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"Das Ganze ist natürlich heller Wahnsinn"

Der CSU-Politiker Peter Gauweiler erwägt wegen des milliardenschweren Euro-Stabilisierungsfonds einen Gang nach Karlsruhe. Diese Hilfen würden gegen den Artikel 125 des Lissabon-Vertrages verstoßen.

Peter Gauweiler im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 19.05.2010
    Dirk-Oliver Heckmann: Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus. Der Titel des Gesetzes, das heute in den Bundestag eingebracht wird, verrät nur indirekt, worum es geht: um den Stabilisierungsfonds für den Euro, den man angesichts des dramatischen Wertverfalls auch einen Rettungsschirm nennen könnte. Doch derlei Dramatik scheint den Gesetzgebern offenbar fehl am Platz. Fakt ist: die Euro-Länder, der Internationale Währungsfonds und die EZB stellen nach der milliardenschweren Hilfe für Griechenland 750 Milliarden Euro zur Verfügung, falls ein weiteres EU-Land auf der Kippe steht. Deutschland soll Kredite und Bürgschaften in Höhe von bis zu 123 Milliarden Euro übernehmen. Heute wird das entsprechende Gesetz in den Bundestag eingebracht. Um 9 Uhr beginnt die Debatte mit der Regierungserklärung der Kanzlerin. Mein Kollege hat es schon gesagt: neben ihm steht der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler. Er zählte zu den Klägern gegen den europäischen Verfassungsvertrag und hatte als einer der wenigen Unions-Abgeordneten vor 14 Tagen gegen die Griechenlandhilfe gestimmt. Schönen guten Morgen, Herr Gauweiler.

    Peter Gauweiler: Grüß Gott, Herr Heckmann.

    Heckmann: Herr Gauweiler, wie ist denn die Stimmung in Ihrer Fraktion, in der Unions-Fraktion? Wird man da wohl mehrheitlich wieder zustimmen, sei es auch mit geballter Faust?

    Gauweiler: Die Stimmung ist irgendwie sprachlos, nicht Hektik, nicht Aufregung, sondern Rat- und Hilflosigkeit. Herr Trichet von der Europäischen Zentralbank hat gestern Abend im Reichstag durch seine Büchsenspanner verbreiten lassen, bis Freitag kann er noch die internationale Spekulation hinhalten, aber bis dahin muss dann endlich der dreistellige Milliardenbetrag auf die Reise geschickt werden, und alle denken hier, vor den Toren der Stadt ist ein großes Ungeheuer, genannt internationale Spekulation, das man jetzt mit riesigen Geldmengen zum Ruhe geben zwingen will. Das Ganze ist natürlich heller Wahnsinn.

    Heckmann: Das heißt, Sie fühlen sich auch unter Druck gesetzt von Seiten der Politik, von Seiten der Regierung auch?

    Gauweiler: Ich bin nicht unter Druck gesetzt. Unter Druck gesetzt ist der deutsche Steuerzahler, der das Ganze finanzieren muss. Sie dürfen nicht vergessen: Wir reden jetzt über einen Betrag, der mit einem Federstrich als Bürgschaft gegeben wird, von 123 Milliarden, wie Sie sagten, plus 20 Milliarden Überziehungsmöglichkeit, also 143 Milliarden. Das entspricht über 40 Prozent des Staatshaushaltes der Bundesrepublik Deutschland. Der wird jetzt weggegeben, der ist aus der Kasse.

    Heckmann: Das hört sich ganz danach an, dass Sie diesem Projekt Ihre Zustimmung nicht geben können?

    Gauweiler: Ich denke, man kann dem nicht zustimmen, weil es ein Fass ohne Boden ist. Sie haben vorhin von der Griechenlandhilfe gesprochen; da hat der Bundestag eine Begleitresolution verabschiedet, dass dies einmalig und ausnahmsweise wäre und sich so nicht wiederholen könne. Ich war damals schon skeptisch, weil es völlig unklar war, warum sich die Portugiesen und die Spanier damit zufriedengeben sollten, in Zukunft acht Prozent für ihre Zinsen zu zahlen, wenn die Griechen auf fünf Prozent reduziert worden sind. Dieser "ausnahmsweise und außergewöhnliche Beschluss", der hat 40 Stunden gehalten, bis zum darauffolgenden Sonntag, und dann ist die Bundesregierung unter weiteren Druck gesetzt worden und es war dann nicht mehr von 23 Milliarden Euro die Rede, sondern von dem achtfachen Betrag. Das geht immer so weiter und wir werden uns bei Ihnen – wir können nur spekulieren, wie lange das dauert, Tage, Wochen, Monate – wiederfinden und es werden wieder Nachschusspflichten kommen, und weil das Geld nicht da ist – Deutschland hat 1,6 Billionen Schulden -, werden die Geldverantwortlichen das tun, was sie immer getan haben, nämlich Geld drucken. Dieses Geld drucken bedeutet Inflation, und Inflation ist Steuererhöhung, denn damit wird das Geld der Sparer, das Geld derer, die Gehälter empfangen, die Renten beziehen, um den Betrag weniger wert. Das ist eigentlich ganz einfach und jeder weiß das.

    Heckmann: Herr Gauweiler, es gibt auch verfassungsrechtliche Bedenken gegen dieses Projekt beziehungsweise das Argument, dass diese Hilfen gegen europäisches Recht verstoßen. Teilen Sie diese Bedenken?

    Gauweiler: Diese Hilfen verstoßen gegen den Artikel 125 des Lissabon-Vertrages, der solche "bail outs", solches Heraushauen ausdrücklich verboten hat, weil man sagte, man will eine Stabilitätskultur in Europa durchsetzen, und das kann nicht gehen, wenn Kreditsünder immer wieder dadurch belohnt werden, dass andere für sie einspringen müssen. Man hat damals diese Sicherheitsstruktur in die europäischen Verträge gefügt, um, wie es hieß, den Euro so sicher wie die D-Mark zu machen, und schon mit dem Griechenlandbeschluss, aber mit dem jetzigen noch vervielfachten Beschluss wird dieses System der europäischen Geldsicherheit umgedreht.

    Heckmann: Rechnen Sie denn jetzt damit, dass der Gang nach Karlsruhe beschritten wird, beziehungsweise behalten Sie sich einen solchen Schritt auch vor?

    Gauweiler: Ganz klar! Ob er erfolgreich sein wird, weiß man nicht. Die Bundesverfassungsrichter sind ja bei einer Feierstunde in der letzten Woche von den obersten Spitzen des Staates massiv unter Druck gesetzt worden und es ist ihnen eigentlich schon gesagt worden, wie sie nach Meinung der politischen Klasse ihr Urteil zu fällen hätten.

    Heckmann: Sie meinen Bundespräsident Köhler und die Bundeskanzlerin?

    Gauweiler: Ich meine zum Beispiel Herrn Köhler, der noch in den 90er-Jahren genau das Gegenteil erklärt hatte, als er Chef des Sparkassenverbandes gewesen war und sagte, der Euro ist ohne dieses Stabilitätssystem nicht vorstellbar. Er hat am letzten Freitag das Gegenteil erklärt. Welche Auswirkungen dieser Druck hat, kann ich Ihnen nicht sagen, aber ich denke, man muss es zumindest versuchen.

    Heckmann: Ist das ein unziemlicher Umgang gewesen mit dem Verfassungsgericht?

    Gauweiler: Ich will jetzt hier überhaupt keine Wertungen abgeben. Da kann sich jeder seine Vorstellungen machen. Die Gedanken sind frei in Deutschland und die Worte auch, und das gilt auch für einen Bundespräsidenten. Aber Kritik ist keine Einbahnstraße.

    Heckmann: Die Einschätzung des CSU-Abgeordneten Peter Gauweiler zum Euro-Rettungsschirm. Heute erste Lesung im Bundestag. Herr Gauweiler, ich danke Ihnen, dass Sie sich die Zeit genommen haben für uns.

    Gauweiler: Bitte schön! Gerne.