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LGBTQI+-Bewegung
Homophobie in Katar

Die Fußball-WM in Katar rückt näher. Bislang standen vor allem menschenunwürdige Arbeitsbedingungen im internationalen Fokus. Doch speziell für Homosexuelle ist das Emirat ein gefährliches Pflaster.

Von Ronny Blaschke | 11.09.2022
Teilnehmer beim Pride Day in Amsterdam schwenken die Regenbogen-Fahnen und die Flagge von Katar. (AP Photo/Peter Dejong)
Homosexualität wird in Katar mit Gefängnis bestraft, theoretisch wäre sogar die Todesstrafe möglich. (dpa / picture alliance / Peter Dejong)
Der katarische Mediziner Nasser Mohamed wollte seine Homosexualität nicht länger verstecken. Er gab seinen Besitz in der Heimat auf, kappte Beziehungen zu Familie und Freunden – und lebt inzwischen in San Francisco. In sozialen Medien und in Interviews berichtet Nasser Mohamed von seiner Geschichte, zum Beispiel in der BBC.
"In Katar versucht man, unsere Existenz zu zensieren. Als schwuler Mann lebt man dort in ständiger Angst. Jeder Tag ist anstrengend. Man muss jeden Schritt des Tages gut planen, um sich nicht ausversehen selbst zu outen. Damit würde man sein Leben riskieren."
Peitschenhiebe und Haft für Homosexuelle
Wie genau die homophobe Gesetzgebung in Katar angewendet wird? Dafür gibt es wenige Hinweise, die vor allem Ausländer betreffen. 1996 wurde laut dem US-Außenministerium ein amerikanischer Staatsbürger in Doha zu 90 Peitschenhieben verurteilt.
Zwei Jahre später wurden offenbar mehrere schwule Arbeiter aus den Philippinen aus Katar ausgewiesen. 2016 soll ein polnischer Social-Media-Aktivist wegen Homosexualität zwei Monate in Haft gewesen sein. Zur strafrechtlichen Verfolgung katarischer Bürger ist noch weniger bekannt, sagt Piara Powar vom Fußball-Antidiskriminierungsnetzwerkes Fare.
"Es gibt Anzeichen dafür, dass Menschen wegen ihrer Homosexualität noch immer im Gefängnis sind. Der Staat überwacht soziale Medien und prüft Botschaften, die von der LGBTIQ-Gemeinschaft kommen könnten. Es soll auch eine informelle Telefon-Hotline geben. Dort können Verwandte und Freunde bestimmte Personen an die Behörden melden. Und der Staat kann dann gegen sie vorgehen."
Homosexualität als „schwere Sünde“
Katarische Regierungsmitglieder halten sich aus der öffentlichen Diskussion weitgehend heraus. Denn sie wollen ihre wirtschaftlichen Netzwerke mit dem Westen nicht gefährden. Doch hin und wieder taucht das Thema in staatsnahen Medien auf. Eine Beraterin des katarischen Außenministeriums bezeichnete Homosexualität in einer arabisch-sprachigen Zeitung als „schwere Sünde“.
In Onlinemedien wurde die Idee diskutiert, für Touristen einen Test für sexuelle Orientierung einzuführen. Dieses Klima führe dazu, dass sich queere Menschen in Katar noch mehr zurückziehen würden, sagt die Aktivistin Lou Englefield aus dem Netzwerk „Fußball gegen Homophobie“.
“Die Menschen kennen kaum das Gefühl von Gemeinschaft. Es gibt keine differenzierte Debatte. Vor einigen Jahren musste das Onlinemedium Doha News einen Artikel über Homosexualität wieder aus dem Netz nehmen, weil die Reaktionen darauf so negativ gewesen sind.“
Die Zensur der katarischen Behörden trifft auch internationale Medien. So war ein Online-Artikel über Homophobie von der New York Times in Katar nicht mehr abrufbar. Viele Katarer halten LGBTIQ ohnehin für einen „imperialistischen Import“.
Keiner bezieht Position
2020 wollte die US-amerikanische Universität Northwestern in Doha ein Konzert mit einer libanesischen Rockband veranstalten. Der Protest gegen deren schwulen Sänger war so groß, dass die Uni das Konzert absagte.
Selbst liberale katarische Politiker, die in den USA studiert haben, vermeiden eine Positionierung. Auch, weil sie gegenüber ihren Rivalen in Saudi-Arabien oder in den Vereinigten Arabischen Emiraten nicht als schwach gelten wollen, sagt der Islamwissenschaftler Sebastian Sons, der in Buch über Katar veröffentlicht hat.
„Wenn man sich die unterschiedlichen Phasen der islamischen Geschichte anschaut, kann man nicht davon sprechen, dass der Islam grundsätzlich eine homophobe Religion ist. Es ist oftmals eher eine Frage der Politik und eine Frage der Kultur beziehungsweise der gesellschaftlichen Struktur. Selbstverständlich haben wir am Golf patriarchalische Strukturen, die nach wie vor sehr männerdominiert sind, die teilweise auch sehr stark von Geschlechtertrennung geprägt sind. Und die vor allen Dingen davon geprägt sind, doch ein gewisses Männlichkeitsideal ausstrahlen zu wollen.“
Seit der Vergabe der Fußball-WM nach Katar 2010 standen vor allem menschenunwürdige Arbeitsbedingungen im internationalen Fokus. Erst in den vergangenen Monaten konnte eine Allianz aus internationalen NGOs den Druck auf FIFA und Organisationskomitee erhöhen.
Die FIFA hält sich zurück
Sicherheitsgarantien für queere Fans, die zur WM reisen wollen, gibt es allerdings bis heute nicht, sagt die Aktivistin Pia Mann aus der Berliner Frauenrechtsgruppe Discover Football.
„Viel Blabla sozusagen und nichts wirklich Greifbares. Es gibt immer wieder diese Aussage vom Supreme Committee: ,Everyone is Welcome‘. Aber das nützt mir im Zweifelsfall nichts, wenn ich als queere Person dahinfahre und mir nicht sicher sein kann, ob ich da vielleicht gerade gegen das Strafgesetzbuch verstoße. Oder auch als Transperson, wie da mit mir umgegangen wird. Die Fifa hat sich seit einigen Jahren eigene Menschenrechtsregeln auferlegt, die sie aber nicht selbst verfolgt.“
Die FIFA hält sich zurück und lässt homophobe Aussagen weitgehend unwidersprochen. 2021 bezeichnete die ägyptische Fußballikone Mohamed Aboutrika in einem katarischen Fernsehsender Homosexualität als „gefährliche Ideologie“. Aboutrika erhielt in der arabischen Welt viel Unterstützung, unter anderem von Mahmoud Al Mardi, dem Kapitän der jordanischen Nationalmannschaft.
Die Glorifizierung solcher Aussagen trug dazu bei, dass der Arzt Nasser Mohamed seine Heimat Katar verlassen hat. Gegenüber der BBC schilderte er ein weiteres Problem: Katarer stammen aus einem der reichsten Länder der Welt. Mitunter hätten sie es im Asylverfahren schwer, ihre Homosexualität als Grund der Verfolgung zu beweisen. Nasser Mohamed will weiter gegen Homophobie aufklären. Er sagt, er habe dafür auch viel Zustimmung erhalten.