Donnerstag, 18. April 2024

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Bund der Steuerzahler kritisiert Schuldenpolitik
"Sparmaßnahmen fehlen in diesem Haushalt"

Bundeswehr, Grundrente, Parlament: Möglichkeiten zum Sparen sieht Reiner Holznagel vom Bund der Steuerzahler in vielen Bereichen. Doch im Haushalt vermisse er entsprechende Pläne, kritisierte er im Dlf. Statt ein "dickes, sattes Polster" aufzubauen, plädiert er dafür, "auf Sicht zu fahren".

Reiner Holznagel im Gespräch mit Sandra Schulz | 29.09.2020
Euro-Scheine, aneinander gereiht
Reiner Holznagel vom Bund der Steuerzahler wünscht sich eine Debatte über Sparmöglichkeiten (EyeEm/ Nicolas Vega)
Für seine Finanzpolitik wird Minister Olaf Scholz aus vielen Richtungen kritisiert. Der mutmaßliche SPD-Kanzlerkandidat habe den Wahlkampf schon begonnen und jetzt mache die SPD wieder, was die Sozialdemokraten am besten können: nämlich neue Schulden und laut über Steuererhöhungen nachzudenken. Olaf Scholz dagegen verweist auf die Coronakrise und den historischen Wirtschaftseinbruch. Der Präsident des Bundes der Steuerzahler in Deutschland, Reiner Holznagel, bemängelt, das "in vielen Punkten ein Überbedarf geschaffen" werde und mahnt Debatten über Sparmaßnahmen an.
Olaf Scholz (SPD), Bundesminister der Finanzen, nimmt an der Sitzung des Bundeskabinetts im Bundeskanzleramt am 23.9.2020 teil. 
Finanzpolitik in der Coronakrise - Schwarze Null ade
Auch 2021 wird Deutschland aufgrund der Corona-Pandemie neue Schulden in Milliardenhöhe aufnehmen. Dafür wird die Große Koalition zum zweiten Mal die Schuldenbremse aussetzen. Wie hoch ist die Neuverschuldung und welche Auswirkungen sind von dem Bundeshaushalt zu erwarten? Ein Überblick.
Sandra Schulz: Wir haben eine Rekord-Neuverschuldung in diesem Jahr und die zweithöchsten neuen Schulden im nächsten. Wie nervös macht Sie das?
Reiner Holznagel: Na ja, nicht nervös, sondern sehr nachdenklich und auch betroffen, weil aus meiner Sicht diese Summen aus vielerlei Gründen gar nicht so notwendig wären. Die Bundesregierung schafft sich hier ein dickes sattes Polster, wahrscheinlich auch für das Wahljahr, gar keine Frage. Es wäre aus meiner Sicht besser gewesen, wenn der Bundesfinanzminister, die Bundesregierung und am Ende natürlich auch der Bundestag mehr auf Sicht gefahren wären. Wenn tatsächlich Bedarfe da sind, dann muss das Parlament schnell zusammenkommen und dann müssen diese Bedarfe besprochen werden und dann muss auch nachjustiert werden. Das, was wir jetzt haben, ist ein riesengroßes Polster.
"Wir müssen am Ende auch sehen, dass Wirtschaftswachstum entsteht"
Schulz: Olaf Scholz hat in der Debatte heute Vormittag gesagt, dass es viel teurer wäre, nicht zu handeln, als so zu handeln, wie die Bundesregierung jetzt gehandelt hat, eben mit diesem Konjunkturpaket. Sie sehen das anders?
Holznagel: Was mich in dieser Diskussion etwas ärgerlich macht ist, dass wir immer über Superlative sprechen: entweder Hilfen oder gar keine Hilfen, alles für die Wirtschaft oder gar nichts für die Wirtschaft. Schaut man sich den Haushaltsentwurf genau an, dann wird man feststellen, dass natürlich viele Hilfen dort bereitgestellt werden, dass wir aber auch sehr viele konsumtive Ausgaben haben. Der Staat selbst gibt sehr viel Geld aus und so weiter und so fort. Das heißt, wir müssen genau reingehen.
Was mir auch fehlt bei diesem Haushalt, das sind tatsächlich Sparmaßnahmen. Man muss jetzt nicht gegen die Krise ansparen, wie Herr Scholz immer behauptet, aber ich sehe schon, viele Ausgaben sind zumindest zur Überprüfung geeignet. Ob sie in die Zeit passen, ob das Ziel erreicht wird - von dieserlei Sache habe ich gar nichts gehört, und das wird uns in Zukunft auf die Füße fallen. Denn neben den Schulden, die wir aufnehmen, müssen wir die Tilgung einplanen und wir müssen am Ende auch sehen, dass Wirtschaftswachstum entsteht. Denn von 300 Milliarden Euro müssen 200 Milliarden in den nächsten Jahren zurückgezahlt werden. Das ist eine schwere Bürde.
"Konkrete Sparpläne fehlen komplett"
Schulz: Was denken Sie, wo könnte man sparen?
Holznagel: Es gibt viele Punkte. Ich halte es da mit dem alten Bundesfinanzminister Hans Eichel, der mal gesagt hat, zehn Prozent überall. Am Ende sind zwei, zweieinhalb Prozent beschlossen worden. Das wäre ein guter Anfang.
Schulz: Sagen Sie uns drei konkrete Punkte.
Holznagel: Na ja, wir können anfangen beim Beschaffungswesen der Bundeswehr. Da halte ich viele Beschaffungen für überholt. Da muss man genau reingehen, ob diverse Flugzeuge, diverse Panzer, diverse Hubschrauber, die wir in der Bestell-Pipeline haben, noch zeitgemäß sind. Aber man muss auch im Sozialetat genau hinschauen. Ich halte die Grundrente, so wie sie jetzt ausgestaltet ist, für zu teuer. Sie wird nicht nur denjenigen helfen, die es wirklich nötig haben, sondern darüber hinaus auch. Und wir werden auch beim Bundestag sparen müssen. Wir haben ein Parlament, das so groß ist wie noch nie, und wenn nichts passiert, dann werden wir nach der nächsten Wahl wahrscheinlich 800 Abgeordnete haben. Schon heute verschlingt der Bundestag jedes Jahr eine Milliarde Euro. Das sind drei konkrete Sparpläne, wo man Geld freimachen kann, und das, glaube ich, fehlt komplett.
"In vielen Punkten wird ein Überbedarf geschaffen"
Schulz: Das sind jetzt drei Punkte. Da könnten wir jetzt eigentlich das Interview in der Diskussion um diese drei Punkte voll machen, wenn wir wollten. Wenn man an den Druck denkt, der von den NATO-Partnern kommt, stellt es sich vielleicht noch mal in Frage, ob man bei der Bundeswehr wirklich sparen kann.
Aber wenn wir im großen Ganzen aufs Bild schauen, dann gibt es ja diese Wirtschaftsprognosen, die jetzt nach den historischen Einbrüchen, die wir gesehen haben, was ja auch die Ursache dafür ist, dass jetzt so viel in Superlativen die Rede ist – wir sehen die Wirtschaftsprognosen, die sagen, na ja, doch, da zeichnet sich eine Erholung ab. Worauf führen Sie das denn zurück, wenn nicht auf diese Konjunkturhilfen?
Holznagel: Frau Schulz, vielleicht noch mal zu den Einsparungen. Es wird nicht ein Etat oder eine Einsparmaßnahme geben, die unumstritten ist und die auch, wenn man sie tätigt, die Probleme im Haushalt löst. Darum geht es gar nicht. Mir geht es nur darum, dass darüber überhaupt nicht gesprochen wird.
Schulz: Okay. Das machen wir hier heute Mittag.
Berlin: Ralph Brinkhaus (CDU), Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, spricht bei der 115. Sitzung des Bundestages zu den Abgeordneten. 
Brinkhaus (CDU): "Wir können uns aus der Coronakrise nicht raussparen"Im Umgang mit den wegen der Coronakrise wegbrechenden Steuereinnahmen plädiert Ralph Brinkhaus (CDU) dafür, Schulden zu machen. Statt Steuern zu erhöhen, müsse der Staat das Wachstum ankurbeln – so könne man die Schulden dann später auch abbauen, sagte der Unionsfraktionsvorsitzende im Dlf.
Holznagel: Genau und insofern kann man sehr kontrovers darüber diskutieren, und es ist schön, dass wir beide darüber sprechen. Noch schöner wäre es, wenn auch im Bundestag darüber debattiert wird.
Aber zum Wirtschaftseinbruch: Natürlich ist der da, und es war auch völlig richtig, dass die Bundesregierung hier beherzt reagiert hat, dass Milliarden zur Verfügung gestellt wurden, um der Wirtschaft unter die Arme zu greifen. Aber auch hier sind die Fakten letzten Endes doch sehr bestechend. Wir haben in diesem Jahr eine Netto-Neuverschuldung von über 218 Milliarden Euro beschlossen. Ende August sind davon nicht einmal 70 Milliarden abgeflossen. Und wir sehen, dass sehr viel Geld zur Verfügung steht, aber es gar nicht in den Volumina in Anspruch genommen wird, wie die Politik es kalkuliert hat. Vor dem Hintergrund halte ich es für richtig, auf Sicht zu fahren. Wenn dieser Bedarf tatsächlich da ist, wenn die Unternehmen anmelden, wir brauchen weitere Unterstützung, dann muss Politik helfen. Aber was wir jetzt sehen, ist, dass riesengroße Sparstrümpfe gestrickt werden, wo Steuerzahlergeld hineinkommt und die Bundesregierung nach Gutdünken im nächsten Jahr das Geld verteilen will. Ob es sinnvoll ist oder nicht sinnvoll, wird gar nicht debattiert. Deswegen muss man genau hinschauen, und ich sehe einfach, dass in vielen Punkten ein Überbedarf geschaffen wird.
Schulz: Wobei die Gelder, die nicht abgerufen sind, dann ja wiederum die Schuldenproblematik als solche nicht verschärfen.
Holznagel: Doch, sie verschärfen sie extrem. Das ist ein Trugschluss. Natürlich: Die sind beschlossen und wir sehen ja im Alltag, dass die Häuser bemüht sind, die Ministerien bemüht sind, dieses Geld auch auszugeben. Und glauben Sie mir: Das größte Geld wird dann auch ausgegeben. Ob es bedarfsgerecht ist, ist dann völlig egal; Hauptsache das Geld geht raus.
"Strukturen nicht gut justiert"
Schulz: Bei der Digitalisierung haben wir ein anderes Bild. Da war auch Geld zur Verfügung gestellt worden, aber nicht abgerufen. Und die Folgen sehen wir jetzt, zum Beispiel in der Coronakrise, im Schul-, im Bildungsbereich. Dafür standen die Gelder ja eigentlich zur Verfügung. Das ist natürlich auch immer das Argument gegens Sparen, dass da Infrastrukturen, dass da Zukunftsthemen auch kaputt gemacht werden können.
Holznagel: Nein, mit Sparen macht man nichts kaputt, wenn man es vernünftig tut. Das Stichwort ist der Digitalisierungspakt, auch die Milliarden, die für Schulen zur Verfügung gestellt worden sind. Das verwirrt mich immer etwas an der Bundespolitik, dass der Bund hier Geld zur Verfügung stellt, wofür er eigentlich gar nicht zuständig ist. Viel sinnvoller wäre es gewesen, den Ländern dieses Geld zu überlassen, und die Länder müssen durch Strukturreformen dafür sorgen, dass ihre Schulen letzten Endes gut ausgestattet sind, dass das Personal auch da ist. Es macht ja keinen Sinn, dass Sie in den Schulen Computer oder Laptops hinstellen, aber das Personal fehlt oder ist entsprechend nicht geschult. Hier sind einfach die Strukturen nicht so justiert, dass das viele Geld, das bereitgestellt wird, auch abfließt.
Schulz: Aber diese Strukturen kosten ja auch immer Geld, die die Kompetenz in die Schulen bringen.
Holznagel: Ja, selbstverständlich!
Schulz: Diese Strukturen, diese Kompetenz, das ist ja nicht zum Nulltarif zu haben.
Holznagel: Deswegen lassen Sie uns doch darüber reden, ob das Geld, was wir aufnehmen, gut verteilt wird, ob die Strukturen stimmen, und da können wir ansetzen. Ich glaube, unser Föderalismus muss an dieser Stelle sehr schnell überholt werden, denn es macht keinen Sinn, dass der Bund Milliarden ins Schaufenster stellt, die Länder und die Kommunen aber nicht in der Lage sind, dieses Geld zu nehmen und es zu verteilen oder dort einzusetzen.
Auch wir als Bund der Steuerzahler erkennen einen riesengroßen Bedarf in der Digitalisierung, nicht nur der Schulen, sondern auch der Verwaltung. Da muss schnell was passieren. Wir sehen IT-Projekte auf Bundesebene, die aus meiner Sicht in ein riesengroßes Fass ohne Boden der Verschwendung landen werden. Wir müssen viel mehr an die Strukturen heran und da ist es mir lieber, dass das Geld da bleibt, wo es auch erwirtschaftet wird, nämlich auch bei den Kommunen, nämlich auch bei den Ländern, als dass es der Bund überall einsammelt und großzügig verteilt unter dem Slogan, wir halten zusammen, aber die, die letzten Endes an der Basis sind, können das Geld nicht abrufen. Da ist ein Fehler im System.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.