Samstag, 27. April 2024

Pandemie
Worum es bei der Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen geht

Lockdown, Impfungen, isolierte Kinder: Vertreter aus Politik und Wissenschaft fordern, dass die damaligen Corona-Maßnahmen aufgearbeitet werden sollen. Welche der einstigen Beschlüsse stehen zur Diskussion? Und wie könnte eine Aufarbeitung aussehen?

29.03.2024
    Geschlossener Spielplatz mit Holzkrokodil hinter Flatterband im Rosensteinpark Stuttgart als Auswirkungen der Corona-Krise im Februar 2022.
    Öffentliche Spielgeräte wie dieses Holzkrokodil waren während der Lockdowns oft gesperrt. „Ich glaube, dass wir bei den Kindern noch viel gutzumachen haben“, sagt Gesundheitsminister Karl Lauterbach rückblickend. (Imago / Arnulf Hettrich)
    Gut vier Jahre liegt der Start der Coronapandemie im Jahr 2020 nun zurück – doch viele Wunden aus dieser Zeit sind noch nicht geheilt. Es sieht so aus, als hätte der Kampf gegen das Virus die Gesellschaft langfristiger gespalten. Forderungen nach einer Aufarbeitung werden immer lauter.

    Wer fordert eine Aufarbeitung der Coronapandemie?

    Über ein großes Parteienspektrum verteilt, sprechen sich Politikerinnen und Wissenschaftler für eine Aufarbeitung aus. Zum Beispiel FDP-Generalsekretär Djir-Sarai, der Linken-Abgeordnete Gysi, das Bündnis Sahra Wagenknecht, Grünen-Fraktionschefin Haßelmann, AfD-Fraktionsvorsitzende Weidel, Bundesgesundheitsminister Lauterbach (SPD), der Virologe Drosten , Ex-Kulturstaatsminister Nida-Rümelin und viele mehr.

    Was ist Auslöser der Debatte?

    Mit ins Rollen gebracht wurde die Diskussion durch das Online-Magazin „Multipolar“. Dieses hatte juristisch durchgesetzt, dass Protokolle des damaligen RKI-Krisenstabs freigegeben werden müssen – und die Dokumente veröffentlicht.

    Welche damaligen Maßnahmen sind zur Aufarbeitung im Gespräch?

    Unter anderem diese:
    Einschränkung von Kindern
    Gesundheitsminister Karl Lauterbach ist der Ansicht, dass Maßnahmen wie Schulschließungen und Kontaktbeschränkungen für Kinder zu weit gegangen seien: „Zumindest hätten wir uns viel mehr darum kümmern müssen, dass die Kinder eine gute digitale Beschulung bekommen“, sagte er.
    Impfpflicht
    Viel wurde über das Für und Wider einer Impfpflicht diskutiert. Bei einer Abstimmung im Bundestag votierten letztendlich mehr dagegen. Während Lauterbach zu den Befürwortern zählt, kritisiert der frühere Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin hohen Druck auf Leute, die sich nicht impfen lassen wollten - u.a. am Beispiel des Fußballers Joshua Kimmich. „Der ist Anfang 20. Er hat völlig recht! (…) Der war nicht bedroht durch Covid.“
    Dauer von Lockdowns
    Stimmen derer, die aufgrund der Lockdowns ihre Grundrechte bedroht sahen, musste man damals nicht lange suchen. Virologe Christian Drosten sieht es andersrum. Im Teil-Lockdown zwischen Herbst 2020 und Frühling 2021 ging es auch darum, vulnerable Personengruppen zu schützen. „Man hätte nur noch ein paar Wochen bis Monate länger konsequent sein müssen. Dann hätte man vielen Menschen das Leben gerettet.“
    Überhöhen von Einzelmeinungen
    Drosten kritisiert, dass damals einzelne Stimmen, die zugleich viele verunsicherten, eine breite Bühne bekommen hätten – „obwohl deren Meinungen nicht wissenschaftlich verifizierbar sind.“ Rückblickend sagt er: „Wir haben es in der Wissenschaft versäumt zu zeigen, wo die Hauptmeinung liegt.“
    Zerrbild der Wissenschaft
    Nieda-Rümelin beobachtet eine sprachliche Reduzierung auf nur eine Wissenschaft. „Als habe die Wissenschaft bestimmte Positionen gehabt. Das ist (…) vereinfachend. Es gab ein breites Spektrum.“
    Bevölkerung zu wenig Eigenverantwortung zugestanden
    In manchen Bereichen hätten starre Vorgaben durch Länder und Kommunen weggelassen und durch Eigenverantwortung ersetzt werden können. Davon ist Christian Drosten überzeugt. „Die Pfeile auf dem Boden im Kaffeeladen, wer wo hinlaufen darf, oder irgendwelche Richtlinien zum Händewaschen an bestimmten Stellen (…), da ist sicherlich vieles schiefgelaufen.“

    In welchem Rahmen könnte eine Aufarbeitung stattfinden?

    Während z.B. Teile der FDP eine Enquete-Kommission fordern, betont Lauterbach, dass er sich auf die konkrete Form der Aufarbeitung nicht festlegen will. „Wenn eine parlamentarische Aufarbeitung kommt, muss auch das Parlament entscheiden, wie das zu geschehen hat.“
    Nida-Rümelin sieht hingegen klare Vorteile darin: „Eine Enquete-Kommission argumentiert sehr sachlich, protokolliert, bringt verschiedene Positionen auf.“
    Drosten hält eine gemeinsame Aufarbeitung unterschiedlicher Berufszweige für problematisch:Ich würde denken, dass so eine politische Kommission dazu führt, dass bestimmte Kräfte eine Bühne bekommen, die gar nicht im Zentrum der Diskussion stehen sollten, sondern ich glaube, die Medien, die Wissenschaft, die Politik müssen jeweils für sich ihre Methoden einer Aufarbeitung wählen.“

    jma