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Computerspiele
Die Entwicklung der Games

Mit Computerspielen werden mittlerweile erhebliche Summen umgesetzt, 2015 sollen es weltweit fast 100 Milliarden Dollar gewesen sein. Auch Vielfalt und Akzeptanz der Spiele haben zugenommen. In Köln hat sich die Branche getroffen, um über neue Entwicklungen zu diskutieren.

Von Mathias Schulenburg | 16.11.2017
    Junge mit Computerspiel
    Kreativität war ein wichtiges Thema bei der "Clash of Realities", der Forschungskonferenz zu Computerspielen (picture alliance / dpa / Foto: Maximilian Schönherr)
    Das Augenfälligste unter den mit Händen greifbaren Dingen war sicherlich der Gegenstand, der während der Hauptvorträge auf Wurfparabeln im Publikum umherflog, begleitet von wohlwollendem Gelächter - mehr dazu später. Das Besondere an der Konferenz "Clash of Realities" am Cologne Game Lab der Technischen Hochschule Köln aber, sagt Gundolf Freyermuth, dort Professor für Media and Game Studies, sei: "Dass wir versuchen, die verschiedenen Bereiche zusammenzubringen. Es gibt natürlich Konferenzen für Game Designer in denen die Branche zusammenkommt, es gibt wissenschaftliche Konferenzen der Geisteswissenschaftler, der Game Studies, die Spiele analysieren; es gibt Konferenzen mit Game-Pädagogen, die sich mit den sozialen Auswirkungen von digitalen Spielen beschäftigen; es gibt Menschen, die beschäftigen sich mit dem Ton im Spiel, dem Bild im Spiel - wir versuchen, das alles zusammenzubringen."
    Leidenschaftliches Verhältnis zum Sound
    Mittlerweile werden mit Videospielen erhebliche Summen umgesetzt; 2015 soll der weltweite Jahresumsatz bei fast 100 Milliarden US-Dollar gelegen haben. Auch Vielfalt und Akzeptanz, sagt Gundolf Freyermuth, hätten zugenommen:
    "Also, ich denke, die Debatte um den sozialen und kulturellen Wert von Videospielen ist mehr oder weniger entschieden und vorbei. Wir können ja auch sehen, dass sich Videospiele als Medium ausdifferenziert haben, es gibt viele verschiedene Sorten von Spielen: Es gibt Serious Games, die der Bewusstseinsbildung dienen; es gibt narrative Spiele, die anrührende Geschichten erzählen; es gibt natürlich rein ludische Spiele, wo es nur um Geschicklichkeit, um Daddeln geht - diese Vielfalt der Spiele macht, dass dieses neue Medium ähnlich zu den älteren Medien, die ja auch erst mit einigen wenigen Genres anfingen und sich dann ausdifferenziert haben. Wir haben auf dem Filmmarkt, man kann nicht sagen 'der Film' – es gibt ganz unterschiedliche von den großen Blockbustern bis zu kleinen Art-House-Filmen, und dasselbe ist in den vergangenen zehn Jahren auch mit den Spielen geschehen, sie haben damit sozusagen mit der Literatur aufgeschlossen, indem sie genauso vielfältig sind und unterschiedliche Bedürfnisse befriedigen."
    Eröffnet wurde die Konferenz mit einem Vortrag von Karen Collins, Professorin an der University of Waterloo, Kanada und dem Aufruf "Hey, hört auf, den Sound zu ignorieren!" Den zu erzeugen stehen heute fantastische Möglichkeiten zur Verfügung.
    Bei der Soundsynthese für Videospiele könne man mittlerweile auf viele neue leistungsstarke Werkzeuge zurückgreifen, sagt Karen Collins. Bis 1990 hätte man plakative Soundschnipsel alle neu synthetisieren müssen, da sei man also in seinen Ausdrucksmöglichkeiten sehr beschränkt gewesen.
    Karen Collins nach eigener Aussage schon leidenschaftliches Verhältnis zum Sound hat ein exquisites Vorbild: Monsieur Hulot, die liebenswerte und ganz und gar altmodische Kunstfigur des französischen Regisseurs Jacques Tati.
    Völlig übersteigerte Soundeffekte
    Karen Collins akustische Lieblingsszene spielt im Film Mon Oncle in der Küche der Arpels.
    Also da sei Monsieur Hulot in der Küche gewesen und habe alles Mögliche angefasst, alles von wahnsinnigen Summtönen begleitet. Er habe mit seinen Händen fast Feuer gemacht, alles schwer übertrieben. Und das ist etwas, was ihr heute in Videospielen fehle, diese komischen Effekte durch übersteigerten Sound.
    Tati machte den Mangel an technischen Möglichkeiten mit Fantasie und viel Arbeit wett. Die vielen neuen technischen Möglichkeiten hätten den modernen Game Sound nicht unbedingt überzeugender gemacht.
    Es gebe da aufseiten des Publikums, das ja von Game Sound geprägt worden sei, bestimmte Erwartungen. Die Spiele hätten in den letzten zehn Jahren völlig übersteigerte Soundeffekte bekommen, für einen Gewehrschuss nähmen sie eine Kanone, und man kann sehen, dass dieser Spielesound in die Kinos einzieht.
    Der Film "Mad Max Fury Road" beispielsweise klänge wie ein Videospiel. Selbst bei Dokumentationen. Es gäbe bei der BBC-Serie Planet Earth II selbst für Pilze spezielle Soundeffekte. Jedes Ding kriegt seinen eigenen Soundeffekt, und das ist natürlich völlig unrealistisch, Aber das ist die Erwartung des Publikums. Und wenn man realistischen Sound verwendet, hält ihn das Publikum für unrealistisch.
    Kreativität war ein wichtiges Thema beim "Clash of Realities". Ein Muster an Kreativität war auch das fliegende Ding vom Anfang: Es war ein "Wurfmikrofon" finnischer Bauart, ein großer Schaumstoff-Würfel mit einem gut gepolsterten Funkmikrofon im Inneren, der von Hand in die Richtung Sprechwilliger geschleudert wurde. Menschen, versichert der Hersteller, sprechen in einen solchen geworfenen Würfel lieber als in ein handgereichtes Mikrofon. Stimmt, zumal man sein Gesicht hinter dem Würfel verstecken kann.
    Immer feinere Simulationstechniken
    Natürlich ist die Entwicklung nicht nur heiter. Schwache Charaktere laufen Gefahr, in digitalen Scheinwelten zu versinken und immer feinere Simulationstechniken weichen die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit auf. Mit Folgen? Martin Burckhardt, nach eigener Aussage "elektromagnetischer Autor", weil er im Laufe der Zeit über alles geschrieben hat, was elektrifizierbar ist, sieht die Entwicklung skeptisch:
    "Wir erleben im Grund genommen dass wir kurz vor einer industriellen Revolution im Bereich des Maschinenbaus stehen, Artificial Intelligence stehen, wo ganz große Teile der Bevölkerung, die braucht man nicht mehr. Harari sagt, das sind die Überflüssigen. Ich persönlich begrüße diese Computerwelt total, weil sie erlaubt unendlich viele wunderbare Dinge – anstatt diese Fragen zu verhandeln, reden wir im Moment Deutschland geht’s super, aber ich frage mich, wie lange noch. Wir sehen ja am Beispiel Brexit, an Katalonien, wir sehen bei Trump, das eigentlich die klassischen politischen Räume, die werden langsam geschleift. Selbst Macron, den ich eigentlich ganz wunderbar finde, als Phänomen ist auch das merkwürdig. Plötzlich kommt eine Bewegung, 'en marche', und die ganze Kaste wird davon gefegt. Das ist jetzt ein positives Beispiel, aber trotzdem: Allein der Umstand ist ja bemerkenswert, eine ganze Klasse wird abgewählt. Und das ist eigentlich nichts, worüber man sich wirklich freuen kann, das zeigt eher, dass wir in sehr instabilen Zeiten leben."
    Gesellschaftskritische Anmerkungen am Rande der internationalen Forschungskonferenz zu Computerspielen in Köln.
    Für alle diejenigen, die keine Lust auf digitale Spiele haben – eine Alternative zum Spiel ist zum Beispiel das Betrachten eines wandernden Sonnenstrahls auf einer Rauffasertapete, zum Gesang eines Rotkehlchens, bald nur noch auf CD.