Mittwoch, 24. April 2024

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Italienischer Haushalt
"Italien ist nicht Griechenland"

Der Haushaltsstreit zwischen der EU und Italien scheint festgefahren. Aber Möglichkeiten für Kompromisse seien vorhanden, sagte der Ökonom Jens Südekum im Dlf. Die wirtschaftliche Situation in Italien solle nüchtern betrachtet werden - sie sei nicht ganz so problematisch, wie oft dargestellt.

Jens Südekum im Gespräch mit Sina Fröhndrich | 22.10.2018
    Der Schriftzug "Schulden", aufgenommen am Hauptbahnhof in Essen (Nordrhein-Westfalen) über einem leeren Ladenlokal.
    Italiens Regierung hält trotz Kritik der EU an seinem Haushaltsplan fest (PA/dpa/Rolf Vennenbernd)
    Sina Fröhndrich: Italien hält am Haushalt fest - trotz aller Kritik. Sie plant mit 2,4 Prozent Neuverschuldung - oder sind es wohl doch eher 2,8 Prozent, davon geht die EU-Kommission aus. Wohin führt die Verschuldung? Droht die nächste Eurokrise? Herr Suedekum von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf: Italien und die neuen Schulden, könnte das Ganze in eine Staatspleite münden?
    Jens Südekum: In der aktuellen Situation glaube ich nicht daran, denn wenn man es nüchtern betrachtet, die Situation in Italien, dann ist die nicht so problematisch, wie man manchmal jetzt gerade den Eindruck gewinnen könnte. Also wir reden bei Italien auf keinen Fall über eine Fall, wie wir ihn von Griechenland von vor zehn Jahren kennen. Italien hat zwar diese hohe Gesamtverschuldung von 130 Prozent in Bezug auf das Bruttoinlandsprodukt, aber das sind geerbte Probleme. Diese Probleme wurden in den 80er-, 90er-Jahren geschaffen, und die hat die jetzige Regierung so gesehen geerbt. Aber jetzt in den letzten Jahren hat Italien einen Exportüberschuss, einen Primärüberschuss im Staatssektor. Das heißt, abgesehen von den Zinszahlungen hatte man höhere Steuereinnahmen als Staatsausgaben. Auch die Zinszahlungen sind jetzt im internationalen Vergleich nicht so hoch. Also wir reden da jetzt über acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die der italienische Staat jedes Jahr für Zinszahlungen aufwenden muss. Das ist nicht viel höher als der Wert in Großbritannien oder Spanien und überhaupt nicht vergleichbar mit dem, was man in Griechenland gesehen hat oder in anderen Episoden von akuten Wirtschaftskrisen. Insofern sollte man die Situation nüchtern betrachten und nicht irgendwie eine Krise herbeireden, die aktuell nicht existiert.
    Patient für krank erklärt, der gar nicht so krank ist
    Fröhndrich: Aber wir sehen doch schon die Risikoaufschläge bei den Staatsanleihen, die sind ja da.
    Südekum: Die sind da, und da müssen wir auch aufpassen, dass wir nicht in so eine Wiederholung eines schlechten Films geraten, den wir aus den Zeiten der Finanzkrise kennen. Denn natürlich, wir haben die Kriterien, wir haben die Maastricht-Kriterien, die ja eben sagen, die Verschuldung darf nur 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen, die Gesamtverschuldung. Gerade die Ratingagenturen sind da sehr starr. Das heißt also, wenn da ein höherer Wert gesehen wird, dann wird automatisch geschlussfolgert, dass es also ein Problem mit der Schuldentragfähigkeit geben muss, dann kommt die Abstufung, dann steigen die Zinsen. Dann wird es tatsächlich problematischer mit steigenden Zinsen, und am Ende wird ein Patient für krank erklärt, der, wie ich es gerade gesagt habe, eigentlich, was die Wirtschaftsdaten angeht, gar nicht so krank ist. Also insofern wissen wir, dass die Ratingagenturen, dass die jetzt in ihren Bewertungen nicht der Weisheit letzter Schluss sind, das wissen wir ja aus Zeiten der Finanzkrise.
    Euro-Austritt wäre Super-GAU
    Fröhndrich: Kann man denn dann sagen, dass wir die Berichte, die wir jetzt haben oder man kann ja eigentlich fast sagen, es gibt jetzt so eine Art Grundkonsens. Man sagt, die Italiener schmeißen das Geld zum Fenster raus, die Risikoaufschläge auf Staatsanleihen, die werden immer höher, dass wir da so eine Spirale haben, durch ein Bild sozusagen, was wir da von Italien gerade zeichnen?
    Südekum: Ja, ich glaube schon, dass wir es ein Stück weit mit Übertreibungen da auch tatsächlich zu tun haben, aber es ist natürlich schon ein wahrer Kern dabei, an dem Italien auch selber schuld ist. Warum sind diese Risikoaufschläge so hoch im Vergleich etwa zu Ländern wie Spanien oder auch Großbritannien, die jetzt von den fundamentalen Wirtschaftsdaten jetzt nicht so viel anders aussehen. Das ist eben natürlich die Möglichkeit eines ungeordneten Euroaustritts. Der steht natürlich nicht akut im Raum, aber die Märkte kalkulieren natürlich die Möglichkeit ein, und da ist ja Salvini nicht ganz unschuldig daran, weil er natürlich manchmal mit diesem Euroaustritt auch liebäugelt. Das wäre die Katastrophe, das wäre wirklich der Super-GAU für Europa, aber vor allem auch für Italien selber. Weil diese Möglichkeit auch nur prinzipiell mit einer geringen Wahrscheinlichkeit im Raum steht, werden eben höhere Risikoaufschläge gefordert, und dann wird auch praktisch jede Äußerung, jede Budgetplanung mit viel, viel größeren Argusaugen betrachtet, als wenn eben die Möglichkeit eines Euroaustritts gar nicht erst zur Debatte stünde.
    Italien krankt an Strukturproblemen
    Fröhndrich: Sie haben jetzt gesagt, eine nüchternere Betrachtung wäre sozusagen angebracht, um vielleicht auch dieser Spirale so ein bisschen Einhalt zu gebieten. Sie haben auch gesagt, die Verschuldung ist eigentlich gar nicht das Problem. Ist denn das Geld wiederum richtig angelegt, also das, was die italienische Regierung da plant?
    Südekum: Nein, da ist tatsächlich Luft nach oben, und da muss auch unbedingt ein Kompromiss gefunden werden. Also einerseits muss man natürlich Verständnis haben. Ich meine, in Italien ist seit zehn Jahren die Wirtschaft nicht mehr gewachsen. Der reale Lebensstandard, seit zehn Jahren stagniert der. Wir haben weiterhin ganz große Probleme gerade mit Jugendarbeitslosigkeit. Das heißt, es ist politisch klar, dass die italienische Regierung mit dem Rücken zur Wand steht und etwas tun muss. Die Frage ist jetzt, was nun konkret da vorgeschlagen ist, das Ausgabenprogramm. Also 34 Milliarden Mehrausgaben, davon 22 Milliarden über Neuverschuldung, das ist prinzipiell jetzt auch gar nicht so problematisch, aber wofür soll das Geld ausgegeben werden. Das Geld soll ausgegeben werden für zum Beispiel Frühverrentung, sieben Milliarden, sieben Milliarden für so ein Grundeinkommensschema, was so ein bisschen vergleichbar ist mit dem Hartz-IV-System in Deutschland. Das heißt, da soll Geld unter die Leute gebracht werden, aber die langfristigen Strukturproblemen, an denen Italien tatsächlich krankt und die auch für das niedrige Wachstum der Vergangenheit einen Großteil verantwortlich sind, also ich sage mal, die schlechte Infrastruktur, das schlechte Bildungssystem, die Probleme im dortigen Banken- und Finanzsektor, nämlich, dass junge Unternehmen kaum an Geld rankommen und von daher Innovationen nicht marktfähig machen können, das sind die tatsächlichen Wachstumsbremsen. Die könnte und sollte man auch lockern, also da sollte man Geld auch reingeben. Was der italienische Staat vorschlägt, ist aber mehr Staatskonsum, und ich glaube, das ist der falsche Weg, und da sollte Brüssel einen Kompromiss suchen. Nicht im Sinne von einer lehrmeisterlichen Aufforderung, hier, du muss sparen, Italien, du darfst auf keinen Fall mehr Geld ausgeben. Das ist falsch. Aber den Kompromiss suchen, sagen, wenn schon mehr Geld, dann das Geld aber versuchen weise auszugeben und an der richtigen Stelle auszugeben.
    Wege zum Kompromiss vorhanden
    Fröhndrich: Sehen Sie das denn? Die EU-Kommission will sich ja morgen noch mal äußern zum italienischen Haushalt. Sehen Sie das denn, dass es da so eine Art Kompromiss am Ende geben könnte, oder fahren da zwei Züge aufeinander zu?
    Südekum: Na ja, ich meine, momentan haben wir natürlich so diese ritualisierten Streitigkeiten und die Empörung, also dass Brüssel den Entwurf aus Rom empört zurückweist und Nachbesserungen verlangt, und Rom wird das natürlich nicht mitmachen. Ich glaube, das ist wahrscheinlich in der politischen Gemengelage jetzt ein Stück weit vielleicht auch unvermeidlich. Aber man muss eben sehen, dass dann über kurz oder lang der Kompromiss und der Dialog gesucht werden muss. Da sehe ich eigentlich schon mögliche Kompromisslinien im Brüsseler Haushalt zum Beispiel. Da reden wir aktuell über einen riesigen Geldberg, da sind ungefähr 270 Milliarden Euro, die an nicht abgerufenen Mitteln dort liegen, das heißt Geld, das eigentlich den Mitgliedsländern schon versprochen wurde, darunter auch Italien. Das Geld wird zum Beispiel nicht abgerufen, zum Beispiel weil es an der Kofinanzierung durch die Mitgliedsstaaten fehlt, weil zu hohe Bedingungen und zu viel Komplexität bei den Antragsverfahren das Problem ist. Und da wäre ja ein konkreter Kompromiss, dass man sagt: Warum kann Rom nicht die Gesamtverschuldung ein bisschen runterfahren, dafür neu ausrichten, weniger konsumtive Zwecke, mehr investive Zwecke, und Brüssel kann dann dabei helfen und unterstützen, zum Beispiel, indem eben diese nicht abgerufenen Mittel mobilisiert werden? Das sind alles so Kompromisse. Und ich glaube, über kurz oder lang kann es in diese Richtung gehen und sollte es auch. Denn niemand kann ja ein Interesse daran haben, weder Brüssel, noch Rom, noch Berlin, dass die Situation in Italien über alle Maßen eskaliert.
    Problemfall: Nervosität der Finanzmärkte
    Fröhndrich: Wäre das eben auch ein Weg, dieser Mittelabruf, dass sich die Zinslast sozusagen auch ein bisschen drückt? Weil die Frage stellt sich ja eben schon, Sie sagen Verschuldung, das kann sich Italien schon leisten, aber diese Risikoaufschläge bei den Staatsanleihen, das muss ja auch erst mal irgendwie finanziert werden. Ich habe noch nicht so ganz verstanden, wie soll das gehen?
    Südekum: Das Problem sind jetzt, dass die Zinsen, diese Spreads, die sogenannten Spreads, dass die steigen. Also wir reden jetzt gerade über 3,5 Prozent Zinsen für eine zehnjährige Staatsanleihe. Das sind drei Prozent mehr als im deutschen Fall. Das ist einfach ein Signal für die Nervosität der Märkte. Und für diese Nervosität der Märkte spielt einerseits diese Möglichkeit eines ungeordneten Euroaustritts eine Rolle, aber zum anderen natürlich auch, dass die Märkte nicht erkennen, dass die Verschuldung und das Ausgabenprogramm, dass die wirklich zielgenau ausgerichtet sind. Also ich glaube, wenn man die Märkte überzeugen kann, dass man sagt, das Geld wird an der richtigen Stelle ausgegeben für mehr Wachstum, dann gehen auch diese Spreads wieder zurück. Ich glaube, ganz wichtig ist, dass die Botschaft ausgesandt wird sowohl von Brüssel als auch von Rom, dass ein Euroaustritt wirklich ausgeschlossen ist, wenn die Märkte sozusagen diese Botschaft auch verarbeiten und erkennen, dann werden auch die Zinsen wieder sinken.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.