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Bundespräsidenten-Wahl
Linken-Kandidat Trabert würde Armut in den Fokus rücken

Ihm sei klar, dass seine Chance, am 13. Februar zum Bundespräsidenten gewählt zu werden, gering sei, sagte der parteilose Linken-Kandidat Gerhard Trabert im Dlf. Im Fall einer Wahl würde er „das Thema Armut vehement in die öffentliche und die politische Diskussion einbringen“, so der Sozialmediziner.

Gerhard Trabert im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 11.01.2022
Kandidat der Linken für das Amt des Bundestagspräsidenten - der Sozialmediziner Gerhard Trabert
Kandidat der Linken für das Amt des Bundestagspräsidenten - der Sozialmediziner Gerhard Trabert (picture alliance / dpa / Peter Zschunke)
Am 13. Februar tritt die Bundesversammlung zusammen, um einen neuen Bundespräsidenten zu wählen. Das Ergebnis wird wohl nicht überraschend ausfallen: SPD, Grüne, Liberale und die Union haben angekündigt, Amtsinhaber Frank-Walter Steinmeier (SPD) eine zweite Amtszeit ermöglichen zu wollen.
Die Partei Die Linke hat dennoch den Mainzer Sozialmediziner Gerhard Trabert nominiert. Trabert ist parteilos, hat eine Professur für Sozialmedizin und Sozialpsychiatrie an der Hochschule Rhein-Main. Er ist außerdem Gründer und Vorsitzender des Vereins Armut und Gesundheit in Deutschland. Regelmäßig fährt er mit dem Arztmobil durch Mainz, um Wohnungslosen und Menschen ohne Krankenversicherungsschutz medizinisch zu helfen.
Im Interview mit dem Deutschlandfunk betonte er, dass er im unwahrscheinlichen Fall eines Wahlsieges das Thema Armut mehr ins öffentliche Bewusstsein rücken – und auch weiter mit dem Arztmobil unterwegs sein wolle. Wohnungslose seien „die Spitze des Armutseisberges in unserer Gesellschaft“, sagte Trabert. Dieser Personenkreis würde dadurch mehr Aufmerksamkeit bekommen.
Der Arzt Gerhard Trabert untersucht am 28. März 2017 ein Kind in einem nordsyrischen Flüchtlingscamp
Der Arzt Gerhard Trabert untersucht ein Kind in einem syrischen Flüchtlingscamp (picture alliance / dpa /Armut und Gesundheit e.V./dpa | Armut und Gesundheit e.V.)
Im Hinblick auf sozial benachteiligte Menschen zeigte sichr der Mediziner auch enttäuscht von der bisherigen Arbeit der Ampelkoalition. Besonders enttäusche ihn die Anhebung des Hartz-IV-Satzes um drei Euro: „Das ist de facto eine Kaufkrafterniedrigung und das zeigt mir, wie weit weg auch diese Ampel von der Lebensrealität von Arbeitslosengeld-II-Beziehern ist.“

"Deutschland kann viel mehr leisten – das fordere ich ein“

Gerhard Trabert hat in der Vergangenheit wiederholt an zivilen Einsätzen zur Seenotrettung von Migranten im Mittelmeer teilgenommen. Von Deutschland und Europa forderte er ein Rettungskonzept ein. „Es kann nicht sein, dass die Menschen dort im Stich gelassen werden, dass sie ertrinken. Ich war auf Lesbos. Es kann nicht sein, dass Menschen dort dahinvegetieren. Hier müssen klare humanitäre Zeichen gesetzt werden“, betonte Trabert.

Lesen Sie hier das vollständige Interview:
Dirk-Oliver Heckmann: Ist der Begriff Zählkandidat für Sie ein Schimpfwort?
Gerhard Trabert: Nein, überhaupt nicht. Ich sehe diese Kandidatur als eine Chance, inhaltliche Themen, das Thema Armut noch mal vehement in die öffentliche, in die politische Diskussion einbringen zu können. Von daher: Mir ist vollkommen klar, dass die Chance, Bundespräsident zu werden, sehr, sehr, sehr gering ist, aber wer nicht antritt, hat schon verloren.
Heckmann: Was würden Sie denn sagen, wenn Sie dann doch gewählt würden? Dann wären Sie überrascht.
Trabert: Da wäre ich sehr überrascht, aber dann würde ich genau das, diese Funktion versuchen, genau für die Menschen zu nutzen, die meines Erachtens zu kurz kommen in dieser Gesellschaft.

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Heckmann: Wie ist denn Die Linke überhaupt auf Sie zugekommen? Können Sie das ein bisschen beschreiben?
Trabert: Ich habe ja schon als parteiloser Kandidat hier im Wahlkreis für den Bundestag kandidiert auf dem Erststimmenplatz der Linken und ich kenne Janine Wissler von einer Kooperation im Hinblick der Krankenversicherung, dass jeder Mensch eine Krankenversicherung braucht. Da haben wir auch inhaltlich zusammengearbeitet. Vor zweieinhalb Wochen hat Janine Wissler mich angerufen und hat mich gefragt, ob ich mir denn so etwas vorstellen könnte.
Heckmann: Und wie haben Sie reagiert?
Trabert: Ich habe erst mal tief durchgeatmet und habe gesagt, da brauche ich jetzt ein paar Nächte, um mal darüber nachdenken und reflektieren zu können, ob ich das wirklich so möchte.

„Würde als Bundespräsident weiter im Arztmobil arbeiten“

Heckmann: Sie haben sich dann dazu durchgerungen. – Sie haben gerade gesagt, Sie würden das Thema Armut in den Mittelpunkt stellen. Was nützt es aber den zehntausenden obdachlosen Menschen beispielsweise, wenn Die Linke Sie zum Kandidaten für das Bundespräsidentenamt nominiert?
Trabert: Das nützt ihnen insofern: Wohnungslose Menschen – und ich sage immer, das ist die Spitze des Armutseisberges in unserer Gesellschaft -, da wird Armut sichtbar. Es sind ja noch wesentlich mehr Menschen davon betroffen. Dann würde dieser Personenkreis, glaube ich, mehr Aufmerksamkeit bekommen. Und ich würde es mir erlauben als Bundespräsident - das wäre wahrscheinlich ein Novum -, weiter im Arztmobil vielleicht dann nicht dreimal die Woche, sondern alle 14 Tage als Arzt weiterzuarbeiten. Da ist dann auch ein ganz praktischer Nutzen weiterhin vorhanden.
Arzt der Armen. Prof. Dr. Gerhard Trabert versorgt arme und obdachlose Menschen in Mainz und Umgebung.
Gerhard Trabert versorgt arme und obdachlose Menschen in Mainz und Umgebung. (Andreas Reeg)
Heckmann: Herr Trabert, vor fünf Jahren hatte Die Linke ja den Armutsforscher Butterwegge zur Wahl gestellt, ebenfalls mit geringen Erfolgsaussichten. Auch zuvor hat Die Linke immer wieder eigene Kandidaten ins Rennen geschickt. Sehen Sie nicht die Gefahr, dass Sie von der Linken benutzt werden, um Aufmerksamkeit auf die Partei zu lenken, die beinahe aus dem Bundestag rausgeflogen wäre und die derzeit nicht gerade im Fokus der Aufmerksamkeit steht? War das ein Gedanke für Sie?
Trabert: Ja, natürlich! Da habe ich mich mit Janine und auch mit Freunden und Bekannten unterhalten. Natürlich ist das, wenn man so will, eine Gefahr, aber es ist eine Win-Win-Situation. Ich habe ja keine Berührungsängste zur Linken und das, was Die Linke gerade im Kontext von sozialer Ungleichheit und Ungerechtigkeit sagt und fordert, dem stimme ich auch zu.
Auf der anderen Seite gibt Die Linke mir damit, mit viel Vertrauen, eine Chance, für die Menschen als Fürsprecher aktiv zu werden, die in unserer Gesellschaft immer wieder und immer noch zu kurz kommen. Es gibt 13 Millionen Menschen, die von Armut betroffen sind, und gerade unter Pandemie-Zeiten ist dieses Thema, die Lebenssituation sozial benachteiligter Menschen, viel zu kurz gekommen.

„Ampel ist weit weg von der Lebensrealität der Arbeitslosengeld-II-Bezieher“

Heckmann: Sie haben dieser Tage gesagt, Herr Trabert, Ihr Motto wäre mehr soziale Gerechtigkeit wagen mit Blick auf Willy Brandt und auf den aktuellen Koalitionsvertrag. Davon könnten Sie im aktuellen Koalitionsvertrag nichts erkennen. Jetzt wird der Mindestlohn auf 15 Euro hochgesetzt, Hartz IV wird zum Bürgergeld, die Zuverdienstmöglichkeiten werden ausgebaut, das eigene Vermögen nicht mehr komplett angerechnet, Kinder erhalten eine Grundsicherung. Reden Sie, Herr Trabert, die Fortschritte, die mit der Ampel verbunden sind, schlecht?
Trabert: Nein, die sehe ich auch und ich finde das auch einen richtigen Weg, der da eingeschlagen wird. Aber wissen Sie, ich bin enttäuscht, wirklich sehr enttäuscht, dass man in so einer Zeit den Hartz-IV-Satz um drei Euro erhöht. Das ist de facto eine Kaufkrafterniedrigung und das zeigt mir, wie weit weg auch diese Ampel von der Lebensrealität von Arbeitslosengeld-II-Beziehern ist.
Der Arzt Gerhard Trabert (r.) behandelt in einem Arztmobil in Mainz Obdachlose.
Der Arzt Gerhard Trabert (r.) behandelt in einem Arztmobil in Mainz Obdachlose. (imago/epd)
Heckmann: Es soll jetzt einen kräftigen Heizkostenzuschlag geben.
Trabert: Warten wir mal ab, was da kommt. Aber ich kann doch den Hartz-IV-Satz nicht um drei Euro erhöhen, wenn ich weiß, dass die Inflationsrate höher ist. FFP2-Masken kosten auch Geld, die Lebensmittelpreise sind erhöht worden. Jetzt nur zu sagen, das ist jetzt Bürgergeld und alles ist besser, das ist mir zu wenig.
Auch ist nicht mehr die Rede von einer Bürgerversicherung. Wir haben immer noch das duale System gesetzliche/private Krankenversicherung. Es ist nicht mehr die Rede von einer Vermögenssteuer oder Einkommenssteuer. Woher will man denn das Geld nehmen, um hier sich mehr zu engagieren für sozial benachteiligte Menschen? Da bleiben viele Fragen, aber Sie haben recht: Vieles, was jetzt beschlossen wurde, geht in die richtige Richtung.

„Hier müssen klare humanitäre Zeichen gesetzt werden“

Heckmann: Herr Trabert, Sie sind in der Flüchtlingshilfe aktiv. Wir haben es gerade schon erwähnt. Wie ist denn da Ihre Haltung? Muss man versuchen, möglichst viele Menschen in Deutschland und Europa aufzunehmen, oder halten Sie es eher mit Sahra Wagenknecht, auch die Partei Die Linke, wonach wir den Menschen vor allem vor Ort helfen müssen?
Trabert: Ja, da habe ich eine ganz klare Position. Es ist ein Menschenrecht, vor Krieg, vor Not, vor existenzieller Bedrohung zu fliehen, und hier muss Deutschland, hier muss Europa die Menschen im Mittelmeer retten. Es braucht ein Rettungskonzept. Ich war ja im vergangenen Sommer auch wieder mit Rescue Ship im Mittelmeer. Es kann nicht sein, dass die Menschen dort im Stich gelassen werden, dass sie ertrinken. Ich war auf Lesbos. Es kann nicht sein, dass Menschen dort dahinvegetieren. Hier müssen klare humanitäre Zeichen gesetzt werden. Natürlich muss man auch die Ursachen bekämpfen, aber man darf jetzt die Menschen doch nicht im Stich lassen. Deutschland ist ein reiches Land und wir können wesentlich mehr als wir momentan leisten, und das fordere ich ein.
Flüchtlingslager Moria auf der Insel Lesbos
Trabert fordert von Deutschland mehr Hilfe für geflüchtete Menschen ein (dpa / picture alliance / Nicolas Economou)
Heckmann: Das heißt, Grenzen komplett öffnen?
Trabert: Grenzen komplett öffnen, das ist immer so ein Totschlag-Argument. Ich glaube, die Menschen wollen doch gar nicht unbedingt weg. Sie fliehen, weil in ihrer Heimat die Hölle ist, nicht weil bei uns das Paradies ist. Man braucht zumindest, wenn man an den Grenzen Europas über einen Asylantrag entscheiden will, humanitäre menschenrechtskonforme Unterbringungsmöglichkeiten, und das ist momentan nicht der Fall. Ich war an der Grenze Bosnien zu Kroatien, Pushback-Aktionen, die Menschen leben dort unter katastrophalen Bedingungen. Da muss sich dringend etwas ändern.
Heckmann: Ganz kurze Frage, Herr Trabert, zum Abschluss. Welches Ergebnis bei der Abstimmung wäre für Sie ein Erfolg?
Trabert: Ich bin schon zufrieden, wenn dieses Thema Armut, soziale Ungleichheit, die Situation Geflüchteter wieder mehr diskutiert wird und sich hier etwas verändert. Jede Stimme, die ich von anderen Parteien bekommen würde, wäre schön. Das wäre auch ein Statement für das Thema soziale Gerechtigkeit. Ich bin da ganz gelassen und versuche, jetzt einfach das Thema, für das ich stehe, immer wieder in die Diskussion einzuwerfen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.