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Coronaausbruch bei Tönnies
"Das war ein Superspreading-Event"

Der Virologe Adam Grundhoff hat den Corona-Ausbruch in einem Tönnies-Schlachthof untersucht und festgestellt: Die Ansteckungen erfolgten von einem Infizierten über acht Meter hinweg. Im Alltag sei eine Aerosolübertragung über eine solche Distanz aber wenig wahrscheinlich, sagte Grundhoff im Dlf.

Adam Grundhoff im Gespräch mit Ralf Krauter |
Fleischverarbeitung in einem Schlachtbetrieb
Den Begriff Superspreader möge er nicht, denn er impliziere, dass eine Person schuld sei, sagte Adam Grundhoff vom Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie in Hamburg im Dlf (imago/Westend61)
Ein sogenanntes Superspreading-Ereignis war für den Corona-Ausbruch im Schlachthof von Tönnies in Rheda-Wiedenbrück verantwortlich. Dabei wurde das SARS-CoV-2-Virus im Umkreis von mehr als acht Meter auf mehrere Person übertragen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von Wissenschaftlern des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI), der Uniklinik Hamburg-Eppendorf und des Leibniz-Instituts für Experimentelle Virologie (HPI). Dazu wurden die Standorte Infizierter bei der Arbeit und die Infektionsketten anhand von Virussequenzen analysiert.
Um Antworten zu finden, rekonstruierte das Team von Wissenschaftlern minutiös, wer sich Anfang Mai in dem Tönnies-Schlachtbetrieb bei wem angesteckt hat, und zwar mithilfe DNA-basierter Detektivarbeit. Professor Adam Grundhoff vom Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie in Hamburg war maßgeblich an der Spurensuche beteiligt.
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Forscher: Konnte Ausbruchsgeschehen sehr gut untersuchen
Ralf Krauter: Wie sind Sie vorgegangen, um die Infektionsketten zurückzuverfolgen?
Adam Grundhoff: Wie Sie richtig sagen, das war Anfang Mai, das war damals noch ein relativ begrenztes Ausbruchsgeschehen, das ungefähr einen Monat vor dem sehr, sehr großen Ausbruch bei Tönnies war, der dann überall in der Presse war. Da waren um die 30, 40 insgesamt infizierte Mitarbeiter beteiligt. Das war ein sehr eingeschränktes Ausbruchsgeschehen, das wir deswegen sehr gut untersuchen konnten.
Wir kannten alle Personen, die da beteiligt waren, die gehörten alle zur selben Schicht, und wir wussten, wo die in diesem Schlachthof an den Fließbändern stehen. Das heißt, wir wussten genau, wie die untereinander positioniert sind in diesem Schlachthof. Das waren natürlich gute Ausgangsvoraussetzungen, um zu versuchen aufzuklären, wie die Übertragungsketten waren.
Also spielt es da eine Rolle, dass die nahe beieinandergestanden haben, konnten wir sagen, diese Infektion ist von einem zu dem anderen Mitarbeiter verlaufen, weil eben fast alle Infizierten sehr nahe sich an dieser einen Person aufhalten. Das haben wir uns also angeschaut. Wir haben uns angeschaut, wie stehen die im Raum, wo sind die an den Fließbändern positioniert. Man muss dazu sagen, es gab da einen Anfangsverdacht. Es gab also zwei Personen, die angegeben hatten, dass sie Kontakt hatten zu zwei anderen Personen aus einem anderen fleischverarbeitenden Betrieb, die positiv getestet wurden im Nachhinein. Die beiden kamen also infrage.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Wir haben uns das dann dort genauer angeschaut und haben unter anderem auch die Genomsequenzen dieser Viren analysiert, um rauszufinden: Wie können da die Übertragungsketten verlaufen sein?
"Es muss eine Aerosolübertragung sein"
Was sich dann schnell rausgestellt hat, war, dass von diesen beiden Fällen, die infrage kamen, einer ausschied, weil der eben eine Mutation hatte, die nicht weitergegeben wurde. Das heißt, das konnte nicht der Indexfall sein. Der andere hatte allerdings eine Signatur oder einen Fingerabdruck, so kann man es ja auch nennen, den man in dieser Form bei allen anderen Fällen gefunden hat. Das heißt, man konnte davon ausgehen, dass das tatsächlich der Indexfall war.
Das haben wir uns dann genauer angeschaut, und tatsächlich ist es so, dass fast alle Infizierten nahe zu dieser Person am Fließband standen und dort auch fixierte Arbeitspositionen hatten. Damit war eigentlich ganz klar, dass hier in dieser Werkshalle offenbar während der Arbeit, während der Frühschicht eine Übertragung stattgefunden hat. Was dabei interessant war, ist, dass diese Übertragung stattgefunden hat über größere Entfernung, also deutlich über 1,5, zwei, drei Meter, sondern bis zu acht Meter. Das ist praktisch etwas, was klassischerweise dann eine Aerosolübertragung sein muss, weil Tröpfcheninfektionen über diese Entfernung eben nicht funktioniert.
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Krauter: Das heißt letztlich, ein einziger Superspreader führte letztlich dazu, dass diese Lawine ins Rollen kam und sich mittelfristig insgesamt 1.400 Mitarbeiter infiziert haben in diesem Schlachthof in Rheda-Wiedenbrück?
Grundhoff: Ja, so könnte man das vermuten. Wobei man sagen muss, Superspreader, das Wort mag ich persönlich nicht so, wir sprechen lieber von einem Superspreading-Ereignis. Superspreader, das lässt vermuten, dass diese Person eine Eigenschaft hatte, die besonders wäre, dass die also schuldhaft wäre. Das war in diesem Fall nicht so. Das sind ganz klar die Bedingungen dort am Arbeitsplatz, also die Kühlung, die Tatsache, dass die nahe beieinanderstehen. Ein Superspreading-Event war das. Diese selben Mutationen, die charakteristischen, die findet man eben dann auch später bei Fällen in diesem Betrieb bei Tönnies. Man könnte schon vermuten, dass das der Ausgangspunkt war, auch des späteren großen Ausbruchs.
Acht-Meter-Übertragung sehr seltene Ausnahme
Krauter: Die Rolle der Aerosole, die Sie schon angesprochen haben, also dieser feinsten Flüssigkeitströpfchen bei der Übertragung, die war ja schon länger bekannt. Neu ist jetzt die überraschende Einsicht, dass diese Übertragung nun über relativ große Entfernungen gehen kann – acht Meter, Sie haben es angesprochen. Das wurde von Ihnen nachgewiesen in dieser Rekonstruktion der Infektionswege. Was heißt das denn für die Abstandsregeln beim Social Distancing, an die wir uns alle gewöhnt haben? Müssen die jetzt generell auf den Prüfstand oder vielleicht vergrößert werden?
Grundhoff: Generell wahrscheinlich nicht, das kommt mit Sicherheit auf die jeweilige Situation an. Viele werden natürlich auch nicht überrascht sein davon, dass es acht Meter sind. Da haben viele auch schon vermutet, dass es unter diesen speziellen Umständen in diesen fleischverarbeitenden Betrieben – es wird dort ja gekühlt auf zehn Grad, die Luft wird ständig umgewälzt. Wie gesagt, die stehen nahe beieinander, die verrichten schwere körperliche Arbeit, dort ist es sehr laut, die müssen also laut sprechen, das sind eben alles Zustände, die diese Aerosolübertragung mit Sicherheit begünstigen. Wenn das alles zusammenkommt, dann muss man da sehr genau aufpassen.
Wie die einzelnen Komponenten da zusammenspielen, das haben wir uns nicht angeguckt. Dafür braucht man andere Methoden. Da gibt es andere Leute, die haben das als Spezialgebiet, die schauen sich auch so was an. Aber wenn Sie eben nur eine einzelne dieser Komponenten haben, muss das nicht heißen, dass Sie acht Meter Übertragung haben. Wenn Sie nur eine Luftumwälzung haben, aber eine relativ hohe Temperatur, dann werden Sie wahrscheinlich nicht die Übertragung über diese Distanzen haben. Das muss man sich jetzt tatsächlich im Einzelnen genau anschauen.
Unter den Umständen, wie man sie im Alltag antrifft, wird eine Acht-Meter-Übertragung mit Sicherheit die sehr seltene Ausnahme sein, eher als die Regel. Diese Ergebnisse lassen sich eins zu eins wirklich nur übertragen auf genau diese Umstände, die wir hatten in diesen fleischverarbeitenden Industrien. Für die ist das natürlich hoch relevant, dort diese Zustände oder Arbeitsbedingungen. Die finden sich dort natürlich überall, und da muss man jetzt wirklich gucken: Was sind da die Stellschrauben - um da einzelne Parameter zu verändern und die Übertragung zu verhindern.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.