Dienstag, 19. März 2024

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Britische Wissenschaft
Die Folgen des Brexit für die Forschung

Was der EU-Austritt am 31. Januar 2020 für die Wissenschaftler und die Universitäten in Großbritannien bedeutet, das ist schwer vorherzusagen. Auswirken wird sich der Brexit - ob am Ende "hart" oder "weich" - in jedem Fall. Und vielleicht sogar positiver als von vielen orakelt.

Moderation: Uli Blumenthal | 26.01.2020
Blick auf das historische Gebäude des New College der University of Edinburgh, dahinter ein grauer Wolkenhimmel.
"Die Universität von Edinburgh hat Bürgerkriege und Hungersnöte überlebt. Wir werden auf jeden Fall auch den Brexit überleben", sagt Peter Mathieson, Rektor der Universität (imago / Renzo Frontoni)
Der Brexit kommt, und viele elementar wichtige Fragen sind noch völlig ungeklärt: Wie werden Aufenthaltsstatus und Arbeitsmöglichkeiten für Forscherinnen und Forscher geregelt - sowohl für EU-Bürger in Großbritannien als auch für britische Bürger in der Europäischen Union? Fest steht: Fördermittel aus Brüssel beispielsweise dürften für britische Universitäten und Forschungsprojekte in Zukunft schwieriger zu bekommen sein.
100 Milliarden Euro im Fördertopf

Schon beim laufenden europäischen Forschungsrahmenprogramm "Horizon 2020" ist die Beteiligung britischer Institute, Universitäten und Forscher in den letzten Jahren zurückgegangen. Das geplante Nachfolgeprogramm "Horizon Europe" könnte bei den Verhandlungen zwischen EU und Großbritannien über die Ausgestaltung des Brexit zum Druckmittel werden.

Europas Forschung und der Brexit - Beitrag von Peter Kapern (04:44)
Finanzielle Kompensation vom britischen Staat?
Premierminister Boris Johnson hat versprochen, dass die britische Regierung mögliche Ausfälle ersetzt. Aber: Kann man dieser Zusage vertrauen? Wird der wissenschaftliche Standort England durch den EU-Austritt wirklich an Attraktivität verlieren?
Die Frage ist auch, was nach dem Brexit mit EU-finanzierten Projekten und Forschungskooperationen geschieht. Britische Universitäten strecken deshalb verstärkt ihre Fühler zu Universitäten und Forschungsorganisationen auf dem Festland aus. Und deutsche Universitäten nutzen die Gunst der Stunde, um Allianzen zwischen britischen und deutschen Forschungseinrichtungen aufzubauen oder zu vertiefen.
"Never waste a good crisis"

Vivienne Stern von der britischen Hochschulrektorenkonferenz ist traurig über den Brexit - mit der nun erwachten Aufmerksamkeit für die Bedeutung der wissenschaftlichen Zusammenarbeit seien aber auch Chancen verbunden. Britische Industrievertreter sind noch pragmatischer, was die Absatzchancen für britische Produkte angeht: Der chinesische Markt könnte in Zukunft wichtiger sein als die EU.

Wie sehr schadet der Brexit der britischen Wissenschaft? - Beitrag von Sandra Pfister (05:19)
Prof. Dr. Steffen Huck vom WZB im DLF-Studio in Berlin 
Prof. Dr. Steffen Huck, Direktor der Abteilung "Ökonomik des Wandels" am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (Uli Blumenthal)
Sorge um den Arbeitsplatz
Steffen Huck, Direktor der Abteilung "Ökonomik des Wandels" am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), aber auch seit 2003 Professor für Ökonomie am University College London, ist von den Brexit-Unsicherheiten selbst ganz persönlich betroffen:
"Ich bin Pendler zwischen Berlin und London - und darüber ist momentan relativ wenig zu erfahren, wie Pendler behandelt werden. Mein englischer Arbeitgeber geht davon aus, dass Pendler nicht beeinträchtigt werden, dass ich weiter meinen Job machen kann. Aber hundertprozentig klar ist das nicht. Das heißt, ich muss durchaus in meinem Hinterkopf die Möglichkeit sehen, dass ich meinen Arbeitsplatz in London verlieren kann."
Kerngeschäft der britischen Universitäten bedroht
Der Verlust von EU-Fördermitteln könnte an britischen Hochschulen besonders kritische Auswirkungen haben, fürchtet Steffen Huck. In Deutschland sei das Kerngeschäft einer Universität durch den Haushalt grundfinanziert. Wenn Drittmittel wegfielen, müssten lediglich ganz bestimmte Projekte wieder entfallen. Anders in Großbritannien:
"In England werden Mittel, die man plötzlich durch Drittmittel bekommt, reinvestiert, und es werden neue Leute eingestellt. Das bedeutet dann natürlich, im Prinzip ist der Businessplan darauf aufgebaut, dass dieser Strom von Einkommen nicht versiegt."
Spitzenunis möglicherweise besonders betroffen
Auch wenn die britische Regierung eventuell wegfallende EU-Mittel tatsächlich kompensieren würde - die Neuverteilung der Gelder könnte unliebsame Folgen gerade für Spitzen-Universitäten in Großbritannien haben, vermutet Huck:
"Das Funding von den englischen 'Research Councils' ist zum Teil Exzellenz-getrieben, aber auch immer ein bisschen geostrategisch. Das heißt, man will irgendwie vermeiden, dass sich zu viel Geld an zu wenigen Orten konzentriert."
Chance für EU-Hochschulen auf hochkarätiges Personal
Ist die Brexit-Unsicherheit vielleicht eine Chance für europäische Hochschulen, ihre Exzellenz durch das Anwerben von besonders hochkarätigem Personal zu schärfen? In der deutschen Hochschulpolitik sieht Huck momentan wenig Bereitschaft zu entsprechender Initiative, trotz der guten Gelegenheit:
"Man muss sagen, momentan ist die Stimmung schlecht bei vielen Kollegen, und die Rahmenbedingungen für einen 'Beutefeldzug' wären durchaus da. Wenn man momentan Kollegen Angebote macht, vernünftige Angebote nach Deutschland zu kommen oder zurück in ihre Heimat nach Europa zu kommen, wären überdurchschnittlich viele momentan gewillt, das zu tun."
Unternehmergeist erhalten für europäische Forschung
Letztlich aber hofft Steffen Huck, dass die vielfältigen Verbindungen in der europäischen Forschungslandschaft auch nach dem Brexit so weit wie möglich erhalten bleiben. In britischen Forschungseinrichtungen herrsche ein besonderer Unternehmergeist und die Bereitschaft, auch einmal höhere Risiken einzugehen:
"Und ich glaube, dass deshalb schon ein großer Verlust wäre, wenn diese Kultur nur noch auf der Insel gepflegt würde und nicht in diesen großen gemeinsamen Projekten, wie Horizon sie finanziert, auch ein bisschen überspringt auf die Kollegen auf dem Kontinent."