
Gegen den Widerstand der Opposition hat die Ampel-Koalition am 16. August 2023 das umstrittene Gesetz zur Teillegalisierung von Cannabis auf den Weg gebracht. Die ursprünglich weitergehenden Pläne drohten mit EU-Recht zu kollidieren. Die erste Lesung des Gesetzentwurfs im Bundestag am 18. Oktober zeigte die Gräben noch einmal auf.
Inhaltsverzeichnis
- Was sieht das Gesetz zur Legalisierung von Cannabis vor?
- Welche Reaktionen gibt es?
- Wie viel Cannabis wird in Deutschland konsumiert?
- Kiffen: Wie ist die rechtliche Situation bislang?
- Wie gefährlich ist der Konsum von Gras und Hasch?
- Welche Folgen hat eine Legalisierung am Beispiel anderer Länder?
- Warum kollidierten die Legalisierungspläne mit EU-Recht?
Was sieht das Gesetz zur Legalisierung von Cannabis vor?
Eine Legalisierung mit vielen Einschränkungen: Ab 18 Jahren soll der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis erlaubt werden, privat darf man bis zu drei „weibliche blühende Pflanzen“ anbauen. Dazu wird es eine streng geregelte Abgabe von Cannabis über bestimmte Clubs geben:
- „Nicht-gewinnorientierte“ Cannabis-Clubs dürfen gemeinschaftlich Cannabis zu Genusszwecken anbauen und nur an Mitglieder für den Eigenkonsum abgeben. Pro Person dürfen maximal 25 Gramm pro Tag und 50 Gramm innerhalb eines Monats abgegeben werden. Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren bekommen allerdings maximal 30 Gramm pro Monat. Der Gehalt des Rauschmittels THC darf bei ihnen nicht über zehn Prozent liegen.
- Die Clubs dürfen maximal 500 Mitglieder ab 18 Jahren haben. Gefordert wird zudem ein strenger Gesundheits- und Jugendschutz.
- In den Cannabis-Clubs darf nicht konsumiert werden, auch Alkoholausschank ist verboten.
In der Öffentlichkeit bleibt Kiffen im Umkreis von 200 Metern von Schulen, Kitas, Spielplätzen, Jugendeinrichtungen und Sportstätten verboten. Auch in Fußgängerzonen soll zwischen 7 und 20 Uhr kein Konsum erlaubt sein.

Werbung für Cannabisprodukte wird untersagt, Cannabis und der Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) sollen aber künftig rechtlich nicht mehr als Betäubungsmittel eingestuft werden.
In einem zweiten Schritt soll es regional begrenzte "Modellvorhaben" geben, in denen kommerzielle Lieferketten getestet und wissenschaftlich untersucht werden sollen. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse sollen der EU zugänglich gemacht werden. Ziel sei es, mittelfristig in Europa Unterstützer für eine "progressive Cannabis-Politik" und entsprechende Änderungen des EU-Rechts zu finden, so Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).
Flankierende Präventionsarbeit
Aufklärung, Prävention, Beratung und Behandlungsangebote sollen zudem ausgebaut werden. Begleitend sollen Daten zu den gesellschaftlichen Auswirkungen der Cannabis-Freigabe erhoben und analysiert werden. Nach vier Jahren sollen die Regelungen bewertet und gegebenenfalls angepasst werden, vor allem mit Blick auf den Gesundheits-, Kinder- und Jugendschutz sowie mit Blick auf die Straßenverkehrssicherheit.
Welche Reaktionen gibt es?
Statt Konsumentinnen und Konsumenten zu kriminalisieren, ließe sich der Schwarzmarkt mit einer Legalisierung eindämmen, lautet ein Argument für eine liberalere Drogenpolitik. Auch könnten so Ressourcen bei der Strafverfolgung frei werden, die besser in die Bekämpfung der organisierten Kriminalität gelenkt werden könnten. Kritiker befürchten dagegen eine Verharmlosung der Droge sowie steigenden Konsum, gesundheitsschädliche Folgen sowie vermehrte Cannabis-Abhängigkeit.

Aus den Reihen der Parteien äußert vor allem die Union Kritik. Sie forderte Bundesgesundheitsminister Lauterbach noch am Abstimmungstag auf, das Gesetz zu kippen. Auch die bayerische Staatsregierung kritisiert die Pläne der Bundesregierung scharf und möchte die Legalisierung im Freistaat möglichst verhindern. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nannte das Vorhaben auf Twitter einen "Irrweg". Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sprach von einem "ideologischen Legalisierungsprojekt" und kritisierte, das Gesundheitsrisiken verharmlost würden.
Auch die Polizeigewerkschaften warnen vor einer Legalisierung. Es ergebe keinen Sinn, neben dem legalen, aber gefährlichen Alkohol die Tür noch für eine weitere oft verharmloste Droge zu öffnen, sagte der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Oliver Malchow, der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Auch die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker sprach sich gegen die Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken aus und warnte vor den gesundheitlichen Gefahren des Cannabiskonsums.
Anlässlich der ersten Lesung zum Cannabis-Gesetz im Bundestag verteidigte Gesundheitsminister Lauterbach die geplante Teillegalisierung noch einmal. Das Thema werde damit "aus der Tabuzone" herausgeholt, sagte der Minister im Deutschlandfunk.
Das künftige Gesetz ermögliche eine bessere Kontrolle des Schwarzmarkts und verhindere, dass giftige Stoffe beigemischt würden. Durch eine Aufklärungskampagne bei Kindern, Jugendlichen, Eltern und Lehrern werde herausgestellt, wie gefährlich Cannabis für das wachsende Gehirn sei, so Lauterbach.
Der Bundessuchtbeauftragte, Burkhard Blienert, warb im Dlf ebenfalls für die Cannabis-Legalisierung. Der Konsum von Cannabis werde dabei nicht verharmlost, sagte er, es gebe aber mehr Gesundheitsschutz. Eine Verbotspolitik habe nur zu mehr Konsum geführt.
Wie viel Cannabis wird in Deutschland konsumiert?
Mehr als ein Viertel der Deutschen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren hat laut Daten des Epidemiologischen Suchtsurveys von 2018 mindestens einmal im Leben Cannabis konsumiert. Mehr als sieben Prozent der Befragten gaben an, auch ein Jahr zuvor bereits Cannabis konsumiert zu haben. Die Tendenz ist steigend.
Auch unter jungen Erwachsenen ist Cannabiskonsum in den vergangenen Jahren angestiegen: Fast 50 Prozent der 18- bis 25-Jährigen hatten 2019 laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) mindestens einmal Cannabis ausprobiert, unter den 12- bis 17-Jährigen war es jeder Zehnte. Regelmäßig wird Cannabis von 5,7 Prozent der 18- bis 25-Jährigen konsumiert.

Insgesamt, so schätzt der Deutsche Hanfverband, werden 200 bis 400 Tonnen Cannabis jährlich in Deutschland konsumiert. Das entspricht einem Marktwert von mindestens 1,2 Milliarden Euro - Geld, das meist die organisierte Kriminalität einstreicht.
Kiffen: Wie ist die rechtliche Situation bislang?
Das Betäubungsmittelgesetz verbietet zwar nicht den Konsum von Cannabis - Besitz, Handel und Anbau sind jedoch strafbar. Wer mit Cannabis erwischt wird, muss zunächst mit dessen Beschlagnahme und einem Ermittlungsverfahren rechnen. Bei größeren Mengen droht eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe. Bei geringen Mengen können Gerichte seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1994 allerdings von einer Strafe absehen, wenn der Angeklagte erkennbar nur seinen Eigenbedarf deckt. Als "geringe Menge" gelten – je nach Bundesland – zwischen sechs und zehn Gramm.
Wie gefährlich ist der Konsum von Gras und Hasch?
Die Cannabispflanze (Cannabis sativa) hat unterschiedliche Verwendungszwecke und Konsumformen. Dazu gehören Marihuana (auch "Gras" genannt), das aus den Blüten der Pflanze gewonnen wird und geraucht oder verdampft wird, sowie Haschisch (auch "Hasch" genannt), das aus dem Pflanzen-Harz gewonnen und geraucht oder verzehrt wird. Die in der Pflanze enthaltenen Wirkstoffe THC und CBD haben psychoaktive und andere medizinische Auswirkungen.
Störung der Hirn-Entwicklung
Problematisch ist der Konsum für junge Menschen, weil diese eine besonders wichtige Phase der Entwicklung ihres Gehirns durchleben - bis zu einem Alter von 25 Jahren. Dabei kann Cannabiskonsum schädlich wirken. Eine Langzeitstudie aus Neuseeland belegt, dass sich der IQ bei regelmäßigen Kiffern zwischen dem 13. und dem 38. Lebensjahr um bis zu acht Punkte verschlechterte und zwar umso mehr, je größer der Konsum war. Bei Erwachsenen, die mit dem Kiffen aufhörten, normalisierte sich zwar der IQ - aber nur dann, wenn sie nicht schon als Teenager angefangen hatten. Eine Reihe kleinerer Studien kam dagegen zu dem Ergebnis, dass sich Nebenwirkungen wie Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen langfristig wieder zurückbilden.
Suchtgefahren
In der Diskussion über Cannabiskonsum wird leicht übersehen, dass Cannabis-Sucht eine Krankheit ist. Mehr als 8.000 Minderjährige waren 2017 in Deutschland wegen einer Cannabis-Abhängigkeit in Behandlung, davon fast ein Drittel stationär in einer Klinik. Der Konsum von Betroffenen wird durch ein starkes Verlangen bestimmt: Wenn sie die Substanz nicht bekommen, erleben sie Entzugssymptome. Der regelmäßige Gebrauch führt zu Leistungsabfall in der Schule oder bei der Arbeit und zu sozialen Problemen.
Psychosen
Cannabis steht außerdem im Verdacht, Psychosen auslösen zu können. So haben Forscher am Londoner King’s College die Häufigkeit psychotischer Erkrankungen in europäischen Städten verglichen. Tatsächlich fanden sie eine überdurchschnittlich hohe Rate an Psychose-Fällen vor allem in den Städten, in denen das handelsübliche Cannabis besonders viel von dem Wirkstoff THC enthält – nämlich in London und Amsterdam.
Auch bei der Überprüfung der Einzelfälle zeigte sich: Täglicher Konsum und hoher THC-Gehalt erhöhten die Wahrscheinlichkeit einer psychotischen Störung. Ein Ergebnis, das sich auch in anderen Studien zeigte: Unter Cannabis-Konsumenten erkranken zwei- bis fünfmal so viele Menschen an einer Psychose wie unter Nicht-Konsumenten. Genauso umgekehrt: Rund ein Drittel der Psychose-Patienten konsumiert zum Zeitpunkt der Ersterkrankung Cannabis.
Welche Folgen hat Legalisierung am Beispiel anderer Länder?
Interessant ist ein Blick in die USA. Dort haben Washington D.C. und Colorado 2014 Cannabis legalisiert, inzwischen sind weitere Bundesstaaten hinzugekommen. Für seriöse Daten ist es noch zu früh. Doch eine Tendenz zeichnet sich bereits ab: In den so genannten Legal States sank die Wahrscheinlichkeit, dass ein Teenager regelmäßig Gras rauchte, offenbar um neun Prozent. Zu diesem Ergebnis kommt eine im Fachmagazin "JAMA Pediatrics" veröffentlichte Studie, die das Konsumverhalten von über 1,4 Millionen Jugendlichen über einen Zeitraum von 15 Jahren vergleicht.
Ähnliche Erfahrungen macht auch Portugal: Seit 2001 gilt der Besitz und Konsum weicher und harter Drogen wie Cannabis, Ecstasy oder Heroin dort nur noch als Ordnungswidrigkeit – wie Falschparken. Die Grenze zur Straftat zieht der Staat da, wo Besitz und Konsum von zehn Tagesrationen überschritten sind – das heißt 25 Gramm Marihuana, zehn Pillen Ecstasy, zwei Gramm Kokain oder einem Gramm Heroin.
Seit das liberale Drogengesetz eingeführt wurde, haben Polizei und Justiz mehr Kapazitäten, den großen Drogendeals nachzugehen, weil die kleinen Fälle weggefallen sind. Gleichzeitig spart das System Geld ein, das auf Beratungszentren, Drogenersatzprogramme mit Methadon und eine groß angelegte Präventionsarbeit in Schulen umverteilt wurde. Und entgegen den Erwartungen wurde Portugal nicht zum Kifferparadies: Die Zahl der Jugendlichen, die Cannabis konsumieren, blieb bis heute unter dem europäischen Durchschnitt.
Ein ganz anderes Bild zeichnen die Niederlande. Dort ist der Anbau von Hanf oder härterer Drogen zwar weiterhin offiziell verboten, Konsum und Verkauf von Cannabis werden aber seit Jahrzehnten bis zu einem gewissen Grad geduldet: Dieser legale Widerspruch habe dazu geführt, dass die Niederlande zu einem Operationszentrum der Drogenbarone wurde, sagte Peter Tops, Sozialwissenschaftler der Universität Tilburg und Dozent an der Polizeiakademie der Niederlande der DW.
Unterschiedlichste kriminelle Drogen-Netzwerke stehen in Konkurrenz, immer wieder kommt es in den Niederlanden zu Schießereien und sogar zu Morden. Nun soll in Feldversuchen in zehn niederländischen Städten Cannabis unter staatlicher Kontrolle angebaut und verkauft werden - von legalen Produzenten. Das Ziel: die kriminellen Netzwerke aus dem System zu drängen.
Warum kollidierten die Legalisierungspläne mit EU-Recht?
Durch eine Legalisierung - beispielsweise in Deutschland - wird Cannabis in einem Mitgliedsstaat legal, während es in anderen illegal bleibt. Laut dem Rechtswissenschaftler und Europaparlamentarier René Repasi (SPD) verstoßen Legalisierungspläne europarechtlich deswegen derzeit vor allem gegen das Schengener Abkommen und einen strafrechtlichen EU-Rahmenbeschluss, das Cannabis verbietet.
In beiden Fällen handelt es sich aber nur um sogenannte sekundärrechtliche Regelungen. Diese könnten durch eine neue Gesetzgebung geregelt werden, so Repasi. Für diese reiche eine qualifizierte Mehrheit im Rat aus. Ob Deutschland eine solche Mehrheit bekommen könnte, sei jedoch offen.
Wegen dieser Unwägbarkeiten hatte Gesundheitsminister Lauterbach die Einleitung eines Vorabprüfungsverfahrens bei der EU-Kommission angekündigt. Damit wollte er verhindern, dass es wegen der Cannabis-Legalisierung zu einem Vertragsverletzungsverfahren kommt. Brüssel hat bisher noch keine Position bezogen. Doch es ist davon auszugehen, dass die geplante "Legalisierung Light" bereits ein Einlenken der Bundesregierung ist.