
Es ist ein Zeichen an die Welt: mit der größten Militärparade seiner jüngeren Geschichte begeht China den 80. Jahrestag der Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg. Zehntausend Soldaten, moderne Panzer und Hyperschallraketen ziehen über den Platz des Himmlischen Friedens in Peking. Und Staatspräsident Xi betont, China sei „fest auf der richtigen Seite der Geschichte“ – während die im Westen geächteten Machthaber Wladimir Putin aus Russland und Nordkoreas Diktator Kim Jong Un als Ehrengäste dabei sind.
Tage zuvor, beim Gipfel der Shanghai Organisation für Zusammenarbeit (SCO), skizzierten Xi Jinping und Putin ihre Vision einer alternativen Weltordnung, die den Globalen Süden in den Mittelpunkt stellt und „echten Mulitlateralismus“ verwirklicht.
„Während sich westliche Staats- und Regierungschefs zu diplomatischen Zwecken versammeln, versucht eine autokratische Allianz, schnell zu einer neuen Weltordnung zu gelangen“, sagte Kaja Kallas, die Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, gegenüber Reportern in Brüssel.
Erleben wir tatsächlich einen Wandel der Weltordnung, und wie kann der Westen, speziell Deutschland darauf reagieren?
Chinas Aufstieg zur Weltmacht
Seit Jahrzehnten, spätestens mit dem Amtsantritt von Xi Jinping 2013, strebt China nach dem Status als Weltmacht. Dieser Logik folgend betonte Xi anläßlich der Parade: „Die Wiedergeburt der chinesischen Nation ist unaufhaltsam.“
Geopolitisch sieht sich das Land als dominante Macht in Asien, will seinen Einfluss in Regionen wie dem Südchinesischen Meer, dem Pazifik und Afrika ausbauen und erhebt Anspruch auf das demokratisch regierte Taiwan, das als abtrünnige Provinz betrachtet wird. Regelmäßig droht China Taipeh deshalb mit militärischer Gewalt. Mit umgerechnet 230 Milliarden Euro hat die Volksrepublik das zweitgrößte Verteidigungsbudget der Welt hinter den USA (2025: 854 Milliarden Euro).
Wirtschaftlich hat sich China zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt entwickelt. Dank staatlichem Schutz, Subventionen und Skaleneffekten haben chinesische Unternehmen häufig Vorteile gegenüber der Konkurrenz und gewinnen weltweit Marktanteile, aktuell beispielsweise bei E-Autos. Handelspartner sehen einen unfairen Wettbewerb und reagieren wie die EU mit Zöllen. Doch trotz dieser Strafmaßnahmen, der protektionistischen Zollpolitik von US-Präsident Trump und einer Immobilienkrise im Land erweist sich Chinas Wirtschaft als robust.
Als besonderes Machtmittel gilt Chinas Dominanz bei Seltenen Erden: 70 Prozent der für Zukunftstechnologien entscheidenden Materialien werden in China gefördert. Auch Deutschland kann sich einer Abhängigkeit in dieser Hinsicht nicht entziehen. Beim Mega-Trend Künstlicher Intelligenz sind chinesische Unternehmen mit Anwendungen wie DeepSeek ernstzunehmende Player beim Ringen um die Vorherrschaft.
In der Bevölkerung gibt es kaum Zweifel am Weltmacht-Kurs, vielmehr überwiegt der Stolz auf die Entwicklung. Befördert wird das durch die auch in den Staatsmedien inzenierten Stärke des Landes, der strengen Zensur von Medien und Internet und dem Fehlen einer Zivilgesellschaft.
Chinas Rolle in einer multipolaren Weltordnung
China treibt seinen Machtanspruch auf verschiedenen Wegen voran. Die Führung setzt auf eine engere Zusammenarbeit der BRICS-Staaten als Gegengewicht zu westlich geprägten Bündnissen wie den G7 oder den G20.
Ähnlich gelagert ist die Shanghai Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) in der sich zehn Länder in Chinas Einflusssphäre zusammengeschlossen haben. Auf dem SOZ-Gipfel Ende August in Tianjin skizzierte Xi seine „Global Governance Initiative“, mit der er eine aktivere Rolle in der Gestaltung der internationalen Ordnung anstrebt. Die Welt befinde sich an einem "neuen Scheideweg", sagte Xi. Man müsse sich weiterhin klar gegen „Hegemonismus und Machtpolitik“ stellen und echten Multilateralismus praktizieren, was als Seitenhieb auf die USA verstanden wurde.
Finanzpolitisch arbeitet China ebenfalls an einem Gegengewicht zu Institutionen wie der Weltbank. Die 2015 gegründete Entwicklungsbank der BRICS-Staaten hat ihren Sitz in Shanghai. Nun kündigte Xi die Einrichtung einer SOZ-Entwicklungsbank an. Ein Schritt, um die Abhängigkeit vom US-Dollar zu reduzieren.
„Die Weltordnung, die sich die chinesische Führung vorstellt, hat nicht sehr viel mit dem zu tun, was wir bisher kennen“, erklärt Sinologin Jana Oertel vom European Council on Foreign Relations. Die Rolle als Weltpolizist, wie sie die USA zeitweise ausgefüllt hätten, käme beispielsweise überhaupt nicht in Frage. Zwar bekennt sich die chinesische Regierung zu den Vereinten Nationen. Gleichzeitig unterhöhle sie deren Werte – durch eigene Menschenrechtsverletzungen, der Unterstützung des russischen Angriffskrieges in der Ukraine und die Unterdrückung unliebsamer Debatten im Menschenrechtsrat.
Chinas Kurs steht dabei in Abgrenzung zu westlichen Werten wie Demokratie, Freiheit und Toleranz, schreibt Politologe Ulrich Speck in seinem Buch „Der Wille zur Weltmacht“. Im Schulterschluss mit Russland und Nordkorea gelte es, autokratische Strukturen zu festigen. „Das ist das gemeinsame Projekt“, betont Speck.
Die politischen Ambitionen Pekings sind eng verknüpft mit den wirtschaftlichen Machtverhältnissen, die sich gerade verändern. „China wird der maßgebliche Antreiber und das Zentrum des Welthandels werden, das ist die Vision. Und die gewinnt an Glaubwürdigkeit, daran kommen wir nicht vorbei, meint Sebastian Heilmann, Professor für Politik und Wirtschaft Chinas von der Universität Trier. Der Westen müsse darauf mit einer einheitlicheren und aktiveren Politik reagieren.
Alte und neue Freunde Chinas
Russland, Vietnam, Türkei und weitere - mit welchen Ländern China zusammenarbeitet, war in den Tagen des SOZ-Gipfels und der Militärparade gut zu sehen. Zahlreiche Regierungschefs gaben sich die Klinke in die Hand. Darunter der slowakische Ministerpräsident Fico und Serbiens Präsident Vucic, zwei russlandfreundliche Regierungschefs aus Europa.
Interessanter war jedoch die Reise von Indiens Premierminister Narendra Modi, der zum ersten Mal seit 2008 China besuchte. Es ist eine vorsichtige Annäherung zweier strategischer Rivalen. „Kein Zufall“, meint Politologin Miriam Prys-Hansen vom Leibnitz-Zentrum für regionale und globale Studien, „US-Präsident Trump hat Indien mit seiner Zollpolitik in diese Richtung gedrängt.“
Indien kauft in großem Maßstab Öl aus Russland und wird auch deshalb von den USA unter Druck gesetzt. Das sich abzeichnende energiepolitische Dreieck zwischen Russland, China und Indien ist gegen westliche Sanktionen weitgehend immun.
Schon seit 2013 treibt China zudem sein gigantisches Projekt der „Neuen Seidenstraße“ voran, indem es in Infrastrukturprojekte weltweit investiert, vor allem in Asien, Europa und Afrika. Kritiker werfen China vor, damit seinen geopolitischen Einfluss auszubauen, durch hohe Verschuldung gerieten Partnerländer in eine Abhängigkeit. Konflikte bleiben nicht aus: So zog sich Panama Anfang 2025 auf Druck der USA aus dem Projekt zurück. Die US-Regierung sah ihre Interessen im wichtigen Panama-Kanal durch China bedroht.
Herausforderung China – was macht der Westen?
Viele Beobachter sind sich einig: die Zollpolitik von US-Präsident Trump nutzt China mehr, als dass sie dem Land schadet. Die von den USA und westlichen Regularien bestimmte Weltwirtschaftsordnung hat an Glaubwürdigkeit verloren, alternative Systeme werden attraktiver. Der Westen an sich ist zersplittert, das gilt insbesondere für Europa.
Mit wachsendem Abstand zu den USA muss die EU gegenüber China eine eigenständige, gemeinsame Position finden und diese Interessen aktiv vertreten, betonen die Politologen Eberhard Sandschneider, Sebastian Heilmann und Miriam Prys-Hansen unisono. Ein Hebel ist Pekings wirtschaftliches Interesse in Europa – dem wichtigsten Exportmarkt für China. Der Austausch von Waren und Dienstleistungen zwischen der EU und China macht ein Drittel des Welthandels aus.
In Deutschland wird angesichts der tektonischen Verschiebungen eine Abkehr von wertegeleiteter Außenpolitik hin zu einem pragmatischeren Kurs diskutiert. In einem solchen Licht kann beispielsweise die Reise von Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) nach Indien gesehen werden. Deutschlands wirtschaftliche Interessen standen dabei klar im Mittelpunkt, kritische Aspekte blieben weitgehend außen vor.
jk