Jochen Spengler: Und um 17 Minuten nach acht geht es hier noch einmal um Fußball. Willi Lemke, der langjährige Manager von Werder Bremen, jetzt dort Aufsichtsratsvorsitzender, und Sonderberater des UNO-Generalsekretärs für Sport im Dienste von Frieden und Entwicklung, ist am Telefon. Guten Morgen, Herr Lemke.
Willi Lemke: Guten Morgen, Herr Spengler.
Spengler: "Hauptsache gewonnen" - kann man das sagen?
Lemke: Nein, so schlecht fand ich das Spiel nicht. Ich fand, es war ein sehr spannendes und aufregendes Spiel. Wir haben da nicht nur Höhepunkte gesehen, sondern eben auch Schwächephasen unserer Mannschaft. Aber "Hauptsache gewonnen", das sagt man eher, wenn man ein grottenschlechtes Spiel gesehen hat, wo man in der 93. Minute glücklich noch ein 1:0 geschossen hat. Das habe ich gestern nicht gesehen.
Spengler: Aber es war verdient, zu gewinnen?
Lemke: Ja. Ich denke, wenn man sich so ein paar Parameter anschaut, die geschossenen Ecken, den Ballbesitz, die großen Torchancen, dann, glaube ich, hatten wir insgesamt die Nase vorn, und von daher geht ein 1:0 in Ordnung. Aber wir hätten auch gestern verlieren können. Die Afrikaner haben sehr stark gespielt, waren der stärkste Gegner in dieser Vorgruppe, wie wir das auch schon gedacht haben. Es war zum Schluss natürlich für mich auch schön, weil ich hatte sehr gehofft, dass vielleicht noch eine Mannschaft mehr aus Afrika sich qualifiziert, und dass nun Deutschland und Ghana sich für die nächste Runde qualifiziert haben, das fand ich persönlich sehr schön.
Spengler: Bleiben wir noch einen Moment bei der deutschen Mannschaft; auf das afrikanische Team möchte ich auch noch eingehen. Was hat Sie denn an der deutschen Mannschaft gestern besonders beeindruckt?
Lemke: An allererster Stelle – und das mögen Sie mir als Bremer verzeihen – dieses Traumtor, weil ich habe es natürlich wie Sie auch sicherlich sehr häufig gestern Abend noch angeschaut, auch in Super-Zeitlupe, und da kann man dieses Tor eigentlich in die Lehrbücher des Fußballs übernehmen, denn genau so ist die Schusshaltung perfekt gewesen, wie Özil sie gezeigt hat. Das war ein wunderschönes Tor, hat uns alle natürlich in ganz Deutschland riesig gefreut. Das war für mich der Höhepunkt. Insgesamt war sicherlich die Teamleistung, so wie das Frau Fitschen eben auch schon beschrieben hat, etwas Hervorragendes; hoffentlich bleibt das so. Wir haben nicht die Messis, aber wir haben einige sehr gute Spieler in unserer Mannschaft, und wenn die die anderen mitreißen können, die ja vor allen Dingen sehr jung sind, noch nicht so richtig erfahren sind, viele davon, dann habe ich eben auch die Hoffnung, dass wir noch eine Runde weiter kommen. Wenn es dann, wie ich schon vor ein paar Monaten ausgerechnet habe, gegen Argentinien geht, dann habe ich so ein bisschen Angst, dass das dann möglicherweise die Endstation sein könnte. Aber in KO-Spielen – auch das ist eine Fußballerweisheit – ist immer alles möglich.
Spengler: Nach dem ersten Spiel gegen Australien, da hieß es, es gibt einen neuen deutschen Fußball. War das vielleicht ein bisschen übertrieben?
Lemke: Ja, natürlich war das zu sehr übertrieben. Ich habe das Spiel selber gar nicht live sehen können, weil ich genau zu der Zeit im Flieger von Johannesburg nach Bremen war, um dort die Special Olympics zu eröffnen. Aber als ich morgens aus der Maschine ausgestiegen bin, habe ich gedacht, wir wären schon Weltmeister, denn so groß war die Euphorie, und ich habe gesagt, Moment mal, Australien zu schlagen und einen guten Start zu haben, ist eine Sache, aber da kommen noch ganz andere Brocken, und die großen Brocken haben wir noch gar nicht gesehen. Wir haben uns gestern ja sehr schwer getan, Ghana zu schlagen, aber wie wird es jetzt gegen England und möglicherweise dann später gegen Argentinien. Also da ist noch ein langer, langer Weg und diese Vorschusslorbeeren waren eher kontraproduktiv.
Spengler: Ja. – Es hieß allerdings jahrelang, wir können zwar Kampf, aber wir können nicht Technik. Da könnte man doch jetzt Hoffnungen schöpfen, auf einmal geht es auch mit Technik in der deutschen Mannschaft, oder?
Lemke: Ja, aber wenn Sie sich zum Beispiel den gestrigen Abend ansehen, da gab es durchaus auch exzellente Fußballer in Ghana. Wenn Sie sich aber unsere Leistung gestern angeguckt haben, dann war das mehr Team Play. Wir haben viel mehr als Mannschaft gut zusammengespielt, wir waren nicht so eigensinnig. Es gibt viele Szenen, die ich noch vor Augen habe, wo die Afrikaner einfach zu eigensinnig waren und nicht ihre großen Qualitäten, die zum Teil über unseren waren, in der Balltechnik, in der Dynamik, in der Schnelligkeit. Da sind viele Dinge, wo ich glaube, dass wir noch besser sein könnten, aber wir sind eigentlich eine Teammannschaft, Gott sei Dank auch eine Turniermannschaft – deshalb haben wir in Deutschland diese große Hoffnung natürlich, dass wir doch noch ein paar Runden weiterkommen -, aber insgesamt sehe ich, dass viele andere Nationen im Fußball kräftig nachgerüstet haben, und wenn die eines Tages noch als Mannschaft zusammenfinden und ihren Egoismus bei Seite legen, dann wird das in den nächsten Jahren weiter noch ganz, ganz spannend im Weltfußball.
Spengler: Jetzt geht es, Herr Lemke, gegen England, ein Klassiker. Frage an den UNO-Sonderbeauftragten für Sport im Dienst von Frieden und Entwicklung: Nützt es dem Frieden, wenn nun Deutschland und England gegeneinander antreten müssen?
Lemke: Wenn sie ein schönes Fußballspiel hinlegen, wenn sie fair spielen, wenn es keine roten Karten gibt, wenn man auf dem Spielfeld zeigt, dass man gerne Vorbilder sein möchte für unsere Jugend, und zwar weltweit, dann kann das durchaus auch positive Auswirkungen haben.
Spengler: Und wie werden wir die Engländer annehmen? Werden wir eine Chance haben?
Lemke: Die Engländer haben in der Regel immer die Hosen ziemlich voll, wenn es gegen Fußball-Deutschland geht. Es gibt ja diesen Spruch, dass es immer so ist: Man spielt Fußball, aber am Ende gewinnt Deutschland. Es gibt ja diesen Spruch, dann schmunzeln wir ein bisschen darüber. Natürlich ist das sicherlich ein bisschen übertrieben. Die Engländer spielen einen anderen Fußball als wir, einen noch kämpferischen mit langen Bällen auf ihre Stürmer. Wir spielen ein anderes System. Es wird hoch spannend. Es gibt für mich in diesem Spiel keinen Favoriten, denn beide Mannschaften haben nicht einen sensationellen Lauf, sondern müssen sich erst zurechtfinden. Das ist eigentlich gut für ein Turnier, immer auch für uns gut gewesen, wenn man nicht gleich 100 Prozent hinlegt. Dann ist man nämlich furchtbar enttäuscht. Es gibt ja viele Turniermannschaften, die haben die ersten zwei, drei Spiele super gespielt und mit einem Mal kommen sie in ein Formtief und fliegen raus. Wir hatten hoffentlich unser Formtief gegen Serbien und gehen jetzt nur noch von Sieg zu Sieg, hoffentlich ganz weit nach vorne.
Spengler: Herr Lemke, wie wichtig ist es, dass mit Ghana nun doch ein afrikanisches Team ins Achtelfinale zieht?
Lemke: Das ist vor allen Dingen für mich in meiner beruflichen Funktion sehr, sehr wichtig. Als ich bei Ban Ki-Moon bei den Vereinten Nationen 2000 anfing, hat er gesagt: Wissen sie was, kümmern sie sich vor allen Dingen um den Sport in Afrika, "that ist the most suffering continent", der Kontinent, der am meisten leidet, und das stimmt in der Tat. Ich bin ganz, ganz häufig in verschiedenen Ländern dieses riesigen Kontinents. Stellen Sie sich mal vor: eine Milliarde Menschen in 53 Staaten. Setzen Sie mal die Landkarte Europas über Afrika, das verschwindet geradezu. Und wenn Sie auch die Schönheiten dieses Kontinents sehen, wunderbare Menschen, eine Tierwelt, eine Landschaft, auch viele wunderbare Erlebnisse, die ich Ihnen jetzt schon berichten kann, das sind Dinge, die dieser Kontinent braucht, wenn es jetzt darum geht, dass eine afrikanische Mannschaft weiterkommt. Sie sollen ja nicht nur, obwohl ich das immer predige - wenn ich in Südafrika bin oder war, habe ich gesagt, ihr müsst hervorragende Gastgeber sein, bitte geht nicht davon aus, dass ihr Weltmeister werdet -, aber das ist schwierig, einem Afrikaner zu verkaufen, weil die wollen alle mindestens Weltmeister werden, wenn sie da antreten, und auf dem Weg dahin habe ich immer gesagt, oh, oh, kommt ein bisschen runter. Gott sei Dank ist Ghana jetzt drin. Warum ist das wichtig für das Selbstwertgefühl der Afrikaner? Die sind ja ganz anders aufgestellt als wir Europäer. Wir würden ja nun in den seltensten Fällen den Franzosen, den Engländern oder Italienern die Daumen drücken in einem Spiel. Das werden die Südafrikaner natürlich immer machen, wenn es jetzt darum geht, Ghana zu unterstützen. Es ist wichtig für den nationalen Bereich im positiven Sinne. Nation-Building nennen wir das bei uns in den Vereinten Nationen. Wie kann ich das sagen? Team bilden für die Nationen in Afrika, denn viele leiden noch unter der Kolonialherrschaft. In verschiedenen Ländern in Afrika, Südafrika speziell, leiden die Menschen unter der Apartheid. Wenn sie so einen Kick kriegen, dass sie der Welt zeigen, hey, wir sind die tollsten Gastgeber gewesen, trotz der Vuvuzelas, die alle Leute ein bisschen nerven, das ist das Symbol dieser Fußball-Weltmeisterschaft, das ist ohne Frage. Und wenn wir in zehn Jahren über die Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika sprechen, sind es die Vuvuzelas. Und ich hoffe, dass die Nation sich zusammenrauft und viele Investoren in der ganzen Welt sagen, hey, wenn die so was Gigantisches schaffen, wie eine Fußball-Weltmeisterschaft mit Freude über diese vier Wochen zu bringen, und es keine großen Probleme weiter gibt – und die kleinen Dinge, die man liest, die hat es auch bei uns gegeben, aber die waren nicht so im Zentrum des Geschehens -, ich hoffe von Herzen, dass das Afrika (und zwar nicht nur Südafrika) nach vorne bringt. Das braucht dieser Kontinent. Er braucht unsere Aufmerksamkeit, er braucht unsere Investitionen, um mehr Bildung und Ausbildung dort hinzukriegen. Das ist das A und O. Dann wird es den Menschen eines Tages auch wieder besser gehen.
Spengler: Ein leidenschaftliches Plädoyer, das ich gar nicht mehr unterbrechen wollte, von Willi Lemke, dem Sonderberater des UNO-Generalsekretärs für Sport im Dienste von Frieden und Entwicklung. Danke, Herr Lemke, für das Gespräch.
Lemke: Vielen Dank und tschüss.
Willi Lemke: Guten Morgen, Herr Spengler.
Spengler: "Hauptsache gewonnen" - kann man das sagen?
Lemke: Nein, so schlecht fand ich das Spiel nicht. Ich fand, es war ein sehr spannendes und aufregendes Spiel. Wir haben da nicht nur Höhepunkte gesehen, sondern eben auch Schwächephasen unserer Mannschaft. Aber "Hauptsache gewonnen", das sagt man eher, wenn man ein grottenschlechtes Spiel gesehen hat, wo man in der 93. Minute glücklich noch ein 1:0 geschossen hat. Das habe ich gestern nicht gesehen.
Spengler: Aber es war verdient, zu gewinnen?
Lemke: Ja. Ich denke, wenn man sich so ein paar Parameter anschaut, die geschossenen Ecken, den Ballbesitz, die großen Torchancen, dann, glaube ich, hatten wir insgesamt die Nase vorn, und von daher geht ein 1:0 in Ordnung. Aber wir hätten auch gestern verlieren können. Die Afrikaner haben sehr stark gespielt, waren der stärkste Gegner in dieser Vorgruppe, wie wir das auch schon gedacht haben. Es war zum Schluss natürlich für mich auch schön, weil ich hatte sehr gehofft, dass vielleicht noch eine Mannschaft mehr aus Afrika sich qualifiziert, und dass nun Deutschland und Ghana sich für die nächste Runde qualifiziert haben, das fand ich persönlich sehr schön.
Spengler: Bleiben wir noch einen Moment bei der deutschen Mannschaft; auf das afrikanische Team möchte ich auch noch eingehen. Was hat Sie denn an der deutschen Mannschaft gestern besonders beeindruckt?
Lemke: An allererster Stelle – und das mögen Sie mir als Bremer verzeihen – dieses Traumtor, weil ich habe es natürlich wie Sie auch sicherlich sehr häufig gestern Abend noch angeschaut, auch in Super-Zeitlupe, und da kann man dieses Tor eigentlich in die Lehrbücher des Fußballs übernehmen, denn genau so ist die Schusshaltung perfekt gewesen, wie Özil sie gezeigt hat. Das war ein wunderschönes Tor, hat uns alle natürlich in ganz Deutschland riesig gefreut. Das war für mich der Höhepunkt. Insgesamt war sicherlich die Teamleistung, so wie das Frau Fitschen eben auch schon beschrieben hat, etwas Hervorragendes; hoffentlich bleibt das so. Wir haben nicht die Messis, aber wir haben einige sehr gute Spieler in unserer Mannschaft, und wenn die die anderen mitreißen können, die ja vor allen Dingen sehr jung sind, noch nicht so richtig erfahren sind, viele davon, dann habe ich eben auch die Hoffnung, dass wir noch eine Runde weiter kommen. Wenn es dann, wie ich schon vor ein paar Monaten ausgerechnet habe, gegen Argentinien geht, dann habe ich so ein bisschen Angst, dass das dann möglicherweise die Endstation sein könnte. Aber in KO-Spielen – auch das ist eine Fußballerweisheit – ist immer alles möglich.
Spengler: Nach dem ersten Spiel gegen Australien, da hieß es, es gibt einen neuen deutschen Fußball. War das vielleicht ein bisschen übertrieben?
Lemke: Ja, natürlich war das zu sehr übertrieben. Ich habe das Spiel selber gar nicht live sehen können, weil ich genau zu der Zeit im Flieger von Johannesburg nach Bremen war, um dort die Special Olympics zu eröffnen. Aber als ich morgens aus der Maschine ausgestiegen bin, habe ich gedacht, wir wären schon Weltmeister, denn so groß war die Euphorie, und ich habe gesagt, Moment mal, Australien zu schlagen und einen guten Start zu haben, ist eine Sache, aber da kommen noch ganz andere Brocken, und die großen Brocken haben wir noch gar nicht gesehen. Wir haben uns gestern ja sehr schwer getan, Ghana zu schlagen, aber wie wird es jetzt gegen England und möglicherweise dann später gegen Argentinien. Also da ist noch ein langer, langer Weg und diese Vorschusslorbeeren waren eher kontraproduktiv.
Spengler: Ja. – Es hieß allerdings jahrelang, wir können zwar Kampf, aber wir können nicht Technik. Da könnte man doch jetzt Hoffnungen schöpfen, auf einmal geht es auch mit Technik in der deutschen Mannschaft, oder?
Lemke: Ja, aber wenn Sie sich zum Beispiel den gestrigen Abend ansehen, da gab es durchaus auch exzellente Fußballer in Ghana. Wenn Sie sich aber unsere Leistung gestern angeguckt haben, dann war das mehr Team Play. Wir haben viel mehr als Mannschaft gut zusammengespielt, wir waren nicht so eigensinnig. Es gibt viele Szenen, die ich noch vor Augen habe, wo die Afrikaner einfach zu eigensinnig waren und nicht ihre großen Qualitäten, die zum Teil über unseren waren, in der Balltechnik, in der Dynamik, in der Schnelligkeit. Da sind viele Dinge, wo ich glaube, dass wir noch besser sein könnten, aber wir sind eigentlich eine Teammannschaft, Gott sei Dank auch eine Turniermannschaft – deshalb haben wir in Deutschland diese große Hoffnung natürlich, dass wir doch noch ein paar Runden weiterkommen -, aber insgesamt sehe ich, dass viele andere Nationen im Fußball kräftig nachgerüstet haben, und wenn die eines Tages noch als Mannschaft zusammenfinden und ihren Egoismus bei Seite legen, dann wird das in den nächsten Jahren weiter noch ganz, ganz spannend im Weltfußball.
Spengler: Jetzt geht es, Herr Lemke, gegen England, ein Klassiker. Frage an den UNO-Sonderbeauftragten für Sport im Dienst von Frieden und Entwicklung: Nützt es dem Frieden, wenn nun Deutschland und England gegeneinander antreten müssen?
Lemke: Wenn sie ein schönes Fußballspiel hinlegen, wenn sie fair spielen, wenn es keine roten Karten gibt, wenn man auf dem Spielfeld zeigt, dass man gerne Vorbilder sein möchte für unsere Jugend, und zwar weltweit, dann kann das durchaus auch positive Auswirkungen haben.
Spengler: Und wie werden wir die Engländer annehmen? Werden wir eine Chance haben?
Lemke: Die Engländer haben in der Regel immer die Hosen ziemlich voll, wenn es gegen Fußball-Deutschland geht. Es gibt ja diesen Spruch, dass es immer so ist: Man spielt Fußball, aber am Ende gewinnt Deutschland. Es gibt ja diesen Spruch, dann schmunzeln wir ein bisschen darüber. Natürlich ist das sicherlich ein bisschen übertrieben. Die Engländer spielen einen anderen Fußball als wir, einen noch kämpferischen mit langen Bällen auf ihre Stürmer. Wir spielen ein anderes System. Es wird hoch spannend. Es gibt für mich in diesem Spiel keinen Favoriten, denn beide Mannschaften haben nicht einen sensationellen Lauf, sondern müssen sich erst zurechtfinden. Das ist eigentlich gut für ein Turnier, immer auch für uns gut gewesen, wenn man nicht gleich 100 Prozent hinlegt. Dann ist man nämlich furchtbar enttäuscht. Es gibt ja viele Turniermannschaften, die haben die ersten zwei, drei Spiele super gespielt und mit einem Mal kommen sie in ein Formtief und fliegen raus. Wir hatten hoffentlich unser Formtief gegen Serbien und gehen jetzt nur noch von Sieg zu Sieg, hoffentlich ganz weit nach vorne.
Spengler: Herr Lemke, wie wichtig ist es, dass mit Ghana nun doch ein afrikanisches Team ins Achtelfinale zieht?
Lemke: Das ist vor allen Dingen für mich in meiner beruflichen Funktion sehr, sehr wichtig. Als ich bei Ban Ki-Moon bei den Vereinten Nationen 2000 anfing, hat er gesagt: Wissen sie was, kümmern sie sich vor allen Dingen um den Sport in Afrika, "that ist the most suffering continent", der Kontinent, der am meisten leidet, und das stimmt in der Tat. Ich bin ganz, ganz häufig in verschiedenen Ländern dieses riesigen Kontinents. Stellen Sie sich mal vor: eine Milliarde Menschen in 53 Staaten. Setzen Sie mal die Landkarte Europas über Afrika, das verschwindet geradezu. Und wenn Sie auch die Schönheiten dieses Kontinents sehen, wunderbare Menschen, eine Tierwelt, eine Landschaft, auch viele wunderbare Erlebnisse, die ich Ihnen jetzt schon berichten kann, das sind Dinge, die dieser Kontinent braucht, wenn es jetzt darum geht, dass eine afrikanische Mannschaft weiterkommt. Sie sollen ja nicht nur, obwohl ich das immer predige - wenn ich in Südafrika bin oder war, habe ich gesagt, ihr müsst hervorragende Gastgeber sein, bitte geht nicht davon aus, dass ihr Weltmeister werdet -, aber das ist schwierig, einem Afrikaner zu verkaufen, weil die wollen alle mindestens Weltmeister werden, wenn sie da antreten, und auf dem Weg dahin habe ich immer gesagt, oh, oh, kommt ein bisschen runter. Gott sei Dank ist Ghana jetzt drin. Warum ist das wichtig für das Selbstwertgefühl der Afrikaner? Die sind ja ganz anders aufgestellt als wir Europäer. Wir würden ja nun in den seltensten Fällen den Franzosen, den Engländern oder Italienern die Daumen drücken in einem Spiel. Das werden die Südafrikaner natürlich immer machen, wenn es jetzt darum geht, Ghana zu unterstützen. Es ist wichtig für den nationalen Bereich im positiven Sinne. Nation-Building nennen wir das bei uns in den Vereinten Nationen. Wie kann ich das sagen? Team bilden für die Nationen in Afrika, denn viele leiden noch unter der Kolonialherrschaft. In verschiedenen Ländern in Afrika, Südafrika speziell, leiden die Menschen unter der Apartheid. Wenn sie so einen Kick kriegen, dass sie der Welt zeigen, hey, wir sind die tollsten Gastgeber gewesen, trotz der Vuvuzelas, die alle Leute ein bisschen nerven, das ist das Symbol dieser Fußball-Weltmeisterschaft, das ist ohne Frage. Und wenn wir in zehn Jahren über die Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika sprechen, sind es die Vuvuzelas. Und ich hoffe, dass die Nation sich zusammenrauft und viele Investoren in der ganzen Welt sagen, hey, wenn die so was Gigantisches schaffen, wie eine Fußball-Weltmeisterschaft mit Freude über diese vier Wochen zu bringen, und es keine großen Probleme weiter gibt – und die kleinen Dinge, die man liest, die hat es auch bei uns gegeben, aber die waren nicht so im Zentrum des Geschehens -, ich hoffe von Herzen, dass das Afrika (und zwar nicht nur Südafrika) nach vorne bringt. Das braucht dieser Kontinent. Er braucht unsere Aufmerksamkeit, er braucht unsere Investitionen, um mehr Bildung und Ausbildung dort hinzukriegen. Das ist das A und O. Dann wird es den Menschen eines Tages auch wieder besser gehen.
Spengler: Ein leidenschaftliches Plädoyer, das ich gar nicht mehr unterbrechen wollte, von Willi Lemke, dem Sonderberater des UNO-Generalsekretärs für Sport im Dienste von Frieden und Entwicklung. Danke, Herr Lemke, für das Gespräch.
Lemke: Vielen Dank und tschüss.