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Brexit
Time to say goodbye

Wenn das Vereinigte Königreich die EU verlässt, endet die Amtszeit der 73 britischen Abgeordneten im EU-Parlament. Auch Labour-Fraktionschef Richard Corbett muss nun seinen Sitz und sein Büro räumen, nach fast 25 Jahren.

Von Carolin Born | 29.01.2020
Der Labour-Fraktionschef im EU-Parlament Richard Corbett räumt sein Büro leer
Der Labour-Fraktionschef im EU-Parlament Richard Corbett räumt sein Büro leer. (Deutschlandfunk/ Carolin Born)
Richard Corbett steht zwischen braunen Umzugskartons. Fast alle sind schon voll. Der EU-Abgeordnete aus Nordengland hat ein Problem: Nur 15 solcher Kisten darf er mitnehmen. In die Kartons passen gerade mal einige Ordner hinein. Und es ist längst noch nicht alles verstaut:
"Ich gehe meine Papiere, Bücher und andere Dinge durch und miste aus, sodass alles in 15 Kisten passt. Das ist sehr schwierig. Wahrscheinlich habe ich einfach zu viele Sachen. Und dann denke ich, das will ich nicht wegwerfen, das ist interessant. Oder das behalte ich, um es später zu lesen. Aber alles kann ich nicht behalten."
Seine Bilder hat Richard Corbett schon abgehängt. An der Wand hängt nur noch ein rotes Trikot des FC Liverpool, der Fußballverein aus Corbetts Geburtsort. Das hat er vor einigen Jahren bekommen, zum 60. Geburtstag. Auch das Trikot muss abgehängt werden, denn in ein paar Tagen endet Corbetts Zeit im EU-Parlament. Übrig bleibt ein Buch, das Corbett über diese Zeit geschrieben hat. Er nimmt es in die Hand, auf dem Titelblatt stehen lobende Worte von den Großen der EU: Martin Schulz, Donald Tusk und Jean-Claude Juncker.
"Überraschenderweise heißt es 'Das Europäische Parlament'. Es wird an Universitäten in ganz Europa gelesen, mittlerweile in der neunten Ausgabe. Alles über das Europäische Parlament steht da drin, aber eine zehnte Ausgabe werde ich nicht machen, denn ich bin dann nicht mehr hier."
Von der "Quasselbude" zum Machtfaktor
Corbett zählt zu den politischen "Veteranen": 1996 kam er als Abgeordneter nach Brüssel. Damals sei das Parlament noch ein "talking shop" gewesen, erzählt er, eine Quasselbude quasi. Der Labour-Politiker aus Nordengland hat miterlebt, wie das Europaparlament durch verschiedene Vertragsänderungen immer mehr Macht bekommen hat. Nur für ein paar Jahre hatte er kein Mandat – während dieser Unterbrechung arbeitete Corbett als Berater von Herman Van Rompuy, langjähriger Präsident des Europäischen Rates.
Corbett weiß, dass sich die EU für viele Bürger sehr weit weg anfühlt. Deswegen hat er als erster Europaabgeordneter ein eigenes Blog erstellt, später eine Smartphone-App, um die Menschen über seine Arbeit zu informieren. Die EU verständlich erklären – das kann er. Mit den Gesten seiner Arme unterstreicht er dabei das Gesagte. Leiser wird Corbetts Stimme, wenn er auf den Brexit zu sprechen kommt. Dann senkt er den Blick auf seinen Schreibtisch:
"Es ist natürlich sehr traurig, dass ich den größten Teil meines Lebens darauf verwendet habe, die EU besser zu machen und meine Wähler im EU-Parlament zu vertreten und dass Großbritannien jetzt die EU verlässt."
"Es fühlt sich ein bisschen an wie eine Beerdigung"
Auch im Vorzimmer ist die Stimmung gedrückt. Dort arbeiten die drei Brüsseler Mitarbeiter von Richard Corbett. Viel Zeit zum Nachdenken bleibt ihnen nicht, einige Tage vor dem Brexit, denn es gibt noch viel zu tun – neben dem Zusammenpacken. Corbetts Beraterin Laura Ranahan schreibt gerade einen Brief an die Kommission, es geht um Fischerei.
"Ehrlich gesagt fühlt es sich ein bisschen an wie eine Beerdigung. Ich denke, Freitag wird sehr schwierig, denn es wird Wirklichkeit, wovor wir alle Angst hatten. Ich denke, für uns wird es ein sehr schwieriger Tag."
Ranahan hat Deutsch studiert, außerdem Französisch und European Studies. Sie hat sich damit auf eine Zukunft in den EU-Institutionen vorbereitet. Seit über zwei Jahren arbeitet sie im Europäischen Parlament, doch damit ist es jetzt erst mal vorbei.
"Ich werde nächsten Monat 26., leider wird mein 26. Geburtstag der erste als Nicht-EU-Mitglied sein – was auch ein bisschen weh tut."
Sie und ihre britischen Kollegen sind dann arbeitslos und erhalten eine Art Abfindungszahlung. Ranahan möchte sich eine Auszeit nehmen, um sich neu zu orientieren. Auch ihr Chef Richard Corbett weiß noch nicht, wie es bei ihm nach dem Brexit weitergeht.
Von seinem Büro im 13. Stock blickt er hinunter auf den Park Leopold mit dem prunkvollen Gebäude der Bayerischen Vertretung, weiter weg der Ministerrat; dahinter ragt die Spitze der EU-Kommission hervor. Von dort kommen die Gesetzesvorschläge ins Parlament – anders als zum Beispiel im britischen Parlament hätten die EU-Abgeordneten wirklich ein Mitspracherecht:
"Hier ist ein Vorschlag für ein Gesetz, den die Kommission einbringt, wirklich nur ein erster Entwurf. Das Parlament kann ihn dann komplett verändern. Wenn nötig Absatz für Absatz."