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"Das hat eine neue Qualität"

Professor Holger Rabenau vom Institut für medizinische Virologie der Universität Frankfurt warnt vor Panikmache in Bezug auf die Schweinegrippe. Sollte der Virus Deutschland erreichen, sei es wichtig, dass jeder Einzelne Hygienemaßnahmen ergreife, um eine Weiterverbreitung zu erschweren. Gute Aussichten bestünden auch bei einer Behandlung, da es wirksame Medikamente gäbe, betonte Rabenau.

Professor Holger Rabenau im Gespräch mit Mario Dobovisek | 27.04.2009
    Mario Dobovisek: Keine Panik, aber durchaus ein Grund zur Besorgnis, wir haben es gehört: die sogenannte Schweinegrippe in Mexiko. Mehr als 100 Menschen sollen dort bereits daran gestorben sein. Die Straßen sind wie leergefegt, Schulen und Universitäten bleiben weiter geschlossen.

    In den Vereinigten Staaten sind in fünf Bundesstaaten 20 Infektionsfälle bestätigt worden. Die Heimatschutzministerin rief daraufhin den nationalen Gesundheitsnotstand aus. Auch in anderen Ländern laufen die Schutzmaßnahmen vor dem neuartigen Grippevirus auf Hochtouren. In Spanien gibt es einen ersten bestätigten Fall einer Infektion, doch für vier Flugreisende am Frankfurter Flughafen gab es inzwischen Entwarnung. Die weltweite Vorsicht ist verständlich. Allein im Winter 1918/19 starben weltweit rund 40 Millionen Menschen an den Folgen der Spanischen Grippe, zugegebenermaßen unter anderen hygienischen Bedingungen. Deutsche Behörden warnen deshalb auch indes vor übertriebener Panikmache.

    Die Vorbereitungen in Deutschland laufen also und die sind wie der Katastrophenschutz auch Ländersache. Wir sind jetzt verbunden mit Holger Rabenau vom Institut für medizinische Virologie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Guten Tag, Herr Rabenau.

    Holger Rabenau: Guten Tag!

    Dobovisek: Die Frage aller Fragen: wie gefährlich ist der neue Erreger H1N1 denn, die sogenannte Schweinegrippe?

    Rabenau: Die Gefährdung, das Gefährdungspotenzial von diesem Virus ist nicht zu unterschätzen. Deswegen sind alle alarmiert und beschäftigen sich mit diesem Thema intensiv. Eine konkrete Gefährdung, dass wir uns jetzt wirklich alle Sorgen machen müssen, existiert mit Sicherheit momentan einfach noch nicht. Wir haben einen bestätigten Fall aus Spanien. Das heißt, die Wahrscheinlichkeit, dass das Virus aus Mexiko weiter überschwappt in andere Länder, ist gegeben. Aber für den einzelnen Bürger heißt das nicht, dass er jetzt wirklich existenziell bedroht ist - überhaupt nicht.

    Dobovisek: Vor der Vogelgrippe hatten damals die deutschen Behörden keine konkrete Angst, weil die Übertragung von Mensch zu Mensch eben noch nicht nachgewiesen werden konnte, weil es sie nicht gab. Das sieht bei der Schweinegrippe offenbar nun anders aus. Hat es dennoch eine neue Qualität?

    Rabenau: Das hat eine gewisse andere neue Qualität, weil eben dieses Virus inzwischen von dem Schwein auf den Menschen übergegangen ist und von Mensch zu Mensch nun übertragbar ist. Das hat selbstverständlich eine neue Qualität und wie wir gerade im Beitrag vorher gehört haben resultiert daraus für den einzelnen Bürger, dass er achtsam sein muss mit Hygienemaßnahmen, sobald das Virus hier bei uns eintrifft.

    Dobovisek: Könnte sich aus der Epidemie, also einer örtlich begrenzten Infektion, eine unkontrollierbare weltweite Pandemie entwickeln?

    Rabenau: Die Wahrscheinlichkeit ist sehr gering. Es ist nicht ganz auszuschließen. Die WHO hat ja noch immer die Sicherheitsstufe III; das heißt, sie hat es auch noch nicht höher bestuft. Das heißt, auch die Organisation, die weltweit den besten Überblick hat, schätzt das potenzielle Risiko für eine Pandemie noch immer nicht als höher ein.

    Dobovisek: Erleben wir also dieser Tage eine unbegründete Panikmache?

    Rabenau: Nein, überhaupt nicht. Ich hoffe, wir erleben keine Panikmache. Von Panikmache sollten wir alle weit entfernt sein. Wir sollten informiert sein und achtsam, aber das verfolgen, was sich momentan eventuell verändert oder nicht. Wir werden in nicht allzu ferner Zukunft, das heißt in den nächsten Tagen feststellen, ob es eine Zunahme der Erkrankungsfälle, eine weitere Ausbreitung gibt, oder ob die Eindämmungsmaßnahmen schon greifen und die Fallzahlen eher zurückgehen. Je nachdem in welche Richtung es geht, wird man dann sich entscheiden müssen, was man als nächsten Schritt macht.

    Dobovisek: Kann man denn als normaler Bürger überhaupt einen Unterschied erkennen, ob ich nun an der normalen Grippe, an der herkömmlichen Influenza erkrankt bin, oder an einer neuen Form?

    Rabenau: Nein, kann man nicht. Und auch bei den Todesfällen - die Todesfallzahlen sind ja momentan, wenn ich den aktuellen Stand richtig verfolgt habe, bei 103 Fällen, davon sind 23 bestätigte für dieses Schweineinfluenza-Virus. Das heißt, bei 80 wissen wir noch gar nicht, ob das dort eventuell auch Todesfälle durch das klassische humane Influenza-Virus sind, oder ob es dann doch Schweineinfluenza-Fälle sind. Das Ausmaß der Erkrankung und der Todesfälle kennen wir also noch gar nicht genau.

    Dobovisek: Das heißt, wir müssen weiter beobachten und die Augen offen halten. Grippeschutzimpfungen, die ja jedes Jahr angeboten werden, die helfen, so habe ich gelesen, nicht gegen diese neuen Virenstämme. Welche Möglichkeiten gibt es denn, medikamentös gegen dieses Virus vorzugehen?

    Rabenau: Ob dieser Grippeimpfschutz nicht wirksam ist, auch das wissen wir noch nicht genau. Er wird sicherlich nicht so gut wirksam sein, wie er für das menschlichen Grippevirus wirksam ist. Wir wissen nicht, ob nicht vielleicht doch eine gewisse Kreuzprotektion besteht, das heißt ob nicht doch, wenn man mal eine Influenzaimpfung durchgemacht hat oder selbst eine Influenzainfektion durchgemacht hat, einen gewissen Teilschutz gegen auch dieses Schweineinfluenza-Virus besitzt.

    Die Frage der medikamentösen Therapie, da gibt es ja die erfreuliche Nachricht, dass diese Viren, die jetzt in Mexiko zirkulieren, gegen die klassischen Medikamente, die Neuraminidarse-Hemmer Tamiflu, nicht resistent sind, dass man also damit auch Erkrankte behandeln kann.

    Dobovisek: Gibt es denn davon genug Vorräte, von Tamiflu, von diesen antiviralen Medikamenten, um tatsächlich auch eine breite Masse zu behandeln?

    Rabenau: Da wurde ja im Rahmen der Vorsorge gerade mit der Vogelgrippe lang und ausführlich diskutiert. Da haben sich die Länder Vorräte angeschafft für einen bestimmten Prozentsatz in der Bevölkerung, um das öffentliche Leben aufrecht zu erhalten, und wir gehen ja davon aus, dass dieses Virus erstens dadurch gut therapierbar ist, wenn man früh genug das Medikament einnimmt, und dass man, wenn man früh genug das ganze erkennt, Infektketten auch abbrechen kann, dass es sich gar nicht so großartig ausbreitet.

    Dobovisek: Ist es dann sinnvoll, dass zum Beispiel alte und schwache Menschen sich schon von Vornherein mit diesem Medikament eindecken und es präventiv nehmen?

    Rabenau: Nein, präventiv auf keinen Fall. Das sollte man nicht machen, zumal eben häufig genau das Problem existiert, was Sie vorhin schon angesprochen haben. Wenn einer die klassischen Symptome zeigt, dann weiß er immer noch nicht: ist es das normale menschliche Grippevirus - eigentlich haben wir die Saison ja schon hinter uns -, ist es das Schweinevirus, hat er irgendwie Kontakt gehabt nach Mexiko oder einem Rückkehrer aus Mexiko, oder ist es ein ganz anderer Infekt, der sich zwar ähnlich darstellt in der Symptomatik, im Krankheitsgefühl, aber durch ein ganz anderes Virus oder einen ganz anderen Erreger ausgelöst wird? Das Tamiflu sollte man erst dann nehmen, wenn der Erreger nachgewiesen wurde, nicht dass man jetzt schon das wertvolle Medikament vergeudet, obwohl man vielleicht einen ganz anderen Erreger hat, gegen den das Medikament auch gar nicht wirkt.

    Dobovisek: Der wichtigste Aspekt bleibt also in der Vorsorge die Hygiene. Wir haben es im Bericht gehört, Sie haben es auch kurz angesprochen. Vielleicht können wir das noch mal ein bisschen konkreter machen. Was sollten wir beachten, um mit dieser Hygiene der Grippe vorzubeugen?

    Rabenau: Die wichtigsten Elemente sind: Das Virus wird durch Tröpfchen normalerweise übertragen, aber auch durch Schmierinfektion. Das heißt, wenn jemand sich selbst krank fühlt, dann sollte er nicht mehr unbedingt arbeiten gehen und nicht mehr mit der U-Bahn fahren, um möglichst nicht andere noch anzustecken. Noch mal allem vorausgeschickt: Wir haben es momentan noch überhaupt nicht in Deutschland. Aber unter der Voraussetzung, es käme vielleicht wirklich nach Deutschland, dann ist Händewaschen ein ganz wichtiges Element, um das Virus möglichst wegzuspülen und nicht durch Anfassen von Türklinken oder Haltegriffen in Bahnen, U-Bahnen und sonst was das Virus eventuell auf denjenigen zu übertragen, der als nächster die Türklinke anfasst.

    Niesen, das Virus wird über Niesen übertragen. Das heißt, da ist es ganz wichtig, dass wir ein Taschentuch verwenden, in das wir reinniesen, oder notfalls auch in die Ärmelbeuge, möglichst nicht in die blanke Hand, weil die blanke Hand wird ja dann meistens wieder dem Nachbarn gegeben. Händedrücken sind damit in solchen Zeiten, wie wir das jetzt auch aus Mexiko gehört haben, Verhaltensmuster, die man ablegen sollte in Phasen, wo eine Influenza grassiert.

    Dobovisek: Holger Rabenau vom Institut für medizinische Virologie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Vielen Dank für das Gespräch und die Hinweise.

    Rabenau: Gerne.