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Chemnitz
Wanderwitz (CDU): "Keine Allianz" der Bürger mit Gewalttätern

Der sächsische Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz (CDU) sieht in Chemnitz keinen Schulterschluss zwischen rechten Gewalttätern und der übrigen Bevölkerung. Er glaube, dass einige Leute jetzt wach geworden seien, sagte er im Dlf. Für den Abend sind erneut Demonstrationen des rechtsextremen Bündnisses "Pro Chemnitz" sowie der AfD angekündigt.

Marco Wanderwitz im Gespräch mit Jasper Barenberg | 01.09.2018
    Der CDU-Politiker Marco Wanderwitz am Rednerpult im Deutschen Bundestag.
    Der CDU-Politiker Marco Wanderwitz (imago stock&people/Metodi Popow)
    Viele Bürger hätten bei den Kundgebungen vor knapp einer Woche den Moment verpasst, mehr als nur drei Schritte beiseite zu gehen, es inzwischen aber hoffentlich verstanden, sagte Wanderwitz. Er widersprach dem Eindruck, dass es systematische Hetzjagden auf Ausländer gegeben habe. Viele Chemnitzer trauerten mit den Angehörigen um das getötete Opfer. Diejenigen, die den Hitlergruß gezeigt hätten, und auch die AfD wollten den Fall jedoch nur für ihre Zwecke nutzen.
    Für heute sind in Chemnitz mehrere Demonstrationen angekündigt. Die AfD hat zu einem Trauermarsch in Gedenken an den am vergangenen Sonntag getöteten Deutschen aufgerufen. Zwei Asylbewerber stehen im Verdacht, ihn erstochen zu haben.

    Jasper Barenberg: Was in Chemnitz in der vergangenen Woche geschah, das wird nächste Woche den Landtag von Sachsen ausführlich beschäftigen. Am Mittwoch will Ministerpräsident Michael Kretschmer eine Regierungserklärung abgeben. Überschrift: Für eine demokratische Gesellschaft und einen starken Staat. Der Innenausschuss wird tagen, ebenso der Rechtsausschuss. Jeden Politiker in Sachsen muss angehen, was in Chemnitz geschehen ist, und gewiss auch die, die in Berlin Politik machen. Bei Marco Wanderwitz trifft beides zu, er ist CDU-Bundestagsabgeordneter aus Chemnitz und er ist Innenstaatssekretär in Berlin. Schönen guten Morgen, Herr Wanderwitz!
    Marco Wanderwitz: Guten Morgen!
    Barenberg: Herr Wanderwitz, beginnen müssen wir mit einem der beiden Verdächtigen in Chemnitz, weil jetzt öffentlich geworden ist, dass ein Gericht schon 2016 dessen Abschiebung nach Bulgarien genehmigt hat, geschehen ist in der vorgesehenen Frist danach von sechs Monaten nichts. Hat hier das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen schweren Fehler gemacht?
    Wanderwitz: Auch das werden uns jetzt genau anschauen müssen, auch das werden wir genau aufarbeiten müssen. Das erwarten die Menschen zurecht. Aber es ist zu früh, jetzt sagen zu können, ob und wo ein Fehler gemacht worden ist. Aber dass dieser Umstand jetzt da zutrifft, ist natürlich eine weitere mittlere Katastrophe, das will ich ganz offen sagen.
    "Genau anschauen, wo da die Zuständigkeiten liegen"
    Barenberg: Und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge steht da in der Verantwortung und politisch am Ende dann eben auch Ihr Chef, Bundesinnenminister Horst Seehofer?
    Wanderwitz: Na ja, wir müssen uns das, wie gesagt, noch mal genau anschauen, wo da die Zuständigkeiten liegen, wir haben ja in diesem Bereich immer eine Mischzuständigkeit zwischen einerseits unserem Bundesamt und auf der anderen Seite den zuständigen Länderbehörden. Wie gesagt, ich will da jetzt nicht spekulieren, ich kann nicht konkret in diesem Moment jetzt schon Zuständigkeiten beziehungsweise Verantwortlichkeiten ausmachen.
    Barenberg: Aber was könnte es anderes gewesen sein als ein schweres Versäumnis oder eine Panne oder ein Fehler?
    Wanderwitz: Es deutet vieles darauf hin, dass das leider so ist. Allerdings müssen wir es uns eben genau anschauen, um benennen zu können, wo der Fehler gemacht worden ist.
    Barenberg: Schauen wir also auf die vergangene Woche zurück. Herr Wanderwitz, erkennen Sie nach der Randale-Nacht, den Jagdszenen auf vermeintliche Ausländer ihr Chemnitz noch wieder?
    Wanderwitz: Ich wohne ja unmittelbar in der Nachbarschaft von Chemnitz, in Hohenstein-Ernstthal, mein Wahlkreis ist wie so ein Kragenkreis um Chemnitz herum, Chemnitz ist eine Großstadt mit einer Viertelmillion Einwohner und ist ein eigener Bundeswahlkreis. Zum einen vielleicht, um wirklich ganz genau auf die Wurzel zu achten, weil wirklich jedes Wort hier wichtig ist: Jagdszenen ist eine Formulierung, die mir bei allen Schwierigkeiten, bei allen schlimmen Szenen nicht gefällt, weil ich glaube, sie ist nicht den Dingen gerecht werdend. Es gab leider mehrere Angriffe, also Versuche sozusagen, einzelne Leute anzugreifen, die Gott sei Dank, nie zum Ziele geführt haben. Aber dass es jetzt systematische Jagden gegeben hätte, war Gott sei Dank nicht der Fall. Ich sage das deshalb so behutsam und so deutlich abschichtend, weil so viel Druck im Kessel ist, weil die Chemnitzerinnen und Chemnitzer, die Menschen so aufgeregt sind, dass wirklich wir Politiker und auch die Medien jetzt wirklich in der Verantwortung sind, wirklich jedes Wort auf die sogenannte Goldwaage zu legen.
    "Für solches Verhalten gibt es keine Entschuldigung"
    Barenberg: Da gebe ich Ihnen völlig recht, Herr Wanderwitz. Also rufen wir uns in Erinnerung die Bilder, wir sehen Teilnehmer dieses Marsches am vergangenen Wochenende und wir sehen, wie sie offenbar wahllos Menschen angehen und die niederreißen. Wie würden Sie das beschreiben, Sie haben gerade gesagt, ein versuchter Angriff. Ist das nicht auf der anderen Seite dann ein wenig zu schwach formuliert?
    Wanderwitz: Also, ich will hier überhaupt nichts beschönigen, es gibt für derartiges Verhalten, noch dazu, wenn man sich anschaut, wer sind diese Leute, was grölen sie, wenn sie durch die Stadt ziehen, welchen Organisationen gehören die an, für solches Verhalten gibt es keine Entschuldigung. Im Gegenteil sind wir gefordert, dass der Rechtsstaat mit seiner maximalen Härte darauf reagiert. Wir können und dürfen nicht zulassen, dass gewaltbereite Rechtsradikale hier den öffentlichen Raum übernehmen, so etwas Ähnliches wie Lynchjustiz hier an Menschen, die so ähnlich aussehen wie der vermeintliche Täter, vornehmen.
    Barenberg: Wenn es Menschen gibt und gegeben hat, die in Chemnitz eben in dieser Weise durch die Straßen marschiert sind, ging es denen um Trauer, um Gerechtigkeit?
    Wanderwitz: Also, ich glaube, dass es vielen Menschen in Chemnitz darum geht, einerseits mit der Familie und den Freunden des Opfers zu trauern, und auf der anderen Seite sich dafür laut zu machen, dass wir als Politik künftig noch mehr dafür tun müssen, dass solche schlimmen Fälle so wenig wie irgend möglich vorkommen und insgesamt Kriminalität rückläufig ist. Diejenigen, die Sie ansprechen, die wir beispielsweise bei den Demonstrationen gesehen haben mit Hitlergruß und all so Sachen – denen spreche ich ab, dass es ihnen in irgendeiner Weise um Trauer oder Mitgefühl geht. Die wollen die Tat instrumentalisieren, um ihre politische Agenda durchzusetzen. Und das betrifft genau so beispielsweise dieses sogenannte Pro Chemnitz, wie es auch die AfD betrifft, die ja auch munter mitmischt.
    "Moment verpasst"
    Barenberg: Und wenn es das Spezifische und das Besondere gewesen ist, dass sich dort in Chemnitz Neonazis mit Hooligans zusammengetan haben, mit AfD-Anhängern, mit Wutbürgern und auch mit ganz normalen, besorgten Bürgern sozusagen, welche Schlussfolgerung ziehen Sie für sich daraus?
    Wanderwitz: Also zum einen möchte ich denjenigen, die da jetzt - so hoffe ich das zumindest - in den letzten Tagen für sich realisiert haben, dass sie den Moment verpasst haben, mehr als nur drei Schritte beiseite zu gehen, wenn Rechtsradikale die Demonstration, den Raum übernehmen, in dem man steht oder alternativ die Seite zu wechseln. Denen möchte ich zurufen, dass es jetzt höchste Zeit ist. Auf der einen Seite, auf der anderen Seite freue ich mich sehr, dass wir in Chemnitz jetzt so etwas wie eine Gegenbewegung der Zivilgesellschaft sehen gerade, wir sehen auf der einen Seite, dass weiterhin aus dem rechtsradikalen Raum versucht wird, zu demonstrieren, Dinge anzumelden, auf die Straße zu bringen, aber es gibt aus der Zivilgesellschaft von Kirchen, von Gewerkschaften, von Unternehmern jetzt auch eine Gegenbewegung, und die freut mich sehr.
    Barenberg: Der Spiegel berichtet jetzt, dass sich nach den Ausschreitungen der Generalbundesanwalt in die Ermittlungen einschaltet. Die Generalbundesanwaltschaft ist besonders zuständig unter anderem für Terrorgruppen. Wie schätzen Sie diese Allianz von Gewalttätern und, ich sage jetzt mal, Normalbürgern in Chemnitz ein? Wie beunruhigend ist das?
    Wanderwitz: Also zum einen möchte ich noch mal sagen, dass ich eine solche Allianz nicht sehe. Weil, ich glaube, dass wirklich einige Leute jetzt wach geworden sind und auf der anderen Seite sind wir natürlich sehr sensibel. Jetzt befassen wir uns mal mit denen, die da sozusagen die harten Kerne davon sind. Da müssen wir natürlich sehr genau hinschauen, völlig klar, ich sage mal, wenn man sich mal anschaut, was die letzten 24 Jahre in Sachsen, in Thüringen, in Brandenburg, in Mecklenburg-Vorpommern, in Sachsen-Anhalt, aber auch beispielsweise in der an Sachsen angrenzenden bayerischen Region, im Fränkischen, was sich dort für Leute teilweise gut vernetzt zusammengefunden haben, dann sind wir da im Bereich dessen, dass wir wirklich mit staatsgefährdenden Straftaten rechnen müssen.
    "Das sogenannte Sachsengespräch"
    Barenberg: Und da hat also der Generalbundesanwalt nach Ihrer Einschätzung Grund genug solche Strukturen auch in Sachsen ganz genau unter die Lupe zu nehmen.
    Wanderwitz: Ich glaube schon, dass es gut ist, da ziemlich genau hinzuschauen und lieber einmal früher und einmal mehr zu schauen, als am Ende des Tages ein böses Erwachen zu haben.
    Barenberg: Wenn Sie von dieser Vernetzung ausgehen rechtsextremer und fremdenfeindlicher Gruppen, wie kommt es dann, dass der Innenminister bisher zu Sachsen so wenig gesagt hat? Warum hat Horst Seehofer sich so wenig zu Wort gemeldet, warum war es die Familienministerin von der SPD, die aus dem Berliner Kabinett jetzt die erste war, die nach Chemnitz gefahren ist?
    Wanderwitz: Wir haben in einer sehr, sehr frühen Phase für die Bundesregierung den Regierungssprecher, Herr Seibert, mit einem ausführlichen Statement gehabt, auch ausdrücklich im Namen der Kanzlerin. Horst Seehofer hat sich zu dem Themenkreis geäußert und ich finde jetzt – ich habe in den letzten Tagen diese Frage schon das eine oder andere Mal gestellt bekommen –, ich finde keine Notwendigkeit, dass er sich nun an dieser Stelle noch einmal besonders einlässt. Ich finde im Gegenteil ist es gut, dass unser Ministerpräsident Michael Kretschmer, unser Innenminister Roland Wöller, das gesamte sächsische Kabinett dort jetzt sozusagen in der ersten Reihe steht. Wir hatten ja auch den lange schon geplanten Bürgerdialog, das sogenannte Sachsengespräch, diese Woche in Chemnitz, wo man mit vielen Bürgern ins Gespräch kommen konnte und wo unisono alle politisch Verantwortlichen es nicht haben an Klarheit der Linie fehlen lassen.
    Barenberg: Sie haben ja die Gegenbewegung der Zivilgesellschaft gelobt, da wird heute Annalena Baerbock, die Vorsitzende der Grünen, erwartet. Wer sozusagen unter den Verantwortlichen aus der Union wird dort heute teilnehmen?
    Wanderwitz: Na ja, bekanntlich stellt ja die CDU in Sachsen den Ministerpräsidenten und Michael Kretschmer ist regelmäßig in Chemnitz, er wird beispielsweise morgen wieder da sein. Heute wird er von einem Kabinettsmitglied vertreten.
    Barenberg: Marco Wanderwitz, Innenstaatssekretär und Abgeordneter aus der Region Chemnitz, vielen Dank für das Gespräch heute morgen!
    Wanderwitz: Herzlich gerne, vielen Dank Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.