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Chemnitz und der Fall Maaßen
Wiefelspütz (SPD): "Seehofer muss liefern"

Der SPD-Politiker Dieter Wiefelspütz hat Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen für seinen Umgang mit den Vorfällen in Chemnitz kritisiert. Statt für Klarheit habe er für Desorientierung gesorgt, sagte Wiefelspütz im Dlf. Noch entscheidender sei in dem Fall allerdings die Rolle von Bundesinnenminister Horst Seehofer.

Dieter Wiefelspütz im Gespräch mit Christine Heuer |
    Hans-Georg Maaßen und Horst Seehofer bei einer Pressekonferenz
    Hans-Georg Maaßen und Horst Seehofer bei einer Pressekonferenz - beide stehen derzeit in der Kritik (AFP/Tobias Schwarz)
    Er sei überrascht gewesen, wie Maaßen zu einer solchen "desorientierenden" Erklärung gekommen sei, sagte Wiefelspütz. Dieser "vollkommene Missgriff" sei kaum zu erklären. Er kenne den Verfassungsschutzpräsidenten eigentlich als seriösen und kompetenten Juristen und Verwaltungsbeamten. Mit seiner Äußerung habe er sich selbst und das Amt beschädigt. Zudem lenke die Diskussion über Maaßen von dem eigentlichen Problem ab: Den Vorfällen in Chemnitz, die laut Wiefelspütz schon jetzt zur bundesdeutschen Geschichte gehören und intensiv aufgearbeitet werden müssten.
    Entscheidend für Maaßen sei nun, wie sich Horst Seehofer heute äußern werde. Wiefelspütz zeigte sich grundsätzlich enttäuscht von der bisherigen fachlichen Leistung des Bundesinnenministers. Dennoch glaube er nicht, dass Seehofer seinen Posten räumen müsse. Denn das würde zum Auseinanderbrechen der Regierungskoaltion führen.

    Das Interview in ganzer Länge
    Christine Heuer: Zweifel an der Echtheit des sogenannten Hase-Videos aus Chemnitz, das eine Jagd auf Menschen zeigt, aber – darauf legt Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen Wert – keine Hetzjagd. Die sei anders definiert. Mit seinen Äußerungen kurz nach den Geschehnissen in der sächsischen Stadt hat der Inlandsgeheimdienstchef für mächtig Wirbel gesorgt. Am Telefon ist der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz. Bis 2013 war er im Deutschen Bundestag. Guten Morgen, Herr Wiefelspütz.
    Dieter Wiefelspütz: Guten Morgen, Frau Heuer.
    Er muss für Klarheit sorgen und nicht für Desorientierung
    Heuer: Sie sind nicht mehr Parlamentsabgeordneter. Aber wenn Sie heute noch im Innenausschuss säßen, was wäre denn Ihre dringendste Frage an Herrn Maaßen?
    Wiefelspütz: Wie er zu solch einer desorientierenden Erklärung gekommen ist. Ich kenne Herrn Maaßen über viele, viele Jahre und kenne ihn in meiner aktiven Zeit als einen seriösen, sehr kompetenten Juristen und sehr qualifizierten Verwaltungsbeamten, der seit 2012 den Verfassungsschutz leitet. Umso überraschender ist das. Die Vorfälle in Chemnitz sind ja äußerst gravierend. Wenn sich der Verfassungsschutzpräsident dort äußert, zu solch einem Vorfall, dann muss er für Klarheit sorgen und nicht für Desorientierung. Das Medienecho ist ja verheerend. Er hat ja nicht für Klarheit gesorgt, sondern für Unklarheit. Wir müssen intensiv Chemnitz aufarbeiten. Und was tut Herr Maaßen? – Er veranlasst sozusagen eine eigene Diskussion um seine Äußerung, und das hilft auch niemandem.
    Heuer: Das ist auch ganz interessant. Lenkt er damit von den Geschehnissen in Chemnitz ab?
    Wiefelspütz: Im Ergebnis schon. Ich kann mir das nicht vorstellen, dass er das beabsichtigt hat, aber das Ergebnis ist verheerend. Er beschädigt nicht nur seine eigene respektable Eigenschaft als hochrangiger Beamter, sondern auch das Ansehen des Bundesverfassungsschutzes. Das Ergebnis ist verheerend und das kann niemanden freuen.
    Heuer: Herr Wiefelspütz, Sie sagen selber, das ist ein wirklich kompetenter Mann mit großen Verdiensten, vorsichtig in seinen Äußerungen üblicherweise – gehört sich eigentlich auch so für einen Verfassungsschutzpräsidenten. So jemand spricht ja nicht aus dem Bauch heraus die Sätze, die er gesprochen hat in der "Bild"-Zeitung. Welche Absicht vermuten Sie denn hinter den Äußerungen von Maaßen?
    Porträtfoto eines lächelnden Dieter Wiefelspütz
    Dieter Wiefelspütz von 1987 bis 2013 Abgeordneter im Deutschen Bundestag (imago/Hans-Günther Oed)
    Wiefelspütz: Frau Heuer, seien Sie mir bitte nicht böse. Ich möchte jetzt nicht herumspekulieren und schon gar nicht glaube ich an Verschwörungstheorien, ganz generell nicht in Deutschland. Ich glaube immer an Dummheit und an Möglichkeiten zu törichten Äußerungen. Das ist für mich sehr überraschend bei Herrn Maaßen, aber es ist offenbar passiert. Indirekt der Bundeskanzlerin zu widersprechen, statt sie zu informieren, sie zu beraten bei solch einem wichtigen Vorgang, ist ja schon ein Unding. Ich finde auch die Rolle, die Herr Seehofer in der ganzen Angelegenheit spielt, von noch größerer Bedeutung, denn das ist der Chef von Herrn Maaßen. Der wird ja heute auch im Innenausschuss in der Sondersitzung Rede und Antwort stehen müssen, und das wird im Grunde noch wichtiger sein als die Debatte um Herrn Maaßen selber.
    "Der Bundesinnenminister muss liefern"
    Heuer: Aber ich meine, was viele Beobachter in Berlin und anderswo ja vermuten ist, dass Hans-Georg Maaßen zusammen mit dem Bundesinnenminister da de facto Politik gemacht hat, und zwar gegen Angela Merkel. Und, Herr Wiefelspütz, wenn ich Sie richtig verstehe, dann sehen Sie das ähnlich?
    Wiefelspütz: Wenn das im Ergebnis so wäre, wäre das eine mittlere Katastrophe. Ich muss Ihnen freimütig sagen: Ich habe so den Eindruck, dass wir in Deutschland eine Stimmung haben, die schlechter ist als die objektive Lage, die wir haben – bei allem, was auch in Deutschland nicht funktioniert, auch im Sicherheitsbereich. Gestern hat Herr Schäuble, der Parlamentspräsident hervorgehoben, dass Recht und Gesetz durchgesetzt werden müssen in Deutschland, in einem toleranten Rechtsstaat. Das ist, glaube ich, von überragender Bedeutung. Der Bundesinnenminister muss liefern, wenn er denn bestimmte Auffassungen hat, wie das vorangehen soll in Deutschland in seinem wichtigen Ressort. Das, finde ich, ist außerordentlich enttäuschend, was er abliefert, insgesamt gesehen, in seinem Ressort. Dazu gehört jetzt auch diese Äußerung von Herrn Maaßen, die ja überhaupt nicht hilft in der Sache. Die Vorfälle von Chemnitz sind von herausragender Bedeutung. Sie sind nach meiner Einschätzung schon jetzt Teil unserer bundesdeutschen Geschichte, und zwar ein sehr negativer Teil. Das muss aufgearbeitet werden und dazu kann sicherlich auch das Bundesamt für Verfassungsschutz seinen Teil leisten. Wir haben viele, viele Straftaten. Wir haben die Tötung eines Menschen. Wir haben im Anschluss hunderte von Ermittlungsverfahren straffälliger Art. Der ganze Vorfall hat große politische Bedeutung. Und in einem solchen Vorgang dieser völlige Missgriff des wichtigen Präsidenten des Bundesverfassungsschutzamtes, das ist kaum zu erklären, auf gar keinen Fall aber zu akzeptieren.
    "Maaßen hat sich selber und sein Amt beschädigt"
    Heuer: Muss Maaßen gehen?
    Wiefelspütz: Es wird jedenfalls heute sehr eng. Das hängt entscheidend davon ab, wie Herr Seehofer sich äußert. Das ist ja sein Chef. Die Bundeskanzlerin wird dabei auch eine ganz wichtige Rolle spielen und ich denke, dass das heute Abend für uns alle klar sein wird. Er hat jedenfalls sich selber und sein Amt beschädigt.
    Heuer: Sie haben selber die Rolle von Horst Seehofer als mindestens ebenso wichtig gerade beschrieben. Wenn Horst Seehofer Hans-Georg Maaßen nicht entlässt, ist er dann eigentlich noch der richtige Bundesinnenminister?
    Wiefelspütz: Auch das wird sich letztlich entscheiden, glaube ich, nach der Landtagswahl in Bayern. Ich muss ganz freimütig sagen - aber ich räume ein: Ich bin an dieser Stelle, Frau Heuer, als Sozialdemokrat vielleicht doch auch ein wenig parteiisch -, ich bin enttäuscht von der fachlichen Leistung, von den Ergebnissen, die Herr Seehofer liefert in seinem Ressort. Das ist jemand, der als Löwe meint zu starten und dann irgendwo als Streicheltierchen landet. Das ist viel zu wenig, finde ich, und insoweit würde ich auch dort eigentlich die entscheidende Debatte sehen, wie Herr Seehofer sein Haus führt und wie er seine Arbeit macht. Er muss seinen Job machen! Das ist ein sehr schwieriges Ministerium. Das hat er aber auch unbedingt gewollt. Mit großen Ansprüchen ist er angetreten. Und was ist bislang geliefert worden? Herzlich wenig. Und dann auch noch dieser Skandal mit den Äußerungen von Herrn Maaßen. Das ist alles wenig erfreulich.
    Chemnitz in allen Fassetten intensiv aufarbeiten
    Heuer: Sollte Angela Merkel sich so oder so von Horst Seehofer im Kabinett trennen?
    Wiefelspütz: Sie müssen bitte bedenken, dass das dazu führen würde, dass die Koalition auseinanderbricht in Berlin, und darüber könnte sich meines Erachtens auch wirklich niemand freuen. Deswegen ist das eine schwierige Lage und ich denke nicht, dass man es so weit treiben wird, dass wir zu einer massiven Koalitionsdebatte kommen in Deutschland. Ich muss Ihnen ganz freimütig sagen als, wenn Sie so wollen, Politpensionär: Ich möchte, dass Deutschland ordentlich regiert wird, dass die Leute, die da in diesen wichtigen Ämtern sitzen, ihre Arbeit engagiert machen und unserem Volke dienen auf diese Weise. Da bin ich unter anderem mit Herrn Seehofer und mit Herrn Maaßen im Moment sehr unzufrieden.
    Heuer: Wie zufrieden sind Sie denn eigentlich mit Angela Merkel, weil man ja den Eindruck gewinnen muss, diese Frau kann eigentlich in dem wichtigen Amt gar nicht mehr so frei agieren, wie es nötig wäre?
    Wiefelspütz: Ich würde die Bundeskanzlerin auf gar keinen Fall unterschätzen wollen an dieser Stelle. Wenn es um Machtfragen geht, hat die immer ihren Weg gefunden. Man ist in Deutschland nicht über so viele Jahre Kanzler oder Kanzlerin, wenn man das nicht doch im Grunde gut zusammenbringt. Ich hoffe, dass wir das jetzt gut überstehen und dass diese Dinge geklärt werden, und der heutige Tag wird da ein sehr wichtiger sein.
    Noch wichtiger ist, muss ich allerdings freimütig sagen, dass wir Chemnitz in allen Fassetten intensiv aufarbeiten. Das ist ein ganz, ganz ernst zu nehmender Vorgang, der wirklich eine große Aufmerksamkeit verdient, in jeder Beziehung. Deswegen ist es auch so überaus ärgerlich, dass wir jetzt über Herrn Maaßen debattieren, statt über Chemnitz.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.