Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Corona-Impfstoffe
"Placebo-Studien ethisch bald nicht mehr akzeptabel"

Nach der EU-Zulassung des ersten Corona-Impfstoffs stellt sich die Frage, wie mit Teilnehmern anderer Studien umzugehen ist. Sobald größere Teile der Bevölkerung geimpft werden könnten, seien Placebo-kontrollierte Studien ethisch nicht mehr akzeptabel, sagte der Mediziner Joerg Hasford im Dlf.

Jörg Hasford im Gespräch mit Sophie Stigler | 23.12.2020
Eine medizinische Fachangestellte setzt bei einem Probedurchlauf im Impfzentrum Bamberg bei einer Dame zur Impfung an. In der Spritze befindet sich kein Impfstoff. Im sich noch im Aufbau befindlichen Impfzentrum in der Bamberger Brose Arena wurden bereits Probeabläufe durchgeplant.
Wenn Hersteller mit Ihrem Impfstoff in einem vergleichbaren Probandenklientel wie Biontech auch 90 Prozent erreichen, wären keine Placebo-kontrollierten Studien mehr nötig, sagt Mediziner Hasford. (picture alliance / AP / Markus Schreiber)
Der erste Corona-Impfstoff ist in der EU zugelassen. Deswegen kann an anderen Impfstoffen nicht einfach so weitergeforscht werden wie bisher - in klinischen Studien ist jetzt die Frage: Darf man Teilnehmern noch ein wirkungsloses Placebo geben und ihnen eine wirksame und sichere Impfung vorenthalten? Wie sollten klinische Studien aussehen, welche ethischen Standards sollen gelten?
Einige Impfstoffentwickler haben bereits reagiert und angekündigt, dass sie ihren Studienteilnehmern, die bisher ein Placebo bekamen, das sind Zehntausende, auch eine richtige Impfung anbieten wollten. Joerg Hasford ist Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Leiter des Arbeitskreises medizinischer Ethik-Kommissionen.
Biontech/Pfizer, Moderna und Co. - Wettlauf um den Corona-Impfstoff
Im Wettlauf um die Entwicklung eines Corona-Impfstoffs melden weitere Unternehmen Ergebnisse. Die EU hat bisher den Biontech/Pfizer-Impfstoff zugelassen. Welche Impfstoff-Kandidaten sonst noch im Rennen sind - ein Überblick.

Studienteilnehmern Impfstoff-Verfügbarkeit mitteilen

Sophie Stigler: Sind Entwickler bei laufenden Studien jetzt dazu verpflichtet sind, allen Studienteilnehmerinnen eine richtige Impfung anzubieten?
Joerg Hasford: Rechtlich vielleicht nicht, aber ethisch. Jetzt ist die Lage so: Grundsätzlich wird die Durchführung von Placebo-kontrollierten Studien – also wo die Kontrollgruppe ein nicht wirksames Scheinpräparat erhält –, sobald eine Standardtherapie zugelassen vorliegt, ethisch sehr schwierig. Jetzt ist zwar ein Impfstoff zugelassen worden von der EMA diese Woche …
Stigler: Von der Europäischen Arzneimittelbehörde (Anm.d.Red.: Arzneimittel-Agentur).
Hasford: Ja, aber dieser Impfstoff steht nicht in den erforderlichen Mengen zur Verfügung. Das heißt, ein Mensch, der zum Beispiel in Deutschland sich jetzt impfen lassen wollen würde, würde da, denke ich, vor verschlossenen Türen stehen. In dieser Situation, wenn also die zugelassene Therapie gar nicht zur Verfügung steht, dann sind Placebo-kontrollierte Studien meines Erachtens noch zulässig. Allerdings in dem Augenblick, wo für eine bestimmte Versuchsperson, sei es aufgrund des Alters, des Berufes oder der sogenannten Vorerkrankungen ein Anspruch besteht, geimpft zu werden, muss man das dem Patienten in der Studie mitteilen.
RNA, Illustration
Corona-Impfstoff - Impfrisiken im Faktencheck
Die Europäische Arzneimittelaufsicht EMA hat grünes Licht für den Corona-Impfstoff von Biontech/Pfizer gegeben. Die Nebenwirkungen seien gering im Vergleich zu den Vorteilen. Wie überwacht die EMA den Impfprozess?

Viele verstehen die Konsequenzen "nicht wirklich"

Stigler: Jetzt wird aber ja durchaus diskutiert, vielleicht Teilnehmer von Studien zu fragen, ob sie nicht vielleicht doch noch ein bisschen länger auf eine Impfung verzichten könnten und man eben noch ein bisschen länger beobachten kann, was es da für Unterschiede gibt. Also wenn es eine informierte Entscheidung ist, okay, ich weiß, es gibt einen zugelassenen Impfstoff, aber ich entscheide mich jetzt bewusst dafür, der Wissenschaft zu helfen, und ich bekomme dann vielleicht auch versichert, dass ich nach einer gewissen Wartezeit dann auch einen wirksamen Impfstoff bekomme, wäre das eine gangbare Möglichkeit?
Hasford: Ich würde mal sagen, theoretisch ja, praktisch hätte ich da erhebliche Bedenken. Wir wissen aus zahlreichen Untersuchungen, dass die sogenannte mündliche Aufklärung verbunden mit der schriftlichen Aufklärung vor der Einwilligung zur Teilnahme an einer klinischen Studie von einer Großzahl der Teilnehmer nicht wirklich verstanden wird, schon gar nicht in ihren Konsequenzen. Von daher hätte ich persönlich Bedenken. Juristisch könnte das möglich sein, weil die Unterschrift ist dann eine Unterschrift. Aber man muss sich ja selber die Frage stellen, wenn du jemanden wirklich aufklärst, auch darüber, was möglicherweise die Langzeitfolgen von einer durchgemachten COVID-Erkrankung sind, dann hätte ich Zweifel, ob man da viele Menschen findet, die darin einwilligen.
Stigler: Aber wenn ich Sie richtig verstehe, sagen Sie, bei Studien, die jetzt, sagen wir mal, Mitte nächsten Jahres mit großen Probandenzahlen anlaufen, da wäre es in jedem Fall nicht mehr in Ordnung, ein Placebo zu geben, das heißt, da müsste man als Vergleichsgruppe eben dann einen zugelassenen Impfstoff geben.
Hasford: Ja. In dem Augenblick, wo die Lieferprobleme für die zugelassenen Impfstoffe halbwegs geregelt sind und größere Teile der Bevölkerung tatsächlich die Option haben, sich impfen zu lassen, da halte ich Placebo-kontrollierte Studien bei so einer Erkrankung wie COVID, ich sag’s mal so, ethisch nicht mehr für akzeptabel.

Placebo-kontrollierte Studie vielleicht bald nicht mehr nötig

Stigler: Ergibt sich denn dadurch für die Impfstoffentwickler, die jetzt so ein bisschen später dran sind, ein Nachteil? Ich könnte mir vorstellen, auch wenn dann mehr Impfstoffdosen verfügbar sind, dass es gar nicht so leicht ist, da dranzukommen. Die sind ja auch heiß umkämpft, und wenn ich jetzt sage, okay, ich brauche für meine klinische Studie jetzt soundsoviel, 10.000 Dosen, können da die Hersteller dann nicht einfach sagen, Entschuldigung, aber für die Konkurrenz haben wir jetzt nichts mehr übrig.
Hasford: So ist es. Das ist ein großes Problem, und ich habe dafür, sage ich, keine wirkliche Lösung. Mit dem Problem habe ich mich im letzten halben, dreiviertel Jahr sehr intensiv auseinandergesetzt, weil das Remdesivir, das ja eine lange Zeit als Therapie für COVID galt, ja auch nicht zur Verfügung stand für klinische Prüfungen. Das wird sehr schwierig werden. Eine Möglichkeit gäbe es: Wir haben ja für den Biontech-Impfstoff sozusagen eine Messlatte, und setzen wir jetzt mal die Messlatte an bei 90 Prozent Erfolgsrate, dann brauchen Sie streng genommen vielleicht keine Placebo-kontrollierte Studie mehr, dann müssen Sie nur zeigen, dass Sie mit Ihrem Impfstoff in einem vergleichbaren Probandenklientel ebenfalls 90 Prozent erreichen. Dann haben Sie ja streng genommen einen Standard, denn den gibt es schon auf dem Markt, und dieser Standard könnte Ihre Vergleichsgruppe sein.
Ich glaube, es wird sehr schwierig, in einem halben Jahr noch Placebo-kontrollierte Studien zu machen, und ich glaube eben auch nicht, dass es so leicht sein wird, serumkontrollierte Studien durchzuführen, weil der Impfstoff für Studien nicht zur Verfügung stehen wird. Das ist meine Einschätzung.
Stigler: In jedem Fall lässt sich festhalten, dass zukünftige Impfstoffentwicklungen es deutlich schwerer haben werden ab nächstem Jahr.
Hasford: Davon gehe ich aus, ja.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.