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Frauen in der Politik
Warum es noch nie eine Kandidatin ins Bundespräsidentenamt geschafft hat

Das höchste Amt in Deutschland - noch nie hat es eine Frau ausgefüllt. Dabei gab es im Lauf der Jahrzehnte immer wieder Frauen, die bei der Bundespräsidenten-Wahl kandidiert haben. Allerdings nur selten mit guten Erfolgsaussichten. Das lag auch am mangelnden Rückhalt in den Reihen der eigenen Partei.

Von Norbert Seitz |
Gesine Schwan
Gesine Schwan (imago images/Arnulf Hettrich)
Es hat 56 Jahre gedauert, bis mit Angela Merkel die erste Frau Bundeskanzlerin wurde. Auf eine erste Bundespräsidentin wartet Deutschland aber immer noch. Obwohl es seit Bestehen der Bundesrepublik etliche Versuche gab.
„Und als Frau muss ich sagen, hier haben wir geradezu eine Ehrenpflicht, eine Ehrenpflicht gegenüber den Frauen, die noch in weißem Haar auf der Straße gestanden haben zum Zweck der Enttrümmerung und die nun plötzlich arbeitslos werden, weil wir sie nicht mehr bezahlen können.“ So kämpft Louise Schroeder im Ersten Deutschen Bundestag für die Trümmerfrauen im zerstörten Nachkriegsdeutschland.

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Sprechchöre für Louise Schröder

Die Sozialdemokratin ist in Zeiten der Luftbrücke und Währungsreform Oberbürgermeisterin im geteilten Berlin. Sprechchöre feiern sie am Ende der Berlin-Blockade im Mai 1949, in den Medien und in Kreisen der Politik wird sie sogar für das Amt des Bundespräsidenten vorgeschlagen, das im September desselben Jahres zum ersten Mal besetzt werden soll. Doch daraus wird nichts. Die SPD tritt statt ihrer mit Parteichef Kurt Schumacher an. Der unterliegt dem Liberalen Theodor Heuss.  
„Meine Damen und Herren, ich bin geboren am 25. Juni 1878. Ich darf fragen, ob sich ein Mitglied im Hohen Hause befindet, dass zu einem früheren Termin geboren ist, dann bitte ich es, sich zu melden. Das ist offenbar nicht der Fall. Dann erkläre ich die erste Sitzung der II. Wahlperiode des Deutschen Bundestages der Bundesrepublik Deutschland für eröffnet.“ So eröffnet die Freidemokratin Marie-Elisabeth Lüders 1953 den Zweiten Deutschen Bundestag.
Marie Elisabeth Lüders (ganz links)
Marie Elisabeth Lüders (links) im Jahr 1958 mit russischen Studenten in Bonn (imago/United Archives International)

Annemarie Renger - erste offizielle Kandidatin

Die verdiente Sozialpolitikerin und Frauenrechtlerin ist im Jahr danach auf der zweiten Bundesversammlung die erste Frau, die wenigstens passiv als Kandidatin an einer Bundespräsidentenwahl teilhat. Sie erhält eine einzige Stimme, obwohl sie gar nicht angetreten ist. Diese zunächst vorgesehene Möglichkeit, auch unabgesprochen Kandidatinnen und Kandidaten nominieren zu können, wurde nach weiteren Stimmabgaben für ungefragte Kandidaten abgeschafft. Bis zur ersten ganz förmlichen Kandidatur einer Frau in der Bundesversammlung wird noch ein Vierteljahrhundert ins Land gehen. 1979 lässt sich mit Annemarie Renger ein sozialdemokratisches Urgestein zu einem Versuch überreden.

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„Meine Damen und Herren, ich bitte Platz zu nehmen.“

Die erste Parlamentspräsidentin der SPD von 1972 bis 1976 weiß allerdings anderthalb Tage vor der Bundesversammlung noch nichts von ihrem Glück, in ein aussichtsloses Rennen gegen Karl Carstens von der CDU gehen zu sollen. Auch wenn ihre Bereitschaft hinterher zur ersten aktiven Frauenkandidatur in der Geschichte der Bundesrepublik schöngeredet wird, ist es eine fragwürdige Premiere, bei der die damalige Kanzlerpartei SPD keine gute Figur macht. Denn vorher hatten sich die Genossen bei parteiunabhängigen Prominenten wie der Publizistin Marion Gräfin Dönhoff oder dem Naturwissenschaftler Carl-Friedrich von Weizsäcker einen Korb geholt.
Annemarie Renger schreibt dennoch in ihren Erinnerungen: „Ich empfand es auch als Ehre, von meiner Partei für das höchste Amt der Bundesrepublik nominiert zu werden. Dem neuen Bundespräsidenten Karl Carstens habe ich herzlich gratuliert. Er war so freundlich zu sagen, er hätte mich gern als Bundespräsidentin gesehen.“
Annemarie Renger im Oktober 1993
Erste ganz förmliche Kandidatur einer Frau in der Bundesversammlung: Annemarie Renger (imago stock&people/teutopress)

Debatte um Einführung einer Volkswahl

Doch die 7. Bundesversammlung 1979 steht auch im Zeichen einer ersten größeren Debatte um den Vorschlag der Einführung einer Volkswahl des Staatsoberhauptes. Der Grund: Mit Walter Scheel muss ein überaus populärer Amtsinhaber in Ermangelung einer sozialliberalen Mehrheit in der Bundesversammlung abtreten. Doch die Idee einer direkten Wahl setzt sich nicht durch. Heftig wird die sogenannte Hindenburg-Keule geschwungen, in abschreckender Erinnerung an jenen direkt gewählten Reichspräsidenten und dessen fatale Rolle am Ende der Weimarer Republik.
„Was mich wirklich interessiert, ist der Mensch. Der Mensch – was macht er, was tut er, was will er, was organisiert er, welche Fehlschritte macht er? Das ist die wichtige Frage, die mich beschäftigt," bekundet die Schriftstellerin Luise Rinser 1984. Sie lässt sich dazu überreden, als Kandidatin der Grünen anzutreten, die 1983 erstmals in den Bundestag eingezogen sind. Die Ökopartei ist sich aber uneins, ob sie ihre Rolle als Fundamentalopposition oder als konstruktive Konkurrenz wahrnehmen soll. Die Kandidatur überzeugt nicht, denn Luise Rinser weiß selbst nicht, warum sie ausgerechnet gegen den von ihr sehr geschätzten Richard von Weizsäcker antreten soll. Zudem stuft sie die Bedeutung der Politik ohnehin als gering ein.
Ihre Kandidatur begründet Rinser mit den Worten:  Die Alternative ist erstens eine Frau als Repräsentantin eines Landes im Volk statt wiederum eines Mannes. Zweitens einer Überparteilichen statt eines Parteigebundenen.“ 

Auf die als Außenseiterin angetretene Luise Rinser entfallen mit 68 Stimmen schließlich aber immerhin doppelt so viele Stimmen wie die Grünen Delegationsstärke in der Bundesversammlung haben. Grundsätzlich ist die Bundesversammlung durchaus ein Forum für Alternativ- oder Zufallskandidaten, die nicht erst Beschlussgremien einer Partei durchlaufen haben müssen. Denn jede Bürgerin und jeder Bürger kann von einem Mitglied der Bundesversammlung als Bundespräsident oder Bundespräsidentin vorgeschlagen werden.
Die Schriftstellerin Luise Rinser am 15.08.1995
Lässt sich überreden, als Kandidatin der Grünen anzutreten: die Schriftstellerin Luise Rinser (imago images/Horst Galuschka)

Fraueninitiative setzt Hildegard Hamm-Brücher durch

1994, im Vorfeld der Wahl um die Nachfolge von Richard von Weizsäcker, verblüfft Kanzler Helmut Kohl mit seinem Vorschlag, den sächsischen Landesjustizminister Steffen Heitmann zu nominieren. Der allerdings manövriert sich rasch mit unbotmäßigen Äußerungen über Frauenrechte und den Holocaust ins Abseits. Auch aus Protest gegen dieses unwürdige Vorspiel formiert sich eine partei-übergreifende Fraueninitiative, um die Freidemokratin Hildegard Hamm-Brücher für das höchste Staatsamt vorzuschlagen.

„Das Deutschland-Bild und das Vertrauen in diese Bundesrepublik Deutschland, das personalisiert der Bundespräsident.“

Mit circa 10.000 Unterschriften gelingt es der Aktion, die FDP, die den Konflikt mit dem Koalitionspartner CDU/CSU zunächst eher meiden will, doch so unter Druck zu setzen, dass sie die streitbare Linksliberale aus ihren Reihen für die Wahl am 23. Mai 1994 aufstellt. Helmut Kohl nennt den Kampf um die Weizsäcker-Nachfolge in seinen Erinnerungen „ein Stück aus dem Tollhaus“, denn Hildegard Hamm-Brücher ist für ihn eine Persona non grata, seit sie 1982 beim konstruktiven Misstrauensvotum mit einer mutigen Rede gegen die Abwahl Helmut Schmidts votiert hatte.  Noch immer grollt Kohl in seinen 2007 erschienenen Erinnerungen, „dass diese Dame für meine Partei völlig inakzeptabel war. Warum die FDP diese Provokation inszenierte, ist mir bis heute schleierhaft.“
Hildegard Hamm-Brücher am 28.01.2009 bei einer Festveranstaltung
Kandidatin im Jahr 1994: Hildegard Hamm-Brücher (imago images/Mary Evans)

FDP-Fraktion lässt eigene Kandidatin fallen

Kohl droht mit Koalitionsbruch. Mit 69 zu 40 Stimmen drängt die FDP-Fraktion vor dem dritten Wahlgang die frühere Staatsministerin im Auswärtigen Amt, ihre Kandidatur zurück zu ziehen. Nur um anschließend des Kanzlers Wunsch gemäß den Unions-Kandidaten Roman Herzog zu wählen. Damit entscheiden sich die Liberalen für einen Weg, den Hamm-Brücher vor der Bundesversammlung für sich noch ausschließen wollte: die eigene Kandidatin fallen zu lassen, um die Koalition mit Kohl nicht aufs Spiel zu setzen.    

„Ich fände das erstens sehr schädlich. Und zweitens würde ich das auch gar nicht zulassen, denn ich bin der Meinung, dass die Bundespräsidentenwahl überhaupt nichts damit zu tun hat, ob die Koalition fortgesetzt wird oder nicht.“

Als Roman Herzog nur kurz nach seinem Amtsantritt vorschnell bekundet, 1999 nicht erneut antreten zu wollen, preschen sozialdemokratische Frauenzirkel vor, um die sich abzeichnende rot-grüne Mehrheit in der Bundesversammlung für die Wahl einer ersten Bundespräsidentin aus den eigenen Reihen zu nutzen. Doch da ist noch Johannes Rau, der nach seiner Niederlage gegen Herzog erneut antreten möchte. Die SPD-Frauen verlässt der Mut, eine parteiinterne Kampfkandidatur zu wagen. Woraufhin das kursierende Motto „Frau statt Rau“ nunmehr von der Union gierig aufgegriffen wird.        

„Ich möchte mit meiner Kandidatur einmal die Menschen in den neuen Bundesländern aufrufen und ihnen sagen, dass sie sich engagieren können, dass sie sich engagieren sollen, dass sie sich engagieren müssen.“
Dagmar Schipanski, eine zunächst parteilose Physikprofessorin aus dem thüringischen Ilmenau wird Kandidatin der Union aus dem Osten gegen Rau. Aber sie ist nicht allein.
Dagmar Schipanski  während eines Pressetermins in Berlin
1999 Kandidatin gegen Johannes Rau: Dagmar Schipanski (imago/Metodi Popow)
„Es geht nur um den Frieden. Ich verstehe nichts von Politik. Und ich bin keine Politikerin, nur Theologin und nichts anderes. Und was die PDS inhaltlich denkt oder wertet, das ist mir völlig egal. Die PDS ist die einzige Partei in Deutschland, die sagt: ‚Schluss mit den Bomben!‘ Und da sage ich: ‚Recht habt ihr.‘“

Uta Ranke-Heinemann tritt für die PDS an

Mit der Theologin Uta Ranke-Heinemann tritt 1999 eine weitere Bewerberin für das oberste Staatsamt an - auf dem Ticket der PDS. Die Tochter des früheren Bundespräsidenten Gustav Heinemann versteht ihre Kandidatur als „symbolische Anti-Kriegs-Geste“, aus Empörung über die Bomben der NATO auf Belgrad während des Kosovo-Kriegs 1999.
Uta Ranke-Heinemann
Weitere Kandidatin Jahr 1999: Uta Ranke-Heinemann (imago images/Sven Simon)

Quereinsteigerin Gesine Schwan

Eine andere Quereinsteigerin bietet die SPD 2004 mit Gesine Schwan auf, der Präsidentin der Universität Viadrina in Frankfurt-Oder, die in Zeiten der Politikverdrossenheit als Vermittlerin zwischen den Unzufriedenen im Lande und der in Misskredit geratenen Parteienwelt wirken möchte.

„Ich beobachte immer wieder, und das ist ein Kummer für mich, dass es einen Graben gibt häufig zwischen Gesellschaft und Politik. Und diesen Graben muss man überwinden.“

Doch die rot-grüne Regierungskoalition hat ihre Bundesversammlungsmehrheit verloren. Die CDU-Chefin Merkel und der FDP-Vorsitzende Westerwelle denken sich mit ihrer Mehrheit erstmals einen Mann der Wirtschaft aus, den ehemaligen Chef des Internationalen Währungsfonds, Horst Köhler.

„Es entfielen auf Herrn Horst Köhler 604 Stimmen, auf Frau Gesine Schwan 589 Stimmen.“

Ein denkbar knappes Resultat. Gleichzeitig nimmt mit dem Hinterzimmer-Deal für den weithin unbekannten Horst Köhler die Diskussion um die Direktwahl eines Bundespräsidenten von Neuem Fahrt auf.

„Es gibt überhaupt keinen Grund, das der Gekungele von 5,6 Leuten zu überlassen. Ich bin für die Volkswahl, da muss man die Kompetenzen des Präsidenten erhöhen. Aber man muss keinen französischen, amerikanischen Präsidenten aus ihm machen. Es genügt ein österreichischer", empört sich SPD-Vordenker Peter Glotz. Doch den Verfechtern eines neuen Wahlmodus geht es inzwischen nicht mehr nur darum, das repräsentative Amt dem parteipolitischen Ränkespiel zu entziehen.
Peter Glotz etwa will über einen plebiszitär gestärkten Präsidenten auch die - Zitat - „Verkrustungen des Parteiensystems aufbrechen“. Die Direktwahl-Befürworter müssen freilich passen bei der Frage, wie man die Stellung des Bundespräsidenten aufwertet, ohne hinterher in einem autoritäreren System zu landen. Denn – so der damalige Bundestagspräsident, der Sozialdemokrat Wolfgang Thierse:  
„Man kann nicht jemand direkt wählen, der dann am Schluss nichts zu sagen hat. Das wäre im Grunde eine Täuschung der Bevölkerung. Das sollte man nicht tun.“
Steinmeier vor zweiter Amtszeit - Interview Gesine Schwan, Politologin (06.01.2022)


Als Bundespräsident Köhler sich entschließt, 2009 erneut anzutreten, sind die SPD-Granden, darunter auch Frank-Walter Steinmeier, eher geneigt, die Wahl des christdemokratischen Amtsinhabers im Rahmen der Großen Koalition zu unterstützen. Doch da ist Gesine Schwan. Die wirbt eisern darum, erneut gegen Köhler antreten zu dürfen, weil sie sich dieses Mal größere Chancen ausrechnet als 2004 - trotz der inzwischen hohen Beliebtheitswerte von Köhler. Eine Farce nimmt ihren Lauf.
Gesine Schwan
Trat zweimal an -2004 und 2009: Gesine Schwan (imago images/Arnulf Hettrich)

Beate Klarsfeld als linke Galionsfigur gegen Gauck

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles schwingt die feministische Fahne für Schwan, die sich selbst gar nicht unbedingt das Etikett Feministin anheften mag. Am Ende erfährt Gesine Schwan nur halbherzig Unterstützung in den eigenen Reihen. So gewinnt Horst Köhler dieses Mal mit über hundert Stimmen Vorsprung. Die Linke indes schickt 2009 keine Frau, sondern einen Tatort-Kommissar ins Rennen, den Schauspieler Peter Sodann. Eine Kandidatur, die bei vielen für Kopfschütteln sorgt. Ehe 2010 die TV-Journalistin und Bundestagsabgeordnete Luc Jochimsen nach einigen Absagen als Verlegenheitskandidatin antreten darf. 2012 aber, nach dem vorzeitigen Abgang von Bundespräsident Christian Wulff, setzt die Partei mit Beate Klarsfeld eine linke Galionsfigur gegen den Favoriten Joachim Gauck in Szene. Berühmt ist Klarsfeld bis heute dafür, dass sie im Aktionsjahr 1968 den NS-vorbelasteten Bundeskanzler Kiesinger öffentlichkeitswirksam geohrfeigt hatte. 
Beate Klarsfeld in Hamburg am 23.04.16
Die Linke setzt 2012 auf Beate Klarsfeld (imago images/Eventpress)
„Es war eine Ohrfeige für Deutschland, die der deutschen Jugend einen ehemaligen Nazi aufgezwungen hatte. Am Abend sagte mein Mann zu mir, Du wirst lange warten müssen, bis Deutschland sich dir erkenntlich zeigt. Du wirst sehen, wenn Du alt bist, kommt es.“

Es kommt aber nicht, zumindest nicht im Rahmen der Bundesversammlung.

„Auf Herrn Dr. Rose sind drei Stimmen entfallen. Auf Frau Beate Klarsfeld 126 Stimmen, auf Herrn Dr. h.c. Joachim Gauck 991 Stimmen.

Gauck: „Ich nehme diesen Auftrag an.“

Merkel klopft bei Marianne Birthler an

Der parteilose Gauck erweist sich als Glücksgriff. Denn mit den Demissionen von Horst Köhler 2010 und Christian Wulff 2012 ist immer öfter die Sinnfrage gestellt worden: Brauchen wir dieses Amt überhaupt? Eine in der Bevölkerung mehrheitsfähige Alternative wurde aber dazu nie entwickelt. Dem früheren Pastor aus Rostock gelingt es, das ramponierte Amt wieder neu zu justieren und weiteren Direktwahl-Offensiven einstweilen den Boden zu entziehen. Geblieben ist dagegen die Frauenfrage. So werden 2017 gegen Frank-Walter Steinmeier mehrere präsidiable Gegenkandidatinnen genannt. Selbst die Kanzlerin klopft bei Marianne Birthler von Bündnis 90 / Die Grünen an, doch die frühere Leiterin der Stasi-Unterlagenbehörde fühlt sich, mit diesem hohen Amt überfordert. Zwei Abtrünnige gehen stattdessen auf dem Außenseiterticket ins Rennen: Armutsforscher Christoph Butterwegge, vormals SPD, für die Linke und Albrecht Glaser, vormals CDU, für die AfD.
Letzterer versteht sich als Protestkandidat gegen Merkels Flüchtlingspolitik. Am Ende setzt sich mit dem früheren Außenminister Frank-Walter Steinmeier nach Gustav Heinemann und Johannes Rau der dritte Sozialdemokrat durch, obwohl viele in ihm eher eine höhere Beamtenseele als einen wortgewaltigen Festredner sehen.  

„Der Blick auf die Welt, insbesondere der auf Europa, der lehrt uns, auch heute ist eine schwere Zeit, aber, meine Damen und Herren, diese Zeit ist unsere, wir tragen die Verantwortung. Wenn wir anderen Mut machen wollen, dann brauchen wir selber welchen.“

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