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"Das kann man eine Filmkultur nicht mehr nennen"

Sowohl der deutsche als auch der europäische Film wäre sehr gefährdet, wenn die Kulturförderung Thema beim geplanten Freihandelsabkommen mit den USA wird, befürchtet Filmkritiker und Kulturjournalist Josef Schnelle. Müsste man alle deutschen Filme frei finanzieren, gäbe es nicht allzu viele.

Josef Schnelle im Gespräch mit Irene Geuer | 13.06.2013
    Irene Geuer: Wenn man die Diskussion in Deutschland um Werteverlust mitverfolgt, dann bekommt man das Gefühl, wir haben bald keine Werte mehr, aber das stimmt nicht. Die Werte sind noch alle da, es kommt darauf an, was wir daraus machen. Heute im "DLF-Magazin" also Werte wie Toleranz, Familie, aber auch Treue oder freie Meinungsäußerung, und wir schauen darauf, wie Politiker damit umgehen.

    Nehmen wir mal die Kultur – ganz wichtig für uns. Wir brauchen Orchester, Theater, Film, Bücher, aber die Kulturschaffenden in Deutschland und in anderen EU-Ländern sind in Sorge. Morgen sollen die Wirtschaftsminister ihrer Länder der EU-Kommission grünes Licht für die Verhandlungen um das Freihandelsabkommen mit den USA geben. Die Regularien sollen geklärt werden und die Themen.

    Viele fordern, die Kulturförderung dabei außen vor zu lassen, in den USA gibt es sie nicht, und da wird befürchtet, dass es diese Förderung auch bald bei uns nicht mehr geben könnte. Josef Schnelle ist Kulturjournalist. Herr Schnelle, wie stehen denn die Länder der EU insgesamt zur Kulturförderung?

    Josef Schnelle: Ja, bis auf Frankreich haben sich alle bisher dafür ausgesprochen, dass es ein offenes Mandat gibt, also keine Ausnahme für die Kultur oder die Exception culturelle – Französisch klingt das immer am schönsten. Die Franzosen hingegen, Aurélie Filippetti, ist jetzt noch die einsame Kämpferin dafür, also schon vor Beginn der Verhandlungen, Filme und Bücher und solche Dinge auszunehmen.

    Geuer: Warum hat man sich in Deutschland da auch so offen gezeigt. Also Kanzlerin Merkel und Wirtschaftsminister Rösler haben ja auch Sätze gesagt, die da heißen, man muss über alles reden können.

    Schnelle: Ja, es ist mir auch ein Rätsel, weil insbesondere noch in Cannes hat der Kulturminister zusammen mit 15 anderen Kulturministern aus Europa sich stolz gezeigt, dass da Einigkeit herrscht in Hinsicht dieser kulturellen Ausnahmeregelung, damit unsere Filmproduktionen und auch die Verlage geschützt sind.

    Geuer: Was bedeutet das für die Gespräche? Werden sie offen geführt werden?

    Schnelle: Na ja, das kommt auf Frankreich an. Als es vor 20 Jahren das General Agreement of Trades and Taxes gab, gab es ebenfalls diese Situation, und da hat Frankreich sich schließlich durchgesetzt, und diese Ausnahmeregelung ist damals geschehen. Nun ist das ja jetzt ein sehr viel weitergehendes Handelsabkommen, und man verspricht sich viel davon auf allen möglichen wirtschaftlichen Gebieten, nur ist das eben so, die Kultur ist eben bei uns mehr oder weniger öffentlich finanziert. Es gibt eigentlich, wenn man die Filme frei finanzieren müsste, gäbe es nicht allzu viele.

    Geuer: Der Staatsminister im Kanzleramt Bernd Neumann hat sich ja auch für eine kulturelle "Schutzzone Europa" ausgesprochen. Wie viel Einfluss hat er?

    Schnelle: Offenbar nicht genug, oder jedenfalls im Augenblick nicht genug. Dabei sitzt er bei der Kanzlerin gleich nebenan. Es haben sich ja viele besorgt gezeigt, auch die bekannten Filmemacher, die europäische Filmakademie, alle haben laut Hallo geschrien, und außerdem auch einige Amerikaner. Es gibt ja in Amerika zwar keine Filmförderung, aber es gibt da auch Independent-Filmemacher, die mit weniger Geld als diesen 78 Millionen einen Film herstellen können, und Harvey Weinstein ist sozusagen deren Speerspitze, und der hat in Cannes auch gesagt, also er findet, man braucht diese Vielfalt des europäischen Kinos so als Gegenpol, um sich daran zu reiben.

    Geuer: Das heißt, wie sehr ist der USA an der Kulturförderung hier in Deutschland gelegen, also sie infrage zu stellen, sie unter Umständen auch hier in Europa abschaffen zu wollen?

    Schnelle: Ja, das ist ja immer so ein offenes Begehren gewesen. Natürlich ist es jetzt noch wichtiger für die, was in Frankreich geschieht, da gibt es ja neben der Filmförderung, gibt es ja da auch eine Quotierung, eine Begrenzung, wie viele amerikanische Filme und wie viele französische Filme im Jahr so ins Kino kommen dürfen. Das ist denen schon immer ein Dorn im Auge gewesen, dabei sind sie so mächtig, dass sie vor Kraft kaum laufen können. Natürlich wird zum Beispiel bei uns diese zwölf Prozent, die in deutsche Filme gehen, das ist ja ein ganz geringer Anteil der Kinobesucher.

    Geuer: Reiner Deutschmann, der kulturpolitische Sprecher der FDP, hat etwas gesagt, womit er wohl beruhigen wollte, er sagte: Na ja, also wenn die Kulturförderung mit den USA verhandelt wird, dann werden vielleicht auch lästige Visa für Orchester wegfallen.

    Schnelle: Ein putziges Statement, weil diese Orchester wird es dann wahrscheinlich gar nicht mehr geben, weil die werden ja auch öffentlich gefördert.

    Geuer: Womit wir beim Thema wären. Was wäre denn, wenn den Worten Merkels und Röslers tatsächlich gefolgt würde, was stünde in Deutschland auf dem Spiel?

    Schnelle: Wenn das so ein Durchmarsch wird, natürlich kommt meistens irgendeine Mittellösung raus, dann würde ich den deutschen Film und auch den europäischen Film doch sehr gefährdet sehen, dann würde es im nächsten Jahr zwei Filme von Till Schweiger geben und zwei Filme von jungen Filmenthusiasten, die das Häuschen der Oma beliehen haben, aber das wäre es dann auch. Das kann man eine Filmkultur nicht mehr nennen.

    Geuer: Sie sind gerade in Ludwigshafen auf dem Festival des deutschen Films, gäbe es das noch?

    Schnelle: Auch das gäbe es nicht mehr. Die zeigen die 30 besten deutschen Filme des vergangenen Jahres, und ja, die würde es dann auch nicht mehr geben. Natürlich dauert das alles und zieht sich in die Länge.

    Geuer: Angenommen also, morgen die Kommission bekommt ein Mandat für die Verhandlungen, die das Kulturfördern nicht ausschließt. Wäre das dann tatsächlich der Anfang vom Ende?

    Schnelle: Ja, das weiß man nicht, es wird ja zugesichert von Herrn Rösler und allen, dass man natürlich die Kultur da berücksichtigen wird in den Verhandlungen, man wolle ja nur nicht gleich mit dieser Einschränkung in die Verhandlungen gehen. Es gibt noch ein hoffnungsvolles Zeichen, dass das nicht so leicht sein wird: Das Europäische Parlament hat ja mit großer Mehrheit die kulturelle Ausnahme gefordert, und das Europäische Parlament muss am Ende dieses Abkommen ratifizieren, also werden die schon auch ein bisschen drauf achten, dass das da durchkommt.

    Aber es könnte auf jeden Fall die eine oder andere Regelung da drin sein, die das schwieriger macht, in Deutschland Filme zu produzieren. Zum Beispiel könnten die amerikanischen Filmproduzenten fordern, dass sie auch in Deutschland Filmförderung beantragen können, was sie ja schon bei einer Förderung, bei dem DFFF in Berlin – vielleicht wollen sie auch an die restlichen 200 Millionen dann ran.

    Geuer: Die Kulturförderung in Deutschland könnte in Gefahr sein, wenn sie Thema beim Freihandelsabkommen mit den USA wird. Kulturjournalist Josef Schnelle hat mit mir darüber gesprochen. Danke!