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Das Salz der Erde

Die Sache mit der Atomenergie ist nicht zuende gedacht, könnte man sagen. Zwar funktioniert die Stromgewinnung durch Atomkraft nahezu emissionsfrei, nur: Richtig sichere Endlager für den strahlenbelasteten Müll sind bisher noch nicht gefunden.

Von Dagmar Röhrlich |
    Die Demonstranten sind zurückgekehrt: Nach dem Ende des Moratoriums geht im Wendland nicht nur die Erkundung des Salzstocks Gorleben weiter. Karsten Niemand:

    "Wenn sie jetzt hier anfangen, so weiterzumachen, wie sie vor zehn Jahren aufgehört haben, dass wir uns das nicht bieten lassen können, ist ja wohl so was von klar."

    Die Wut der Demonstranten richtet sich gegen Umweltminister Norbert Röttgen. Für den hingegen war das Moratorium ein großer Fehler:

    "Mein Vorwurf an die vergangenen zehn Jahre mindestens mit dem Moratorium in Gorleben ist, dass die, die damals Verantwortung hatten, sich vor dieser Verantwortung gedrückt haben, weil es parteipolitisch nicht opportun war."

    Wenn man damals auch die Verantwortung von sich geschoben hat – das Problem ist geblieben: Obwohl seit 1960 Kernkraftwerke betrieben werden, ist auch 2010 nicht einmal im Ansatz klar, wohin mit dem Atommüll - selbst die rein wissenschaftliche Frage, ob sich der Salzstock von Gorleben überhaupt als Endlagerstandort eignet. Michael Sailer vom Ökoinstitut Darmstadt und Vorsitzender der Entsorgungskommission ESK:

    "Es gab Erkundungen, es gab auch Erkundungsergebnisse in dem Sinn, dass es wissenschaftliche Protokolle von Bohrungen oder Befunden gibt. Was es aber in Gorleben nach wie vor nicht gibt, ist eine Sicherheitsanalyse, oder - wie man modern sagt - Safety case."

    Diese neutrale, unabhängige wissenschaftliche Bewertung der Ergebnisse ist aber der wichtigste Teil der Endlagersuche. Darin wird untersucht,

    "ob da zurzeit alles dicht ist, wie wird sich die nächste Million Jahre entwickeln, bleibt dann alles dicht, was können für Störungen passieren, für unerwartete Entwicklungen, bei denen möglicherweise radioaktive Stoffe rauskommen, und das alles muss ich dann untersuchen daraufhin, was bedeutet dass für eine mögliche Freisetzung von radioaktiven Stoffen im Lauf der nächsten Million Jahre."

    Denn so lange soll nach deutschen Vorgaben die Sicherheit eines Endlagers gewährleistet werden. Diese Prüfung möchte Norbert Röttgen bis 2017 durchführen lassen - "ergebnisoffen" und nach den neuesten Sicherheitskriterien. Ein Endlager in Gorleben habe für ihn Priorität - aber keineswegs Exklusivität. Sollte der Standort ungeeignet sein, muss ein neuer her. Um dann nicht bei Null anfangen zu müssen, will der Bundesumweltminister parallel Alternativen prüfen lassen - in Ton und Granit. Letzterer ist in Schweden und Finnland das Wirtsgestein der Endlager. Für deutsche Experten ist Granit jedoch nicht die erste Wahl. Volkmar Bräuer von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover:

    "Sie haben natürlich Granitgebiete in Süddeutschland, in Sachsen, in Thüringen, in Bayern, in der Oberpfalz zum Beispiel, sehr großräumige Gebiete, die allerdings - wenn man jetzt den direkten Vergleich zum skandinavischen Granit sieht– sehr stark zerrüttet sind."

    Die Granite werden also von vielen Klüften durchzogen - und über diese Klüfte gelangt unweigerlich Wasser zu den Abfällen, das die Radionuklide in die Umwelt schaffen kann. Ein Problem, dem man in Finnland und Schweden mit technischen Barrieren zu begegnen hofft - und damit, dass die Sicherheitsanalysen nicht für eine Million Jahre ausgelegt werden, sondern bis zur nächsten Eiszeit.

    Die Alternative Tonstein wird unter anderem in Frankreich und der Schweiz erkundet. Er gilt als dicht, allerdings reagiert er empfindlich auf die Hitze, die der Atommüll entwickelt - und ein Bergwerk ist in dem brüchigen Gestein schwer zu betreiben. Passende Tonsteine gäbe es in Nord- und Süddeutschland.

    "Betroffen, wenn ich das so sagen darf, ist aber hauptsächlich Norddeutschland. Dort haben sie sehr, sehr große Regionen, die als Band von Osten nach Westen durchziehen und hauptsächlich in Niedersachsen, in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, und auch im nördlichen Bereich von Nordrhein-Westfalen."

    Wo auch immer ein potenzieller Standort ins Auge gefasst werden wird, auf eines kann man sich jedoch verlassen: Kein Ministerpräsident wird von einem Atommüllendlager im eigen Bundesland begeistert sein und auf die Barrikaden gehen. Außerdem bringt Umweltminister Röttgen eine neue Anforderung ins Spiel, die die Endlagersuche erschweren dürfte:

    "Der entscheidende Punkt ist die Rückholbarkeit, und zwar über mehrere hundert Jahre."

    Die Idee, den Atommüll wieder herausholen zu können, ist bei der Bevölkerung sehr beliebt. Die Experten der Entsorgungskommission sind bei diesem Thema zurückhaltend. Über den Begriff Rückholbarkeit werde international viel diskutiert. Aber was er bedeutet ist unklar: Soll das Bergwerk für Jahrhunderte offen gehalten werden? Das birgt Risiken - Wassereinbrüche zum Beispiel oder gesellschaftliche Umstürze. Außerdem fehlen belastbare Pläne zur technischen Durchführbarkeit: Es werden also Kompromisse zwischen Sicherheit und Rückholbarkeit geschlossen werden müssen. Derweil schlagen in Gorleben die Emotionen wieder hoch. Karsten Niemand:

    "Auslöser ist ganz klar Röttgen mit seiner miserablen Ankündigung, hier nach Bergrecht weiter zu erkundigen, wo mittlerweile doch der gesamten Republik klar ist, dass Salz und Endlager doch sowieso Blödsinn ist, und jetzt mit solchen Mottenkisten hier anzukommen, das können wir uns nicht bieten lassen."

    Eine Prüfung nach Atomrecht, das ist der Wunsch von Opposition und Demonstranten. Der Grund: Anders als beim Bergrecht ist darin die Bürgerbeteiligung vorgesehen. Das Problem: Das Atomrecht hat mit der Suche nach einem Endlager nichts zu tun. Es greift erst, wenn eine konkrete Anlage genehmigt werden soll. Ansonsten proben die Demonstranten in Gorleben derweil die Fundamentalopposition:

    "Auf der anderen Seite ist natürlich, diese zehn Jahre haben uns ja auch gebracht, die Asse ist mittlerweile abgesoffen, und wir stehen auf dem Standpunkt wie eh und je, es gibt sowieso kein Endlager. dieses Problem lässt sich nicht lösen und vor allem nicht mit so einer Floskel wie Endlager. das hört sich nach einer Lösung an und es gibt einfach keine Lösung für dieses Problem und das müssen sie irgendwann mal begreifen."