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Bundestagswahl 2021
Die Regierungsambitionen der FDP

"Besser nicht regieren, als falsch zu regieren“ – nach der Bundestagswahl 2017 ließ FDP-Chef Christian Lindner die Jamaika-Verhandlungen platzen. Die Partei ging in die Opposition. Diesen Herbst soll alles anders werden. Die FDP will in Regierungsverantwortung, wenn auch nicht um jeden Preis.

Von Ann-Kathrin Büüsker | 12.08.2021
Christian Lindner, FDP-Bundesvorsitzender, spricht vor Teilnehmern auf einer Wahlkampfveranstaltung
Christian Lindner, FDP-Chef- und Spitzenkandidat, nutzt die Urlaubssaison, um entlang der Küste auf Stimmenfang zu gehen (picture alliance/dpa | Stefan Sauer)
Am Strand unterhalb der Seebrücke von Kühlungsborn spielen Kinder in den anlandenden Wellen. Zwischen Strandmuscheln und Sandburgen sind allerlei Dialekte aus ganz Deutschland zu hören. Von der Promenade dringt die Stimme eines Mannes zum Strand herunter.
FDP-Chef Christian Lindner bei seiner Wahlkampftour, die er am Morgen in Warnemünde begonnen hatte: "Einen schönen guten Morgen, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie großartig, dass wir hier in der Sonne – und viele von Ihnen werden ja im Urlaub hier sein und sich erholen – dass wir miteinander hier zusammen kommen können."

FDP hat sich von Kemmerichs Wahl berappelt

Der Spitzenkandidat der Freien Demokraten nutzt die Urlaubssaison, um entlang der Küste auf Stimmenfang zu gehen. In Umfragen steht die Partei derzeit zwischen zehn und 13 Prozent. Sie hat sich von dem Tief erholt, welches ihr die Wahl Thomas Kemmerichs zum Ministerpräsidenten von Thüringen eingebracht hatte und sich nach internen Verwerfungen und Unsicherheiten berappelt.
Wollen die Freien Demokraten jedoch wahr machen, was Parteivize Wolfgang Kubicki beim Parteitag im Mai großspurig als Ziel gesetzt hatte, bleibt noch einiges zu tun. "Wir wollen so stark werden, dass es ohne uns keine seriöse Regierungsbildung geben kann. Und mein persönliches Ziel ist es, dass die Freien Demokraten wieder drittstärkte Kraft in Deutschland werden, denn, unsere Sportfans, wir wollen aufs Treppchen."
Und an die Macht. Christian Lindner und die FDP wollen nach dem 26. September die Königsmacher sein. Wenn auch – und das wird die Partei nicht müde zu betonen – nicht um jeden Preis. Die eigenen Inhalte umsetzen, das ist das Ziel. Und da steht allem voran die Wirtschafts- und Finanzpolitik. Denn, so Lindner an der Strandpromenade: "Die Voraussetzung für die sozialen und die ökologischen Ziele dieser Gesellschaft, ist ein stabiles wirtschaftliches Fundament."
Christian Lindner, Fraktionsvorsitzender und Parteivorsitzender der FDP, spricht beim Bundesparteitag der FDP.
Was im Wahlprogramm der FDP steckt
Die FDP setzt in ihrem Wahlprogramm vor allem auf Steuererleichterungen und Bürokratieabbau. Zudem wollen sie die Digitalisierung stärken und lehnen eine Aufweichung der Schuldenbremse ab.

Wer wird das Finanzressort leiten: Lindner oder Habeck?

Wohl auch um dies zu unterstreichen, geht Christian Lindner inzwischen offensiv mit seiner Bewerbung als Finanzminister in den Wahlkampf. Die Frage sei nicht mehr, wer Kanzler werde – da sieht Lindner Armin Laschet bereits als gesetzt. Die Frage sei jetzt, ob er oder Robert Habeck das Finanzressort leiten werden.
"Es kann ja keinen Zweifel geben, dass ein grüner Finanzminister andere Inhalte vertritt als ein Liberaler. Wir kennen ja die Aussagen der Grünen in Bezug auf höhere Steuern, die Aufweichung der Schuldenbremse. Oder auch die Leitvorstellung im Grundsatzprogramm eines bedingungslosen Grundeinkommens. Und da hat die FDP inhaltlich andere Positionen. Eher Bildung als bedingungsloses Grundeinkommen. Eher Entlastung als Belastung."
Das Institut der Deutschen Wirtschaft hat die Steuerkonzepte aller Parteien nebeneinandergestellt und kommt zu dem Ergebnis, dass die Entlastungen der FDP besonders umfangreich sind – auch durch eine Verschiebung des Spitzensteuersatzes und die Abschaffung des Mittelstandsbauches. Profitieren würden davon alle – besonders aber Besserverdienende. "Steuererhöhungen sind Sabotage am Aufschwung" heißt es auf einem der Wahlplakate der FDP.
FDP gegen Steuererhöhungen
"Deutschland ist ein absolutes Hochsteuerland", sagte der stellvertretende FDP-Vorsitzende Johannes Vogel im Dlf. Aus der Verschuldung auch infolge der Coronakrise sei Wachstum der einzige Weg.
Wichtig ist der Partei außerdem: "Die Schuldenbremse einzuhalten, das ist entscheidend. Die schwarze Null ist ein Symbol darüber hinaus. Aber die Schuldenbremse ist eine zwingende Notwendigkeit. Wenn wir auch Stabilität innerhalb der Wirtschafts- und Währungsunion erhalten wollen und wenn wir Gerechtigkeit auch üben wollen gegenüber der Generation der Kinder und Enkel."

Steuerpolitik vor allem für Besserverdienende

Doch gleichzeitig hat die FDP einen enormen Investitions- und Modernisierungsbedarf ausgemacht, in Bildung und digitaler Infrastruktur etwa. Viel Geld ausgeben wollen, aber gleichzeitig die Einnahmen kappen – ein echtes Finanzierungskonzept dafür fehlt. Wirtschaftswachstum soll es richten.
Mit weniger Bürokratie und weniger Steuern soll die Wirtschaft "entfesselt" werden, die Wettbewerbsfähigkeit gesteigert: "Und diese Wettbewerbsfähigkeit führt zu Wirtschaftswachstum und das sichert Arbeitsplätze und künftige Steuereinnahmen", erklärt FDP-Fraktionsvize Michael Theurer.
Weniger Staat, mehr Individuum ist die altbekannte Devise. Das gilt für alle Lebensbereiche. "Wir sind ja anders als die CDU eine progressive Kraft und keine konservative, bewahrende politische Kraft. Wir wollen Veränderung, Wandel und Modernisierung", unterstreicht Generalsekretär Volker Wissing.

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Die Partei tritt ein für den Schutz geschlechtlicher Identität, für Selbstbestimmungsrechte für Transmenschen, für die Stärkung von LGBTIQ-Rechten in ganz Europa. Im Programm findet sich ein Passus zu liberalem Feminismus, der auf der Rechtsgleichheit aller Geschlechter aufbaue. Aller, nicht beider. Die FDP spricht von gewähltem und biologischem Geschlecht und löst sich damit von binärem Geschlechterdenken.
Im Digitalen sollen Bürgerrechte gewahrt werden, die Partei lehnt etwa den Einsatz von Staatstrojanern ab. Im Juli haben Mitglieder der Fraktion Verfassungsbeschwerde gegen die zuvor von der Großen Koalition beschlossenen Neuregelung eingelegt. In den Wahlkampfreden des Parteivorsitzenden sind es jedoch vor allem Wirtschafts- und Finanzaspekte, die betont werden. Mit den progressiven Aspekten wirbt der Parteivorsitzende kaum.
Gyde Jensen, Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Bundestages sieht darin kein Versäumnis: "Ich würde sagen nein, weil man ganz stark merkt, dass zum Beispiel ein wirtschaftlich erfolgreiches Land besser in der Lage ist, auch diese Grund- und Freiheitsrechte, Menschenrechte zu schützen. Und je besser man eben ein wirtschaftliches System auch ausgestalten kann, auf Grundlage der sozialen Marktwirtschaft, dann sind wir auch in der Lage, eine offene Gesellschaft ganz anders zu verteidigen und zu pflegen und das müssen wir, glaube ich, dann vielleicht an der einen oder anderen Stelle noch stärker herausstellen, wie das einander bedingt, aber ich bin überzeugt, dass es nur Hand in Hand geht."

Verfassungsbeschwerde gegen die Bundesnotbremse

Freiheit: Weniger Staat, mehr Individuum. Es war und ist auch die Maxime der Partei in der Coronapandemie.
"Die massiven Einschränkungen der persönlichen Freiheit, der Bewegungsfreiheit, der Reisefreiheit, aber auch der wirtschaftlichen Freiheit, sprich der Berufsausübungfreiheit, der unternehmerischen Freiheit, der Freiheit des Privateigentums, die waren ja schon massiv und dauern eben auch an", so Michael Theurer.
Kubicki (FDP) gegen kostenpflichtige Coronatests
Solange die epidemische Notlage nationaler Tragweite bestehe, habe die Allgemeinheit ein Interesse daran, Infektionsträger zu entdecken, sagte der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki im Dlf. Coronatests sollten deshalb kostenlos bleiben.
Die FDP hatte deshalb im April Verfassungsbeschwerde gegen die Bundesnotbremse eingelegt – da sie die Ausgangssperren und die geltenden Kontaktbeschränkungen für geimpfte Personen als Grundrechtseingriff sah – jedoch ohne Erfolg.
Wie sehr die Pandemie die Menschen bewegt, merkt auch Lindner bei seinen Wahlkampfauftritten. Wie es weitergehen soll, fragen die Menschen, die ihn stets nach seiner Rede umringen, Fragen stellen, Fotos machen, Autogramme erbitten.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)

FDP-Klimakonzept: Der Markt soll es regeln

Ein weiteres Thema: Klimaschutz. Auch, weil die Partei selbst inzwischen offensiv damit wirbt: Kein Auftritt, kein Interview, wo Parteimitglieder nicht von sich aus beginnen, über Klimaschutz zu sprechen, so auch der Parteichef:
"Und ich glaube, dass eine besondere Aufgabe darin besteht, den Menschen deutlich zu machen, dass das kein Elitethema ist, dass es für uns alle bedeutsam ist und dass es Möglichkeiten gibt, den Menschen auch ihre Freiheit und ihren Lebensstil weiter zu ermöglichen, aber bitteschön ohne Co2-Ausstoß. Und die Sorge ist aber doch spürbar."
Die FDP habe von allen Parteien das härteste Klimaschutzkonzept. Tatsächlich ist es das Konzept, welches am einfachsten auf den Punkt zu bringen ist: Der Markt soll es regeln. Der maßgebliche Kopf der Klimastrategie ist Lukas Köhler, klimapolitischer Sprecher der Fraktion, Generalsekretär der FDP in Bayern. Er will ein CO2-Limit einführen – das eine Restmenge an CO2 definiert, die ausgestoßen werden darf. "Sie verbieten also jeden Ausstoß, der über der Ihnen zur Verfügung stehenden Menge noch verbleibt."
Für Emissionen sollen Unternehmen aller Sektoren Zertifikate kaufen, der Preis dafür soll sich am Markt bilden – über den europäischen Zertifikatehandel. Diesen auch auf weitere Sektoren auszuweiten, hatte kürzlich auch die EU-Kommission vorgeschlagen. Die deutschen Klimaziele und Maßnahmen an einem 1,5-Grad-Ziel-kompatiblen CO2-Budget auszurichten, gehört zu den Kernforderungen des Sachverständigenrates für Umweltfragen, der die Bundesregierung wissenschaftlich berät.
Christian Lindner, Fraktionsvorsitzender im Bundestag und Parteivorsitzender der FDP, steht nach einer Buchpräsentation auf einer Dachterrasse.
Lindner (FDP): Grenzschließungen sind die "Ultima Ratio"
Wenn dauerhaft sichergestellt ist, dass Geimpfte das Coronavirus nicht weitergeben, könne es in Deutschland keine Freiheitseinschränkungen mehr für diese Menschen geben, sagte FDP-Chef Christian Lindner im Dlf. Grenzschließungen seien das letzte aller Mittel zur Pandemiebekämpfung.
"Schauen Sie, wir stehen vor einer der größten Veränderungen, die wir in der Geschichte der Menschheit kennen. Wir wechseln von mehreren fossilen Energieträgern hin zu nicht-fossilen Energieträgern. Und das in jedem Produktionsprozess, den es gibt. Und da müssen wir natürlich und das ist auch Aufgabe der Politik, Unterstützung leisten. Das eine ist natürlich bei der Investition in neue Infrastruktur, das zweite ist bei der Unterstützung von Forschung und Entwicklung. Und das dritte ist natürlich, wir müssen unsere CO2-Reduktionspolitik so ausgestalten, dass Unternehmen auf der einen Seite klare Regeln haben, das machen wir über das CO2-Limit und den CO2-Preis, der daraus entsteht. Und auf der anderen Seite aber natürlich politisch, dass die Vorgaben sonst so sind, dass man als Unternehmen den effizientesten Weg wählen kann, wie man da hinkommt, also ansonsten eine Technologieoffenheit im Markt einführt", erläutert Köhler.

Hoffnung auf Innovation

Mit Blick auf Mobilität etwa setzen die Freien Demokraten nicht nur auf das Elektroauto, sondern wollen durch die Förderung synthetischer Kraftstoffe auch Verbrennungsmotoren klimaneutral machen, erklärt Michael Theurer, FDP-Landesvorsitzender im Autoland Baden-Württemberg: "Wir haben global eine Milliarde Verbrennungsmotoren im Einsatz. Das wird auch noch über viele Jahrzehnte so sein und so bleiben müssen und da müssen wir etwas tun, um diese Verbrennungsmotoren teilweise oder ganz durch synthetische Kraftstoffe klimaneutral zu kriegen."
Auch, um Arbeitsplätze in den Industrien zu sichern. Doch synthetische Kraftstoffe sind noch nicht marktreif. Ihre Erzeugung erfordert enorme Mengen regenerativen Stroms zur Wasserstoffproduktion.
"Aber Sie haben ja auch noch keine Massenproduktion von synthetischen Kraftstoffen. Deswegen gehen wir auch davon aus, dass Sie sehr schnell zu wettbewerbsfähigen Preisen kommen können, wenn Sie einen entsprechenden Markt und eine entsprechende Technologieoffenheit schaffen", wendet Lukas Köhler ein. Es ist also auch eine Hoffnung auf Innovation.
Lukas Köhler, Sprecher für Klimapolitik der FDP-Bundestagsfraktion, spricht im September 2019 im Bundestag
FDP-Klimapolitiker Lukas Köhler (dpa)
Ein 1,5-Grad-Ziel kompatibles CO2-Budget könnte Zertifikate stark verknappen und zu deutlich steigenden Preisen führen. Im Gegenzug will die FDP die Stromsteuer senken, die EEG-Umlage abschaffen und die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung an die Bürgerinnen und Bürger zurückgeben. Für Lukas Köhler dient auch Klimaschutz der Wahrung der Freiheit – er sieht sich und seine Partei entsprechend auch durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz in ihrem Kurs gestärkt:
"Das Bundesverfassungsgericht argumentiert ja, dass das Nutzen von CO2 aktuell noch bedeutet, Handlungsoptionen und Chancen zu haben. Und das ist das, worauf wir als freie Demokraten unsere Politik ausrichten. Auf die Chancen von Menschen, ihr Leben selber in die Hand zu nehmen. Und wenn ich jetzt als aktuell lebende Generation diese Chancen minimiere, von kommenden Generationen, dann reduziere ich Freiheit."

Zentraler Begriff: Freiheit

Der Freiheitsbegriff findet im Wahlprogramm Anwendung auf nahezu alle Fragen des Lebens und der Politik. Inhalte stünden im Vordergrund, so Michael Theurer: "Klar, das ist eine der Lehren der außerparlamentarischen Opposition, dass wir gesagt haben, es kommt auf die Inhalte an – lasst uns über die Inhalte sprechen."
Worüber die FDP-Mitglieder nicht so gerne reden, sind Koalitionsoptionen – wobei dieses Thema in der heißen Phase des Wahlkampfs drängender werden könnte, glaubt Generalsekretär Volker Wissing: "Am Ende werden die Farbenspiele zunehmen, da geht es dann darum, wer kann mit wem und was kommt dabei heraus."
Auch wenn Wissing die FDP als progressive Partei darstellt und die Unterschiede zur Union betont – Parteichef Lindner macht immer wieder deutlich, mit wem er am liebsten regieren würde: "Die Union hat Armin Laschet nominiert, den wir kennen und schätzen aus der erfolgreichen Regierungszusammenarbeit in Nordrhein-Westfalen. Ich selbst konnte 2017 mit ihm vertrauensvoll innerhalb von vier Wochen eine Koalition bilden." Erinnerte Lindner in seiner Rede beim Parteitag im Mai.

Ein Bier auf die gute Zusammenarbeit von CDU und FDP in NRW

Den vierten Geburtstag ihres NRW-Koalitionsvertrags feierten Lindner und Laschet im Sommer medienwirksam bei Bier und Bratwurst mit ihren Fraktionen – wobei sie sich gegenseitig ausführlich lobten. Die FDP hat Fotos der Veranstaltung unter der Überschrift "NRW-Koalition als Vorbild für den Bund" auf ihrer Webseite dokumentiert.
Nun ist Schwarz-Gelb im Bund laut aktuellen Umfragen unwahrscheinlich, man dürfe Laschet aber nicht mit den Grünen alleine lassen, so erzählt es Christian Lindner immer wieder. Sein Ziel: Eine so starke FDP, dass Schwarz-Grün allein nicht möglich ist. Und das bedeutet: Er will vor allem der Union Wählerinnen und Wähler abjagen.
Die Koalitionäre Christian Lindner (FDP) und Armin Laschet (CDU)  am Rhein
NRW-Koalitionäre: Christian Lindner (FDP) und Armin Laschet (CDU) (picture alliance / dpa / Federico Gambarini)
Theoretisch könnten auch noch andere Modelle möglich sein. Eine Koalition mit SPD und Grünen – eine sogenannte Ampel. Lindner allerdings betont stets, dass mit der FDP kein Linksruck zu machen sei – etwa im ARD-Sommerinterview: "Und ich sehe nicht, dass es rechnerisch oder von den politischen Inhalten her, hinreichende Gemeinsamkeiten für ein Ampelmodell gibt. Mir fehlt die Fantasie."
Rechnerisch könnte eine Ampel aktuellen Umfragen zufolge allerdings durchaus möglich werden und horcht man in der Partei nach, klingt nicht jeder so vehement in seiner Ablehnung. Etwa Fraktions-Vize Michael Theurer: "Also, ich würde die eigene Partei ermutigen, dass wir zumindest diese Option nicht von vorneherein ausschließen."
Theurer hatte in Baden-Württemberg nach der Landtagswahl im März Sondierungsgespräche für eine Ampelkonstellation geführt. Die Absage Kretschmanns an die Ampel ist aus seiner Sicht kein Rückenwind für eine Ampel auf Bundesebene. Dennoch: "Winfried Kretschmann hat sich ja am Ende für die CDU entschieden, weil wir, wie er mir selber sagte, der schwierigere Partner gewesen wären. Also, wir haben unsere Inhalte schon auch durchgesetzt, wir wollten schon in die Regierung kommen. Wir könnten uns das auch vorstellen, zum Beispiel mit den Grünen in Baden-Württemberg die Verbindung von Ökologie und Ökonomie dann auf den Weg zu bringen."

Köhler: "Es gibt ja sehr viele vernünftige Grüne"

Anknüpfungspunkte im Bund gäbe es mit der Union vor allem in Steuer- und Wirtschaftsfragen. Für Klimapolitiker Lukas Köhler ist auch die bereits angesprochene NRW-Koalition ein Vorbild. Doch er sieht auch gemein same Themen bei den anderen Parteien.
"Da gibt es viele Punkte, wo wir mit den Grünen, gerade was dieses progressive Verständnis eines Rechtsstaats angeht, wo man zusammenarbeiten kann. Da muss man nochmal über die Frage der Rolle der Polizei sprechen vielleicht, aber es gibt ja sehr viele vernünftige Grüne, die gerade bei Fragen wie LGBTIQ-Rechten mit uns auf einer Linie sind und auch Anträge einbringen."
In einer Koalition mit SPD und Grünen könnte die FDP unter Umständen sogar höhere Forderungen stellen und mehr ihrer eigenen Inhalte durchsetzen. Doch eine Ampel unter einer Kanzlerin Baerbock wäre für die FDP ein Wagnis, das zeigt sich auch bei Lindners Wahlkampfauftritten. Wann immer er in seiner Rede zu dem Punkt kommt, an dem er betont, dass Baerbock nicht Kanzlerin werde, brandet Jubel auf.
Das ist auch Generalsekretär Volker Wissing nicht verborgen geblieben: "Ich nehme das auch so wahr wie Sie, dass die Wählerinnen und Wähler der FDP keine Begeisterung für eine Kanzlerin Annalena Baerbock haben – und ich kann das auch gut nachvollziehen."

Deutschland-Koalition als Option für den Bund?

Zu planwirtschaftlich findet Wissing die Politik der Grünen. Seit dieser Woche existiert noch eine weitere Option im Bund, nach dem Vorbild Sachsen-Anhalts: Eine sogenannte Deutschland-Koalition aus CDU, SPD und FDP. FDP-Landesschefin Lydia Hüskens hatte sich zunächst gegen eine Beteiligung an der Koalition entschieden – wurde nun aber doch zur Königsmacherin, als stabilisierender Faktor einer CDU, deren Reihen nicht geschlossen sind.
"Und was für mich eigentlich noch viel wichtiger war, dass wir im Rahmen dieser Gespräche, die wird geführt haben, gemerkt haben, dass alle drei Parteien tatsächlich zusammenarbeiten wollen und ein enormes Interesse daran haben, die Probleme, die im Land entstanden sind, jetzt auch gemeinsam zu lösen."
Am Tag nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt: FDP-Spitzenkandidatin Lydia Hüskens (l) mit Parteichef Christian Lindner (r) in der Bundespressekonferenz in Berlin
Am Tag nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt: FDP-Spitzenkandidatin Lydia Hüskens (l) mit Parteichef Christian Lindner (r) (dpa/Kay Nietfeld)
Hüskens vermittelt ein Bild von Verhandlungen auf Augenhöhe und der Möglichkeit eines Neuanfangs. Trotzdem gibt sie nicht direkt eine Empfehlung für eine Deutschlandkoalition auf Bundesebene ab: "Also, aus meiner Sicht spricht nichts gegen eine Koalition, sonst würde ich die im Augenblick nicht hier verhandeln."
Und auch Generalsekretär Volker Wissing bricht angesichts einer möglichen Deutschland-Koalition im Bund nicht unbedingt in Begeisterungsstürme aus: "Es ist jedenfalls eine Option. Und diese Optionen sind wertvoll." Auch deshalb, weil mit einer Deutschland-Koalition sowohl FDP als auch Union erstmals in diesem Wahlkampf eine Koalitionsoption ohne die Grünen präsentieren können. Die Regierungsoptionen für die FDP nach der Bundestagswahl könnten also reichhaltig sein.
"Ja, aber, Herr Lindner, Moment mal, wollen Sie denn dieses Mal wirklich regieren?", beginnt Christian Lindner an der Strandpromenade von Warnemünde in Anspielung auf das abrupte Ende der Jamaika-Sondierungen von 2017 zu scherzen. Und betont dann: Ja. Will die FDP. "Aber wir fühlen uns wie 2017 an das gebunden, was wir Ihnen vor der Wahl sagen."

Kompromisse gehören zur Politik dazu

Und so dürften es vor allem wirtschafts- und steuerpolitische Fragen sein, die für die FDP koalitionsentscheidend werden. Gerade aber in einer Dreierkonstellation werden alle Partner Zugeständnisse machen müssen. Wie es eben zur Politik dazugehört, fasst Menschenrechtspolitikerin Gyde Jensen zusammen:
"Wir sind immer darauf angewiesen in der Politik mit Menschen, vor allen Dingen mit Menschen zusammenzuarbeiten, die uns vielleicht persönlich oder auch programmatisch manchmal nicht in allen Punkten übereinstimmen und nur nahestehen, und trotzdem müssen wir in der Lage sein, mit ihnen an einer Vision für das Land und zum Besseren für das Land und die Menschen zu arbeiten. Und das habe ich über Politik gelernt, dass wir, wenn wir nicht in der Lage sind das ordentlich zu erklären, dass Menschen dann sagen, ich verstehe nicht, was ihr macht. Und das, glaube ich, ist am Ende immer die Aufgabe – zu erklären, warum ist eine Entscheidung wie getroffen worden und warum sind wir manchmal nicht zu hundert Prozent bei unserer Überzeugung geblieben, aber warum haben wir einen guten Kompromiss gefunden und einen Mittelweg."