Montag, 29. April 2024

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"Das ist auch für israelische Verhältnisse etwas zu viel"

Der frühere israelische Präsident Moshe Katsav ist wegen Vergewaltigung schuldig gesprochen worden. "Das ist, wie man so sagt, ein Hammer, auch für die israelische Öffentlichkeit", sagt der israelische Historiker Moshe Zimmermann. Denn diesmal sei es keine "gewöhnliche Korruption".

Moshe Zimmermann im Gespräch mit Friedbert Meurer | 30.12.2010
    Friedbert Meurer: Die Nachricht, dass der frühere Staatspräsident für mindestens vier Jahre ins Gefängnis muss, sie soll in Israel ein regelrechtes politisches Erdbeben ausgelöst haben. Dabei sind die Israelis einiges gewöhnt an Politaffären in den letzten Jahren. Ministerpräsident Olmert zum Beispiel musste wegen des Vorwurfs korrupt zu sein zurücktreten. Moshe Zimmermann ist Historiker an der hebräischen Universität Jerusalem, guten Tag, Herr Zimmermann!

    Moshe Zimmermann: Guten Tag, Herr Meurer!

    Meurer: Wie finden sie das Urteil gegen den früheren Staatspräsidenten Katzav?

    Zimmermann: Das ist, wie man so sagt, ein Hammer, auch für die israelische Öffentlichkeit, die sich schon daran gewöhnt hatte, Minister und Politiker im Gefängnis zu sehen wegen Korruption. Im Moment sitzt ein ehemaliger Finanzminister im Knast wegen Korruption und ein früherer Innenminister war lange Zeit im Gefängnis, jetzt kommt noch der Präsident hinzu. Nur ist es diesmal nicht eine gewöhnliche Korruption, jetzt geht es um Vergewaltigung. Und ein Präsident, ein Symbol des Staates, der eine Frau vergewaltigt hat während der Zeit seines Amtes: Das ist auch für israelische Verhältnisse etwas zu viel.

    Meurer: Wie reagiert Ihrer Meinung nach die israelische Öffentlichkeit auf einen solchen Fall?

    Zimmermann: Die Öffentlichkeit reagiert schon seit Langem, der Prozess dauert schon sehr lange an. Die Anschuldigungen sind schon vier Jahre alt, das ist ein Thema, das alle Gemüter hier in Israel bewegt. Man kann mindestens am Ende sagen: Die Gleichheit vor dem Gericht, vor dem Gesetz hat sich jetzt bewiesen in Israel. Aber auf der anderen Seite zeigt sich, wie korrupt eigentlich die politische Klasse ist. Und es geht nicht nur um die politische Klasse, ähnliche Anschuldigungen gab es früher sogar gegen einen Oberrabbiner. Damals haben die Frauen ihre Beschwerde zurückgezogen, aber man sieht, hier ist in dem Sinne die politische Szene ganz bestimmt nicht sauber.

    Meurer: Gibt es dafür eine Erklärung, die Sie haben? Was ist los mit der israelischen Politik, dass wir in Serie korrupte Politiker haben oder jetzt einen Staatspräsidenten, der wegen Vergewaltigung ins Gefängnis muss?

    Zimmermann: Also man darf hier nicht übertreiben, Korruption gibt es auch anderswo, nicht nur in Israel. Auf der anderen Seite muss man betonen, Israel ist eine kleine Gesellschaft, eine eher übersichtliche Gesellschaft, und deswegen verschwinden solche Vorfälle nicht. Es gibt immer eine mutige Frau, einen mutigen Kollegen, Mitarbeiter, der Anzeige erstellt, und wenn die Anzeige schon erstellt wurde, dann beginnt die Maschine des Gesetzes zu funktionieren. Das ist ein Pluspunkt für die israelische Gesellschaft. Man muss auch, wenn es um die Vergewaltigung geht und Missbrauch oder Belästigung, sexuelle Belästigung, muss man auch daran erinnern, dass die israelische Gesellschaft eine machoistische Gesellschaft ist. Die Rolle des Militärs bei der Schaffung des Machoismus ist sehr zentral, so dass man sich am Ende nicht wundern muss, dass jemand, der früher Soldat war und Macho geworden ist als Soldat, nachher als Präsident, als Minister, als Politiker weitermacht dort, wo er als Soldat nicht aufgehört hat.

    Meurer: Es hilft nichts, es gibt nicht weniger Machisten, weil Frauen ja eigentlich auch in der israelischen Armee sind, Frauen müssen Wehrdienst leisten. Das hilft nichts, um den Machismus zu bekämpfen?

    Zimmermann: Im Gegenteil. Die Frauen beim Militär spielen eine untergeordnete Rolle traditionell gesehen. Und das führte dazu, dass man beim Militär eben mehr Belästigung, sexuelle Belästigung vorfand, und das ist eine machoistische Einstellung, die sich irgendwie verankern konnte. Gerade in den letzten Jahren versucht man das nicht nur zu kritisieren, sondern auch zu bremsen, und das führt eben dazu, dass Frauen endlich bereit sind Anzeige zu erstatten und mutig vor Gericht zu stehen, um nachzuweisen, dass sie vergewaltigt wurden oder mindestens sexuell belästigt wurden.

    Meurer: Glauben Sie, dass dieser Prozess und das Urteil gegen den ehemaligen Staatspräsidenten Katzav sogar eine heilsame Wirkung haben kann und Frauen künftig eher schützen wird vor sexuellen Übergriffen?

    Zimmermann: Das betonen alle Kommentatoren heute, nämlich Frauen, die bisher nicht den Mut hatten, Angst hatten etwas zu unternehmen in ähnlichen Fällen, werden jetzt wieder den Mut bekommen, weil sie sehen, dass das System sie unterstützt, dass nicht nur das Gesetz, sondern auch die Richter bereit sind, die Täter zu bestrafen. Das ist eben für eine Gesellschaft, für die israelische Gesellschaft ein heilsamer Prozess. Und deswegen kann man das, was heute geschehen ist, auch begrüßen.

    Meurer: Jetzt ist Moshe Katzav im Iran geboren, lebt aber schon sehr lange in Israel, Israel ist eine multiethnische Gesellschaft. Hat diese ethnische Frage eine Rolle gespielt?

    Zimmermann: Die hat vonseiten von Katzav selbst eine Rolle gespielt. Man versuchte selbstverständlich zu betonen, dass er gerade deswegen attackiert wurde oder angegriffen wurde, weil er ein persischer Jude ist. Das war auch der Fall mit einem früheren Minister, der Marokkaner war. Aber für die Mehrheit der Israelis ist das völlig irrelevant. Der Katzav ist zwar ursprünglich aus Persien, war aber ein ganz normaler Israeli, er war unter anderem auch ein Student von mir, ein Geschichtsstudent - was kein Kompliment ist für die Geschichtsabteilung an der Universitäten ...

    Meurer: ... also das heißt, Sie kannten ihn sehr gut persönlich?

    Zimmermann: Ja, ja, ich kenne ihn. Und er war nachher auch Bürgermeister einer Kleinstadt, ein profilierter Politiker in der Likud-Partei, also nicht eben gerade meine Partei ...

    Meurer: ... aber es gab keine Anhaltspunkte für Sie, dass Sie damit gerechnet haben, dass es so enden könnte?

    Zimmermann: Nein, eben. Also der war ein, so in Anführungszeichen ein ganz "normaler" Politiker, der es sogar geschafft hat bis zum Präsidenten des Staates. Und deswegen ist diese Frage, ob er ursprünglich aus Persien kommt, aus dem Iran kommt, eigentlich entweder marginal oder total irrelevant.

    Meurer: Der israelische Historiker Moshe Zimmermann bei uns im Deutschlandfunk. Danke schön und auf Wiederhören, Herr Zimmermann!

    Zimmermann: Schönen Dank!