Freitag, 03. Mai 2024

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China-Japan
"Hochgradig spannungsgeladene Situation"

Dass China ohne Rücksprache eine "Luftverteidigungszone" ausgerufen hat, sei zwar "ein bisschen unverschämt", aber kein Grund, Angst zu haben, sagt der Politikwissenschaftler Dirk Schmidt. Beim Säbelrasseln könnte es aber zu ungewollten Zwischenfällen kommen.

Dirk Schmidt im Gespräch mit Dirk Müller | 03.12.2013
    Dirk Müller: In China heißt sie Diaoyu, in Japan Senkaku. Eine andere Insel, um die es auch geht, heißt in Korea Ieodo, in China wiederum Suyan, so oder so ähnlich, keine Garantie. Zwei winzige Eilande also, Felssporne in den Weiten und Tiefen des Pazifiks. Beide führen immer wieder zu Streit, zu politischen Spannungen, zu Anfeindungen. Diesmal geht Peking einen Schritt weiter, erklärt sich als Eigentümer der Inseln zuständig und macht daraus folgerichtig eine neue chinesische Verteidigungszone.
    China ist demnach über Nacht einfach so größer geworden, und wiederum schmeckt weder den Japanern noch den Südkoreanern das und auch Washington nicht. Die USA sind auch entsetzt, versuchen aber immerhin, ein bisschen jedenfalls die Wogen zu glätten, diplomatisch mit Hilfe von Vizepräsident Joe Biden, der nun in der Region vermitteln will.
    – Am Telefon begrüße ich nun den Politikwissenschaftler Dirk Schmidt von der Universität Trier, zugleich Mitglied der Mercator-Stiftung für China-Studien. Guten Morgen.
    Dirk Schmidt: Schönen guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Herr Schmidt, müssen wir so langsam Angst bekommen vor China?
    Schmidt: Ich glaube, es ist übertrieben, davon zu sprechen, dass wir Angst haben vor China. Vielleicht erlauben Sie mir zunächst eine kurze Bemerkung zu Ihrem Eingangs-Statement. Ich denke, man muss diese Luftraum-Überwachungszone oder Verteidigungszone etwas differenzierter betrachten. Was China gemacht hat, ist zunächst mal nichts Ungewöhnliches international. Dass man unter dem Völkerrecht einfach diese Zone errichtet hat, das kann eigentlich jeder Staat tun. Man braucht nur GPS-Daten weiterzugeben.
    Symbolhaft aufgeladene Atmosphäre zwischen China und Japan
    Was hier besonders nun ist, ist, dass man das unilateral ohne Rücksprache mit den Nachbarstaaten getan hat, und was ebenfalls ungewöhnlich ist, dass China im Gegensatz zur üblichen Praxis international gesagt hat, alle Flugzeuge müssen sich vorher bei uns identifizieren oder registrieren, die nur dieses Gebiet passieren. Normalerweise geht man davon aus, dass Flugzeuge sich in einer solchen Zone anmelden müssen, wenn sie dann auch in dem Land entsprechend landen. Hier ist unilateral ein Schritt unternommen worden, der zwar einerseits nicht ungewöhnlich ist, der aber in dieser symbolhaft aufgeladenen Atmosphäre durchaus natürlich bei den Nachbarstaaten und auch bei den USA für Sorgenfalten auf der Stirn gesorgt hat.
    Müller: Das heißt also, im Grunde nur ein bisschen unverschämt?
    Schmidt: Ein bisschen unverschämt ja. Unilateral wie gesagt, ohne Rücksprache jetzt hier einen solchen Schritt quasi bei uns Samstag Nachmittag nach unserer Zeit einfach so mal zu verkünden. Es war auch etwas ungeschickt vom chinesischen Militär, im Grunde genommen gleich hinterherzuschicken, Flugzeuge, die sich nicht an diese Regelungen halten, könnten im Extremfall dann auch abgeschossen werden.
    Mittlerweile ist der General, der das verkündet hat, auch korrigiert worden. Es ist offensichtlich schon so, dass jetzt China überrascht worden ist von der unnachgiebigen Haltung, auch zornigen Haltung des Auslandes und man schon etwas wieder zurückgerudert ist, um auch ein wenig die eigene Maßnahme zu relativieren.
    Müller: Wir müssen uns schon daran gewöhnen, dass China immer mehr Großmacht spielt?
    Schmidt: Natürlich! Das ist jetzt auch etwas. Es ist jetzt dieses eine Symbol. Aber wenn man sich das anschaut, Luftbilder aus der Region: Man sieht Schiffe, die in diesem umstrittenen Seegebiet herumfahren, von China, von Taiwan, die auch den Anspruch darauf erheben, der japanischen Küstenwache.
    Es ist Praxis seit ungefähr einem Jahr, dass quasi immer wieder chinesische Flugzeuge dann relativ nahe an dieses japanische Hoheitsgebiet heranfliegen. Das heißt, wir haben hier eine Situation, die hochgradig spannungsgeladen ist, weil hier eine Vielzahl von Flugzeugen, eine Vielzahl von Schiffen zugegen sind und natürlich das ganze auch eine international wichtige Luftfahrtgegend ist, wo zivile Luftfahrzeuge auch passieren.
    Müller: Gibt es eine Garantie dafür, die keiner geben kann, aber ich frage Sie das trotzdem, Herr Schmidt? Gibt es eine politische Garantie, eine diplomatische Garantie dafür, dass das alles auf Säbelrasseln beschränkt bleibt?
    Gefahr für Zwischenfälle ist gestiegen
    Schmidt: Die Gefahr in meinen Augen besteht darin, dass hier die Tür geöffnet wird für ungewollte Zwischenfälle, für Unfälle sozusagen. Das heißt, ich sehe nicht den großen chinesischen Plan zunächst mal, jetzt hier eine bewusste Zuspitzung herbeizuführen, sondern es ist jetzt hier ein Schritt unternommen worden, womit das Risiko von unbeabsichtigten Zwischenfällen enorm angestiegen ist, wegen dieser Dichte von Schiffen und Flugzeugen, die in dieser Region sind, und darin besteht die Gefahr, dass es zu Fehlkalkulationen kommt.
    Sie müssen sich nur vorstellen, dass entsprechende Flugzeuge, die natürlich mit hoher Geschwindigkeit in diesem Gebiet unterwegs sind, sich nähern und unter Umständen ein Pilot einen kleineren Fehler begeht und dann die Gefahr besteht – Japan ist ja mit den USA in einem Verteidigungsbündnis verbunden -, dass dann sozusagen eine Bündnislogik greift, nur auf Grundlage eines eigentlich unbeabsichtigten Zwischenfalls.
    Müller: Das heißt, es gibt ein objektives Risiko?
    Schmidt: Hier besteht auf jeden Fall ein Risiko, und beide Seiten würden gut daran tun, entsprechende Abrüstungsschritte zu tun. China hat auch bereits angeboten, dass man sich unterhalten müsse mit Japan, wie man entsprechende Zwischenfälle verhindern könnte.
    Müller: Wenn wir noch einmal auf die Hintergrundberichte, auf die Analysen blicken, in den Tageszeitungen, auch bei uns im Deutschlandfunk in den vergangenen Tagen – das Thema ist ja schon seit einigen Wochen oder jedenfalls seit neun, zehn Tagen virulent; Joe Biden, der amerikanische Vizepräsident, versucht jetzt zu vermitteln, fliegt in die Hauptstädte, versucht, in irgendeiner Form da einen Kompromiss, eine Lösung zu finden. Immer wieder ist zu lesen, es geht letztendlich um Bodenschätze, es geht um Rohstoffe. Ist das wirklich alles?
    Schmidt: Es geht natürlich auch ein wenig um Rohstoffe, aber das Ganze sind eher Versprechungen, was da an Rohstoffen zu finden sein soll. Das weiß niemand im Grunde genommen ganz genau. Ich sehe das eher als eine Symbolhaftigkeit. Es geht um Nationalismen auf beiden Seiten, auf der japanischen Seite, auf der chinesischen Seite. Es geht darum, aus der Geschichte oder aus völkerrechtlichen Gründen herangezogene Ansprüche gegenüber dem Konkurrenten jeweils zu verteidigen und auch durchzusetzen.
    Man muss sich vielleicht einfach mal vorstellen: Japan behauptet, es existiere überhaupt kein Territorialkonflikt. Und ich würde diesen letzten Schritt Chinas auch dahin gehend interpretieren, dass China nun einmal nach außen zeigen will, es existiert eben gerade doch ein Konflikt zwischen beiden Seiten.
    Reaktion der Amerikaner: Geschickt und angebracht
    Müller: Ein Druckpotenzial gegenüber Peking aufzubauen, das ist aufgrund der großen finanziellen Verflechtungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte immer schwieriger. Was haben die Amerikaner in der Hand?
    Schmidt: Die Amerikaner, denke ich, haben ganz gut und ganz geschickt reagiert, indem sie unmittelbar nach dieser Ankündigung diese B52-Bomber durch das Gebiet haben fliegen lassen und im Grunde genommen eine rote Linie aufgezeigt haben und haben klar gemacht, wir lassen uns nicht von den Chinesen sozusagen Überflugrechte definieren und einfordern, wir bestehen auf der Freiheit der Navigation, der Freiheit des Luftverkehrs, das ist internationaler Luftraum und den werden wir wie bisher nutzen, ohne dass wir auf China Rücksicht nehmen müssen.
    Und mein Eindruck ist, dass China, die chinesischen Behörden hier recht stark überrascht waren von der Entschlossenheit der Amerikaner und dass das aus der Sicht eines neutralen Beobachters durchaus eine angebrachte Reaktion der USA gewesen ist.
    Müller: Also ist Peking auch noch zu beeindrucken?
    Schmidt: Auf jeden Fall ist China zu beeindrucken, und ich glaube, das war ein Testballon gewesen und der ist jetzt aufgestiegen, und die Chinesen sind jetzt durchaus überrascht über die Heftigkeit der internationalen Reaktionen. Und wenn man die jüngsten Äußerungen aus China dazu sieht, hat das durchaus Eindruck gemacht, und zumindest zum jetzigen Zeitpunkt versucht man auch, die Eskalationsspirale ein wenig wieder zurückzudrehen.
    Müller: Bei uns heute Morgen am Telefon der Trierer Politikwissenschaftler Dirk Schmidt, Mitglied der Mercator-Stiftung für China-Studien. Danke für das Gespräch, Ihnen einen schönen Tag.
    Schmidt: Gerne, Herr Müller. Ebenfalls!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.