Corona- Enquete-Kommission
Die politische Aufarbeitung der Pandemie

Die Pandemie hatte tiefe Spuren im öffentlichen Leben hinterlassen. Schon lange gab es Forderungen nach einer Aufarbeitung dieser Zeit, jetzt hat der Bundestag diese mit der Einrichtung einer Enquete-Kommission auf den Weg gebracht.

    Ein leeres Klassenzimmer. Die Holzstühle wurden auf die weißen Tische gestellt.
    Die Schulschließungen während der Corona-Pandemie zählen zu den umstrittensten Maßnahmen, die Enquete-Kommission soll nun auch ihre Folgen für Kinder und Jugendliche untersuchen. (picture alliance / dpa / Sven Hoppe)
    Geschlossene Schulen, Streit um Impfpflichten und einsames Sterben in Pflegeheimen: Die Corona-Pandemie hat tiefe Spuren in der Gesellschaft hinterlassen. Viele der damals diskutierten Fragestellungen wurden nach dem Ende der Krise rasch zur Seite gelegt. Bis heute fehlt es an einer umfassenden politischen Aufarbeitung dieser drei Jahre.
    Im Schatten der Debatte über eine mögliche Masken-Affäre um Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn hat der Bundestag am 10. Juli 2025 die Einsetzung einer Corona-Enquete-Kommission beschlossen. Sie soll analysieren, was in der Pandemie schieflief und wie Deutschland künftig besser auf Gesundheitskrisen vorbereitet sein kann.

    Inhalt

    Warum wird eine Enquete-Kommission eingesetzt?

    „Enquête“ kommt aus dem Französischen und bedeutet Untersuchung oder Befragung. Eine Enquete-Kommission besteht aus Abgeordneten und externen Sachverständigen. Sie analysiert komplexe Themen und legt dem Bundestag einen Bericht mit Empfehlungen vor, oft mit Blick auf künftige Gesetze.
    Nach langem Streit um ein passendes Format zur Aufarbeitung der Pandemie wurde am 10. Juli 2025 auf Antrag von Union und SPD die Einsetzung einer Enquete-Kommission beschlossen. Die AfD stimmte teilweise dagegen oder enthielt sich. Den Antrag unterstützten nach Änderungen auch Grüne und Linke.
    Der Titel: „Aufarbeitung der Corona-Pandemie und Lehren für zukünftige pandemische Ereignisse“. Die Arbeit aufnehmen soll die Kommission im September, wie der Unions-Obmann im zuständigen Ausschuss, Hendrik Hoppenstedt (CDU), sagte. Als Vorsitzende ist die CDU-Abgeordnete Franziska Hoppermann nominiert.
    Unions-Fraktionsvize Albert Stegemann (CDU) sagte, es gehe um eine ehrliche Analyse der Corona-Zeit. Im Gegensatz zu parteipolitischen Schuldzuweisungen ermögliche es die konstruktive Auseinandersetzung, Vertrauen in staatliches Handeln zu stärken. 
    Der Grünen-Politiker Janosch Dahmen sieht in der Enquete-Kommission einen längst überfälligen Schritt. Es gehe um grundlegende Fragen, so Dahmen, etwa: „Wie können wir uns in Zukunft frühzeitiger und auch gerechter schützen? Wie vermeiden wir, dass soziale Ungleichheit in der Krise sich verschärft? Wie sichern wir Vertrauen in die Kommunikation, in demokratische Kontrolle, auch in Ausnahmesituationen?“ All das brauche einen festen Ort und einen Prozess, den solle nun die Enquete-Kommission bieten.

    Welche Themen stehen im Fokus der Corona-Enquete-Kommission?

    Die Enquete-Kommission soll die Corona-Politik und ihre Folgen untersuchen. Dazu gehören die Früherkennung und Vorsorge mit Pandemieplänen, das Krisenmanagement mit Bund-Länder-Abstimmungen, Ministerpräsidentenkonferenzen, Krisenstäben und wissenschaftlicher Beratung sowie der rechtliche Rahmen und die parlamentarische Kontrolle.
    Auch die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus und ihre Auswirkungen auf Kinder, Jugendliche, ältere Menschen und Sterbende sollen aufgearbeitet werden.
    Frauke Rostalski, Jura-Professorin und Mitglied im Deutschen Ethikrat, ist der Ansicht, dass auch Maßnahmen wie die Impfung und die Maskenpflicht im Rahmen der Enquete-Kommission thematisiert werden sollten. Es habe Regelungen gegeben, etwa die einrichtungsbezogene Impfpflicht oder bestimmte Maskenvorgaben, deren Wirksamkeit laut RKI-Protokollen schon damals umstritten gewesen sei. Solche Maßnahmen müssten kritisch aufgearbeitet werden. 
    Die Opposition hat laut Grünen-Abgeordnete Paula Pirchotter außerdem zentrale Ergänzungen durchgesetzt. So werde die Kommission nicht nur staatliche Maßnahmen bewerten, sondern auch soziale Folgen in den Blick nehmen, besonders für Kinder, ältere und benachteiligte Gruppen. Es gehe um seelische Gesundheit, gesellschaftliche Spaltung und die Frage, wie jenen geholfen werden könne, die am stärksten betroffen waren.
    Weitere Themen sind die Beschaffung von Tests und Masken, staatliche Hilfen für Unternehmen und den Arbeitsmarkt sowie die Auswirkungen auf Kultur, Tourismus, Ehrenamt und Vereine. Die Kommission soll analysieren, was gut funktioniert hat und was nicht. Das Ziel: Lehren daraus in Empfehlungen für künftige Gesundheitskrisen zu übersetzen.

    Wer sitzt alles in der Enquete-Kommission?

    Der Kommission sollen 14 Abgeordnete und 14 Sachverständige angehören. Laut Antrag benennt die Union fünf Abgeordnete, AfD und SPD jeweils drei, die Grünen zwei und die Linke einen Abgeordneten.
    Die Sachverständigen sollen im Einvernehmen benannt werden, mit angemessener Beteiligung von Ländern und Kommunen und ausgewogener Vertretung der Wissenschaftsdisziplinen und Gesellschaftsbereiche. Kommt kein Einvernehmen zustande, sollen die Fraktionen die Experten wie nach dem Abgeordneten-Schlüssel benennen.

    Wie soll die Öffentlichkeit einbezogen werden?

    Die Kommission soll öffentliche Anhörungen von Experten, Interessenvertretern und Betroffenen abhalten und Gutachten einholen können. Perspektiven und Erfahrungen von Bürgern könnten „insbesondere durch öffentliche Formate einbezogen werden“, heißt es im Antrag. Auch eine „altersgerechte Befragung“ von Kindern und Jugendlichen ist möglich. Die „laufende Erkenntnisgewinnung“ und Ergebnisse sollen der Öffentlichkeit in geeigneter Form zugänglich gemacht werden, mit Berücksichtigung besonders schutzbedürftiger Informationen.
    „Es ist sicherlich wichtig und gut, dass auch Bürgerinnen und Bürger zu Wort kommen können“, sagt Jura-Professorin Frauke Rostalski. Doch die Entscheidungen während der Pandemie seien auf politischer Ebene getroffen worden, daher müsse auch die politische Ebene sie aufarbeiten.
    „Das zentrale Organ dafür ist der Deutsche Bundestag. Und jeder kann sich dabei einer solchen Enquete-Kommission bedienen“, so Rostalski. Sie hoffe, dass die Aufarbeitung offen und kritisch erfolge, „damit wirklich wieder Vertrauen in der Bevölkerung hergestellt werden kann.“

    Warum wünschen sich manche einen Untersuchungsausschuss?

    Die AfD forderte einen Untersuchungsausschuss für eine „schonungslose“ Corona-Aufarbeitung statt eines „Kommissiönchen“, wie der Abgeordnete Stephan Brandner sagte.
    Grüne und Linke fordern neben der Enquete-Kommission einen Untersuchungsausschuss, allerdings ausschließlich zur Maskenaffäre um den früheren Gesundheitsminister Jens Spahn. Grünen-Politiker Janosch Dahmen meint, dieses Thema lasse sich nicht im Rahmen der Enquete-Kommission aufarbeiten, dafür brauche es ein schärferes Instrument. Ein Untersuchungsausschuss könne Zeugen unter Eid vernehmen, Akteneinsicht verlangen und Beweise sichern. Ates Gürpinar (Linke) machte deutlich, man werde niemals einen Untersuchungsausschuss mit den Stimmen der AfD durchsetzen. 
    Eine Enquete-Kommission ist laut Jura-Professorin Frauke Rostalski grundsätzlich dafür gedacht, komplexe Zukunftsfragen zu untersuchen und politische Handlungsempfehlungen zu entwickeln. Anders als ein Untersuchungsausschuss, bei dem es eher darum gehe, politische Verantwortung zu klären und Missstände in der Vergangenheit aufzuarbeiten.
    Die rechtlichen Befugnisse seien im Untersuchungsausschuss deutlich größer: „Das ist regelrecht gerichtsähnlich, was man da für Instrumente an der Hand hat“, so Rostalski. Zwar könne auch eine Enquete-Kommission in die Vergangenheit blicken, sie habe aber nicht die gleichen Durchsetzungsmöglichkeiten. Gerade deshalb sei ein Untersuchungsausschuss für die Pandemie ihrer Meinung nach das geeignetere Instrument gewesen.

    Wann ist mit Ergebnissen zu rechnen und welche Hürden gibt es bis dahin?

    Die Kommission soll dem Bundestag bis zum 30. Juni 2027 einen umfassenden Abschlussbericht mit Erkenntnissen und Handlungsempfehlungen vorlegen. Möglich sind auch Zwischenberichte zu abgeschlossenen Aspekten, was eine frühere parlamentarische und politische Befassung damit ermöglichen soll.
    Alle Mitglieder der Kommission sollen auch Sondervoten abgeben können. Mit dem Abschlussbericht sollen auch Protokolle der Sitzungen veröffentlicht werden, wenn die Kommission nicht öffentlich getagt hat.
    Die Herausforderungen für die Kommission seien groß, sagt Grünen-Politiker Janosch Dahmen. Es dürfe nicht passieren, dass die Enquete „zur politischen Bühne“ werde. Stattdessen brauche es „sachliche, vernunftgeleitete, ehrliche und evidenzbasierte Empfehlungen“. Die Pandemie habe gezeigt, wie verletzlich und zugleich wie solidarisch und innovativ die Gesellschaft sei, all das gelte es sachlich aufzuarbeiten.
    VdK-Präsidentin Verena Bentele mahnt, der Blick dürfe sich nicht nur auf die Vergangenheit richten. Wichtiger sei die Frage, was aus der Pandemie gelernt werden könne, denn künftige Extremereignisse seien sehr wahrscheinlich.
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