Donnerstag, 28. März 2024

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"Damit machen wir Europa fertig"

Den Vorschlag eines hauptamtlichen Eurogruppenchefs lehnt der Europaparlamentarier Elmar Brok (CDU) ab. Er plädiert vielmehr für eine Zusammenführung von Posten. Die Regierungen in Europa sollten außerdem den überragenden Nutzen der Gemeinschaft stärker herausstellen.

Elmar Brok im Gespräch mit Gerd Breker | 31.05.2013
    Gerd Breker: Wenn in jeder Krise auch eine Chance steckt, dann hat Europa derzeit jede Menge Chancen. Doch die Analyse der derzeitigen Lage der Europäischen Union von Günther Oettinger, Helmut Schmidt und Valéry Giscard d’Estaing ist geradezu verheerend: Europa ist ein Sanierungsfall! Wenn die Euro-Krise bewiesen hat, dass eine gemeinsame Währung eine gemeinsame Politik voraussetzt, dann ist die Abgabe von Souveränität nur logisch. Doch just dieses hat der Präsident des Krisenlandes Frankreich sich gerade verbeten. Am Telefon begrüße ich nun Elmar Brok, Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten und Unionsurgestein der Europapolitik. Guten Tag, Herr Brok!

    Elmar Brok: Guten Tag, Herr Breker!

    Breker: Das Urteil von EU-Kommissar Oettinger, von Altkanzler Schmidt und Expräsident Giscard d’Estaing zu Europa fällt vernichtend aus. Tut das eigentlich dem überzeugten Europäer Elmar Brok weh?

    Brok: Das tut schon weh, zumal uns nicht klargemacht wird, wo Ursachen von Problemen liegen. Und wir müssen ja feststellen, wie das in der Finanz- und Schuldenkrise deutlich wird, dass dies zuallermeist ein Versagen einzelner Mitgliedsstaaten ist. Auch von Mitgliedsstaaten, die sich weigern, dass Europa die notwendigen Instrumente hat, um da gemeinschaftliche gegenzuwirken. Die Äußerungen von Präsident Hollande sind ja erneuter Beweis dafür. Sodass wir auch stärker deutlich machen müssen, dass Mitgliedsstaaten hier in ihrer Wahrnehmung und Ausführung von Verpflichtungen zum Teil versagt haben und uns dabei in die Krise gebracht haben.

    Breker: Stichtort notwendige Instrumente: Nun wollen ja Angela Merkel und Francois Hollande einen hauptamtlichen Eurogruppenchef einsetzen. Ist das in Ihrem Sinne oder ist das eine weitere Aufblähung der Brüsseler Bürokratie?

    Brok: Ich halte den Vorschlag für völlig falsch. Dann haben wir noch einen weiteren Präsidenten da, der eine weitere Behörde aufbaut. Kommissionspräsident haben wir schon, den Präsidenten des Europäischen Rates, dann haben wir den Ministerrat. Und dann noch einen Präsidenten der Eurogruppe, da findet keiner mehr durch und die werden mehr im Wettbewerb gegeneinander sein, als zu Lösungen beizutragen. Wir sollten eher die jetzt zusammenführen. Warum wird nicht der Währungskommissar gleichzeitig der Vorsitzende der Eurogruppe? Dann hat der den Apparat schon, eine Kommission, und das Gemeinschaftseuropa kann weiter fortgeführt werden, als dass wir neue Bürokratien aufbauen. Und mit der Eurogruppe, in dieser Art gestaltet, die Rede ist ja noch von einem Budget für die Eurogruppe allein, dass dies zu einer Teilung Europas führt. Wollen wir Deutschen eine neue Mauer gegenüber Polen oder anderen Ländern errichten? Das kann doch glaube ich nicht das Ziel sein!

    Breker: Die Abgabe von Souveränität, das hat das Beispiel Frankreich jetzt wieder gezeigt, ist das Kernproblem. Wann wird das endlich gelöst und wie kann es gelöst werden?

    Brok: Nun, das wird nie ganz gelöst sein, denn jede Ebene versucht, ihre Zuständigkeiten zu bewahren. Das ist auch in Deutschland der Kampf zwischen Bundesländern und Bund. Das ist ein klassisches Problem in jedem föderalen System. Aber hier sind die Entscheidungen bereits gefallen: Wir haben eine gesetzliche Regelung, dass die Kommission Vorschläge zu machen hat für einzelne Länder, wie sie wettbewerbsfähig werden können, welche Strukturveränderungen sie vornehmen sollen. Das ist vom europäischen Gesetzgeber mit französischen Stimmen und im Europäischen Parlament im letzten Jahr und im vorletzten Jahr entschieden worden. Und deswegen kann ich es einfach nicht einsehen, dass solche Äußerungen kommen. Frankreich verweigert sich der Umsetzung verbindlicher gesetzlicher Regeln. Und deswegen sind diese Äußerungen von Hollande einfach schlicht und einfach falsch und gefährlich für die Glaubwürdigkeit.

    Breker: Es zeigt sich immer wieder, Herr Brok, dass die nationalen Regierungen für alles Böse, für alles Schlechte, für jede Krise die EU verantwortlich machen und ihr eigenes Handeln rechtfertigen. Das Ansehen Europas, der Europäischen Union, ist in der Tat verheerend!

    Brok: Das ist verheerend, weil niemand weiß, welche Vorteile er hat. Es wird in Europa von den Regierungen nur gesprochen, wenn sie von ihren eigenen Mängeln ablenken wollen. Da machen wir in Brüssel auch etwas falsch. Aber der Nutzen steht doch im Vordergrund. Und dieser Nutzen ist immer noch weit überragend. Deswegen sollte man endlich mal zur Umsetzung eines Vorschlags kommen, dass jede nationale Regierung jährlich eine Kosten-Nutzen-Analyse vornehmen muss und sie ihrem eigenen nationalen Parlament vorlegen muss, damit nicht immer nach der Methode vorgegangen werden kann: Wenn die Sonne scheint, waren es Paris und London und Berlin, und wenn es regnet, war es Brüssel. Damit machen wir Europa fertig. Damit kommen wir in eine Situation hinein, dass der Bürger meint, er würde es alles allein zahlen. In Deutschland ist ja der verheerende den Eindruck, wir würden alles zahlen. Was ja nicht wahr ist, wir zahlen so viel, wie unser Wirtschaftsanteil an der Europäischen Union ist. Und die Italiener zahlen, die Spanier zahlen und die Franzosen zahlen. Das weiß aber niemand in Deutschland. Die Bürger meinen, jeden Tag führen Lastwagen mit Bargeld nach Griechenland, was falsch ist. Ich glaube, hier die Wahrheit zu erklären, wäre ein wichtiger Punkt, damit dieses Europa nicht vor die Hunde geht und damit unsere deutschen Interessen nicht vor die Hunde gehen.

    Breker: Nun ist es aber schon so, Herr Brok, jetzt haben wir gerade eben auch erlebt, dass die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik im Falle Syrien gescheitert ist. Es kommen nur schlechte Nachrichten aus Brüssel. Wer soll eigentlich, wenn im nächsten Jahr das Europaparlament gewählt wird, wer soll da eigentlich hingehen, wer geht da noch hin?

    Brok: Wir müssen sehen, dass es eben nicht nur Schlechtes gibt, sondern der Großteil ist positiv. Europa hat gemeinsam das Jahr der Krise überstanden, es ist nicht zum Crash gekommen wie 1929. Wir haben eine Währung, die trotz der Krise stabil ist. Stabiler als es die D-Mark war, wenn man die Inflationsrate nimmt. Und manches mehr. Das muss auch deutlich gemacht werden. Und ich glaube, dass das mit der Außenpolitik wieder zeigt: Das ist doch intergouvernemental, das sind die Regierungen, da gibt es das Einstimmigkeitsprinzip. Großbritannien konnte mit dem Veto sinnvolle Beschlüsse blockieren. Und das zeigt, dass wir auch ein stärkeres Europa haben müssen. Denn Einstimmigkeit bei 28 Mitgliedsstaaten bedeutet meist Stillstand.

    Breker: Europa, Herr Brok, war ja auch mal eine Wertegemeinschaft. Wenn man nun die Bundeskanzlerin hört, so oft und so viel sie von der globalen Wettbewerbsfähigkeit redet: Ist das die Wertegemeinschaft, die Europa der Welt zu bieten hat?

    Brok: Nein, das ist es nicht allein, aber das ist es auch. Wir können natürlich in dieser globalen Ordnung nur bestehen, wenn wir wettbewerbsfähig sind. Die Europäer müssen durch ihre Wettbewerbsfähigkeit, durch ihre Leistungskraft, durch die Besonderheit ihrer Produkte auf den Weltmärkten bestehen können, sonst haben wir keine Chance. Und dies können wir nur gemeinsam machen, weil jeder einzelne europäische Staat zu schwach ist. Aber das darf nicht das Einzige sein. Eine gesunde Wirtschaft braucht Sozialpolitik, das hat schon wieder mit Werten zu tun. Und wir müssen deutlich machen, dass wir hier ein gesellschaftliches Modell haben wollen, das doch der Würde des Menschen, den Rechten des einzelnen Menschen entspricht. Und ich persönlich als Christdemokrat gehe dabei vom christlichen Menschenbild aus, das auch noch im Vertrag von Lissabon als prägend gesehen wird mit der Charta der Grundrechte. Und deswegen müssen wir darauf achten, dass diese Europäische Union eine Rechtsgemeinschaft ist. Sie ist nicht nur ein Binnenmarkt, sie ist eine Rechtsgemeinschaft. Und auf der Grundlage gemeinsamen Rechts, in dem der einzelne Bürger seine Rechte hat, muss dieses Europa fortentwickelt werden.

    Breker: Wenn Sie die Kritik, die ja in Europa geäußert wird, hören, Herr Brok, zweifeln Sie manchmal selbst an diesem Projekt?

    Brok: Ich bin manchmal frustriert und gestern war ich besonders frustriert. Aber auf der anderen Seite, wenn man es sich nüchtern überlegt, frage ich mich, was ist die Alternative? Wir haben 60 Jahre Frieden in Europa hingekriegt durch diese europäische Integration. Wenn wir das noch mal 60 Jahre hinkriegen, ist das ein Wunder im Maßstab der Weltgeschichte. Und ich glaube, dafür müssen wir arbeiten. Denn wir haben keine Wahl. Ärgern nützt nichts. Solange wir das so zusammenhalten, dass wir Europäer in einer Rechtsgemeinschaft bei allen Problemen, bei allen Auseinandersetzungen leben, ist es, glaube ich, der beste Weg. Der luxemburgische Minister Jean-Claude Juncker hat mal gesagt: Ein Tag Krieg ist teurer als 30 Jahre Europa. Und wenn ich jetzt die globale Entwicklung sehe, dann sind wir alles europäische Zwergstaaten. Die neuen Machtzusammenballungen, die wir haben, können wir Europäer nur gemeinsam beantworten. Auch die großen Herausforderungen von Klimawandel, Bekämpfung des Terrorismus, ökonomische und soziale Konsequenzen der Globalisierung und vieles mehr geht nur noch gemeinsam. Auch unsere Energiesicherheit geht nur noch gemeinsam. Ich hoffe, dass das bald alle verstehen, dass dieses ein Interesse ist, das wächst aufgrund der globalen Veränderungen.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das der Vorsitzende des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des Europaparlaments, Elmar Brok. Herr Brok, ich danke Ihnen für dieses Gespräch!

    Brok: Ich danke auch!


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