Archiv


"Das ist mehr oder weniger ein Offenbarungseid"

Laut Jörg Krämer versucht das verschuldete Portugal zunächst, Staatsanleihen zu verkaufen. Wenn es der Regierung jedoch nicht gelänge, Anleger mittels attraktivem Zinssatz von diesen Anleihen zu überzeugen, werde das Land "unter den Rettungsschirm gehen".

Jörg Krämer im Gespräch mit Gerwald Herter |
    Gerwald Herter: Griechenland, Irland und vielleicht bald Portugal. Auf den Euro-Rettungsschirm will die Regierung in Lissabon lieber verzichten. Sie will ihr Defizit über den Kapitalmarkt finanzieren. Die Ausgabe portugiesischer Staatsanleihen gilt heute als Test. Vor wenigen Minuten habe ich über den Fall Portugal mit Jörg Krämer gesprochen, dem Chefvolkswirt der Commerzbank. Guten Morgen, Herr Krämer.

    Jörg Krämer: Guten Morgen.

    Herter: Herr Krämer, Portugal will Anleihen im Wert von 1,25 Milliarden Euro platzieren, um so Schulden zu finanzieren. Wie hoch die Zinsen sein werden, anders ausgedrückt: Wie teuer das für Portugal wird, muss sich heute herausstellen. Man spricht von einer Auktion. Werden die Anleihen wirklich versteigert?

    Krämer: Ja, inhaltlich ist es schon so. Das ist ja jedes Mal so. Man muss Käufer finden und man muss den Preis ja feststellen, und das wird dann häufig im Rahmen von Auktionen gemacht. Das ist ein ganz übliches Verfahren.

    Herter: Um den Preis zu ermitteln, also den Zinssatz. Wer gibt die Anleihen aus? Sind das Broker, ist das eine Geschäftsbank, die beauftragt wurde?

    Krämer: Na ja, es ist das Finanzministerium und das bringt es dann unter die verschiedenen institutionellen Anleger. Es sind ja meistens konservative Anleger, die diese Staatsanleihen kaufen, also Versicherungen typischerweise, Pensionsfonds. Das sind die typischen Abnehmer solcher Anleihen.

    Herter: Dass Sie von konservativen Anlegern sprechen, kann uns da beruhigen. Es sind also in diesem Falle keine Broker, die auf sehr, sehr hohes Risiko setzen?

    Krämer: Ja, gut, Staatsanleihen sind ja normalerweise relativ sicher und Staatsanleihen sind klassischerweise der Kern von recht konservativen Portfolios und die werden typischerweise eben gehalten von Versicherungen und Pensionsfonds. Das ist natürlich jetzt momentan ein wenig ein bisschen anders, weil die Staatsanleihen haben momentan natürlich ein höheres Risiko als in der Vergangenheit.

    Herter: Wie läuft das praktisch? Das Finanzministerium stellt die Sachen ins Internet und wer dann will, informiert sich und schlägt zu, übermittelt das per Telefon oder per E-Mail?

    Krämer: Ja, da gibt es die verschiedensten Verfahren, die gewählt werden. Das hängt auch jedes Mal von der Anleihe ab. Häufig ist es so, dass der Staat von vornherein ankündigt, es wird eine Anleihe geben, sagen wir mit einer Restlaufzeit von drei oder zehn Jahren. Dann wird bei institutionellen Investoren schon mal vorgefühlt, wie viel bereit die sind zu zahlen, also wie hoch der Zins sein muss, um den Absatz sicherzustellen. Dann werden die Anleihen entweder direkt im Wege einer Auktion verkauft an institutionelle Anleger, oder aber als Mittelsmänner erst einmal Banken, die sie selber aufs Buch nehmen und dann im laufe der kommenden Tage versuchen, an die institutionellen Investoren weiterzugeben. Aber im Grunde genommen läuft das immer auf dasselbe hinaus: Das Finanzministerium versucht, sie zu verkaufen, und die Käufer sind meistens institutionelle Anleger.

    Herter: Wir haben es erwähnt: Es kommt da auf den Zinssatz an. Daran entscheidet sich dann, wie teuer diese Anleihe wird für Portugal. Gäbe es irgendeine Möglichkeit – es geht jetzt erst mal um 1,25 Milliarden Euro -, die Reißleine zu ziehen?

    Krämer: Sie können da ja keine Reißleine ziehen, was den Zins anbelangt, denn es besteht ja keine Verpflichtung für Anleger, diese Anleihen zu kaufen, und von daher muss natürlich wie jeder Investor auch der portugiesische Finanzminister den Zinssatz so ausgestalten, dass er genug Käufer findet.

    Herter: Was wären denn die Folgen, wenn die Zinslast für Portugal unter dem Strich zu hoch würde?

    Krämer: Was heißt zu hoch? – Es gibt kein absolutes zu hoch. Sie kann nur als zu hoch empfunden werden vom Finanzminister. Wenn der Finanzminister für die Zinsen an die Investoren mehr zahlen muss, als er zahlen würde, wenn er unter den Rettungsschirm der Europäischen Union gehen würde, dann ist natürlich eine starke Versuchung da, sich an die Staatengemeinschaft zu wenden, weil man dort ja für die Hilfskredite dann weniger zahlen würde, als man Investoren zahlen müsste.

    Herter: Und dann hätte Portugal aufs falsche Pferd gesetzt, denn die portugiesische Regierung hat sich immer wieder gegen diesen Euro-Rettungsschirm ausgesprochen.

    Krämer: Ja, gut, das ist ja geradezu schon typisch. Das hatten wir gesehen in Griechenland, das hatten wir auch gesehen in Irland. Erst einmal versuchen die Regierungen, den Rettungsschirm ganz weit von sich zu weisen, aber das bedeutet relativ wenig. Man muss dann tatsächlich abwarten, wie die Entwicklung ist. Letztlich müssen diese ja sehr hoch verschuldeten Staaten die Investoren überzeugen, ihre Anleihen zu kaufen. Wenn das nicht gelingt, werden sie wohl unter den Rettungsschirm gehen.

    Herter: Ein Kollege von Ihnen von der Deutschen Bank, Thomas Mayer, der Chefvolkswirt dort, sagt, dass Portugal früher oder später ohnehin fällig wird. Sehen Sie das auch so?

    Krämer: Das ist etwas salopp formuliert, aber ich sehe in der Tat auch wie die meisten Beobachter eigentlich wirklich beträchtliches Risiko, dass in den kommenden Wochen nach Griechenland, Irland dann auch Portugal die Staatengemeinschaft um Hilfe bitten wird.

    Herter: Warum wehrt sich die Regierung in Lissabon so vehement gegen diesen Euro-Rettungsschirm?

    Krämer: Na ja, das ist mehr oder weniger ein Offenbarungseid. Portugal ist ja keine Bananenrepublik, sondern das ist ein Industrieland in einer der reichsten Gegenden der Welt, und wenn eine solche Regierung nicht mehr in der Lage ist, Staatsanleihen zu verkaufen, dann ist das natürlich ein bitteres Zeichen, das ist ein Gesichtsverlust. Das Land muss auch dann mit scharfen Auflagen rechnen, mit Kontrollen von außen. Also man versucht natürlich, diese peinliche Situation zu vermeiden.

    Herter: Also nicht nur Image-Gründe, aber auch Image-Gründe. – Griechenland, Irland, Portugal, womöglich auch noch Spanien, und jetzt wird immer häufiger Belgien als Wackelkandidat genannt. Das erweckt ein bisschen den Eindruck, als würde ein Land nach dem anderen Ziel von Spekulationen. Ist das wirklich so?

    Krämer: Also ich würde nicht sagen von Spekulationen. Wie gesagt, man muss sich klar machen: Wer sind traditionellerweise die Käufer dieser Staatsanleihen. Das sind Pensionsfonds, Versicherungen, auch Banken, also eher konservative Anleger. Nur diese konservativen Anleger haben erkannt, erkennen müssen über die zurückliegenden acht, neun Monate, dass eben die als fast mündelsicher erachteten Staatsanleihen ein beträchtliches Risiko haben, und die halten sich natürlich jetzt zurück, weil sie sehen, die sind eigentlich viel zu risikoreich. Das heißt, es fehlen Käufer, das ist das Problem, und jetzt müssen andere Käufer gefunden werden, und das sind natürlich dann häufig Investoren, die normalerweise in Emerging Markets auch investieren, also in Schwellenländern, und die fordern natürlich einen deutlich höheren Zins. Das findet momentan statt, der Rückzug konservativer Anleger, und deshalb müssen die Finanzminister aus diesen Problemländern eben deutlich höhere Zinsen bieten, um mehr risikoorientierte, mehr risikobereitere Anleger zu finden.

    Herter: Aber ist das wirklich die Logik des Marktes, wenn ein Land nach dem anderen in der Eurozone dran kommt und immer unterschiedliche Gründe dafür genannt sind? Mal ist es eine fehlende Regierung, mal ist es die hohe Staatsverschuldung, mal ist es der Bankensektor, der zu sehr lastet.

    Krämer: Na ja. Ich meine, im Grunde genommen haben Sie recht. Es gibt natürlich in jedem Land unterschiedliche Auslöser und Nuancen. Aber im Grunde genommen ist die Ursache die gleiche. Wir haben sehr, sehr hohe Staatsverschuldungen und wir haben auch Defizite, die immer noch zu hoch sind, sodass in vielen Ländern das Volumen der ausstehenden Staatsschulden weiter steigt, und darüber hinaus wird immer wieder die Möglichkeit diskutiert, dass ein Land eventuell seine Anleihen gar nicht bedient. In dieser Situation ist natürlich klar, dass man sehr vorsichtig ist, sein Geld einem solchen Land zu geben. Das ist der Hintergrund. Also das sind schon reale Risiken, die dort da sind, die sich jetzt dort widerspiegeln. Und natürlich konzentrieren sich die Anleger immer auf das Naheliegende, also das Land, was die höchsten Probleme hat, und wenn dieses Land unter dem Rettungsschirm ist, dann schaut man sich dann um, wie sieht es bei den anderen aus. Und wir haben leider eben im Euroraum nicht nur drei Länder, die unsolide Staatsfinanzen aufweisen.

    Herter: Das war Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, zur schwierigen Lage Portugals. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Krämer.

    Krämer: Bitte.