China und der Vatikan
Eine komplizierte Beziehung

Nach dem Tod von Papst Franziskus sind in China einseitig zwei neue Bischöfe bestimmt worden. Eigentlich ein exklusives Papstrecht. Überhaupt ist das Verhältnis zwischen Vatikan und Peking kein einfaches. Wie könnte es unter Papst Leo XIV. weitergehen?

Von Steffen Wurzel |
    Eine alte tibetische Frau betet, hinter ihr ist ein Kreuz zu sehen.
    Über zehn Millionen Katholiken leben in China. Ohne Einschränkungen können sie ihre Religion allerdings nicht praktizieren. (picture alliance / Photoshot)
    Nach dem Tod von Papst Franziskus reisten Ende April Staatsoberhäupter aus aller Welt zur Trauerfeier nach Rom. Einer der mächtigsten Staaten der Welt fehlte aber auf dem Petersplatz mit einer offiziellen Delegation: China.
    Obwohl in der Volksrepublik zwischen zehn und zwölf Millionen praktizierende Katholiken leben, hat das Land keine diplomatischen Beziehungen zum Heiligen Stuhl. Weswegen ist die Beziehung zwischen Peking und dem Vatikan so belastet?

    Inhalt

    Wieso hat China bisher keine diplomatischen Beziehungen zum Vatikan?

    In den vergangenen Jahrzehnten haben fast alle Staaten weltweit ihre offiziellen zwischenstaatlichen Beziehungen zur Republik China (Taiwan) abgebrochen und sich stattdessen diplomatisch mit der kommunistisch regierten Volksrepublik China verbunden.
    Der Vatikan beziehungsweise der Heilige Stuhl als Völkerrechtssubjekt bildet eine Ausnahme: Er ist einer von nur noch zwölf Staaten weltweit, die diplomatische Beziehungen zu Taiwan pflegen – und der letzte verbliebene Staat in Europa.
    Für die Staats- und Parteiführung in Peking ist diese Tatsache ein Ausschlusskriterium für eine offizielle Zusammenarbeit mit dem Heiligen Stuhl. Denn es gehört zu den obersten politischen Grundsätzen der Kommunistischen Partei Chinas, keine Staaten diplomatisch anzuerkennen, die diplomatische Beziehungen zu Taiwan pflegen.
    Hintergrund ist, dass die Führung in Peking Taiwan nicht als unabhängiges Land betrachtet, sondern als integralen Teil der Volksrepublik – obwohl die Insel seit Gründung der Volksrepublik 1949 nie von Peking aus regiert wurde.
    Gute inoffizielle Beziehungen zum Heiligen Stuhl sind der chinesischen Staatsführung dennoch wichtig. Sichtbar wurde das einen Tag nach der Wahl von Robert Francis Prevost zum neuen Papst. Im chinesischen Außenministerium in Peking trat Ministeriumssprecher Lin Jian vor die Presse und gratulierte Leo XIV. zur Wahl: Die chinesische Führung hoffe, dass der Vatikan unter der Führung des neuen Papstes den „Dialog mit China in einem konstruktiven Geist fortsetzen“ werde.
    Nach Ansicht von Katja Drinhausen vom Berliner China-Thinktank MERICS passt diese Aussage ins Bild. Grundsätzlich zeige sich die chinesische Regierung in ihren außenpolitischen Beziehungen immer erst einmal kooperativ und offen für Dialog.
    Das gelte auch für den Vatikan: Dieser erkenne zwar immer noch Taiwan offiziell an, dennoch habe Chinas kommunistische Führung ein zentrales Interesse, den Heiligen Stuhl früher oder später auf die Seite der Volksrepublik zu ziehen.

    Freie Religionsausübung: Gibt es das in China?

    Die Verfassung der Volksrepublik China garantiert den 1,4 Milliarden Bürgerinnen und Bürgern zwar Glaubensfreiheit. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Christen, Muslime, Buddhisten und Taoisten in China frei ihrer Religion nachgehen können. Denn Glaubensfreiheit sei nicht das Gleiche wie echte Religionsfreiheit, betont die MERICS-Forscherin Katja Drinhausen. Die Menschen in China seien zwar frei zu glauben, was sie wollten, sie seien aber in ihrer Religionsausübung nicht frei.
    Tatsächlich reguliert Chinas Führung die Religionsausübung detailliert. So müssen sich die offiziellen Religionsgemeinschaften in China an die politischen Leitlinien der Kommunistischen Partei halten und ihre Politik aktiv unterstützen. Entsprechende Inhalte müssten etwa in Predigten an die Gläubigen weitergegeben werden.

    Was bedeuten das für die in China lebenden Katholiken?

    Weil sich nicht alle Katholiken in China mit dem staatlichen Einfluss auf ihren Glauben abfinden möchten, gibt es in der Volksrepublik gleich zwei katholische Kirchen: zum einen die von der Kommunistischen Partei gesteuerte „Katholische Patriotische Vereinigung“. Für sie ist nicht der Papst die oberste Autorität, sondern die Führung in Peking, die auch die Bischöfe dieser de facto staatlich gesteuerten Kirche ernennt.
    Parallel dazu gibt es in China eine sogenannte Untergrundkirche, die sich als legitimen Zweig der römisch-katholischen Kirche in China versteht. Für sie ist nicht die KP, sondern der Papst die oberste Instanz. Angehörige der Untergrundkirchen-Gemeinden werden von Chinas Staatssicherheitsbehörden regelmäßig verfolgt und gegängelt. Ihre Priester und Bischöfe werden teils verhaftet oder unter Hausarrest gestellt.
    Untergrundkirchengemeinden klagen immer wieder über Probleme, Räume für ihre Gottesdienste zu bekommen, weil etwa Mietverträge gekündigt oder Treffen für illegal erklärt werden.
    Die Spaltung der katholischen Kirche in China ist sowohl für die Führung in Peking als auch für den Heiligen Stuhl ein Problem. Chinas Führung sieht in den Aktivitäten der Untergrundkirchen einen nur schwer kontrollierbaren Störfaktor, der Vatikan sieht in der Spaltung ein Hindernis für Seelsorge und Mission.

    Gibt es dennoch Abkommen zwischen dem Vatikan und China?

    Um der Spaltung der Katholischen Kirche in China etwas entgegenzusetzen, haben die Staats- und Parteiführung und der Heilige Stuhl 2018 ein geheimes Abkommen ausgehandelt, das 2024 erneut um mehrere Jahre verlängert wurde. Das Abkommen regelt die Ernennung der Bischöfe in der staatlich kontrollierten katholischen Kirche in China. Vereinfacht gesagt: Die Führung in Peking und der Vatikan sprechen sich bei der Auswahl der Bischöfe in den Bistümern der „Katholischen Patriotischen Vereinigung“ ab.
    Viele Mitglieder der chinesischen Untergrundkirchengemeinden habe das Abkommen allerdings in eine Glaubenskrise gestürzt, sagt der kanadische Autor Ian Johnson. Er hat 2017 ein viel beachtetes Buch („The Souls of China: The Return of Religion After Mao“) über Religion in China veröffentlicht. Besonders in den chinesischen Regionen, in denen die Untergrundkirche stark vertreten sei, rege sich Kritik an dem Abkommen, betont Johnson.
    Menschenrechtsverbände haben den neuen Papst aufgefordert, das umstrittene Abkommen mit der chinesischen Führung kritisch zu prüfen. Leo XIV. habe die Möglichkeit, einen Neuanfang mit China zu machen, um die Religionsfreiheit der Katholiken in der Volksrepublik zu schützen, erklärte etwa „Human Rights Watch“.

    Wie könnte es unter dem neuen Papst zwischen Vatikan und China weitergehen?

    Dass sich Chinas Führung beim Umgang mit Religionen künftig kompromissbereiter als bisher zeigt, ist nicht absehbar. Die MERICS-Forscherin Katja Drinhausen verweist auf Xi Jinping: Chinas Generalsekretär habe den Kontrollanspruch der Kommunistischen Partei über die chinesische Zivilgesellschaft in den vergangenen Jahren deutlich ausgeweitet.
    Dieser Anspruch beziehe sich ausdrücklich auch auf die verschiedenen Religionen in der Volksrepublik: „Chinas Führung hat die staatliche Behörde für Religion und ethnische Angelegenheiten 2018 der Einheitsfront-Abteilung der Kommunistischen Partei untergeordnet“, erklärt Drinhausen. Das bedeute, dass die Parteiführung relativ direkt auch über Religionspolitik bestimme und versuche, sämtliche „ausländische“ Religionen auf Linie mit der Staats- und Parteiführung zu bringen.
    Ian Johnson, der rund 20 Jahre in China gelebt hat, forscht zurzeit am Wissenschaftskolleg in Berlin zu Religionen in der Volksrepublik. Er rechnet damit, dass sich Leo XIV. in absehbarer Zeit zum Umgang mit China positionieren wird. Das Thema stehe beim neuen Papst wahrscheinlich auf der „Liste der ersten zehn großen Entscheidungen.“