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Brüderle: Eurobonds bedeuten Zinssozialismus

Die FDP hat ihre ablehnende Haltung zu Eurobonds bekräftigt. Mit der Einführung von EU-Anleihen würde man die Schuldenlasten anderen aufbürden, sagte FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle. Außerdem verliere mit den gemeinsamen Anleihen der Zins seine Lenkungsfunktion.

Silvia Engels sprach mit Rainer Brüderle | 23.05.2012
    Silvia Engels: Was steckt eigentlich hinter dem Wort "Wachstumsimpuls"? Alle Politiker wollen sie setzen, doch wenn man genauer hinschaut, versteht fast jeder etwas anderes darunter. Bundeskanzlerin Merkel will Wachstumsimpulse setzen, indem sie Arbeitsmarkt- und Strukturreformen mit einer Sparpolitik kombiniert, der neue französische Staatspräsident Hollande will dagegen Konjunkturprogramme ins Spiel bringen, um dem Wachstum auf die Sprünge zu helfen. Beide Meinungen treffen heute beim EU-Sondergipfel in Brüssel aufeinander. Am Telefon ist nun Rainer Brüderle. Er ist der Chef der FDP-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Herr Brüderle.

    Rainer Brüderle: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Seit Jahren sind Sie ja einer der entschiedensten Gegner von Eurobonds und nun hat der neue französische Präsident Hollande mehrfach angekündigt, sie auf jeden Fall zu fordern. Raufen Sie sich schon die Haare, dass das wieder hochkommt?

    Brüderle: Nein. Es ist ja an sich Unfug. Sie können sich das ganz einfach an einem praktischen Beispiel vorstellen. Wenn die örtliche Sparkasse zwei Kunden hat, einer, der kurz vorm Konkurs steht, der andere, der einen sehr geordneten Handwerksbetrieb hat, Immobilien hat, Besitz hat, und beide sollen den gleichen Zins zahlen, das ist Zinssozialismus, das sind Eurobonds. Also ich bin generell gegen Bonds. Außer mit James Bond habe ich mit Bonds nichts im Sinn.

    Engels: Monsieur Hollande kennt alle diese Argumente, aber er will die Eurobonds trotzdem. Und jetzt?

    Brüderle: Ja gut, das ist ja legitim, es zu fordern. Man muss es deswegen ja nicht machen. Er hat ja im Wahlkampf große Versprechungen gemacht und jetzt sind noch die Wahlen in Frankreich am 10. und 17. Juni zur Assemblée Nationale, zum Parlament, praktisch zur Nationalversammlung. Deshalb wird es davor keine Bewegung geben. Aber man kann ja nicht zwangsweise, nachdem man schon den Bail-out hat – das heißt, dass der eine nicht für den anderen die Schulden übernehmen soll -, was ja schon ein Stück beschädigt ist, zusätzlich noch dazu führen, dass man die Zinslasten den anderen überbürdet. Außerdem: der Zins verliert dann seine Lenkungsfunktion, das ist ja ein Marktpreis, und wenn der gleichgeschaltet wird, eine Art, ich sage es noch mal, Zinssozialismus, dann ist die Steuerungsfunktion ja weg. Das sind Überlegungen, die einfach nicht sinnvoll sind.

    Engels: Das sind wirtschaftliche Argumente. Daneben gibt es aber auch die politische Ebene. Früher konnte sich ja die Bundesregierung sicher sein, dass Paris in Form von Nicolas Sarkozy die Kanzlerin in der Abwehr von Eurobonds unterstützt. Das ist nun anders. Wird es langsam zu einsam um die deutsche und auch österreichische Abwehr von Eurobonds, um das noch gegen die anderen Europäer durchzuhalten?

    Brüderle: Das glaube ich nicht. Auch die Freundschaft mit Frankreich ist ja schon viel zu tief gehend und zu bewährt, dass sie jetzt bei einem politischen Machtwechsel gefährdet wird. Nein, man wird schon vernünftige Regelungen miteinander finden müssen. Und was richtig ist, ist der Gedanke, dass man ja auch durch etwa Strukturreformen, durch Abbau von Hemmnissen des Binnenmarktes Wachstumseffekte zusätzlich auslösen muss und auch will. Wir sind ja die Wachstumslokomotive in Europa. Auch die OECD hat ja gerade Japan, die USA und Deutschland als die Hoffnungsträger für eine gute Entwicklung apostrophiert. Wir müssen einen vernünftigen Kurs beibehalten, andere dafür gewinnen. Das Ringen wird dabei sein, aber den Versuch gab es immer wieder, zulasten anderer die eigenen Probleme zu lösen, aber das ist dann keine faire Gemeinschaft. Deshalb wird man hier offen miteinander reden, man wird sicherlich Wachstumsmaßnahmen hinzufügen, aber es dürfen keine schuldenfinanzierten Konjunkturprogramme sein. Deren Strohfeuereffekt hat sich ja in der Vergangenheit immer wieder gezeigt. Wir müssen was mit Hand und Fuß in Europa machen und ich glaube schon, dass man Frankreich dazu gewinnen kann.

    Engels: Auf das Thema Wachstum kommen wir gleich noch zu sprechen. Aber es ist ja nicht nur allein der französische Präsident; auch der italienische Ministerpräsident, die EU-Kommission, sie alle verlangen die schrittweise Einführung von Eurobonds, auch die Briten. Rollt da ein europäischer Zug auf den deutschen Zug der Konjunkturlokomotive zu, der nicht mehr zu stoppen ist?

    Brüderle: Das glaube ich nicht. Die Briten haben ja nicht mal den Euro, aber machen gute Ratschläge, was wir mit dem Euro machen sollen, selbst bleiben sie draußen. Das passt ja auch nicht zusammen. Ich schließe auch nicht aus, wenn man den Fiskalpakt, also gleiche Regeln, wie man mit dem Haushalt umgeht, die Schuldenbremse umgesetzt hat, wenn man eine stärkere Kohärenz von Zusammenwirken und Gleichklang in der europäischen Wirtschaftspolitik erreicht hat, dass am Schluss einer Entwicklung so etwas stehen kann. Aber das kann nicht in einer Phase derzeit sein, wo die Differenzen ja extrem sind zwischen den Zinssätzen. Dahinter steht nichts anderes, als sich zulasten anderer, die es besser gemacht haben, seiner Schuldenlast zu erleichtern. Das ist letztlich nur ein Verteilungskampf. Da muss man in der Sache hart und deutlich bleiben. Es ist nicht unsere Aufgabe, jeden Tag von den europäischen Freunden gelobt zu werden. Unsere Aufgabe ist, dass Europa sich richtig strukturiert in der Welt. Wir sind nicht mehr im europäischen Zeitalter, zwei Drittel des weltweiten Wirtschaftswachstums sind Schwellenländer, China, Indien, Brasilien, Russland. Europa muss es richtig umbauen. Europa ja, aber in den richtigen Strukturen und nicht kurzfristige Effekte, damit man sich vor notwendigen Reformmaßnahmen und Anpassungsprozessen national drücken kann.

    Engels: Die EU hat ja gestern aber auf den Weg gebracht, dass in einem Pilotprojekt sogenannte "Projektanleihen" aufgelegt werden. Das ist testweise die Ausgabe einer Art europäischer Schuldscheine durch die EU-Kommission, bei denen Investoren geworben werden sollen, so Geld in gemeinsame europäische Investitionsprojekte zu stecken. Aber ist das mit dieser Art von Schuldverschreibungen nicht der Einstieg zu Eurobonds durch die Hintertür?

    Brüderle: Na ja, versuchen wird man es immer wieder. Aber es sind ja Unterschiede, ob man quasi gemeinschaftliche Anleihen auflegt, wo alle für bürgen, wir für Italien bürgen, für Griechenland bürgen und für die anderen, obwohl wir keine Gestaltungshoheit haben über das, was sie dort machen. Das kann einfach nicht sinnvoll sein. Ich erinnere an mein Beispiel mit der Sparkasse, wenn unterschiedliche Schuldner dastehen. Etwas anderes ist es, wenn die Europäische Entwicklungsbank, die EIB, wenn die Europäische Investitionsbank, wenn die Projekte macht. Die hat ja eine Kapitalausstattung und die wird wie andere Banken auch Geld wo aufnehmen. Aber das hat mit den Eurobonds, dem Gedanken, dass hier gesamtschuldnerisch alle für die Schulden der anderen europäischen Länder haften, nichts zu tun. Ich glaube, das ist auch deshalb ein gefährliches Instrument: Wenn man das einmal offen breiter diskutiert bei der Bevölkerung, dann ist die Gefahr sehr groß, dass Vertrauen in die Euro-Entwicklung, in die europäische Entwicklung nicht gestärkt, sondern beschädigt wird, und Vertrauen ist das Entscheidende, damit andere Länder, die schwach sind, am Kapitalmarkt sich finanzieren können. Vertrauen ist entscheidend für Wachstum, für Investitionen. Wenn die Menschen, die Unternehmen, die Mittelständler kein Vertrauen in die Entwicklung haben, dann wird die Wirtschaft nicht stärker in Gang kommen in den anderen Ländern. Und eine solche Maßnahme, die die Strukturen einfach wegwischt, wo man sagt, wir schütten da Geld drüber und die Deutschen und andere haften für jede andere politische Entscheidung in anderen Ländern, ist kein realer Ansatz, sondern der Versuch, sich aus Strukturreformen herauszumogeln, von anderen Ländern, aber kein fairer realistischer Aufbau des neuen Europas.

    Engels: Herr Brüderle, Sie wollen, wenn Sie Wachstum sagen, vor allen Dingen für Strukturreformen werben. Gestern dämpfte auch die OECD die Konjunkturerwartungen für Europa und warnte vor einer Rezession. Strukturreformen am Arbeitsmarkt oder bei Liberalisierungen brauchen Zeit. Haben wir noch so viel Zeit, oder muss die Politik jetzt doch mit einem schnelleren Konjunkturprogramm wieder handeln?

    Brüderle: Nein. Konjunkturprogramm heißt doch wieder, Liquidität auflegen, Schulden aufnehmen, irgendwelche Bauprojekte auf den Weg bringen. Das kennen wir auch national mit deutschen Maßnahmen, die zeitlich verzögert wirken. Bauen wirkt dann, wenn wir wieder eine Hochkonjunktur haben. Das ist der falsche Ansatz. Es gibt einen perfekten Plan, den Monti-Plan. Der italienische Ministerpräsident hat damals im Auftrag der Europäischen Kommission – da war ich selbst noch Vertreter Deutschlands im Wettbewerbsrat der EU-Länder – ein Konzept vorgelegt, wie wir in der Tat durch schnellen Abbau von Barrieren bei öffentlichen Ausschreibungen, von noch Resten von Protektionismus in Europa Wachstumseffekte in der Größenordnung von zwei bis zweieinhalb Prozent reales Wachstum pro Jahr auslösen können. Das ist der richtige Weg.

    Engels: Und das geht auch schnell genug?

    Brüderle: Das kann schnell genug gehen. Sie können sehr schnell Ausschreibungen verändern, Sie können sehr schnell Barrieren abmachen, das kann man mit Verordnungen, mit Gesetzen quasi über Nacht machen, um damit neue Impulse auszulösen. Ich sage es mal ganz banal: Wenn Sie einem Alkoholiker noch eine Kiste Whisky geben, hat er zwei schöne Abende, aber danach ist er noch schwächer und noch mehr lädiert. Deshalb: Wir müssen es realistisch machen und nicht versuchen, solche Rezepte von vorgestern, die schon x-mal probiert und als falsch sich erwiesen haben, wieder recyceln. Neues Denken, Mut, heranzugehen und sich endlich mal auf einen Reformkurs zu bewegen, mit schnellen, mittelfristigen und längerfristigen Maßnahmen, das schafft Vertrauen, das schafft auch Reformprozesse, wie andere Länder oft gezeigt haben. Und das ist wieder so eine Debatte wie immer, wenn es wehtut, dann sucht man irgendwie eine Illusion nach dem Motto, wasch mich und mach mich nicht nass. Aber so billig kann man Europa nicht starkmachen.

    Engels: Aber dass es wehtut, das merkt man gerade an den Griechen. Dort läuft die Zeit auch davon. Heute sollen zum Beispiel griechische Banken 18 Milliarden Euro zur Rekapitalisierung bekommen, abgesichert durch den Europäischen Stabilisierungsfonds. Zeigt das, dass die Banken aufgrund der Krise nun kippen?

    Brüderle: Es ist sicherlich eine kritische Lage in Griechenland, aber Griechenland erlaubt sich auch, in der schlimmsten Phase dann Wahlen durchzuführen. Das ist ihre Entscheidung. Aber sie müssen sich auch jetzt bei den weiteren anstehenden Wahlen jetzt am 17. Juni entscheiden, was will Griechenland. Es ist deren nationale souveräne Entscheidung, wollen sie weiter Geld verschleudern, Reformen stoppen, dann führt der Weg klar zur Drachme, oder machen sie Sparen plus Strukturreformen, Wachstumsprozesse, dann geht es in die Euro-Zukunft hinein. Man kann auch dort nicht, wie der Vorsitzende der Linkspartei dieser Tage in Berlin darstellt, ja wir wollen den Euro, aber sparen wollen wir nicht, Reformprozesse wollen wir auch nicht, es soll alles so schön bleiben, wie es ist und die anderen sollen das Geld schicken. Das ist zu primitiv, das ist durchsichtig, das ist kurzfristiger Populismus, damit führt man ein Land in die Irre.

    Engels: CSU-Generalsekretär Dobrindt warnt heute in der "Bild"-Zeitung, wenn bei den Neuwahlen in Griechenland Kommunisten oder Radikale gewinnen würden, sei das Raus aus dem Euro unvermeidlich. Hat er recht?

    Brüderle: Ich würde es so nicht formulieren. Wir sind nicht die Oberlehrer der Griechen. Nur die Griechen haben die Entscheidung. Wenn sie Reformen nicht anpacken, wenn sie Zusagen weiter nicht einhalten, wenn sie Verträge brechen – rechtsstaatlich kann sich Europa nur entwickeln -, dann werden sie es nicht durchhalten, im Euro zu bleiben. Aber die Entscheidung liegt in Athen, nicht in Berlin, und wir sind nicht die Oberlehrer der Griechen. Sie müssen wissen, was sie entscheiden. Die Wähler sind volljährig in Griechenland.

    Engels: Am Telefon war Rainer Brüderle. Vielen Dank für das Gespräch an den FDP-Bundestagsfraktionschef.

    Brüderle: Vielen Dank.

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