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Bundesjustizminister Maas
"Vorratsdatenspeicherung verhindert keine Anschläge"

Bundesjustizminister Heiko Maas hat die Einführung schärferer Gesetze gegen Terrorismus angekündigt, einer Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung aber eine Absage erteilt. "In Frankreich gibt es eine Vorratsdatenspeicherung, sie hat die Anschläge nicht verhindert", sagte Maas im Deutschlandfunk.

Heiko Maas im Gespräch mit Christine Heuer | 12.01.2015
    Bundesjustizminister Heiko Maas, SPD, im November 2014
    Der Europäische Gerichtshof habe im letzten Jahr entschieden, dass die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung nichtig ist, erklärte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD). (imago / commonlens)
    Mit den Gesetzen setze man eine UNO-Resolution um, so Maas. "Wir wollen die Ausreise von Dschihadisten unter Strafe stellen, wenn diese an Terrorcamps teilnehmen wollen." Die Finanzierung von Terrorismus solle ebenfalls unter Strafe gestellt werden. Der Gesetzentwurf soll nach Maas' Worten noch im Januar ins Kabinett.
    Maas: Vorratsdatenspeicherung verhindert keine Anschläge
    In der Diskussion um eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung nannte Maas es "fahrlässig, den Leuten weiszumachen, dass Anschläge damit zu verhindern seien". Es gebe die Vorratsdatenspeicherung in Frankreich, und sie habe die Anschläge nicht verhindert. Die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung verstoße zudem laut Europäischem Gerichtshof gegen Grundrechte.
    "Alle nehmen die Verteidigung der Freiheit in Anspruch. Die Vorratsdatenspeicherung würde auch zu mehr Überwachung von Journalisten führen. Das wäre eine Einschränkung von Freiheit und Rechtsstaat." Es gebe keinerlei Beweise dafür, dass die Vorratsdatenspeicherung "zu all den Segnungen führt, die mit ihr verbunden werden."
    Ausstattung der Polizei wird ein Thema
    Arnold Plickert von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) hatte im Deutschlandfunk eine bessere Ausstattung von Justiz und Polizei gefordert und gesagt: "Die Innere Sicherheit in Polizei und Justiz ist kaputtgespart worden." Mass räumte ein, dass "uns die Ausstattung- und Ressourcenfrage bei der Polizei beschäftigen wird".
    Maas zu Pegida: "Ihr seid alle Heuchler"
    An die Demonstranten der Pegida-Bewegung gerichtet sagte Maas: "Ihr seid alle Heuchler. Wenn die gleichen Leute, die vor einer Woche über die Lügenpresse schimpfen, jetzt mit Trauerflor zur Verteidigung der Pressefreiheit demonstrieren, ist das an Heuchelei nicht zu überbieten. Bleibt besser zu Hause."

    Das Interview mit Bundesjustizminister Heiko Maas in voller Länge:
    Christine Heuer: Drei Millionen Menschen haben gestern in Frankreich für die Freiheit in unseren Demokratien demonstriert. Allein in Paris waren es bis zu anderthalb Millionen, in der ersten Reihe die Angehörigen der Attentatsopfer, in der zweiten dann Spitzenpolitiker aus 50 Staaten, Francois Hollande, Angela Merkel, aber auch Benjamin Netanjahu und Mahmud Abbas, untergehakt, gemeinsam gegen die islamistische Bedrohung. Etwas in dieser Art schwebt SPD-Chef Sigmar Gabriel auch für Deutschland vor. Über die Sicherheitsmaßnahmen, neue mögliche Gesetze, möchte ich jetzt mit Bundesjustizminister Heiko Maas von der SPD sprechen. Guten Morgen, Herr Maas.
    Heiko Maas: Guten Morgen!
    Heuer: Ihr Freund aus dem Bundeskabinett, Thomas de Maizière, der Innenminister, hat gestern Abend angekündigt, dass Sie rasch ein neues Gesetzespaket mit neuen Maßnahmen für einen effektiveren Antiterrorkampf vorlegen wollen. Was steckt denn da drin, Herr Maas?
    Maas: Na ja, wir werden das machen, woran wir eigentlich schon seit Wochen arbeiten, also auch schon weit vor den Anschlägen in Paris, nämlich die Umsetzung der UN-Resolution Foreign Fighters, zu der wir uns völkerrechtlich verpflichtet haben. Das hat zwei Bestandteile. Zum ersten wollen wir die Ausreise von Dschihadisten unter Strafe stellen, wenn sie in der Absicht, an Terror-Camps teilzunehmen oder an terroristischen Auseinandersetzungen sich zu beteiligen, das Land verlassen wollen. Und zum zweiten werden wir eine weitere Forderung aus der UN-Resolution umsetzen, nämlich die Terrorismusfinanzierung mit einem eigenen Straftatbestand unter Strafe zu stellen. Das heißt: Auch bei kleinsten Beträgen, die in die Unterstützung des Terrorismus fließen, werden wir mit den Mitteln des Strafrechts in Zukunft dagegen vorgehen.
    Heuer: Wie schnell können Sie das realisieren? Wann treten diese Gesetze in Kraft?
    Maas: Wir arbeiten ja schon einige Zeit daran, also schon auch vor den Anschlägen in Paris, weil wir uns darauf auch international verständigt haben. Wir haben das mit unseren europäischen Partnern in den letzten Wochen abgestimmt, ist auch ganz wichtig, und deshalb gehe ich mal davon aus, dass der Entwurf, den das Justizministerium machen wird, noch im Januar ins Kabinett gehen wird.
    "In Frankreich gibt es eine Vorratsdatenspeicherung"
    Heuer: Sie sind gegen die Vorratsdatenspeicherung, gegen ihre Wiedereinführung. Ist das nicht fahrlässig nach dem Terror in Frankreich?
    Maas: Nein. Fahrlässig ist allenfalls, den Leuten weiß zu machen, dass die Vorratsdatenspeicherung geeignet wäre, solche Anschläge zu verhindern. In Frankreich gibt es eine Vorratsdatenspeicherung, sie hat die Anschläge nicht verhindert. Der Europäische Gerichtshof hat im April des letzten Jahres dagegen entschieden, dass die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung nichtig ist, weil sie gegen die Grundrechte verstößt. Und im Übrigen: Alle nehmen für sich im Moment in Anspruch: Je suis Charlie. Wir verteidigen unsere Freiheit und auch die Pressefreiheit und die Meinungsfreiheit. Die Vorratsdatenspeicherung wird auch zu mehr Überwachung von Presse und Journalisten führen. Das heißt, wir würden genau das machen, was die Terroristen eigentlich wollen, nämlich unsere Freiheit und unseren Rechtsstaat einschränken, und deshalb finde ich das auch aus diesem Grund völlig kontraproduktiv.
    Heuer: Herr Maas, finde ich auch alles nicht schön, aber es könnte ja ein effektives Instrument sein, jedenfalls sagen das viele, weil selbst wenn Anschläge nicht vorher verhindert werden können, man doch hinterher die Hintergründe und die Hinterleute finden kann. Können Sie wirklich auf ein solches Instrument im Kampf gegen den Islamismus verzichten in den Zeiten, die wir gerade erleben?
    Maas: Wissen Sie, wenn der Europäische Gerichtshof Entscheidungen trifft, dann werden sich alle daran halten müssen, unabhängig davon, ob ihnen das gefällt oder nicht.
    Heuer: Das ist aber eine Frage der politischen Gespräche und der Art und Weise, wie man solche Gesetze dann anfasst.
    Maas: Wenn der Europäische Gerichtshof entscheidet, dass etwas nichtig ist, weil es gegen die Grundrechte verstößt, dann kann die Politik nicht hingehen und sagen, interessiert uns nicht.
    Heuer: Und die Innenminister der SPD, die dafür sind, die liegen falsch?
    Maas: Der Europäische Gerichtshof hat gesagt, dass die Vorratsdatenspeicherung gegen die Grundrechte verstößt.
    Heuer: Ich verstehe Ihr Argument, Herr Maas. Ich frage nur trotzdem: Die SPD-Innenminister, die sind ja mehrheitlich dafür. Täuschen die sich alle?
    Maas: Es ist durchaus auch in der Vergangenheit vorgekommen, dass man unterschiedliche Auffassungen zu bestimmten Themen hat. Die Sicherheitspolitiker wollten immer die Vorratsdatenspeicherung. Aber es ist nun einmal so, dass der Europäische Gerichtshof so entschieden hat, und es ist auch so, dass die Vorratsdatenspeicherung in Frankreich die Anschläge nicht verhindert hat, und es ist im Übrigen auch so, dass es keinerlei Beweise dafür gibt, dass die Vorratsdatenspeicherung zu all den Segnungen führt, die mit ihr verbunden werden. Und deshalb, finde ich, muss man darüber jetzt überhaupt nicht den Stab brechen. Ich finde das ohnehin, nach solchen Anschlägen jetzt mal gleich ein Thema wieder auf die Tagesordnung zu setzen, das mit den Anschlägen in der Form nichts zu tun hat, auch schon nur schwer nachvollziehbar.
    "Terrorismus ist ein internationales Problem"
    Heuer: Dann kommen wir zu einem Thema, das tatsächlich damit unbestritten zu tun hat. Ihre SPD-Generalsekretärin Jasmin Fahimi, die hat gesagt, unsere Polizei und unsere Sicherheitsbehörden sind bestens gerüstet für den Kampf gegen den Terrorismus. Zitat Ende. Das sieht die Polizei ganz anders. Hören wir uns einmal Arnold Plickert an. Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei hat am Samstagmorgen hier im Deutschlandfunk gesagt:
    O-Ton Arnold Plickert: "Die innere Sicherheit ist, wenn man es ein bisschen provokant sagen will, fast kaputtgespart worden. Das gilt nicht nur für Polizei, das gilt auch für Justiz. Bei der Polizei sind in den letzten Jahren 15.000 Stellen abgebaut worden. Und wer bei dieser Sicherheitslage, so wie wir sie jetzt haben, die auch von keinem bestritten wird, wer jetzt noch darüber denkt, Polizei abzubauen, der spielt diesen Gruppen in die Hand."
    Heuer: Das kann man als Hilferuf verstehen, Herr Maas. Hat die Politik hier in der Vergangenheit Fehler gemacht und wollen Sie daran etwas ändern?
    Maas: Dass die Ausstattung der Sicherheitsbehörden ein Thema werden wird, ich glaube, das ist völlig unbestritten. Das wird die Länder betreffen, das wird auch den Bund betreffen. Es wird aber auch viel um die internationale Zusammenarbeit gehen. Das heißt: Wie werden wir mit den Ressourcen, die wir haben - und das müssen wir klären, wie diese Ressourcen in Zukunft ausgestattet werden -, wie werden wir mit denen mit anderen Ländern zusammenarbeiten? Terrorismus ist ein internationales Problem und insofern wird auch sicherlich die Ausstattungsfrage und die Ressourcenfrage bei den Sicherheitsbehörden uns in den kommenden Wochen beschäftigen.
    Heuer: Also Sie sind dafür, dass es mehr Mittel geben soll für Polizei und Sicherheitsdienste?
    Maas: Ich bin dafür, dass wir darüber reden, und die zuständigen Stellen haben bereits verabredet, darüber zu reden, und das ist ein Punkt, über den in den kommenden Wochen sicherlich auch geredet wird.
    Fluggastdaten in Europa
    Heuer: Reden werden Sie auf internationaler Ebene über den Fluggastdatenaustausch. Da sind Sie dafür, da stärkere europäische Regeln zu vereinbaren?
    Maas: Na ja, da muss mal geklärt werden, ob es auch was bringt. In Europa muss man ja zumindest mal darauf hinweisen, dass um von einem Land ins andere zu kommen man nicht unbedingt fliegen muss. Das ist nun einmal so und deshalb geht es eben nicht nur um Fluggastdaten, sondern es geht auch um andere Daten, wo wir uns darüber unterhalten müssen, wie diese Daten verfassungskonform erhoben und auch ausgetauscht werden. Wie es mit den Fluggastdaten weitergehen wird, ist ein Thema, das im Europäischen Parlament hängt und auch jetzt zu entscheiden sein wird. Auch das ist einer der Punkte, die die Innenminister jetzt auf die Tagesordnung gesetzt haben und die in den kommenden Wochen nicht nur zu beraten, sondern auch zu entscheiden sein werden.
    Heuer: Na ja, bisher war die SPD ja nicht so richtig begeistert vom Fluggastdatenaustausch, um bei diesem Beispiel zu bleiben. Wollen Sie jetzt die Daten stärker vernetzen? Sind Sie jetzt dafür, Herr Maas?
    Maas: Ich bin grundsätzlich dagegen, wenn irgendetwas passiert die Argumente, die man vorher vertreten hat, nicht mehr hochzuhalten. Bei den Fluggastdaten wird man jetzt darüber reden müssen. Auch dazu hat der Europäische Gerichtshof ja ein Gutachten vorgelegt im Europäischen Parlament. Ich gehe mal davon aus, dass das dort sehr sachlich und verantwortungsvoll diskutiert wird. Aber das müssen die Kollegen dort vor Ort entscheiden.
    Maas kritisiert Pegida-Demonstranten: "Ihr seid alle Heuchler!"
    Heuer: Wir müssen, Herr Maas, noch über Pegida sprechen, auch weil es einfach immer wieder Freude macht, mit Ihnen darüber zu sprechen, Sie dazu zu hören.
    Maas: Mir macht es aber gar keine Freude, über die reden zu müssen, ganz ehrlich gesagt.
    Heuer: Ja, ich verstehe das in der Sache. Trotzdem sind Sie - und das hören wir dann gerne - ein Freund klarer Worte. Pegida demonstriert in Dresden heute mit Trauerflor, obwohl Sie aufgerufen haben, die ganze Demonstration sein zu lassen. Was geben Sie denn den Demonstranten mit auf den Weg?
    Maas: Ihr seid alle Heuchler! Denn ehrlich gesagt: Wenn die gleichen Leute, die vor einer Woche die Presse als Lügenpresse beschimpft haben, sich heute einen Trauerflor um den Arm legen, dann ist das an Heuchelei wirklich nicht mehr zu überbieten. Denen kann man wirklich nur sagen: Bleibt besser Zuhause.
    Heuer: Der Bundesjustizminister, Heiko Maas, Sozialdemokrat, heute Früh im Deutschlandfunk. Herr Maas, danke fürs Gespräch.
    Maas: Danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.