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Chile und der Klimaschutz
Energiewende mit Ambivalenzen und Widersprüchen

Chile treibt die Energiewende voran: Machten 2014 Sonne und Wind gerade mal sechs Prozent des chilenischen Energiemix aus, so sind es heute schon 20 Prozent. In Lateinamerika übernimmt das Land zunehmend eine Vorreiterrolle. Aber es kommt auch immer wieder zu Konflikten mit der Bevölkerung.

Von Anne Herrberg | 13.05.2019
Bauarbeiten für ein Solarkraftwerk in der Atacama Wüste in Chile. Dabei handelt es sich um die CPS-Anlage (Concentrated Solar Power) Planta Solar Cerro Dominador.
Bauarbeiten für ein Solarkraftwerk in der Atacama Wüste in Chile (imago / Thomas Imo / photothek.net)
Mitten aus der Atacama-Wüste, einem der trockensten und heißesten Orte der Welt, ragt ein 250 Meter hoher Turm. Darum, ein Kreisrund aus Spiegeln – die Anlage hat etwas von einer Ritualstätte aus einem Science-Fiction-Szenario. Und tatsächlich ist das, was gerade in Chiles Atacama-Wüste entsteht, zukunftsweisend. Cerro Dominador ist Lateinamerikas erstes Solarturmkraftwerk, mit einer Leistung von 110 Megawatt können mehr als 380.000 Haushalte versorgt werden. Projektmanager Francisco Vizcaino kommt aus Spanien.
"10.000 Heliostaten, wie die Spiegel genannt werden, werfen das Sonnenlicht wie durch einen Spiegel gebündelt auf einen Punkt und erzeugen so Hitze von über 600 Grad."
Energie wird zwischen gespeichert
Der Clou an der konzentrierten Solarenergieanlage: Die Energie wird in riesigen Speichern als flüssiges Salz zwischengelagert. Wasser, das hindurch gepumpt wird, verwandelt sich in Dampf, der eine Turbine antreibt.
"Die Hitze kann gespeichert werden, so können wir rund um die Uhr Energie erzeugen, nachts, tagsüber, bei wolkigem Himmel, immer dann wenn wir sie brauchen. Die Solarthermie ermöglicht das."
Cerro Dominador ist das Aushängeschild von Chiles Energiewende. Machten 2014 Sonne und Wind gerade mal sechs Prozent des chilenischen Energiemix aus, sind es heute 20 Prozent. Bis 2040 soll hundert Prozent aus Erneuerbaren kommen. Schon jetzt konnten so von 2007 bis 2016 durch den Ausbau der Erneuerbaren mehr als 20 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden, Chile hat sich zum Ziel gesetzt hat, seine Emissionen bis 2030 um 30 Prozent zu senken – Ingrid Wehr von der Heinrich-Böll-Stiftung:
"Lateinamerika gehört ja nicht zu den großen Umweltsündern, sondern lediglich zehn Prozent der weltweiten Treibhausgase gehen von lateinamerikanischen Ländern aus - die Sünder sind wir. Und die Länder Lateinamerikas, darunter auch Chile, sind eher die, die besonders stark vom Klimawandel und Klimaphänomenen betroffen sind, ohne viel dazu beizutragen."
Weiter große Abhängigkeit von der Kohle
So steht bei der Energiewende auch der Preis und die Versorgungssicherheit im Vordergrund, nicht das Klima. Subventionen gibt es dafür nicht, und auf dem neuen Markt herrscht eine hohe Konzentration mit wenigen Unternehmen, Modelle der Bürgerbeteiligung gibt es dagegen kaum. Und nach wie vor besteht auch eine große Abhängigkeit von Kohle, zu Lasten der lokalen Bevölkerung.
"Es gibt im Land fünf 'Zonas de sacrificio', Opferzonen, die praktisch unbewohnbar sind, weil sie so verschmutzt sind durch die Stromerzeugung, dass sie die Gesundheit der Bevölkerung gefährden, es ist also eine Energiewende mit Abstrichen, mit Ambivalenzen, mit Widersprüchen."
Vor allem im Bereich Wasserkraft kommt es im Land immer wieder zu Konflikten, auch wegen gravierender Umweltschäden durch Staudammprojekte, beispielsweise in Patagonien. Das Abkommen von Escazú, bei dem es um die Verbindung von Umweltschutz und Menschenrechten geht, hat Chile nicht unterschrieben. Ein Widerspruch: Gerade weil Chile in Lateinamerika zunehmend die Vorreiterrolle zufällt. Vor allem nachdem sich Brasilien, das in der internationalen Klimapolitik früher als Vermittler zwischen Industrie- und Entwicklungsländern auftrat, immer mehr zurückzieht. So sprang Chile als Gastgeber ein, als der neue Präsident Jair Bolsonaro die eigentlich in Brasilien geplante Klimakonferenz 2019 absagte.