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Das neue Leid der Contergan-Opfer

Am Freitag berät der Familienausschuss des Bundestags über die Zukunft der Contergangeschädigten in Deutschland. Denn diese ist alles andere als gesichert. Laut einer Studie geht es den Betroffenen körperlich immer schlechter. Vielen droht der Verlust der Unabhängigkeit – und die Altersarmut.

Von Marieke Degen | 31.01.2013
    "So. Der Einkaufswagen ist natürlich in der Höhe viel zu niedrig für mich, ich könnte ihn gut höher gebrauchen, aber dafür rollt er wunderschön."

    Ilonka Stebritz beugt sich tief über den Griff des Einkaufswagens. Von hinten sieht es so aus, als würde sie ihn mit den Schultern durch die Gänge des Supermarkts manövrieren. Den Kopf muss sie in dieser Position fast schon nach hinten überstrecken.

    "Also, wenn ich jetzt Nackenschmerzen hätte, dann wäre das für mich absolut der Horrortrip."

    Ilonka Stebritz ist ohne Arme auf die Welt gekommen, weil ihre Mutter in den ersten Schwangerschaftsmonaten das Schlafmittel Contergan geschluckt hatte. Ihre Hände sitzen direkt an den Schultern. Sie steuert den Einkaufswagen auf die Obsttheke zu.

    "Apfelsinen esse ich super gerne, brauch aber immer jemanden, der sie mir schält, zu Hause."

    Von den vier Fingern pro Hand funktionieren nur jeweils zwei, der kleine und der Ringfinger. Sie bückt sich zu den Obstkisten hinunter, greift eine Orange mit beiden Händen und klemmt sie unters Kinn.

    "Und dann wandert eben Orange für Orange in den Beutel mit vollem Körpereinsatz aber, ne?"

    Einkaufen - für Ilonka Stebritz Schwerstarbeit. Sie muss sich tief zu den Theken herunterbeugen und an Regalen hochspringen, um an Joghurt, Eier und Müsli heranzukommen, und dann regelrecht in den Einkaufswagen kriechen, um die Sachen sicher zu verstauen. Sie merkt, dass ihre Kräfte dafür schwinden.

    "Als junger Mensch hat man noch mehr Dynamik, die lässt halt schon ein bisschen nach und ich merk' das eben schon."
    Ilonka Stebritz ist eine unabhängige Frau. Sie hat zwei Kinder großgezogen und jahrelang als Verwaltungsfachangestellte gearbeitet. Vor sieben Jahren, mit Mitte 40, musste sie ihren Beruf aufgeben. Sie hat mehrere Bandscheibenvorfälle in der Halswirbelsäule; irgendwann waren die Nackenschmerzen unerträglich, stundenlanges Arbeiten am Computer ist nicht mehr möglich. Sie sagt, dass sie gerne lebt. Dass ihr Leben sehr schön sei. Sie wüsste nur gerne, wie es weitergeht.

    Am Freitag berät der Familienausschuss des Bundestags über die Zukunft der Contergangeschädigten in Deutschland. Und diese Zukunft ist alles andere als gesichert. Das ist auch das Fazit einer Studie der Universität Heidelberg, die die Bundesregierung in Auftrag gegeben hatte. Den Betroffenen geht es körperlich immer schlechter. Vielen droht der Verlust der Unabhängigkeit – und die Altersarmut. Die Politiker müssen jetzt handeln, fordern die Autoren der Heidelberger Studie: Die Betroffenen müssen finanziell viel besser unterstützt, ihre medizinische Versorgung gewährleistet werden. Auch Ilonka Stebritz wird bei der öffentlichen Anhörung in Berlin dabei sein.

    "Ich wünsche mir, dass die Nachteile, die wir aus unseren Conterganschädigungen haben, ausgeglichen werden. Dass das, was wir benötigen, auch uns zur Verfügung gestellt wird."

    Contergan steht für einen der größten Arzneimittelskandale überhaupt. Die Firma Grünenthal hatte das Medikament mit dem Wirkstoff Thalidomid 1957 auf den Markt gebracht. Bis Anfang der 60er-Jahre kamen in Deutschland etwa 5000 Kinder mit schweren Behinderungen zur Welt – mit zu kurzen Armen oder Beinen, mit schweren Organ- und Gehörschäden. Etliche Babys starben kurz nach der Geburt.

    Heute leben noch 2400 contergangeschädigte Menschen in Deutschland. Viele haben ihr Leben gut gemeistert. Sie haben studiert und gearbeitet, ihre Kinder mit den Füßen gewickelt, Zigaretten mit den Zehen gedreht, Flaschen mit den Zähnen geöffnet. Artistische Bewegungsmuster für ein selbstständiges Leben. Christina Ding-Greiner, eine der Autorinnen der Heidelberger Studie:

    "Das sind Belastungen, die eigentlich nicht vorgesehen sind von der Natur in diesem Ausmaß für diese Gelenke, und dadurch kommt es zu Abnutzungserscheinungen."

    Jetzt, mit Anfang 50, leiden die Conterganopfer immer mehr an Folgeschäden – an Arthrosen, Bandscheibenvorfällen, Muskelschwäche, Osteoporose.

    Die Heidelberger Wissenschaftler haben fast 900 Fragebögen ausgewertet und Hunderte persönliche Interviews geführt. Fast alle Befragten gaben an, Schmerzen zu haben. Viele arbeiten wegen ihrer gesundheitlichen Probleme nur halbtags. Immer mehr von ihnen müssen sogar ganz aufhören und hohe Rentenabschläge hinnehmen. Andere haben aufgrund ihrer Behinderungen nie arbeiten können und sind nach wie vor auf die Hilfe ihrer Eltern angewiesen – Eltern, die bald nicht mehr da sein werden. Alle haben Angst vor der Zukunft.

    "Sie sehen, dass die Schmerzen zunehmen werden, dass die Einschränkungen zunehmen werden, dass die Selbstständigkeit abnimmt. Contergangeschädigte Menschen, die kurze Arme haben, die noch in der Lage waren oder gelernt haben, die Haare zu waschen, können das nicht mehr, es wird schwierig, die Schuhe zu binden beispielsweise oder auch sich anzuziehen, sie sind vermehrt auf Hilfe angewiesen, und das ist natürlich etwas, was für jeden Menschen sehr sehr schwer ist."

    Die späten Folgen der Contergankatastrophe: Jürgen Graf sieht sie täglich in seiner Praxis in Nürnberg. Der Orthopäde ist einer der wenigen Conterganspezialisten in Deutschland, seine Patienten reisen aus dem ganzen Bundesgebiet an. Sein heutiger Patient hat klassische Conterganschäden: Die Arme sind nur halb so lang wie normal, die Hände nach innen verdreht, die Daumen fehlen. Seit Monaten leidet er unter starken Rückenschmerzen. Vorsichtig klopft Jürgen Graf den Rücken des Mannes ab.

    "Hier? - Nee, die Schmerzen sind eigentlich eher diffus. Das heißt, ich habe hier im Hüftgürtel Probleme. Und dann, je nachdem, wie man sich bewegt, strahlen die aus. Entweder ins linke Bein, ins rechte Bein, die die Blase, in den Darm hinten rein. - Ist das lageabhängig, werden Sie nachts davon wach? - Jetzt ging das los, dass ich morgens wach wurde, und konnte mich gar nicht mehr bewegen. Ich konnte kaum aufstehen."

    Der Mann hat im Lendenwirbelbereich gleich mehrere Bandscheibenvorfälle.

    "Das ist natürlich für so jemanden, der eh schon gehandicapt ist mit seinen zu kurzen Armen, ist das eine Katastrophe."

    Es gibt in Deutschland nur eine Handvoll Experten wie Jürgen Graf, die Conterganschäden begutachten – auch für die Conterganstiftung, die den Betroffenen unter anderem eine monatliche Conterganrente zahlt. Die Höhe der Leistungen bemisst sich am Schweregrad der Behinderungen, für die nach einer Tabelle Punkte vergeben werden. Noch bis vor wenigen Jahren betrug die Höchstrente - etwa für Menschen, die ohne Arme und Beine zur Welt gekommen sind - gerade einmal 545 Euro.

    1972 wurde die öffentlich-rechtliche Conterganstiftung gegründet, in die damals umgerechnet etwa 105 Millionen Euro flossen: Die Firma Grünenthal zahlte rund 55 Millionen ein, der Rest wurde aus Steuermitteln finanziert. Seit 1997 kommt der Bund allein für die Renten auf. In den vergangenen Jahren habe sich einiges getan, sagt die Vorsitzende der Conterganstiftung, Antje Blumenthal. 2008 wurden die Conterganrenten verdoppelt, 2009 zahlte Grünenthal der Stiftung noch einmal freiwillig 50 Millionen Euro. Die Geschädigten erhalten daraus jetzt zusätzlich eine jährliche Sonderzahlung von bis zu 3700 Euro.

    "Aber in den Augen der Betroffenen ist das natürlich nicht genug, das kann ich auch nachvollziehen, wenn sie über einen längeren Zeitraum das eben betrachten, dass lange nichts angepasst worden ist, und dass die Verdoppelung eben auch sehr lange gebraucht hat."

    Antje Blumenthal fordert: Die Folgeschäden müssen in die Berechnung der Rente mit einfließen, sodass die Betroffenen auch mehr Geld bekommen.

    Bisher ist die Bepunktung und die Einordnung immer auf den Zeitpunkt der Geburt erfolgt. Alles, was in den 50 Jahren danach geschehen ist, an Abnutzungserscheinungen, ist bisher überhaupt noch nicht bewertet worden. Und das muss natürlich ganz dringend geschehen, das muss in der Belastung des Einzelnen sich dann natürlich auch wiederfinden.

    Die Conterganrente und eine jährliche Sonderzahlung. Damit sind sämtliche Ansprüche der Betroffenen abgegolten. Hilfe wird nur im normalen Rahmen gewährt, von Krankenkassen und der Pflegeversicherung gibt es keine Sonderbehandlung. Wer sich die Wohnung behindertengerecht umbauen lassen will, teuren Zahnersatz braucht, weil er die Zähne jahrelang als Hilfsmittel benutzt hat oder einen persönlichen Assistenten engagieren möchte, der muss dafür, sofern er irgendwie in der Lage ist, selbst aufkommen. Die Einkommen vieler Betroffener sinken allerdings, weil sie nur noch halbtags oder gar nicht mehr arbeiten können. Gleichzeitig schießen ihre Ausgaben für Behandlungen und Hilfsmittel in die Höhe.

    Ilonka Stebritz erhält jeden Monat die Conterganhöchstrente von 1152 Euro. Doch seit sie Frührentnerin ist, hat sie jeden Monat 400 Euro weniger auf dem Konto. Außerdem fallen bestimmte Förderungen weg: Ein neues, behindertengerechtes Auto bekommt nur bezahlt, wer noch arbeitet. Auch Zahnimplantate – neben dem Auto die zweite Anschaffung, die bei Ilonka Stebritz ansteht - muss sie selbst zahlen.

    "Weil ich sehr viel mit meinen Zähnen mache, ich mach zum Beispiel Flaschen mit den Zähnen auf, manche Sachen greife ich mit den Zähnen, zum Beispiel eine Tasche, die ich über die Schulter hängen möchte, und das heißt, meine Zähne werden ganz anders beansprucht und auch ganz anders genutzt als die Zähne von Otto-Normalverbraucher."

    Ein Auto mit Fußlenkung kostet um die 50.000 Euro, Zahnimplantate etwa 15.000 Euro.

    Gerade um ihre medizinische Versorgung müssen viele Contergangeschädigte regelrecht kämpfen. Auch der Orthopäde Jürgen Graf stößt hier immer wieder an Grenzen.

    "Also, wenn jemand an Muskelkraft verliert, auch weil er jetzt älter wird, und durch Überbelastung und Fehlbelastung, dann muss man gegensteuern mit Krankengymnastik oder Krankengymnastik am Gerät oder der muss ins Schwimmbad gesteckt werden, um seine Gelenke freibeweglich zu halten, und man verschreibt das nicht, dann versteifen die Gelenke ein, ganz einfach. Und das verschlimmert die Situation extrem."

    Verschreiben könne er aber kaum noch etwas, klagt der Arzt.

    "Die Kassen zahlen das ja nicht mehr, obwohl die Patienten immer angelogen werden von den Kassen, indem die den Patienten sagen, der Arzt kann das verschreiben, was er für medizinisch notwendig hält, das ist aber glatt gelogen, sonst hätte ich keine Regresse über eine hohe fünfstellige Summe. Weil ich angeblich zu viel verschrieben habe."

    Es gibt zwar offiziell längst Ausnahmeregelungen, wonach ein Mensch mit einer Conterganschädigung ein Recht auf eine dauerhafte Behandlung hat. An der Umsetzung scheint es bislang jedoch zu hapern: Manche Ärzte scheuen den damit verbundenen Papierkrieg. Regelmäßige Massagen oder Krankengymnastik übernehmen auch die Kassen häufig nicht. Jürgen Graf:

    "Die sind anderer Meinung dann. Medizinisch nicht notwendig. Die schicken dann eine Begründungen, dass nur noch, weiß ich nicht, drei-, viermal im Jahr Gymnastik nach deren Ansicht notwendig ist, das sei angeblich wissenschaftlich begründet. Und lauter so ein Käse, ja."

    Nach der Heidelberger Studie zahlen zwei Drittel der Contergangeschädigten medizinische Behandlungen und Hilfsmittel aus eigener Tasche. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen erkennt den Bedarf der Geschädigten zwar an, muss sich aber an die gesetzlichen Vorgaben halten. In einer Stellungnahme heißt es:

    "Diesen besonderen Versorgungsbedarf sehen auch wir, stoßen im Rahmen der Kranken- und Pflegeversicherung jedoch mit der allgemeinen Leistungsdefinition der jeweiligen Versicherung, den Anspruchsvoraussetzungen oder Verfahrensregeln an Grenzen. Dadurch können manche Bedürfnisse nur teilweise oder gar nicht befriedigt werden."

    Und weiter:

    "Innerhalb des gesetzlichen Rahmens versuchen wir, den Contergangeschädigten und ihrem Versorgungsbedarf soweit wie möglich entgegenzukommen. Dieser Prozess ist von uns aus nicht als abgeschlossen anzusehen."

    Erst im November habe man sich mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung darauf geeinigt, dass Ärzte, die Contergangeschädigte in ihren Praxen behandeln, in Zukunft dauerhaft Massagen, Physiotherapie oder Lymphdrainage verordnen dürfen.

    Contergangeschädigte, die eine Pflegestufe anerkannt bekommen haben, erhalten zusätzlich Geld aus der Pflegeversicherung. Was darüber hinaus geht, müssen sie selbst übernehmen – oder ihre nächsten Angehörigen, also Eltern, Lebenspartner und Kinder. Weil Ilonka Stebritz keine Arme hat, bekommt sie zurzeit 420 Euro Pflegegeld im Monat. Ein persönlicher Assistent, der sie im Alltag unterstützt, würde etwa 1400 Euro pro Monat kosten. Die Differenz müsste sie oder ihre Familie selbst tragen.

    "Ich habe keine zwei Kinder bekommen, damit diese beiden Kinder mich pflegen müssen oder diese beiden Kinder finanziell für mich aufkommen müssen, weil ich Pflege brauche. Da wird etwas auf die Familien abgewälzt - der Schaden, den die Firma Grünenthal erzeugt hat, wird auf unsere Familien abgewälzt. Unsere Familien müssen für deren Schaden zahlen. Das geht für mich gar nicht."

    Im Sommer 2012 hat eine thalidomidgeschädigte Frau in Australien mehrere Millionen Dollar Schadenersatz erstritten. Lynette Rowe, die vor 50 Jahren ohne Arme und Beine auf die Welt kam, hat die Firma Grünenthal und ihren ehemaligen Lizenznehmer Distillers verklagt. Rowes Anwälte erheben schwere Vorwürfe: Contergan sei keineswegs eine unvermeidbare Katastrophe gewesen. Grünenthal soll das Medikament selbst nach damaligen Standards nicht ausreichend getestet und Warnhinweise nicht ernst genug genommen haben.

    Die Anwälte stützen sich auf Beweismaterialien aus Deutschland: Dokumente und Zeugenaussagen, die die Staatsanwaltschaft Aachen in den 60er-Jahren zusammengetragen hatte, die im deutschen Conterganprozess aber nicht vollständig ausgewertet wurden. Im Juli 2012 haben die Anwälte das Material beim Gericht im australischen Melbourne eingereicht. Ein paar Tage später einigte sich die Firma Diageo, zu der Distillers heute gehört, mit Lynette Rowe auf den millionenschweren Vergleich. Grünenthal beteiligt sich nicht daran. Der Pressesprecher von Grünenthal, Frank Schönrock:

    Wir sind der Ansicht, dass wir damals nach den gängigen Standards der Wissenschaft verantwortungsvoll gehandelt haben, und aus diesem Grund werden wir uns auch verteidigen.

    Gegen Grünenthal laufen außerdem noch Klagen in Irland, Spanien und in den USA. In Deutschland kann die Firma nicht mehr auf Schadenersatz verklagt werden. Der deutsche Conterganprozess wurde 1970 eingestellt, auch weil sich Grünenthal zu einem Vergleich mit den Eltern der Contergankinder bereit erklärt hatte. 1972 wurde die Conterganstiftung gegründet, und das zugehörige Gesetz enthält eine Ausschlussklausel: Wer Leistungen bezieht, muss gleichzeitig auf sämtliche Schadenersatzansprüche gegen die Firma Grünenthal verzichten.

    In Deutschland sind Schadenersatzansprüche gegen Grünenthal ohnehin längst verjährt. Die Firma steht lediglich moralisch in der Pflicht. 2009 zahlte sie freiwillig 50 Millionen Euro in die Conterganstiftung ein, 2011 rief sie eine eigene Härtefallinitiative ins Leben: Für Contergangeschädigte in Not zahlt Grünenthal den Umbau des Badezimmers, Hörgeräte oder Gehhilfen. Die Betroffenen müssen die Hilfe direkt bei Grünenthal beantragen. Von bislang mehr als 160 Anträgen habe man fast alle bewilligt, sagt Frank Schönrock.

    "Dort haben wir sehr unbürokratisch, persönlich, weil wir im persönlichen Gespräch mit den Betroffenen sind, und schnell helfen können."

    Ausgerechnet Grünenthal um Hilfe bitten – das kommt für einige Contergangeschädigte nicht infrage. Antje Blumenthal, die Vorsitzende der Conterganstiftung:

    "Ich denke, Grünenthal hat nach wie vor eine moralische Verpflichtung, ich würde sehr dafür plädieren, dass sie wieder in die Conterganstiftung einzahlt, weil dann die Entscheidung nicht bei Grünenthal selbst liegt, sondern bei einer unabhängigen Stiftung."

    Das australische Conterganverfahren ist zurzeit unterbrochen, weil die Firma Diageo Vergleichsverhandlungen mit weiteren Geschädigten führt. Das Verfahren könnte im Laufe des Jahres wieder aufgenommen werden, das Verhalten Grünenthals juristisch vielleicht sogar neu bewertet werden. Sollten die australischen Richter tatsächlich zu dem Schluss kommen, dass sich die Firma vor mehr als 50 Jahren schuldig gemacht hat - dann hätte das möglicherweise auch hierzulande Auswirkungen.

    "Dann wäre der moralische Druck auf Grünenthal so groß, dass sie auf alle Fälle irgendetwas ganz Heraushebendes tun müssten."

    In Deutschland liegt das Schicksal der Contergangeschädigten aber in erster Linie in den Händen der Politiker. Die Liste der Forderungen von Betroffenen, Wissenschaftlern und Vertretern der Conterganstiftung ist lang: Folgeschäden sollen anerkannt, die Conterganrenten deutlich erhöht werden. Betroffene sollen die volle Altersrente erhalten, ihr eigenes Vermögen und das der Angehörigen soll nicht länger zum Unterhalt herangezogen werden. Außerdem müsse die medizinische Versorgung gewährleistet werden.

    In Folge der Contergankatastrophe wurden Arzneimittelgesetze auf der ganzen Welt verschärft. Nachfolgende Generationen haben insofern von dem Skandal profitiert. Die Opfer wollen jetzt wenigstens in Würde alt werden.