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Brexit-Verhandlungen
Brok: Übergangsregelung wird wahrscheinlicher

Eine Übergangsregelung werde im Zuge des Brexit unvermeidlich sein, sagte der CDU-Politiker Elmar Brok im Dlf. Es sei unwahrscheinlich, dass der Brexit 2019 komme. Zunächst müsse es Verhandlungen über einen Scheidungsvertrag geben, dann könnten Gespräche zu den Austrittsregelungen folgen.

Elmar Brok im Gespräch mit Peter Kapern | 17.07.2017
    Der Europa-Abgeordnete Elmar Brok während einer Tagung zum Thema Europa in Tutzing
    Der Europa-Abgeordnete Elmar Brok (imago / Oryk Haist)
    Peter Kapern: Eigentlich ist das Ganze zeitlich ja gar nicht mehr zu schaffen, ein umfassender Vertrag, der zunächst den Austritt Großbritanniens aus der EU regelt und dann auch noch eine neue Partnerschaft zwischen beiden Seiten definiert, und das alles bis zum Frühjahr 2019, denn dann läuft die Zwei-Jahres-Frist ab, die die EU-Verträge für den Austrittsprozess vorsehen. Kein Wunder also, dass auf der Insel schon jetzt über eine Art Interregnum diskutiert wird, über eine Art Übergangsphase vor dem endgültigen Brexit, der den Unterhändlern dann mehr Zeit verschaffen würde. Bei uns am Telefon ist jetzt Elmar Brok, CDU-Europaabgeordneter, der die Brexit-Verhandlungen für das Europaparlament begleitet. Guten Tag, Herr Brok.
    Elmar Brok: Guten Tag, Herr Kapern.
    "Die Briten müssen bereit sein, wirklich über finanzielle Verpflichtungen zu verhandeln"
    Kapern: Die Verhandlungen – das haben wir gerade gehört – sollen bis Donnerstag dauern. Wie groß müssen die bis dahin erzielten Fortschritte sein, damit man dann am Donnerstag von einer erfolgreichen Verhandlungsrunde reden kann?
    Brok: Man muss noch nichts abschließen, aber man muss das Gefühl haben, dass es in der richtigen Schiene ist. Das heißt, die Briten müssen bereit sein, wirklich über finanzielle Verpflichtungen zu verhandeln, und zwar nicht nur im Grundsatz, sondern im Detail. Und es muss insbesondere auch deutlich werden, dass der britische Vorschlag über die Bürgerrechte der Bürger, die nicht in ihrem Heimatland leben, also kontinentale Europäer, die Großbritannien leben, oder Briten, die auf dem europäischen Kontinent leben, doch so dargestellt wird, dass er eher den Vorschriften der Europäischen Union entspricht. Diese Bürger haben sich darauf verlassen, dass sie als EU-Bürger ein Residenzrecht haben mit einer Vielzahl von selbstverständlichen Rechten, die sie verlieren würden, die sie teilweise auch nur über Anträge wiederherstellen können, die sie nicht dauerhaft haben könnten, weil die Briten sagen, wir machen das auf der Grundlage des nationalen Rechts, das man natürlich wieder ändern könnte und auch nicht von einer unabhängigen Stelle wie dem Europäischen Gerichtshof überprüft werden könnte. Das sind schon sehr kritische Fragen, denn über den zweiten Vertrag, den man verhandeln muss, nämlich über ein Freihandelsabkommen aus heutiger Sicht heraus, kann man nur reden, wenn es "suffusion progress", ausreichenden, wesentlichen Fortschritt gibt in den Bereichen Bürgerrechte, finanzielle Verpflichtungen und in der nordirischen Frage.
    Kapern: Lassen Sie uns doch mal bei einem der gerade von Ihnen genannten Punkte bleiben: Die Frage, unterstehen die EU-Bürger, die künftig in Großbritannien leben, auch wenn Großbritannien kein EU-Mitglied mehr ist, weiterhin der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Warum ist das eigentlich so wichtig für die EU, dass das so ist? Denn Großbritannien hat ja bisher nicht als Unrechtsstaat von sich reden gemacht.
    Brok: Es ist immer so, dass wir eine Schiedsstelle haben müssen in Konfliktfällen. Es wird ja immer Konfliktfälle geben.
    Kapern: Aber das können ja auch britische Gerichte sein.
    Brok: Aber die britischen Gerichte legen britisches Recht aus. Und wenn Großbritannien das Recht verändert, und zwar anders, als es sich jetzt darstellt, wer hindert sie daran.
    Kapern: Und der EuGH kann Großbritannien daran hindern, das Recht zu ändern?
    Brok: Wenn das so vereinbart ist, ja. Es geht ja hier nicht über zukünftige Bürger, sondern es geht um die viereinhalb Millionen Bürger, die heute sich darauf verlassen haben, dass es dieses permanente Residenzrecht gibt, das eingehalten werden kann. Wer zukünftig nach Großbritannien zieht, hat natürlich nicht Anspruch darauf. Es geht nur um diese Leute, eine Zahl, die ja immer weniger wird.
    "Der Europäische Gerichtshof ist eines der zwei, drei wirklichen roten Tücher für die Briten"
    Kapern: Warum sträubt sich Großbritannien so dagegen?
    Brok: Das wissen wir nicht. Die Frage des Europäischen Gerichtshofs ist natürlich eine prinzipielle Frage für sie. Der Europäische Gerichtshof ist eines der zwei, drei wirklichen roten Tücher für sie. Und zum zweiten sind sie offensichtlich nicht bereit, die Rechte, die es heute gibt, auch zu garantieren. Sie machen dann einen Blumenstrauß daraus mit vielen Variationen. Für alles muss man dann einen Antrag stellen, das zu bekommen. Hier sind Fragen mit Nachzug der Bevölkerung nicht geregelt, was ist mit den jetzt geborenen Kindern, viele einzelne Fragen, die sehr ins Praktische gehen. Wir kriegen viele Briefe von britischen Bürgern, aber auch von deutschen Bürgern, die in Großbritannien leben, die ein hohes Maß an Unsicherheit haben. Das sind die Fragen auch, die mit Krankenversicherung zu tun haben, die mit sonstigen Versicherungen zu tun haben. Was ist mit ihrer Gleichstellung im sozialen Bereich und im beruflichen Bereich mit britischen Bürgern, wie Briten das auch in Deutschland haben. Insofern ist das alles eine Verschlechterung, was sie bisher angeboten haben, zum gegenwärtigen Status und wir möchten, dass für diese Gruppe von Bürgern der heutige Status erhalten bleibt.
    "Es gibt eine Reihe von Punkten, die man jetzt nüchtern wie bei einer Scheidung auseinanderrechnen muss"
    Kapern: Zweiter Punkt: Das Geld. Bis zu 100 Milliarden Euro sollen die Briten bezahlen. Das ist eine Zahl, die in Brüssel kursiert. Die EU hat sich selbst überhaupt noch nicht festgelegt, wieviel Geld da fließen soll. Der britische Außenminister Boris Johnson, der stellt sich ins Unterhaus und macht Kalauer darüber. Ist das eine, sagen wir mal, marktübliche Feilscherei, die wir da gerade erleben, oder ist das wirklich ein Streitpunkt mit Sprengkraft?
    Brok: Dies ist eine sehr wichtige Frage und dies muss Großbritannien auch grundsätzlich anerkennen. Dadurch, dass sie jetzt sich bereit erklärt haben, in der letzten Runde darüber zu reden, schließe ich, dass sie das ernsthaft machen wollen. Es wäre falsch von uns, jetzt diese Zahlen 60 oder 100 Milliarden, die da in der Welt sind, zu Beginn auf den Tisch zu legen, sondern man muss sich einigen über die Punkte, um die es geht, und dann muss man feststellen, welche Zahl am Ende da ist. Die Briten haben natürlich auch Anspruch auf einiges, was sie zurückbekommen, etwa ihre Einlage in die Europäische Zentralbank. Aber da geht es darum, welche Verpflichtungen sie aus der heutigen mittelfristigen Finanzplanung eingegangen sind für Projekte, auch Dinge, die über 2020 hinausgehen. Das heißt, wer mit bestellt muss auch mit bezahlen. Da geht es um die Pensionsverpflichtungen. Wenn EU-Beamte 45 Jahre lang auch für Großbritannien arbeiten, meinen wir, müssen die Briten sich fairerweise an den Pensionen dieser Gruppe von Menschen beteiligen. So gibt es eine Reihe von Punkten, die man jetzt nüchtern wie bei einer Scheidung auseinanderrechnen muss.
    "Wir brauchen zweieinhalb Vereinbarungen"
    Kapern: Ich habe ja eingangs beschrieben, wie groß der Zeitdruck ist, der auf diesen Verhandlungen lastet. Nun wird da in London die Idee einer Übergangsregelung ventiliert. Was halten Sie davon?
    Brok: Ja, die wird unvermeidlich sein. Wir müssen sehen, wir brauchen zweieinhalb Vereinbarungen. Einmal ist es der Scheidungsvertrag, über den wir jetzt konkret reden, und diese drei Punkte, die wir jetzt besprochen haben, sind einer dieser Punkte. Aber da ist ja eine Vielzahl anderer Fragen. Das muss bis zum 29. März 2019 unter Dach und Fach sein. Das muss im Europäischen Parlament und in Westminster ratifiziert sein. Sonst haben wir die Briten raus, ohne jede rechtliche Reglung, und das wird sehr teuer. Aber diese Freihandels-Vertragsverhandlungen, die dann vielleicht in diesem Winter und wenn Fortschritte da sind beginnen können, werden ja nach aller Erfahrung sehr viel länger dauern. Deswegen muss es zwischen dem Eintritt dieser neuen Regelung und dem Austritt eine Übergangsregelung geben, damit nicht Knall auf Fall der Bruch da ist, dass beispielsweise schon Zölle gezahlt werden müssen und all solche Fragen, und das scheint mir ein wichtiger Punkt zu sein, dass man dafür diese Regelungen braucht.
    Kapern: Das heißt aber, die britische Regierung muss ihren Bürgern noch verklickern, dass der Brexit gar nicht 2019 kommt.
    Brok: In vielen ökonomischen Fragen ja, das muss sie verklickern, damit der Bruch nicht so groß kommt. Und auch hier sind wir wieder bei der Frage, welche Rolle spielt der Europäische Gerichtshof und wer sichert das ab. Das ist ja auch im Verhältnis zu Norwegen und solchen Ländern, die ja im Binnenmarkt drin sind, dass eine letzte Entscheidung beim Europäischen Gerichtshof ist. Es muss immer in solchen Fragen im internationalen Bereich eine Schiedsstelle im Falle von Konflikten geben.
    Kapern: … sagt Elmar Brok, der im Auftrag des Europaparlaments als Abgeordneter die Brexit-Verhandlungen beobachtet und begleitet. Herr Brok, danke für das Gespräch heute Mittag. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.
    Brok: Ich danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.