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Bürokratische Knebel für Kleinbetriebe
Wenn Vorschriften erdrücken

Viele Unternehmer fühlen sich von Ämtern und Behörden regelrecht gegängelt. Erdrückt von Vorschriften, Verordnungen, Dokumentationspflichten, die der Gesetzgeber auch den kleinen und mittelständischen Betrieben aufbürdet. Wie es anders gehen kann, zeigt Brüssel: Dort geht jede EU-Vorschrift durch den Bürokratiecheck.

Von Mischa Ehrhardt |
    Ein Stapel Akten liegt auf einem Schreibtisch in einer Behörde
    Formulare, Formulare - verbunden mit viel Bürokratie. (icture alliance / dpa / Patrick Pleul)
    Die Kochschule Menufaktur gibt es seit über einem Jahrzehnt in Frankfurt. Mario Furlanello hat sie mitgegründet. Er steht vor einer massiven Theke aus Edelstahl. Sie trennt den eigentlichen Kochbereich vom Gastraum, in dem in zwei Reihen Tische aufgestellt sind. Zur Jahreszeit passend sind sie dezent gedeckt mit weihnachtlicher Dekoration. Der Kochlehrer hantiert an einem Kochfeld, das in die Theke eingelassen ist.
    Eine Weihnachtsgesellschaft hat sich für diesen Abend angemeldet. Furlanellos Geschäftspartnerin wird die Kochschule künftig alleine weiter betreiben. Denn er ist gerade dabei, eine traditionsreiche Gastwirtschaft wieder zu eröffnen. Deswegen pendelt er viel in Frankfurt: Vom Herd zur Baustelle seines neuen Projektes, von der Baustelle zurück an den Herd. Doch ginge es nach den Behörden, hätte Furlanello kein Auto.
    "Bei der Ummeldung des Autos verlangt die Führerscheinstelle einen Gewerbeschein. Als Nachweis der Adresse - so wurde mir das wortwörtlich gesagt – der neuen Firma. Obwohl man die Firma schon angemeldet hat und mit einem Handelsregisterauszug wedeln kann. Das lässt die völlig kalt, für die zählt nur ein Gewerbeschein. Aber wenn das Gewerbe noch nicht läuft, weil wir den Betrieb ja noch aufbauen, dann hat man eben keinen. Und dann muss man streng genommen als Geschäftsführer zu Fuß überall hin, wenn man keinen Geschäftswagen anmelden kann. Das ist schon sehr komisch."
    Ungläubiges Schmunzeln, ernstes Problem
    Und es wird noch komischer:
    "Weil man den Handelsregisterauszug braucht, um den Gewerbeschein überhaupt erst zu kriegen."
    Furlanello kann nur noch ungläubig schmunzeln. Dahinter aber verbirgt sich ein ernstes Problem. Das erkennt, wer Johannes Ludewig zuhört. Er ist der Vorsitzende des Nationalen Normenkontrollrates – ein Gremium, das seit dem Jahr 2006 mit Argusaugen darüber wacht, dass neue Gesetze den bürokratischen Wust für Unternehmen nicht allzu sehr steigern. Das Problem, mit dem sich Mario Furlanello wegen der gescheiterten Ummeldung seines Autos konfrontiert sieht, ist schlicht der mangelnde Austausch deutscher Behörden untereinander. Im Zeitalter der digitalen Vernetzung kein Thema, sollte man meinen. Es ist aber eines, so Normenkontrolleur Johannes Ludewig.
    "Wir haben eine Vorlage geliefert, wir haben ein Gutachten vergeben zur Modernisierung der Register. Das klingt ein bisschen technisch, bedeutet aber faktisch, dass man diese unterschiedlichen Informationen, über die ja die öffentliche Hand in verschiedenen Bereichen verfügt, dass man die miteinander verknüpfen kann. Und zwar so, dass auch dem Datenschutz Rechnung getragen wird, sodass die Qualität der Dienstleistungen wesentlich steigern werden."
    Bürgeramt im Rathaus Schöneberg in Berlin
    Hin und her für den Gewerbeschein (dpa / picture alliance / Jens Kalaene)
    Die Vorlage weist in die Zukunft – noch sind die Behörden nicht so weit. Ein eigenartiger Rückstand in einem der wirtschaftsstärksten Länder der Erde; ein Rückstand, der sich in bürokratischen Knebeln für Kleinbetriebe wie Mario Furlanellos Gastwirtschaft auswirkt; ein Rückstand schließlich - bescheinigt von dem obersten Bürokratie-Kontroll-Gremium, dem Normenkontrollrat. Deswegen fordert dessen Vorsitzender Ludewig, die Digitalisierung der Behörden auf allen Ebenen konsequent voran zu treiben. Aus seiner Sicht ist das eine der wichtigsten Maßnahmen, die eine kommende Bundesregierung ergreifen sollte.
    "Das wirkt auch sehr stark psychologisch"
    "Der schlimmste Rückstand ist der Rückstand in der Digitalisierung. Ich rede jetzt vom öffentlichen Sektor, nicht von den Unternehmen. Da hat man nichts gemacht. Seit vier Jahren, in jedem Jahresbericht von uns steht: so geht es nicht. Ich meine, die dritt-, viertgrößte Industrienation ist so weit zurückgefallen, dass Deutschland im EU Ranking der Digitalisierung im öffentlichen Bereich auf Platz 18 steht, hinter Italien - das müssen Sie sich mal vorstellen. Da wird man als ehemaliger Staatssekretär etwas ungehalten, denn Platz 18 ist nicht der Platz – auf dem wir uns nicht nur nicht im Fußball, sondern auch in diesem Bereich nicht sehen. Und hier sind gewaltige Anstrengungen nötig mit praktischen Auswirkungen."
    Ludewig zitiert die Zahlen aus dem Jahr 2016. Zwischenzeitlich ist Deutschland im Ranking auf Platz 20 gerutscht.
    Die Anstrengungen, von denen Ludewig spricht, wollen eigentlich alle hierzulande angehen: Angefangen von den Kommunen, über die Länder bis hinauf zum Bund: Jeder schreibt sich auf die Fahnen, bürokratische Prozedere vereinfachen und bürokratische Zumutungen für Verbraucher und Unternehmen abstellen zu wollen.
    Johannes Ludewig, Vorsitzender Normenkontrollrat.
    Johannes Ludewig, Vorsitzender Normenkontrollrat. (dpa / picture-alliance / Henning Kaiser)
    "Die Tatsache, dass heute, wenn Gesetze vorbereitet und neu gemacht werden, die Ministerien verpflichtet sind – auf Grund des Normenkontrollrates – über die Folgekosten nicht nur nachzudenken, sondern die Folgekosten genau herauszuarbeiten und zu quantifizieren. Das ist eigentlich der aller wichtiger Punkt – denn das wirkt auch sehr stark psychologisch. Wenn sie als Ministerium wissen, sie müssen das allen offenlegen, sie müssen genau zeigen, was die Konsequenzen sind, dann denken sie natürlich viel stärker darüber nach, ob sie solch hohe Kostenfolgen tatsächlich auch ausweisen wollen. Also die Ernsthaftigkeit, mit der man sich heute mit diesen Kostenfolgen von Gesetzgebung auseinandersetzt, ist eine andere ist eine andere als früher."
    Der so genannte "Erfüllungsaufwand"
    Dem stimmen teilweise zumindest auch Verbände des Handwerks und der Industrie zu. Der Grund für einige Verbesserungen ist unter anderem die so genannte One-in-one-out-Regel. Das ist eine Regel neueren Datums, die 2015 in Kraft getreten ist. Sie trägt den Spitznamen "Bürokratiebremse". Diese Regel besagt: Für eine bürokratische Hürde muss an anderer Stelle eine verschwinden. Laut Jahresbericht des Normenkontrollrates funktioniert die Bremse: So seien mit ihr die Bürokratiekosten für die Unternehmen in den zweieinhalb Jahren seit Inkrafttreten um 1,4 Milliarden Euro gesunken. Damit sollen neue Gesetzesvorschläge und Rechtsverordnungen aus den Ministerien nicht dazu führen, dass der so genannte "Erfüllungsaufwand" für die Unternehmen sich weiter aufbläht – ihre Kosten für Bürokratie also stabil bleiben. Mehrkosten bei neuen Verordnungen oder Gesetzesvorhaben müssen an anderer Stelle kompensiert werden. Ausnahmen sind bestimmte EU-Vorgaben, internationale Verträge und Rechtsprechungen von Gerichten wie dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof oder Vorgaben, die zeitlich begrenzt sind oder der Abwehr von Gefahren dienen.
    "Es gibt die schöne Regel one-in-one-Out. Trotzdem kommen immer wieder neue Belastungen. Jedes Bundesressort, jedes Ministerium, jede Bundesregierung versucht natürlich zu gestalten, über Gesetze zu gestalten in den unterschiedlichsten Bereichen. Und das heißt am Ende auch immer, es muss einer umsetzen. Umsetzen kosten, Zeit kostet Geld, kostet Personal. Ja es gibt einiges, was sich bewegt hat, aber es kommt immer wieder was neues oben drauf."
    So der Geschäftsführer des Deutschen Handwerkskammertages, Dirk Palige. In der Tat kann man im letzten Jahrzehnt eine Art Jojo-Effekt in der Statistik beobachten. Laut Zahlen des statistischen Bundesamtes sanken die Bürokratiekosten im Zeitraum zwischen 2006 und 2012 um rund 25 Prozent – das waren etwa 12 Milliarden Euro weniger Kosten für Unternehmen in nur sechs Jahren. Allerdings geht die Entwicklung seither wieder in eine andere Richtung, wie sich aus den Daten der Statistiker in Wiesbaden ebenfalls heraus lesen lässt. Maximilian von Koppenfels, Referent für Mittelstand und Familienunternehmen beim Bund der Deutschen Industrie, BDI, nennt die Zahl der Gewichtszunahme am Bauch der deutschen Bürokratie in den Folgejahren:
    "Um zehn Milliarden Euro stieg nämlich der Erfüllungsaufwand bürokratischer Vorgaben im Zeitraum zwischen 2012 und 2015. Davon ist natürlich besonders der Mittelstand betroffen, weil die mittelständischen Unternehmen besonders darauf angewiesen sind, dass das Geld im Unternehmen bleibt, um es reinvestieren zu können, damit das Unternehmen auch wachsen kann."
    In Aufzeichnungs- und Dokumentationspflichten große bürokratische Belastungen
    Wie kommt es zu diesem statistischen Jojo-Effekt? Die auffälligste Bürokratiezunahme fällt ins Jahr 2014. Während sich in den übrigen Jahren zwischen 2012 und 2016 die Kosten für Bürokratie grob die Waage halten, schießen sie 2014 um über zehn Milliarden Euro in die Höhe. Der Grund: die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland zu Beginn des Jahres 2015.

    "Wir haben im Rahmen dieser Mindestlohn-Situation im Grunde die Verpflichtung, dass sie tagtäglich im Detail die Arbeitszeiten dieser im Mindestlohn beschäftigten Mitarbeiter erfassen und übermitteln. Da können Sie sich vorstellen, dass das natürlich Zeit bindet im Unternehmen. Das ist etwas anderes, als wenn sie das beispielsweise nur monatlich machen müssten", sagt BDI-Referent Maximilian von Koppenfells. So zeigt auch eine Umfrage im Auftrag des Verbandes der Bayerischen Wirtschaft aus dem vergangenen Jahr 2016, dass die Mehrheit der kleinen und mittelständischen Unternehmen im Freistaat nach wie vor in Aufzeichnungs- und Dokumentationspflichten große bürokratische Belastungen sehen. An erster Stelle nennen sie Bürokratie im Zusammenhang mit Steuern. Gefolgt von Dokumentations- und Berichtspflichten. Die kennt auch der Frankfurter Gastronom Robert Mangold.
    Die beiden Türme des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg
    Der Europäische Gerichtshof kann für Ausnahmen sorgen (picture alliance / dpa / Thomas Frey)
    Im Restaurant La Fleur im Gesellschaftshaus des Frankfurter Palmengartens herrscht ein gepflegtes Ambiente. Wein- und Sektkühler stehen auf jedem der Tisch, die mit weißen Tischdecken und Silberbesteck eingedeckt sind. Gäste sollen sich einfach wohlfühlen – dafür gönnen sie sich den kleinen Luxus offenbar. Kellnerinnen und Kellner wandeln –dezent zurückhaltend – zwischen den Tischen umher. Mangold betreibt das gesamte Gesellschaftshaus – und das heißt auch den angrenzenden großen Saal, in dem regelmäßig Weihnachtsfeiern, Betriebsfeste oder Hochzeiten stattfinden. Sieben Mitarbeiter sind hier gerade zu Gange, sie stellen massive Tische auf, sortieren Besteck oder polieren unzählige Gläser.
    300 Gäste erwarten Mangold und sein Team am morgigen Abend – es ist die Betriebsfeier eines Frankfurter Unternehmens. Solche Veranstaltungen sind noch gut zu planen, meint Mangold. Anders sieht das manchmal bei Hochzeiten aus. Denn auch Gastronomen müssen sich an das Arbeitszeiten-Gesetz halten. Nach maximal 10 Stunden muss er theoretisch seine Mitarbeiter nach Hause schicken, was bei Hochzeiten kaum möglich ist.
    "Das bedeutet, dass wir nicht mehr so viele festangestellte Mitarbeiter haben, sondern uns Aushilfen bedienen oder Firmen, die Aushilfen zur Verfügung stellen. Das bedeutet im Klartext, dass wir weniger Festangestellte, weniger Sozialversicherungsbeiträge im Grunde für die Gemeinschaft einzahlen, weniger Arbeitsplätze schaffen, nur um ein starres Gesetz mit Leben zu erfüllen. Das ist vollkommen irre."
    Unterschiedliche politische Interessen
    Zum anderen kritisiert Mangold den bürokratischen Aufwand, der mit solchen Gesetzen verbunden ist – also die Berichts- und Dokumentationspflichten. Eine halbe Stelle wende er permanent auf, um allein für dieses Gesetz die Arbeitszeiten seiner rund 170 Mitarbeiter zu dokumentieren. Mangold sieht dabei aber nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite betrachtet etwa die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten. Peter-Martin Cox ist in der Rhein-Main-Region deren Geschäftsführer. Er zeigt kein Verständnis für die Klagen über allzu viel Bürokratie in seiner Branche.

    "Nein absolut nicht. Im Gastgewerbe ist es immer schon ein Problem gewesen, dass häufig die Stunden nicht bezahlt werden. Also meine Gegenthese ist: In der Gastronomie, im Bäckerhandwerk gibt es ganz viele unbezahlte Stunden. Und die Dokumentationspflicht ist ein Ansatz, dass fast alle Stunden bezahlt werden. Das ist Grundpflicht, eine Grundschuld, eine Frage des Anstandes, dass ich für geleistete Arbeit, egal für welcher Stundenlohn, dass ich die bezahlt bekomme."
    Kellner hält ein Tablett mit Sektgläsern
    Für Kellner auf Hochzeiten kaum möglich: Arbeitszeiten einhalten (imago stock&people)
    Natürlich ranken um Bürokratie unterschiedliche politische Interessen. Und je nach Perspektive führen diese Interessen zu unterschiedlichen Bewertungen von einem "Zuviel" oder einem "Zuwenig" an formeller Reglementierung. Beispiel Abfallentsorgung: Hier klagen verschiedene Branchen und Unternehmensverbände landauf, landab über die aus ihrer Sicht zu aufwendigen und teuren Abfalltrennungsvorschriften. Manche Umweltschützer dagegen werden die Gesetze als richtige Maßnahme begrüßen.
    Schließlich sollte, wer über Bürokratie spricht, über Brüssel nicht schweigen. Europäische Richtlinien gehen noch einmal durch die deutsche Gesetzesmaschinerie und werden geprüft durch den Normenkontrollrat. Eine solche Richtlinie ist die sogenannte "Verbraucherrechte-Richtlinie". Darin sind etwa Rechte wie das Rückgaberecht bei Online-Bestellungen geregelt. Es wurde im Juni 2014 in nationales Gesetz gegossen.
    Die Sorgfaltspflicht der "Erstinverkehrbringern"
    Bei Verordnungen der Europäischen Union dagegen entfällt diese nationale Kontrollinstanz. Verordnungen gelten unmittelbar. Die EU-Holzhandelsverordnung beispielsweise schreibt den "Erstinverkehrbringern" von Holz und Holzwaren eine Sorgfaltspflicht für diese Waren vor. Das heißt, wer diese Ware in die EU einführt, muss garantieren dafür, dass das Holz nicht aus illegalem Einschlag stammt. Normenkontrolleur Johannes Ludewig sieht im Bereich der Verordnungen dann auch schon mal Nachholbedarf.

    "Da ist leider die Informationslage, also welche Kosten kommen denn eigentlich aus Brüssel auf Unternehmen und Bürger zu, das weiß gar keiner. Weil das ist unmittelbar geltendes Recht, es wird nicht systematisch nachverfolgt. Etwas das wir als Normenkontrollrat kritisiert haben und wo wir im Gespräch mit der Regierung sind, dass wir uns wesentlich systematischer und konsequenter mit den Folgen des Europäischen Rechtes in seiner Wirkung auf Unternehmen und Verwaltung beschäftigen müssen."
    Baumstamm mit einem aufgesprühten Fragezeichen.
    EU-Holz oder aus illegalem Einschlag? (picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
    Allerdings gibt es in Brüssel auch Instrumente, die Bürokratiekosten einschätzen und so vermeiden helfen sollen. So hat die EU beispielsweise auf Anraten des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber einen Bürokratiecheck eingeführt, der vor jede Vorschrift aus Brüssel geschaltet werden soll. Auch Dirk Palige vom Deutschen Handwerkskammertag hebt hervor, dass man von Brüssel durchaus lernen kann.
    "Dort gibt es Vorprüfungsverfahren, die es in Deutschland so noch nicht gibt. Welche Auswirkungen, welcher Umstellungsaufwand beispielsweise wird auf Unternehmen, auf Betriebe zukommen, das prüft man auf europäischer Ebene. Leider noch nicht im gleichen Umfang in Deutschland. Und es gibt vor allem einen besonderen Test, der auf Europäischer Ebene durchgeführt wird. Den so genannte KMU-Test, also ein Test, der besagen soll, welche Auswirkungen kommen insbesondere auf kleine und mittelständische Betriebe zu? Man muss wissen, dass kleine und mittelständische 99% aller Unternehmen sind – das gilt für Deutschland wie europäisch gleichermaßen. Daran wird in Europa gemessen, in Deutschland ist es das leider noch nicht die Regel. Auch das ist eine unserer Forderungen: Prüft das ab, was tatsächlich am Ende ankommt an kommt und prüft es dort ab, wo es ankommt. Also bei den kleinen Mittelständigen, also beim Handwerk."
    Energiesteuer zurückerstatten lassen, nur unter enormer Anstrengung
    400 Kilometer entfernt von der Brüsseler Bürokratie arbeiten die Glockengießer des Traditionsbetriebes Rincker. Von Bürokratie ist in der Produktionshalle auf den ersten Blick nichts zu merken. Zwei Meter misst ein riesiger stählerner Gussbehälter. Der Koloss ist alt, Ruß und Rost haben sich von außen festgesetzt. In der Fabrikhalle, in dem das Monstrum steht, ist es dunkel, durch die trüben Fenster dringt nur wenig Licht. In einer drei Meter tiefen Grube sind zwei Mitarbeiter mit Schaufeln zu Gange.
    Die beiden Männer graben Formen aus, die in der Erde stecken, Formen von Kirchenglocken. Ein mannshoher Kessel oberhalb der Grube liefert das flüssige Metall, um solche Formen zu befüllen. Die wiederum sind fest in der Erde eingebuddelt – nur so halten sie dem Gießdruck stand.
    In der Kunst- und Glockengießerei Rincker gibt es nur wenige technische Hilfsmittel, einen Elektromeißel beispielsweise. Auch der mittlerweile gut 60 Jahre alte Schmelzkessel zählt zum moderneren Inventar, immerhin wird der nämlich halbwegs modern beheizt:
    "Modern insofern, dass er mit Öl beheizt wird und nicht mehr mit Fichtenholz. Das hat den Vorteil, wir können innerhalb von acht Stunden rund fünf Tonnen Metall schmelzen. Und nicht mehr wie früher mit Holz über zwei bis drei Tage, wie das früher eben den Zeitbedarf ausmachte."
    Glockengiesser der Glocken- und Kunstgiesserei Rincker giessen 
    Glockengiesser der Glocken und Kunstgiesserei Rincker bei der Arbeit vor Publikum (imago stock&people)
    Fritz-Georg Rincker und sein Bruder sind die Firmenchefs der Kunstgießerei in Sinn bei Gießen in Mittelhessen. Das Gießen von Glocken oder auch Erinnerungstafeln ist ein uraltes Gewerbe. Und es ist energieintensiv. Unternehmen wie Rincker können sich aber einen Teil der Energiesteuer zurückerstatten lassen. Nur ist der bürokratische Aufwand dafür ziemlich groß.
    "Was man als Unternehmen, selbst mit einem angeeigneten Fachwissen, nicht mehr kompetent beantworten kann. Und das verrückte ist, dass sich hier Ingenieurgesellschaften gegründet haben, die speziell die Unternehmen bei der Energiesteuerrückerstattung so fachlich beraten, dass sie auf Augenhöhe mit den entsprechenden Behörden argumentieren können und Steuerrückerstattungen ermöglichen, die man selbst eigentlich gar nicht mehr bürokratisch nachvollziehen kann. Und das ist wohl vom Gesetzgeber auch so gewollt, dass viele den Aufwand scheuen. Und damit eben eine Steuer- Rückerstattung, die zwar gesetzmäßig vorgesehen ist, aber viele dann nicht machen, weil einfach der Aufwand viel zu groß ist."
    Die Agentur kassiert ein Drittel der Summe, die sie für die Gießerei Rincker vom Finanzamt zusätzlich zurückholen. Wohlgemerkt: Zusätzlich.
    "Ich hatte mir keine großen Hoffnungen gemacht, dass da passiert. Aber erstaunlicherweise kamen allein im ersten Jahr 2.000 Euro zusätzliche Erstattungen heraus, die unser, nicht ganz unwissender Gießereileiter zusammen mit der Handwerkskammer nicht auf dem Plan hatte. Und dann kann man eben sehen wie kompliziert, wie irre kompliziert diese Gesetzgebung ist."
    Eine klassische Win-Win Situation: Die Rinckers müssen sich nicht mehr um die Rückerstattung kümmern; und bekommen trotzdem mehr Geld heraus als vorher. Und die Spezialisten wiederum profieren genau davon. Bürokratisches Absurdistan. Nur diesmal mit glücklichem Ende – zumindest für die beteiligten Unternehmen.