Donnerstag, 25. April 2024

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Budgetentwurf aus Rom
"Gefährlich für Italien und für die Eurozone"

EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger fordert von Rom die Vorlage eines neuen Haushaltsentwurfs, der den Zusagen entspricht und der nicht 2,4 Prozent an neuen Schulden vorsieht. Dies sei bislang aber nicht geschehen. Für Italien und für die Eurozone insgesamt sei das gefährlich, sagte Oettinger im Dlf.

Günther Oettinger im Gespräch mit Christine Heuer | 05.12.2018
    Das Bild zeigt EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger (CDU).
    Bei der Europäischen Union sei noch kein neuer italienischer Etatentwurf eingegangen, sagte EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger im Dlf (picture alliance / dpa / Sophia Kembowski)
    Christine Heuer: Angekündigt war er für gestern Abend, der neue Haushalt der italienischen Regierung. Änderungen, mit denen die Links-Rechts-Koalition in Rom die Europäische Kommission besänftigen wollte, oder noch besänftigen will. Denn die droht ja wegen der hohen italienischen Verschuldung mit einem Strafverfahren. Und vielleicht weiß die Kommission ja schon mehr als wir, denn noch hat Italien der Öffentlichkeit keinen neuen Haushaltsentwurf präsentiert. Am Telefon jetzt EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger. Guten Morgen.
    Günther Oettinger: Guten Morgen
    Heuer: Wissen Sie denn schon, ob und wie Rom seinen Etatentwurf noch einmal verändern möchte?
    Oettinger: Ich war gestern selbst bei den Haushaltsberatungen für den europäischen Haushalt bis kurz vor 23 Uhr. Aber wir haben in der Zeit den Eingang eines neuen Entwurfs nicht erlebt. Das heißt, wir glauben, dass die italienischen Freunde noch daran arbeiten, und hoffen darauf, dass denn heute ein Entwurf kommt, der den Kriterien aller Eurozonenländer entspricht.
    Heuer: Bis wann geben Sie den italienischen Freunden denn Zeit dafür? Nur noch bis heute?
    Oettinger: Nein. Da geht es nicht um ein, zwei Tage. Da geht es um den Grundsatz, dass wir einen Haushalt, der gegen alle Zusagen von allen Regierungen und gegen alle Stabilitätskriterien verstößt, nicht akzeptieren können.
    Auf einer viel zu hohen Wachstumsprognose aufgebaut
    Heuer: Matteo Salvini hat ja Ende November schon mal gesagt, 0,2 Prozent Schulden weniger seien eigentlich kein Problem. Das ist jetzt kein wörtliches Zitat, aber paraphrasiert. Würde Ihnen das ausreichen, Herr Oettinger?
    Oettinger: Es geht hier um ein Paket, das in der Gesamtbetrachtung nicht ungefährlich ist. 2,4 Prozent sind das eine und auch 2,2 Prozent wäre gegen alle Zusagen. Aber aufgebaut auf einer viel zu hohen Wachstumsprognose. Italien hat nicht 1,5, 1,8 Prozent Wachstum im nächsten Jahr, sondern unter einem Prozent. Aufgebaut auf Risiken bei den Banken Italiens und aufgebaut auch Rückreformen, das heißt die richtigen Schritte der Regierungen von Monti, Letta, Renzi, Renzi, Gentiloni sollen ja in Teilen rückabgewickelt werden. In der Gesamtbetrachtung ist das Ganze gefährlich für Italien und für die Eurozone insgesamt.
    Heuer: Aber es ist doch die Sache der Italiener, darüber zu entscheiden, welche Politik die machen wollen.
    Oettinger: Ja, aber im Rahmen dessen, was eine gemeinsame Währung für alle Teilnehmer der Währung an Regeln geschaffen hat. Wir haben nicht mehr den Lira und wir haben nicht mehr die D-Mark. Wir haben den Euro von Sizilien bis nach Flensburg und deswegen müssen wir alle im Interesse aller gemeinsam darauf achten, dass wir solide in unseren Haushalten wirtschaften.
    Heuer: Aber andere Staaten, Herr Oettinger, das wird ja auch in dem Zusammenhang immer wieder gesagt und ich sage das jetzt auch noch mal, andere Staaten haben jahrelang gegen alle möglichen Regeln verstoßen und sind nicht so hart angegangen worden von der Kommission. Da ist immer noch mal ein Auge zugedrückt worden, in Frankreich zum Beispiel.
    Oettinger: Aber all diese anderen Staaten, mit Ausnahme Griechenlands, haben in der Gesamtverschuldung eine weit bessere Situation. Die Franzosen haben weniger als 100 Prozent Schulden, Italien mehr als 130 Prozent Schulden.
    "Italien hat in all den Jahren den Kriterien zugestimmt"
    Heuer: Liegt aber beides über 60 Prozent, und nur die sind erlaubt.
    Oettinger: Das stimmt. Deswegen legen wir darauf Wert, dass die Gesamtverschuldung in Frankreich nicht mehr steigt, was sie auch nicht mehr tut, sondern jetzt langsam zu sinken beginnt. Da mag man über das Tempo streiten, aber die Richtung stimmt. Und in Frankreich ist die Wirtschaft durch Reformen im Prinzip besser aufgestellt als in Italien. Oder ein anderes Beispiel. Es war Deutschland, das als erstes Land die Währungskriterien mit 60 Prozent und mit drei Prozent pro Jahr nicht mehr eingehalten hat. Aber das war dann mit der Regierung Schröder/Fischer. Die haben eine Agenda-Politik gehabt, die haben Reformen gemacht, von denen hat der Wirtschaftsstandort und die Arbeitsmarktlage in Deutschland bis heute profitiert.
    Heuer: Aber das sind doch trotz allem alles sehr relative Kriterien, die Sie da anlegen, wenn alle gegen die Regeln verstoßen und die Europäische Kommission sagt dann, aber Italien verstößt uns zu sehr gegen die Regeln. Warum sind Sie gerade mit Rom so streng?
    Oettinger: Weil 132 Prozent ist bei weitem ein sehr, sehr hoher Wert der Gesamtverschuldung, weil Italien eine große Volkswirtschaft ist, die mehr als alle anderen Länder, wie Griechenland, Zypern oder Portugal oder Irland, die gesamte Europäische Union in Gefahr bringen können, und weil es um Reformen geht, die richtig waren, die zu wenig waren, aber richtig waren und jetzt in Teilen rückabgewickelt werden sollen.
    Heuer: Aber noch mal. Die Rückabwicklung einer Politik ist das Vorrecht einer neuen Regierung in jedem Nationalstaat und viele Italiener fühlen sich jetzt sehr fremdbestimmt von Brüssel. Die bringen Sie gegen die Europäische Union auf. Ist es das wert?
    Oettinger: Italien wollte mit damals schon nicht ganz solider Haushaltsstruktur unbedingt in den Euro. Dies wurde möglich gemacht. Italien hat in all den Jahren den Kriterien zugestimmt. Italien hat mit einer Regierung noch im Frühjahr zugesagt, nur 0,8 Prozent neue Schulden zu machen, nicht 2,4 Prozent.
    "Auch die Pflichten übernehmen"
    Heuer: Die Vorgängerregierung.
    Oettinger: Aber es gilt auch hier die Kontinuität. Man muss sich immer an den Vorgängern messen lassen. Man muss vom Vorgänger die guten Seiten, aber auch die Pflichten übernehmen. Man kann nicht einfach alles über Bord geben, ohne mit Europa zu verhandeln.
    Heuer: Aber verhandelt wird ja und verhandelt wird ja auch über eine Reform der Eurozone. Da sind wir gestern einen großen Schritt weitergekommen. Die Banken sollen besser abgesichert werden. So hat es der deutsche Finanzminister gestern gesagt. Für Länder, denen es ganz gut geht, die aber Schwierigkeiten bei der Kreditaufnahme haben, soll es Hilfen geben. Hilft das alles nicht auch, dass man den Italienern zur Not unter die Arme greifen kann?
    Oettinger: Ich glaube, die Minister haben gestern im Finanzministerrat namentlich der Eurozone einen wichtigen Etappenschritt gemacht – nicht mehr, nicht weniger. Das hat Olaf Scholz gleich verdienstvoll auch vermittelt. Es geht darum, dass Großbanken, wenn sie abgewickelt werden müssten, bisher den Staaten anheimgefallen sind. Mit dem gestrigen Schritt eines sogenannten Backstop, eines letzten Schrittes, eines Fonds zur Bankenabwicklung wird das Risiko von Großbanken für die Allgemeinheit, den Bürger, den Steuerzahler deutlich verringert.
    Zweitens haben wir für Länder, die unverschuldet in eine Krise geraten, Darlehen vorgesehen, die die ESM-Fachbehörde ausreichen können. Aber es geht darum, dass es ein Schock ist, in den ein Land unverschuldet gerutscht ist.
    Heuer: Für Italien würde das jetzt gerade ausgerechnet nicht gelten aus Ihrer Sicht?
    Oettinger: Das kann für alle Länder gelten. Wenn es einen Austritt von Großbritannien ohne ein Abkommen gibt, könnte Irland in einen derartigen Prozess geraten. Wenn zwischen den baltischen Ländern und Russland sich die Lage verschärfen sollte, was ich nicht hoffe und glaube, wäre dies ein realistischer Fall. Wenn es je im Mittelmeer zu schlimmen Entwicklungen in Sachen Migration kommt, oder wenn Italien von vielen Erdbeben getroffen wäre, von Katastrophen getroffen wäre, dann könnte man so helfen.
    "0,8 waren vereinbart"
    Heuer: Aber die Regierung, die da in Rom regiert, die sehen Sie nicht als eine solche Katastrophe an, dass Sie sagen würden, das ist jetzt unverschuldet?
    Oettinger: Nein. Diese Regierung hat eine Mehrheit im Parlament. Die kommt von einer Mehrheit der italienischen Wahlberechtigten. Und wir respektieren demokratisch gewählte Regierungen ohne jeden Einschnitt und ohne jede Einschränkung.
    Heuer: Aber Sie wären nicht dafür, Italien jetzt mit den neuen Möglichkeiten, die die Finanzminister gestern beschlossen haben, unter die Arme zu greifen, wenn es wirklich in Not geriete?
    Oettinger: Wenn eine Bank, egal wo, in Italien, Frankreich, Deutschland, in Not geriete, würde der ESM prüfen, ob er bei der Abwicklung mit seinen Mitteln und einem Fonds helfen kann und damit das Risiko vom Bürger und Steuerzahler und von den ganz normalen Bankkunden wegnehmen kann. Wenn es wie gesagt, wie wir es öfter hatten, zu Erdbeben kommt und der europäische Haushalt überfordert wäre, kann man auch daran denken, dass hier bei derartigen außerordentlichen Schocks der ESM helfen könnte und Darlehen gibt.
    Heuer: Aber nun fordern Sie ja, dass Italien seine Politik ändert. Können Sie noch einmal sagen: Was genau erwarten Sie jetzt an Änderungen für diesen italienischen Haushalt?
    Oettinger: Wir erwarten kurzfristig, denn 2019 ist in wenigen Tagen, einen Haushaltsentwurf, der den Zusagen entspricht und der nicht 2,4 Prozent an neuen Schulden vorsieht.
    Heuer: Sondern 0,8?
    Oettinger: 0,8 waren vereinbart.
    "Erfahrung in Sachen Wirtschaftspolitik gefordert"
    Heuer: Herr Oettinger, lassen Sie uns noch sprechen über die deutsche Politik, über die CDU, ihre Partei. Die wählt jetzt am Wochenende, am Freitag einen neuen Vorsitzenden oder eine neue Vorsitzende. Sie haben sich klar für den Kandidaten Friedrich Merz ausgesprochen. Was kann der denn besser als die zweite aussichtsreiche Kandidatin Annegret Kramp-Karrenbauer?
    Oettinger: Wir haben drei sehr gute Kandidaten. Wir hatten einen fairen Wahlkampf, der für die CDU eine ganz klare Stärkung bedeutet. Wir – und das ist mein Argument – werden in wirtschaftlich schwierige Zeiten gehen. Die Lage trübt sich ein, wir haben Risiken in der Welt und in Europa selbst auch. Und da ist Erfahrung in Sachen Wirtschaftspolitik gefordert, in Sachen Arbeitsmarktpolitik gefordert.
    Heuer: Und da ist jemand von BlackRock besser als die ehemalige saarländische Ministerpräsidentin?
    Oettinger: Nein, da ist jemand gut, der fünf Jahre im Europäischen Parlament gewesen war, der die USA wie kein zweiter kennt, der die Atlantik-Brücke ehrenamtlich geführt hat, der als Wirtschaftsanwalt viele Jahre Unternehmen beraten hat, weiß wie Wirtschaft tickt, wie Arbeitsplätze geschaffen werden, und der auch in Europa bekannt ist. Deswegen traue ich ihm mit seiner Erfahrung und seiner besonderen Kompetenz am ehesten das Amt des CDU-Chefs zu.
    "Kanzlerin soll im nächsten Jahr die wichtigen Entscheidungen in Europa steuern"
    Heuer: Friedrich Merz hat keinerlei Regierungserfahrung. Kann er auch Kanzler?
    Oettinger: Er kann Parteivorsitzender. Darum geht es am Freitag. Um nicht mehr und nicht weniger.
    Heuer: Aber das eine hängt ja möglicherweise dann doch mit dem anderen zusammen, Herr Oettinger.
    Oettinger: Und dann kann er in den nächsten zwei Jahren zeigen, dass er mit einer klugen inhaltlichen Arbeit der CDU und auch im Koalitionsausschuss, dem wichtigsten Führungsgremium der Großen Koalition, gemeinsam mit Frau Nahles, mit Herrn Scholz, mit der Kanzlerin, mit Herrn Söder alles tut, um die Große Koalition erfolgreich zu machen, besser als im ablaufenden Jahr zu führen, und damit auch seine Befähigung für weitere Ämter zu beweisen.
    Heuer: Sie setzen voraus, dass Friedrich Merz es zwei Jahre mit Angela Merkel aushält?
    Oettinger: Wir Europäer wollen, dass die Kanzlerin im nächsten Jahr die wichtigen Entscheidungen nach der Wahl mit steuern kann, und ich glaube, es besteht aller Grund, dass die Große Koalition nicht ohne Not zu Ende geht, und von der CDU sollte alles getan werden, der neue Vorsitzende oder auch die neue Vorsitzende, gemeinsam mit der Kanzlerin, mit anderen in der Regierung, dass es nicht an der CDU liegt, sollte die Große Koalition nicht ordentlich ihre Arbeit bis September 2021 machen können.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.