Dienstag, 19. März 2024

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Das europäische Weltraumlabor Columbus
"Das war die Eintrittskarte zur Raumstation"

Mit dem europäischen Weltraumlabor Columbus seien Experimente möglich, die man auf der Erde nicht machen könnte, sagte der Physiker und frühere Astronaut Reinhold Ewald im Dlf. Aber vor allem sei das Columbus-Labor die Eintrittskarte für die europäische Wissenschaftlergemeinde in die Internationale Raumstation gewesen.

Reinhold Ewald im Gespräch mit Ralf Krauter | 06.02.2018
    Eine Aufnahme vom 18.02.2008 zeigt die Internationale Raumstation ISS nach dem Abkopplungsmanöver vom Space Shuttle "Atlantis" aus. In der Mitte oben rechts ist das Weltraumlabor "Columbus" zu sehen, das die "Atlantis" zur ISS transportiert hatte.
    Die Internationale Raumstation ISS mit dem europäischen Weltraumlabor "Columbus" (Mitte oben rechts) (Esa/Nasa)
    Ralf Krauter: Was die ISS-Besatzung mit der 880 Millionen Euro teuren "Spielkiste" seitdem so alles angestellt hat, das habe ich vor der Sendung den ESA-Astronauten Reinhold Ewald gefragt. Der war 1997 gut zwei Wochen lang an Bord der russischen Raumstation MIR, und die Erfahrungen bei seinen Experimenten dort hat er eingebracht in die Planung und Organisation des Betriebs von Columbus. Ich habe Reinold Ewald vor der Sendung gefragt, auch wenn Columbus ursprünglich mal doppelt so groß werden sollte wie eben gehört, hat Europas Weltraumlabor die gesteckten Ziele erreicht?
    Dank kompakter Bauweise viele Wissenschaftsmöglichkeiten
    Reinhold Ewald: Da muss man sagen, mehr Sein als Scheinen. Wenn wir das Columbus-Labor mit dem japanischen Labor Kibo vergleichen, dann scheint das Kibo wirklich doppelt so groß zu sein. Aber "groß" ist relativ. Das Volumen des Kibo-Moduls ist eins, der Inhalt ist das andere. Wir haben im Columbus-Labor in Form von kompakter Bauweise genauso viele Wissenschaftsmöglichkeiten untergebracht, nämlich zehn Einschubplätze für hoch spezialisierte wissenschaftliche Geräte, wie im Kibo-Labor dann da sind. Allerdings muss man zugeben, die Japaner haben Möglichkeit, Dinge nach außen zu bringen, die haben also eine Art Luftschleuse in ihrem Modul noch und einen Balkon. Das hatten wir bei Columbus dann tatsächlich auch, um es in einem Flug, in einem Shuttle-Flug ins All zu bringen, dann nicht mehr vorsehen können.
    Krauter: Haben Sie den Überblick, wie viele wissenschaftliche Experimente wurden denn in Columbus inzwischen durchgeführt in diesen zehn Jahren?
    600 bis 800 Experimente durchgeführt
    Ewald: Wir haben so was wie 60, 80 Experimente, die unsere Astronauten während ihrer halbjährigen Zeit an Bord dann durchführen. Das sind aber nicht alles Experimente, die in Columbus laufen, weil wir ein Labor ohne Wände dort oben betreiben. Das heißt, das japanische Labor und das amerikanische Labor Destiny kann genauso gut Ort dieser Experimente sein wie gelegentlich der russische Teil der Raumstation. Also, von diesen 60, 80 Experimenten pro Halbjahr sind etwa 30 in Columbus angesiedelt, natürlich schwerpunktmäßig, wenn Europäer an Bord sind, und das mal zwei, auf ein Jahr gerechnet 60 mal die zehn Jahre – das sind so ungefähr die 600 bis 800 Experimente, die wir in Columbus schon durchführen konnten.
    Krauter: Da ist natürlich klar, dass wir da jetzt nicht auf alle im Detail eingehen können. Aber welche Experimente waren die drei wichtigsten, welche sind Ihnen im Gedächtnis geblieben?
    Wildwuchs bei Kressesamen
    Ewald: Die, um die wir am meisten gebangt haben. Das war unmittelbar nach dem Start ein Experiment, das Kressesamen mit ins All brachte. Während der Aufbauzeit des Columbus-Labors, praktisch während wir das Licht einschalteten, haben wir diese Kressesamen dann schon auf eine Art Wachstumsunterlage gebracht und haben während der Zeit, die der Shuttle da oben noch war, diese Kressesamen dann wachsen sehen. Jetzt kommt es natürlich immer bei neuen Geräten zu dem Effekt, dass man etwas nicht vorausgesehen hat, dass sich etwas hinzieht, und so wuchsen diese Kressesamen und wuchsen und wuchsen, und wir haben leider den Moment des Erntens nicht abpassen können, sodass wir dann einen Wildwuchs von Brunnenkressepflanzen in dieser wissenschaftlichen Einheit hatten, den dann die nachfolgenden Astronauten erst mal ausweiden mussten. Sie haben es dann auch nicht mehr gegessen, weil es also nicht mehr schmackhaft war. Aber das war ein Experiment, wo man Erfahrungen macht, wo man sagt, wir müssen mehr Puffer zum Beispiel auch für die Arbeiten der Astronauten einführen. Wir können nicht in dieser Genauigkeit voraussagen, was da läuft.
    Vorgänge im Erdinnern simuliert
    Das Experiment, das ich erwähnen möchte, wo wir auch sehr viel investiert haben und wo auch eine hervorragende Einrichtung an Bord von Columbus zum Einsatz kam, nämlich das Flüssigkeitsphysikmodul, das ist das Experiment Geo-Flow. Geo-Flow, ein Experiment aus Cottbus, simuliert die Vorgänge zwischen Erdkern und Erdkruste, die heiße, überkritische Flüssigkeit, die dort rotiert, bringt ja auch unter anderem Dinge wie Vulkanismus oder das Sich-gegeneinander-Verschieben der Erdplatten mit sich. Und da gibt es Aufwärtsströmungen und Abwärtsströmungen, die mit einer ganz kleinen Versuchsanordnung in der Schwerelosigkeit zu simulieren waren. Und diese Bilder faszinieren mich eigentlich noch heute, wie man im Kleinen, indem man also auch die Möglichkeiten einer Raumstation ausnutzt und die Gerätemöglichkeiten, die wir heute haben, inklusive Datentransfer, wie man da großvolumige Vorgänge auf der Erde simulieren kann.
    Etwas, was man auf der Erde nicht kann
    Das andere: Hier in den Instituten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt ist ein Experiment ausgerüstet worden, das nannte sich Electromagnetic Levitator, das heißt, wir können ohne Kontakt mit irgendwelchen Oberflächen metallische Proben schmelzen und unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit untersuchen. Das reizt jetzt den Physiker, mit diesen Schmelzen etwas anzufangen, was man auf der Erde nicht kann, nämlich sie in überkritische Zustände zu versetzen, das heißt weit jenseits des Normalzustands diese Flüssigkeit dann zu untersuchen. Auf der Erde würde sich das System sofort in eine der Phasen flüssig, fest oder gasförmig verwandeln, würde sofort seinen Zustand ändern. Aber durch die geschickte Anordnung im All und unter Schwerelosigkeit konnten wir also sehr lange mit diesen glühenden Metallkügelchen dann experimentieren und neue Erkenntnisse gewinnen.
    Krauter: Welcher Prozentsatz der Experimente, die an Bord von Columbus gemacht wurden, würden Sie sagen, waren wirklich nur dort möglich, also welchen Teil der Experimente hätte man auch mit automatisierten unbemannten Missionen erledigen können?
    Die Experimente erfordern Eingriffe des Menschen
    Ewald: Das ist ganz schwer zu sagen. Die Experimente, die Interaktion mit denkenden Menschen, also Wissenschaftlern an Bord, erfordern, oder die Eingriffe erfordern, die könnten natürlich unter normalen Umständen in einer robotischen Mission nicht so ausgerüstet werden. Das Verlustrisiko eines Experiments ist sicherlich konsiderabel höher bei robotischen Missionen, wo schon das Versagen von Stromzufuhr oder Ähnlichem dann ein unlösbares Problem darstellt. Ich glaube, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft inzwischen schon sehr genau sortiert, was macht man besser in einer ungestörten Umgebung eines Satelliten gegenüber der doch belebten Situation an Bord einer Raumstation. Also, es ist ein Kontinuum, und die Begründung, warum ein Experiment dann an Bord der Raumstation gebracht wird, die ist schon sehr wissenschaftlich durchdacht und von Gremien und entsprechenden Jurys auch begutachtet.
    Krauter: Wie wichtig war Columbus für das Standing der Europäer, wenn es um Raumfahrt geht?
    "Das war die Eintrittskarte zur Raumstation"
    Ewald: Erst einmal galt bei der Raumstation: Später hinzukommen gibt es nicht. Das heißt, man musste von vornherein sich in dieser Partnerschaft einlassen auf die Lieferung eines wesentlichen Elements der Raumstation. Russland und Amerika haben das mit Lebensmodulen und Logistikmodulen et cetera gemacht, Kanada hat den Roboterarm beigesteuert, Japan ein Labormodul. Und aus der Spacelab-Zeit, also aus der Zeit, wo ein Labor im Inneren der Spaceshuttle-Ladebucht dann betrieben wurde, hatte Europa einfach schon mal diese Entwicklung ja vollzogen. Und so war es nur natürlich, dass man, angelehnt an dieses Spacelab dann ein Columbus-Labor ins All gebracht hat. Das war die Eintrittskarte, und ab da eigentlich konnten wir alle Rechte und Pflichten der Raumstation erst nutzen. Das heißt, die europäische Wissenschaftlergemeinde hat erst dann die Möglichkeit gehabt, allein und durch selbstständige Experimentvorschläge an Bord zu kommen.
    Krauter: Was hat die ESA durch Columbus für künftige bemannte Missionen gelernt?
    "Die großen Fragen sind immer noch akut"
    Ewald: Das sind natürlich die Elemente in Columbus, wo wir gerade den Betrieb von Langzeitraumflugmissionen untersuchen. Angefangen in der MIR-Zeit mit diesem ersten Versuch mit automatischen Prozeduren, versuchen wir jetzt auch die Automatisierung der Prozesse in Columbus natürlich so voranzutreiben, dass sich eine Langzeitbesatzung dann anderen Dingen widmen kann. Aber die großen Fragen sind immer noch akut, gerade wenn man an bemannte Missionen zum Mars denkt. Wie erhalten wir die Spannung an Bord, die die Crew auch in die Lage versetzt, zufrieden zu sein mit dem, was sie am Tag geschafft haben, und auch so lange Flüge dann auszuhalten. Wie schützen wir die Mannschaft vor Strahlung, wenn wir denn aus dem schützenden Nahraum der Erde hinausgehen? Und natürlich, wie können wir Lebenserhaltenssysteme entwickeln, wie können wir verlässliche Rettungssysteme entwickeln, die das Überleben und das Zurückkommen einer Mannschaft auf dem Weg zum Mars zum Beispiel garantieren. Erste Schritte übrigens machen wir mit einer Gruppe von Studenten der Stuttgarter Uni, die jetzt ein Algenexperiment an Bord der Raumstation bringen werden. Das heißt, Algen, die Sauerstoff produzieren, CO2, Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre entfernen und so als regenerierbarer Teil eines Lebenserhaltenssystems schon an Transportkosten und an Transportnotwendigkeiten Ersparnisse bringen.
    Krauter: Columbus, habe ich gelesen, war ursprünglich ja für zehn Jahre ausgelegt. Nun soll die Internationale Raumstation wohl bis 2024 weiter laufen, bevor sie dann stillgelegt werden könnte oder dürfte. Hält Columbus noch so lange durch, funktioniert dann noch alles wie geplant?
    Einsatzfähig bis 2024
    Ewald: Ja, und das ist die erfreuliche Nachricht. Weil wir so ein kompaktes Modul dahingestellt haben, sind die Reparaturmöglichkeiten in Form von Klempnereien fast nicht gegeben. Deshalb musste man Redundanzen sich überlegen, das heißt, man musste Ersatzsysteme schaffen, Ersatzbetriebsmöglichkeiten, falls das Hauptsystem ausfällt. Wir haben ganz wenig von dem gebraucht, aber die wenigen Beispiele, wo wir tatsächlich jetzt auf der zweiten Stufe sozusagen das Columbus betreiben, die haben sich bewährt. Und das gibt uns auch den Optimismus, dass zumindest von den Innereien von Columbus wir dieses Ziel 2024 in voller Operation erreichen und da auch Columbus noch vielleicht für weitere Aufgaben angedacht werden kann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.