Wer seinen Hamlet sozusagen in der Westentasche mit sich trägt, oder zumindest noch die Kerne der Handlung kennt, der wird sich an den Auftritt der Schauspielertruppe mitten im Stück erinnern; die soll Claudius, dem brudermörderischen Usurpator der Macht im Staate Dänemark, die eigene Untat vorspielen, poetisch verbrämt. In dieser Spiegelung eigener Schuld soll sich der Täter offenbaren, hofft der junge Hamlet, der den Onkel mit Racheplänen verfolgt, seit er (vom Geist des toten Vaters) weiß, wie der zu Tode kam. Die Theater-Katharsis funktioniert; und von da an kennt die Tragödie kein Halten mehr.
Vor der Schauspieler-Szene lässt Shakespeare den Theaterliebhaber Hamlet Regie-Anweisungen geben – was meist gestrichen wird. Andrea Breth findet darin eine Art Programm: Nicht über- und nicht untertreiben, nichts hinzufügen, möglichst wenig weglassen; der Wiener Hamlet dauert auch darum sechs Stunden. Und: Der Welt, wie sie ist, der Natur, speziell der des Menschen, wie auch er ist, "den Spiegel vorhalten". Zu bestaunen ist nichts weniger als ein Drahtseilakt – ausgerechnet mit August Wilhelm Schlegels früher Shakespeare-Übersetzung (mit all der "Meiner Treu"- und "Meiner Seel"-Phraseologie nach Vorväter-und-Vormütter-Sitte), setzt sie die alte Geschichte der Gegenwart aus.
Martin Zehetgrubers grandiose Bühne ist eine Art politisch-wirtschaftlicher Macht- und Regierungszentrale – riesig hohe Räume mit Wänden im Edelholz-Outfit, die in immer von neuem trickreich verschobenen Perspektiv-Verschiebungen um einen trüben Tümpel mit viel Weiden drum herum kreisen; hier tritt zu Beginn wie hinter Glas aus finstren Gebüschen der Geist auf. Der Thronsaal ist der große Meeting-Room des Konzerns, es wird in ein Mikrofon gesprochen – und wenn Claudius hier vergeblich zu beichten versucht, stehen auf den Tischen stumme Laptops, die ihn hören würden ... das Internet, die neue Kirche.
Der junge Hamlet trägt Existenzialisten-Schwarz und Klaus-Kinski-Mähne zur Einkaufstüte, in der die Bücher sind; bei Familie Polonius daheim steht ein ziemlich bedeutungsloses Aquarium ... gut, Ophelia geht später ins Wasser; aber muss sie darum Fische füttern? Whisky wird getrunken und Pfeife geraucht, Wolfgang Mitterers zischelnd-donnernde Sound-Effekte imaginieren eine Art Fernsehkrimi. Und in all dieser mal mehr, mal weniger einleuchtenden Bilder-Moderne erzählt Andrea Breth den Hamlet, "wie er geschrieben steht"; also so vollständig wie möglich.
Und Andrea Breth kann lange beweisen, wie nützlich es sein kann, alles ernst zu nehmen, was Shakespeare schrieb; vor allem der Beginn ist grandios – wann und wo wurde wohl zuletzt so ausführlich von den politischen Voraussetzungen für dieses dänische Drama gesprochen? Mit ihnen aber gewinnt selbst der Königsmord am alten Hamlet neue Dimensionen – ist Claudius vielleicht der verzweifelte Modernisierer, der Realpolitiker, der das gefährliche Machtgefüge um das kleine Land herum nur sichern zu können glaubt, wenn er den Vorgänger beseitigt? Hamlet-Forschung, das zeigt Breth mit dem starken Ensemble um August Diehl als Hamlet, Andrea Clausen und Roland Koch als königliches Paar, Udo Samel als Staatsrat Polonius und Hans-Michael Rehberg als rachestiftendem Geist, kann ziemlich spannend sein, wenn den sonst gern übersehenen Partien des Textes nachgespürt wird.
Zweieinhalb Stunden funktioniert die Methode – mit sehr neuen Bildern und sehr altem, aber vollständigem Text. Dann, ab dem zweiten Teil, geht alles spürbar in die Breite; und auch Breths "Theaterfamilie", also Rehberg und Samel sowie später auch Elisabeth Orth, die den wunderlichen Einfall beglaubigen muss, die junge Ophelia im Wahnsinn zur alten werden zu lassen. Sie alle verlassen sich jeder für sich zu sehr auf die eigenen Lieblingsmarotten. Plötzlich orgelt der Text, wo er zuvor so erstaunlich neu klang - und Spannung nimmt ab, bis sie fast die Niederungen der Langeweile erreicht. Erst im (wieder sehr staatspolitisch pointierenden Finale) erreicht die Aufführung kurz die Stärken des Beginns. Ein Wechselbalg also in Wien, ein Vexierbild – voller Überraschungen zunächst, und dann ohne Folgen.
Vor der Schauspieler-Szene lässt Shakespeare den Theaterliebhaber Hamlet Regie-Anweisungen geben – was meist gestrichen wird. Andrea Breth findet darin eine Art Programm: Nicht über- und nicht untertreiben, nichts hinzufügen, möglichst wenig weglassen; der Wiener Hamlet dauert auch darum sechs Stunden. Und: Der Welt, wie sie ist, der Natur, speziell der des Menschen, wie auch er ist, "den Spiegel vorhalten". Zu bestaunen ist nichts weniger als ein Drahtseilakt – ausgerechnet mit August Wilhelm Schlegels früher Shakespeare-Übersetzung (mit all der "Meiner Treu"- und "Meiner Seel"-Phraseologie nach Vorväter-und-Vormütter-Sitte), setzt sie die alte Geschichte der Gegenwart aus.
Martin Zehetgrubers grandiose Bühne ist eine Art politisch-wirtschaftlicher Macht- und Regierungszentrale – riesig hohe Räume mit Wänden im Edelholz-Outfit, die in immer von neuem trickreich verschobenen Perspektiv-Verschiebungen um einen trüben Tümpel mit viel Weiden drum herum kreisen; hier tritt zu Beginn wie hinter Glas aus finstren Gebüschen der Geist auf. Der Thronsaal ist der große Meeting-Room des Konzerns, es wird in ein Mikrofon gesprochen – und wenn Claudius hier vergeblich zu beichten versucht, stehen auf den Tischen stumme Laptops, die ihn hören würden ... das Internet, die neue Kirche.
Der junge Hamlet trägt Existenzialisten-Schwarz und Klaus-Kinski-Mähne zur Einkaufstüte, in der die Bücher sind; bei Familie Polonius daheim steht ein ziemlich bedeutungsloses Aquarium ... gut, Ophelia geht später ins Wasser; aber muss sie darum Fische füttern? Whisky wird getrunken und Pfeife geraucht, Wolfgang Mitterers zischelnd-donnernde Sound-Effekte imaginieren eine Art Fernsehkrimi. Und in all dieser mal mehr, mal weniger einleuchtenden Bilder-Moderne erzählt Andrea Breth den Hamlet, "wie er geschrieben steht"; also so vollständig wie möglich.
Und Andrea Breth kann lange beweisen, wie nützlich es sein kann, alles ernst zu nehmen, was Shakespeare schrieb; vor allem der Beginn ist grandios – wann und wo wurde wohl zuletzt so ausführlich von den politischen Voraussetzungen für dieses dänische Drama gesprochen? Mit ihnen aber gewinnt selbst der Königsmord am alten Hamlet neue Dimensionen – ist Claudius vielleicht der verzweifelte Modernisierer, der Realpolitiker, der das gefährliche Machtgefüge um das kleine Land herum nur sichern zu können glaubt, wenn er den Vorgänger beseitigt? Hamlet-Forschung, das zeigt Breth mit dem starken Ensemble um August Diehl als Hamlet, Andrea Clausen und Roland Koch als königliches Paar, Udo Samel als Staatsrat Polonius und Hans-Michael Rehberg als rachestiftendem Geist, kann ziemlich spannend sein, wenn den sonst gern übersehenen Partien des Textes nachgespürt wird.
Zweieinhalb Stunden funktioniert die Methode – mit sehr neuen Bildern und sehr altem, aber vollständigem Text. Dann, ab dem zweiten Teil, geht alles spürbar in die Breite; und auch Breths "Theaterfamilie", also Rehberg und Samel sowie später auch Elisabeth Orth, die den wunderlichen Einfall beglaubigen muss, die junge Ophelia im Wahnsinn zur alten werden zu lassen. Sie alle verlassen sich jeder für sich zu sehr auf die eigenen Lieblingsmarotten. Plötzlich orgelt der Text, wo er zuvor so erstaunlich neu klang - und Spannung nimmt ab, bis sie fast die Niederungen der Langeweile erreicht. Erst im (wieder sehr staatspolitisch pointierenden Finale) erreicht die Aufführung kurz die Stärken des Beginns. Ein Wechselbalg also in Wien, ein Vexierbild – voller Überraschungen zunächst, und dann ohne Folgen.