Beeindruckend an Chinas Politik sei die langfristige Perspektive. Das Land wolle bis zum Jahr 2049 zum führenden Industrieland und zur Technologie-Supermacht aufsteigen. Die Vorstellung sei, dass die Welt mit chinesischen Autos fahren und mit chinesischen Flugzeugen fliegen solle.
Die Akquisition von Technologie aus dem Ausland sei eine Möglichkeit, dies zu beschleunigen. Die entscheidende Frage sei aber nicht, "ob China technologisch aufholen wird, sondern mit welcher Geschwindigkeit". Die chinesische Regierung halte gewisse Branchen geschlossen für ausländische Investitionen, weshalb es keinen fairen Wettbewerb gebe, so Wübbeke. In Deutschland sei dieses Problem unterschätzt worden, inzwischen gebe es aber eine Debatte über Transparenz und Eigentümerstrukturen.
China wird auf US-Strafzölle ungehalten reagieren
Sollten die USA Strafzölle gegenüber China verhängen, würde China "sehr stark getroffen werden" und "mit Sicherheit mit Vergeltungsmaßnahmen reagieren", möglicherweise Maßnahmen im Rahmen der Freihandelsorganisation WTO nutzen. Es sei jedoch die "Frage, inwiefern solche Strafzölle überhaupt rechtlich möglich sind."
Wübbeke sagte, er sehe in dem gestörten Verhältnis zu den USA eine große Chance für die deutsch-chinesische Kooperation. Beide seien auf einen offenen Weltmarkt angewiesen. Zwar habe man unterschiedliche Interessen - die könnten aber verhandelt werden.
Das Interview in voller Länge:
Christoph Heinemann: Noch regiert Barack Obama in Washington, aber immer häufiger schauen die politisch Verantwortlichen gegenwärtig nach New York auf den Trump-Tower, aus dem heraus der künftige Bewohner des Weißen Hauses via Twitter politische Duftmarken setzt, auch Richtung Peking. Donald Trump hat die sogenannte Ein-China-Politik kürzlich infrage gestellt. Er deutete an, dass er sich nicht daran gebunden fühle, solange Peking in anderen Bereichen keine Zugeständnisse mache, zum Beispiel beim Handel.
Die USA unterstützten zwar das andere China immer, die Insel Taiwan, haben die Ein-China-Position auf diplomatischer Ebene aber bislang respektiert. In der Sache hat Trump nicht einmal unrecht. Das Mercator-Institut für China-Studien hat den Europäern gerade geraten, schärfer gegen staatlich geförderte Firmenübernahmen durch chinesische Investoren vorzugehen. Der Fall des auf Industrieroboter spezialisierten Unternehmens Kuka hatte zuletzt für Schlagzeilen gesorgt.
Und unser Gesprächspartner wird uns gleich sagen, dass der umgekehrte Weg, also ein deutsches Unternehmen übernimmt einen chinesischen Hochtechnologiebetrieb, nahezu undenkbar ist. Und eine zweite Botschaft hält Jost Wübbeke bereit: Chinas Einkaufstour für Spitzentechnologie hat gerade erst begonnen.
Jost Wübbeke ist Leiter des Programms Wirtschaft und Technologie des Mercator-Instituts für Chinastudien in Berlin, und ich habe ihn vor der Sendung gefragt, für welche Technologien sich die Volksrepublik vor allem interessiert?
Jost Wübbeke: China interessiert sich vor allem für Hochtechnologie, zum Beispiel den Automobilbereich, die Luftfahrt, Robotik, Informationstechnologien, Medizintechnologie, und diese große Strategie, die China definiert hat, wählt eben gerade diese Technologien aus, und dort will China in Zukunft deutlich wettbewerbsfähiger werden.
"Chinas Technologielücke ist in vielen Bereichen noch ziemlich groß"
Heinemann: Also die chinesische Führung arbeitet schon mit einem strategischen Plan?
Wübbeke: Das Beeindruckende an der chinesischen Politik ist eben diese langfristige Perspektive. Es gibt diesen Industrieplan, diesen Masterplan der chinesischen Regierung unter dem Stichwort "Made in China 2025", und das Ziel dieses Plans ist im Grunde, China bis zum Jahr 2049 zu einem führenden Industrieland zu machen, zu einer Technologiesupermacht. Was China im Grunde möchte, ist, dass die Welt nicht mit ausländischen Autos fährt, sondern eben mit chinesischen Autos, dass man mit chinesischen Flugzeugen fliegt, und nicht mit ausländischen.
Heinemann: Auf diesem Weg benötigt China Technologie. Auf welche Weise versucht das Land, an Technologie im Ausland zu gelangen?
Wübbeke: Zunächst einmal versucht das Land, auch erst mal selbst innovativer zu werden, also selbst zentrale Technologien zu entwickeln. Nun ist es so, dass die Technologielücke in vielen Bereichen noch ziemlich groß ist. Da möchte China eben eine Abkürzung gehen und sieht die Akquisition von Technologie aus dem Ausland als eine zentrale Maßnahme, mit der man diesen Prozess beschleunigen kann.
Das heißt, wenn jetzt ein chinesisches Unternehmen, ein privates Unternehmen oder ein staatliches gestütztes Unternehmen Investitionen im Ausland tätigt, dann sind natürlich besonders Unternehmen, die Technologieführer in ihrem Bereich sind, besonders interessant, denn die verfügen über hochwertige Produktionsprozesse, über das nötige Know-how, über die entscheidenden Patente in diesem Bereich. Dort sehen wir eben den zunehmenden Trend, also gerade in den letzten ein, zwei Jahren, dass chinesische Investoren es eben auf diese zentralen Technologien abgesehen haben.
"Der Staat greift relativ stark ein, um China technologisch zu entwickeln"
Heinemann: Sie haben gerade gesagt, China entwickelt ja eigene Technologien auch. Wie schützt China die eigene Wirtschaft und deren technologische Entwicklungen?
Wübbeke: Der Staat greift relativ stark ein, um China technologisch zu entwickeln, und dementsprechend wird auch der chinesische Markt häufig vor ausländischen Wettbewerbern geschützt, und das ist im Grunde mittlerweile ein sehr nuancierter, ausbalancierter und selektiver Protektionismus im Grunde geworden, das heißt, nicht mehr so wie früher, ich mach einfach den Markt zu, sondern im Grunde ein sehr intelligentes System von selektiven Öffnungen auf der einen Seite in manchen Industrien, aber Schließungen in manch anderen Industrien.
Man sieht das zum Beispiel im IT-Bereich, dort schließt sich derzeit mehr und mehr durch die Eingriffe der chinesischen Regierung, auch zum Beispiel im Automobilbereich. Andererseits, in Bereichen wie Industrie 4.0, Automatisierung der Industrie, hier sehen wir eigentlich derzeit eher eine Öffnung. Also insofern haben wir hier ein sehr unterschiedliches System, was industriespezifisch ist.
"Viele Branchen hält die chinesische Regierung geschlossen für ausländische Investoren"
Heinemann: Aber grundsätzlich geht doch die Klage, dass die Chinesen im Ausland Technologie einführen, Kuka war jetzt in Deutschland ein Beispiel, der Hersteller von Industrierobotern, und auf der anderen Seite entsprechende Firmen in China, die sind eben nicht offen, daran kann man sich nicht beteiligen, oder die kann man nicht übernehmen.
Wübbeke: Genau. Das firmiert unter dem schönen Stichwort Reziprozität. Das heißt, im Grunde, Midea kann in Deutschland Kuka kaufen. Wenn Kuka das andersherum versucht hätte, wäre das doch extrem unwahrscheinlich gewesen, und es gibt viele Branchen, die die chinesische Regierung eben geschlossen hält für ausländische Investitionen oder eben beschränkt.
Also das sind Industrien wie zum Beispiel die Automobilbranche, in der Luftfahrt, aber auch Bereiche wie zum Beispiel Cloud Computing. Andere Bereiche wie zum Beispiel der Bergbau bleiben komplett geschlossen. Und da besteht dann eben keine sogenannte Reziprozität, was natürlich aus einer europäischen Perspektive extrem problematisch ist, weil hier dann eben kein fairer Wettbewerb besteht.
"Es wird vermehrt zu chinesischen Investitionen in Europa kommen"
Heinemann: Welcher Schaden entsteht in Deutschland durch solchen Technologietransfer?
Wübbeke: Chinesische Investitionen in Europa sind eigentlich noch am Anfang und noch in relativ geringem Umfang, verglichen auch mit anderen Ländern.
Heinemann: Das heißt, die wollen noch viel mehr kaufen.
Wübbeke: Genau. Die Entwicklung, die wir in den nächsten Jahren sehen werden, ist, dass es vermehrt zu chinesischen Investitionen in Europa kommen wird, und das ist auch ein völlig natürlicher Prozess. Wo man im Grunde ein wenig Bedenken haben sollte, ist, wenn diese Investitionen zunehmend von staatlichen Strategien getrieben sind. Und hier besteht in der Tat die Herausforderung, dass diese strategischen Investitionen dazu führen können, dass Technologie gezielt abgeschöpft wird und nach China transferiert wird.
"Man braucht neue Instrumente, um auf staatlich getriebene Investitionen zu reagieren"
Heinemann: Wurde und wird das Problem in Deutschland unterschätzt?
Wübbeke: Es wurde vielleicht unterschätzt. Jetzt, seit etwa einem halben Jahr gibt es in Deutschland darüber eine intensive Debatte. Man braucht neue Instrumente, um auf staatlich getriebene Investitionen zu reagieren, mehr Transparenz. Dass zum Beispiel die Eigentümerstrukturen von Investoren offengelegt werden, dass Finanzierungsstrukturen offengelegt werden oder die personellen Hintergründe der Investoren.
Das kann natürlich auch noch mal deutlich weitergehen, wie zum Beispiel, dass man den Begriff der nationalen Sicherheit, unter dem derzeit ja Investitionsprüfungen möglich sind, dass man den noch mal deutlich ausweitet. Derzeit wird ja der Begriff der nationalen Sicherheit relativ eng verstanden, das heißt, es geht im Grunde nur um Rüstungsgüter. Was ist aber zum Beispiel mit Maschinen, die notwendig sind, um diese Rüstungsgüter herzustellen? Sollte das auch ein Teil der nationalen Sicherheit sein oder nicht? Oder Industrieroboter, die in der Rüstungsindustrie eingesetzt werden, genau das könnte natürlich dann auch darunter fallen.
Heinemann: Könnte China eigentlich ohne den Zukauf ausländischer Technologie die Ziele dieses strategischen Plans 2025 oder diese angestrebte Weltmarktspitze für das Jahr 2049 erreichen?
Wübbeke: China könnte diese Ziele sicherlich in einigen Bereichen erreichen. Es gibt natürlich auch andere Bereiche, gerade in der Robotik wäre es natürlich sehr schwierig für China, hier in kurzer Zeit zum Technologieführer aufzusteigen. Weil es geht ja auch gerade um so zentrale Fragen wie die Roboterprogrammierung und die Systemintegration, und hier ist man dann eben doch auf ausländisches Know-how angewiesen.
Die entscheidende Frage ist eigentlich nicht, ob China technologisch aufholen wird, sondern mit welcher Geschwindigkeit. Und wenn China eben im Ausland Spitzentechnologie akquiriert, dann wird sich dieser Prozess beschleunigen.
"Ich persönlich sehe eine große Chance für Europa und China"
Heinemann: Donald Trump schlägt neuerdings sportliche Töne China gegenüber an. Politisch, indem er jetzt die Ein-China-Politik infrage stellt, wirtschaftlich durch die Drohung mit Zöllen für chinesische Produkte. Könnte sich China durch solche Drohungen zu einem faireren Handelspartner entwickeln.
Wübbeke: Die chinesische Regierung wird darauf mit Sicherheit mit Vergeltungsmaßnahmen reagieren. Sie wird gegebenenfalls Maßnahmen im Rahmen der WTO zu nutzen versuchen. Es ist ja die Frage, inwiefern solche Strafzölle überhaupt rechtlich möglich sind. Wenn die Trump-Administration tatsächlich einen aggressiveren Kurs gegenüber China einschlägt, dann wird man damit in China sicherlich keine Freunde finden, und es wird auch nicht dazu führen, dass China seine Wirtschaft mehr öffnet, sondern ganz im Gegenteil eher weiter schließt.
Ich persönlich sehe eine große Chance für Europa und China, für die deutsch-chinesische Kooperation, für die europäisch-chinesische Kooperation, denn richtig ist, klar, man hat hier unterschiedliche wirtschaftliche Interessen, aber Interessen können auch verhandelt werden, und beide Länder, Deutschland und China, sind auf freien Handel angewiesen, sie sind auf einen offenen Weltmarkt angewiesen.
Hier kann es durchaus Möglichkeiten geben, auch auf China wieder mehr Druck auszuüben, weil man eben weiß, China wird sehr stark getroffen werden durch mögliche Strafzölle aus den USA. Insofern gibt es hier durchaus auch Möglichkeiten, China zu mehr Bewegung zu veranlassen.
"Europa kann das Signal an China geben, wir sind bereit, mit euch zu sprechen"
Heinemann: Nach dem Sprichwort "Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte."
Wübbeke: Hier ist jetzt das Potenzial da, wo Europa auch das Signal an China geben kann, wir sind bereit, mit euch zu sprechen, und wenn ihr euch als fairer Partner erweist und auch ein Stück weit bewegt, dann bewegen natürlich auch wir uns, und wir können zu einem gemeinsamen Kompromiss kommen, zu einer gemeinsamen Position. Und wenn das gelingt, können natürlich beide davon profitieren.
Heinemann: Jost Wübbeke ist Leiter des Programms Wirtschaft und Technologie des Mercator-Instituts für China-Studien in Berlin. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.