parks Kricket. Jede freie Fläche wird genutzt. Es sind in den vergangenen Jahren einige Freizeiteinrichtungen gebaut worden, zumindest für die Arbeiter auf den WM-Baustellen. Doch für die große Mehrheit der Arbeitsmigranten, die nichts mit der WM zu tun hat, gibt es nicht ausreichend Sportmöglichkeiten.“

Sport als Teil der Identitätspolitik

Die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen wurden auch in Deutschland immer wieder kritisiert. Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine bemüht sich die Bundesregierung um engere Beziehungen zum Gasexporteur Katar. Der Islamwissenschaftler Sebastian Sons regt in seinem neuen Buch an, dass eine Energie-Partnerschaft auch von Projekten im Breitensport begleitet werden könnte.
Denn in Katar, sagt Sons, werde das deutsche Vereins- und Verbandswesen sehr geschätzt: „Katar sowie Saudi-Arabien sind hier sehr interessante Beispiele dafür, dass Breitensport, dass eine Sportkultur nicht nur darauf abzielt, sich internationaler bekannter zu machen und im Bereich der Sportpolitik eine große Rolle zu spielen, sondern eben auch die Verbindung, den Gesellschaftsvertrag zwischen Herrschern und Bevölkerung aufrecht zu erhalten. Und dementsprechend ist die Förderung von Breitensport auch Teil der Identitätspolitik in Katar sowie auch in Saudi-Arabien und darf deswegen nicht unterschätzt werden.“