Die Grundregeln von Counter-Strike sind simpel: Meist treten zwei 5er-Teams in einem virtuellen Feuergefecht gegeneinander an. Die Umgebungen für diese Kämpfe sind die sogenannten „Maps“, Landkarten, die sich in Größe und Charakter unterscheiden: Etwa ein Eisenbahndepot, eine marokkanisch anmutende Altstadt oder eine Art Alpendorf, alles sehr verwinkelt und deshalb in Schießereien teuflisch schwer zu kontrollieren.
Counter-Strike erlaubt den Gamern aber auch, eigene Umgebungen zu gestalten und diese mit der Community zu teilen. Die finnische Zeitung „Helsingin Sanomat“ nutzt das jetzt, um in Russland zensierte Informationen zum Ukraine-Krieg zu verbreiten. Sie hat gemeinsam mit professionellen „Counter-Strike“-Designern die Map „de_voyna“ – russisch für „Krieg“ – entwickelt und veröffentlicht.
Das Ziel: Vier Millionen russische Spieler erreichen
„de_voyna“ versetzt die Spielkämpfer in eine osteuropäisch wirkende, kriegsversehrte Stadt. Zwischen Plattenbauten und brennenden Autos steht auf einer hohen Säule die im post-sowjetischen Raum verbreitete Figur mit der Ewigen Flamme, die an die Opfer vergangener Kriege erinnert. Und in einem Kellerzugang versteckt sich hinter einer unscheinbaren Tür ein geheimer Raum. In diesem Raum sind Wände und ein Tisch bedeckt mit Fotos und russisch-kyrillschen Texten über den Krieg in der Ukraine: Dokumente zu den Verbrechen in Butscha, die Zahl der bisher gefallenen russischen Soldaten, und die persönliche Tragödie eines Ukrainers, der seine Familie durch einen Raketenangriff verloren hat.
Die Helsingin Sanomat schreibt: “Unzählige Russen wissen nicht, was in der Ukraine geschieht. In diesem Raum sind sie gezwungen, die Wahrheit mit eigenen Augen zu sehen.“ Das Ziel der Zeitungsmacher ist, an der russischen Zensur vorbei die geschätzt vier Millionen russischer Counter-Strike-Spieler zu erreichen und ihnen geprüfte Tatsachen zum russischen Angriff auf die Ukraine zu präsentieren.
Das Problem: Die Hürden sind hoch
Es ist allerdings unmöglich zu sagen, ob und wie viele Russen diese Gelegenheit tatsächlich nutzen. Denn neben den etwa 20 offiziellen gibt es über 130.000 von Gamerinnen und Gamern gebastelte Maps. Selbst die erfolgreichsten unter diesen binden selten ein großes Publikum. Außerdem ist „de_voyna“ aus spielerischer Sicht nicht sehr attraktiv, das heißt: nur Gamer, die sich mit dem Thema, also dem russischen Angriff auf die Ukraine, wirklich befassen wollen, werden diese Map überhaupt downloaden und nutzen.
Und selbst wenn: Die Tür zu dem Kellerraum lässt sich nicht einfach öffnen. Um hinein zu gelangen, muss man tricksen: Unterm Strich bedeutet das: Die Hürden, um an die bereitgestellten Informationen zu gelangen, sind hoch. Es ist fraglich, ob so tatsächlich russische Gamerinnen und Gamer erreicht werden können.
Das Vorbild: Die Uncensored Library“ auf Minecraft
Das Projekt „de_voyna“ erinnert an die „Uncensored Library“. Diese „Unzensierte Bibliothek“ hatte Reporter ohne Grenzen vor drei Jahren für das weltweit sehr beliebte Spiel Minecraft entwickelt: eine virtuelle Bibliothek, in der Spielende Texte lesen können, die in fünf ausgewählten, autoritär regierten Ländern zensiert sind, darunter Russland, Ägypten und Mexiko. Da Minecraft auf der ganzen Welt spielbar ist, entziehen sich Texte im Spiel der jeweiligen Zensur.
Kirstin Bässe, Pressesprecherin von Reporter ohne Grenzen, erklärte damals: „Es sind aus allen fünf Ländern bereits Minecraft-Spieler und -Spielerinnen in der Library gewesen. Aber wir wollen natürlich auch generell weltweit junge Menschen ansprechen und mit dem Thema Pressefreiheit in Kontakt bringen und dem Thema Internetzensur.“
Die Reaktionen: gemischt
Tatsächlich waren in den ersten Wochen vor allem Interessierte aus den USA, Deutschland und Frankreich in der “Uncensored Library”. In den vergangenen Jahren wurde sie zwar um Texte aus vier weiteren Ländern erweitert, aber wie dieses Angebot vor Ort ankommt, ist unklar.
Die Kommentare zu Youtube-Videos, die sich mit dem “Ukraine”-Raum in Counter-Strike befassen, erlauben da schon eher Einblicke: Viele loben das Projekt, aber manche sehen darin pro-Ukrainische Parteilichkeit; einige betonen, dass in Russland sehr wohl alle wissen, was in der Ukraine geschieht und trotzdem den Krieg unterstützen; einer behauptet, dass keine Kriegsverbrechen begangen wurden, aber falls doch, hätten die Ukrainer sie verdient.
Deshalb sind Zweifel angebracht, ob „de_voyna“ wirklich das richtige Publikum erreichen wird oder nur als Gesprächsanlass für Menschen dient, die dem Krieg eh schon kritisch gegenüberstehen.